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Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2024! Dieses Buch ist die fällige Antwort auf die eingefahrenen Ost-West-Debatten - auf wissenschaftlicher Grundlage, aus gesamtdeutscher Sicht
Die Ost-West-Debatte der Deutschen ist oft von gegenseitigem Unverständnis und Zuspitzungen geprägt. Christina Morina vermeidet die übliche Frontenbildung und rückt - anhand vieler bisher unerforschter Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen und Flugblätter - die Demokratievorstellungen und das Selbstverständnis ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Ost und West seit den 1980er Jahren in den Fokus.…mehr

Produktbeschreibung
Nominiert für den Deutschen Sachbuchpreis 2024! Dieses Buch ist die fällige Antwort auf die eingefahrenen Ost-West-Debatten - auf wissenschaftlicher Grundlage, aus gesamtdeutscher Sicht

Die Ost-West-Debatte der Deutschen ist oft von gegenseitigem Unverständnis und Zuspitzungen geprägt. Christina Morina vermeidet die übliche Frontenbildung und rückt - anhand vieler bisher unerforschter Selbstzeugnisse wie Bürgerbriefe, Petitionen und Flugblätter - die Demokratievorstellungen und das Selbstverständnis ganz normaler Bürgerinnen und Bürger in Ost und West seit den 1980er Jahren in den Fokus. Indem die Autorin die Demokratiegeschichte der Bundesrepublik und die Demokratieanspruchsgeschichte der Deutschen Demokratischen Republik miteinander verzahnt, kann sie maßgebliche Unterschiede und wechselseitige Bezüge im Staats- und Politikverständnis herausarbeiten.

Dabei entsteht ein differenziertes Bild: Viele Bewohner der DDR identifizierten sich mit ihrem Land und dessen "volksdemokratischen" Idealen, blieben dem Staat und seinen Institutionen gegenüber jedoch skeptisch. Diese Staatsferne gepaart mit einem oft provinziell-utopischen Bürgersinn, dessen Potentiale nach der Vereinigung weitgehend ungenutzt blieben, wirkt bis heute nach. Im Zusammenspiel mit einem wiedererstarkenden Nationalismus im Westen entstand so nicht zuletzt auch der Nährboden für den Aufstieg des Rechtspopulismus. Christina Morinas Buch offenbart die Grenzen der westdeutschen Liberalisierung ebenso wie die Vielfalt der ostdeutschen Demokratieaneignungsversuche - ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der gegenwärtigen prekären Lage der Demokratie.
Autorenporträt
Christina Morina ist seit 2019 Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Gesellschafts- und Erinnerungsgeschichte des Nationalsozialismus, in der politischen Kulturgeschichte des geteilten und vereinigten Deutschlands sowie in dem Verhältnis von Geschichte und Gedächtnis. Christina Morina studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Journalistik an den Universitäten Leipzig, Ohio und Maryland (USA) und wurde 2007 mit einer Arbeit über den Krieg gegen die Sowjetunion in der deutsch-deutschen Erinnerungskultur promoviert. Sie war von 2008 bis 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo sie sich 2017 mit einer Arbeit über die Ursprünge des Marxismus habilitierte.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension

Bitten und Beschwerden von Bürgern der alten wie der neuen Bundesländer bis ins Jahr 1991 hat Christina Morina für ihr Buch ausgewertet, so Rezensent Wolf Lepenies. Im Zuge der Auswertung treten Unterschiede zutage, erfahren wir, unter anderem zeigt sich, dass der Demokratieidealismus im Osten ausgeprägter war als im Westen. Das entspricht, so Lepenies mit Morina, der Demokratie-Rhetorik der DDR-Führung, die in Verbund mit der faktischen Verweigerung demokratischer Mitbestimmung ein Defizit entstehen lies, das sich nach der Wende in Forderungen nach einer umfassenden demokratischen Neuordnung entlud. Im Westen hingegen, zeichnet der Rezensent die Argumentation nach, dominierte lange ein eher pragmatischer Demokratiediskurs, in den 1980ern allerdings erzielte die Staatsform ausgesprochen hohe Zustimmungswerte. Weiterhin zeichnet Lepenies mit Morina nach, wie nach 1989 in den neuen Bundesländern eine neue Verfassung mit mehr direktdemokratischen Elementen gefordert wurde, was sich allerdings nur auf Länderebene, nicht auf Bundesebene in Gesetzen niederschlug. Eben deshalb kann die AfD, resümiert Morina laut dem von der Argumentation überzeugten Rezensenten, mit ihrer Kritik an der Parteiendemokratie reüssieren. Die Politik sollte diesen Aspekt der jüngeren Demokratiegeschichte ernster nehmen als bisher, findet Lepenies nach der Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.10.2023

Wachsende Unruhe

Christina Morina erzählt vom Kampf um die deutsche Demokratie in Ost und West seit den Achtzigerjahren.

Von Paul Ingendaay

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass wir aus den Vergröberungen des Alltagsgesprächs über den Zustand der Gesellschaft wieder herauskommen, nicht zuletzt aufgrund der digitalen Beschleunigung, der man sich ja schlecht verweigern kann. Wo es Shitstorms und "Aufreger" gibt, finden sie Widerhall, sei es bei der Instant-Versorgung in Talkshows oder in einschlägigen Bestsellern. Wenn ein Gegenstand durch ist, folgt der nächste. Untergründig hängen manche von ihnen allerdings miteinander zusammen. Etwa die Fragen, wie gut oder schlecht Deutschland-West und Deutschland-Ost zusammengewachsen sind - und was dieser immerhin schon 34 Jahre währende Prozess mit dem Aufkommen der Alternative für Deutschland (AfD), ihren sich radikalisierenden Thesen und ihrem steigenden Zuspruch in der deutschen Bevölkerung zu tun hat. Im Dunstkreis dieser Fragen erscheint dann alles andere als Indiz: hier geleakte Pauschalurteile über die neuen Bundesländer in Whatsapp-Botschaften des einflussreichsten Medienmanagers des Landes, dort der Bestseller des Leipziger Literaturwissenschaftlers Dirk Oschmann "Der Osten: Eine westdeutsche Erfindung".

Doch Indiz wofür? Einmal dafür, dass mächtige Männer im Privaten politische Ressentiments pflegen, von denen man sich nicht hatte träumen lassen. Und dann dafür, dass jede gesellschaftliche Gruppe, auch "der Osten", ihre je eigene Identitäts- und Benachteiligungsgeschichte zu erzählen hat, denn das eine und das andere - Identität und Benachteiligung - gehen Hand in Hand. Das ist im Fall von Oschmanns Buch sowohl durch eigene Erfahrung als auch aussagekräftiges Quellenmaterial gedeckt, ganz abgesehen davon, dass sein Buch sich im Vorwort als Zornrede zu erkennen gibt und uns damit auf Zuspitzungen vorbereitet.

Mit weniger medialer Macht kommt die Geschichtswissenschaft daher, und ihre Erkenntnisse fließen nicht immer in den Meinungsstrom der öffentlichen Kanäle ein. Dennoch wünscht man ihnen in manchen Fällen eine starke Langzeitwirkung. Die Historikerin Christina Morina, Jahrgang 1976 und Professorin für Allgemeine Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte an der Universität Bielefeld, hat jetzt ein solches Buch geschrieben. "Tausend Aufbrüche: Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er Jahren" verrät schon im Titel, dass es um gesellschaftspolitische Entwürfe und Utopien gehen wird statt um (deutlich besser verkäufliche) Ressentiments. Durch jahrelange Archivrecherchen konnte Morina rekonstruieren, was die Deutschen in Ost und West eigentlich unter Demokratie verstanden, bevor Beitritt und Vereinigung die beiden lange getrennten deutschen Staaten wieder zusammenführten. Ob die DDR ein "Unrechtsstaat" war, ist in diesem Licht eine nutzlose Debatte, die zeigt, wie oft sich das innerdeutsche Gespräch in symbolischen Gefechten erschöpft. Interessanter sei es zu verstehen, dass die Bundesrepublik eine Demokratiegeschichte, die DDR aber zumindest eine "Demokratieanspruchsgeschichte" zu erzählen habe.

Diesen Verflechtungen geht die Historikerin in einer gesamtdeutschen "Demokratiegeschichte von unten" über 300 Seiten hinweg nach, gestützt auf aktuelle Forschung, aber vor allem auf programmatische Texte, Konzeptpapiere und Appelle aus den Wendejahren sowie Eingaben, Briefe und schriftliche Forderungen der Bürger in Ost und West an ihre jeweiligen Regierungen. In der DDR - und aus nachvollziehbaren Gründen oft anonym - gingen die Schreiben an Zeitungen oder die SED-Funktionseliten, in der Bundesrepublik an die Bundespräsidenten Karl Carstens und Richard von Weizsäcker. Allein diese erhellenden, kuriosen, oft bewegenden Eingaben machen das Buch zu einer erstaunlichen Quellensammlung. Sichtbar wird ein Archiv der Ideale, Wünsche und Sehnsüchte von Menschen, die sich energisch als Bürger artikulierten.

In der Rückschau werden die Anlässe dieser Briefe als wichtige Wegmarken bei der Rekonstruktion eines gesamtdeutschen Staates erkennbar, ob bei den DDR-Kommunalwahlen vom Mai 1989 (deren Wahlbeobachter "über das simple Auszählen der Stimmen an den Fundamenten der simulierten Deutschen Demokratischen Republik rüttelten"), beim Ringen um neue partizipative Elemente im Grundgesetz, das Vermummungsverbot, die Debatte über sozialstaatliche Garantien oder bei der heiß diskutierten Hauptstadtfrage. So gelingt es Morina, die wachsende Unruhe und Frustration, die zum Sturz des SED-Regimes führten, als Ergebnis demokratischer Ansprüche zu beschreiben, aber auch die facettenreiche, von Hoffnungen, Forderungen und neuerlichen Enttäuschungen gezeichnete Zeit der Nachwendejahre zu erzählen. Gewiss wurden die "tausend Aufbrüche" des Buchtitels von den De-facto-Lösungen einer immer schneller, immer pragmatischer und autoritärer zupackenden Politik des westlichen Deutschlands erstickt; das heißt aber nicht, dass wir so tun sollten, als hätte es sie nicht gegeben.

Weithin vergessene Gruppierungen tauchen hier wieder auf, nicht nur das Neue Forum oder der Demokratische Aufbruch, sondern auch das Forum für direkte Demokratie, die Bürgerliste Leipzig und Aufbruch 90. Zentral für Morinas Argumentation sind dabei die unterschiedlichen Staatsbürger-Vorstellungen in West und Ost. Während sich in den westdeutschen Briefen vor allem die drei Typen des Wahlbürgers, des Steuerbürgers und des seinem Staat dienenden Bürgers ausmachen lassen, verraten die Briefe in der DDR (die von ängstlichen Rezipienten und Medien oft als "staatsgefährdend" an die Stasi weitergeleitet wurden), dass die Bürgeridee im Sozialismus eng an eine egalitäre Gesellschaftsordnung und "identitäre" Herrschaftsordnung geknüpft war. Viel öfter als im Westen wurde in der DDR an den "Menschen" appelliert - und kälter als im Westen die Staatsangehörigkeit nicht im Sinne von Heimat verstanden, sondern als bürokratisch, auf Zeit verliehene Zugehörigkeit zu einem Territorium. Beinahe so, als wäre dieser Staat "eine notwendige, aber nur widerwillig getragene Hülle", nennt sich eine Briefschreiberin "Einwohnerin der DDR".

Aus etlichen Briefen und Eingaben diese kluge, Augen öffnende Synthese geschaffen zu haben ist eine enorme Leistung. "Wir fühlen uns unmündig im Kant'schen Sinne, wonach man nur mündig ist, wenn man mit Hilfe seines Verstandes ohne Leitung eines anderen Entscheidungen treffen kann", schreiben zwei Männer und eine Frau - mutig mit Klarnamen - an das DDR-Komitee für Menschenrechte. Christina Morina zeigt und kommentiert, überlässt das Urteil aber ihren Lesern. Sie erkennt bürgerschaftliches Engagement, differenziert jedoch zwischen historischen und zwischenmenschlichen Sorgen. Den Übergang der offiziösen DDR-Rhetorik vom Pathos zur Pose benennt sie ohne ideologischen Furor. Ebenso nüchtern vermerkt sie die Gönnerhaftigkeit westdeutscher Politiker in den Wendejahren. Und Richard von Weizsäckers allzu romantische Deutung des Slogans "Wir sind das Volk!" kontrastiert Morina mit der trüben Karriere dieser Wendung bis zur Pegida-Bewegung.

Es war eben eine Zeit, die neben hehren Ideen und großen Gefühlen auch Verwirrung, Verlegenheit und Murks hervorgebracht hat. Wer sich das eingesteht, hat mit dem Begreifen schon begonnen. So, wie es heute ist, war es nicht immer. Die keineswegs geradlinige, vor allem vielstimmige und debattenreiche Geschichte des jüngeren deutschen Nachdenkens über das Wesen der Demokratie gehört in viele Hände, und vielleicht könnte sie uns künftig manchen öffentlich geäußerten Blödsinn ersparen.

Christina Morina: "Tausend Aufbrüche. Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren". Siedler, 400 Seiten, 28 Euro

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»Christina Morina hat die politische Kulturgeschichte um ein wichtiges Kapitel erweitert. Ihre detaillierte Untersuchung von Bürgerbitten und Beschwerden in DDR und BRD wirft einen neuen Blick auf das Demokratieverständnis in Ost- und Westdeutschland, auf politische Vielstimmigkeit, Wünsche, enttäuschte Hoffnungen und Ressentiments. Morinas Buch legt einen demokratiehistorischen Erinnerungsschatz frei, der eine neue Perspektive in eine heute verhärtete Debatte bringt.« Begründung der Jury zur Nominierung für den Preis der Lepziger Buchmesse