25,80 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
  • Gebundenes Buch

Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Rudolf Hirsch, dem langjährigen Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, Redakteur der Neuen Rundschau und für kurze Zeit auch Leiter des Insel-Verlages, bietet eine neue Perspektive auf Leben und Werk des Dichters. Er ermöglicht erstmals Einblicke in die Beziehung Celans zu einem Verleger. Entstehung und Publikation seiner Werke erscheinen damit in einem neuen Licht. Hirsch war in einem von Celan gewünschten Sinne »aufmerksam«: Von ihm fühlte er sich als Dichter verstanden, bei ihm suchte er Rat und Hilfe, ihm vertraute er seine Werke an. Neben…mehr

Produktbeschreibung
Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Rudolf Hirsch, dem langjährigen Geschäftsführer des S. Fischer Verlags, Redakteur der Neuen Rundschau und für kurze Zeit auch Leiter des Insel-Verlages, bietet eine neue Perspektive auf Leben und Werk des Dichters. Er ermöglicht erstmals Einblicke in die Beziehung Celans zu einem Verleger. Entstehung und Publikation seiner Werke erscheinen damit in einem neuen Licht.
Hirsch war in einem von Celan gewünschten Sinne »aufmerksam«: Von ihm fühlte er sich als Dichter verstanden, bei ihm suchte er Rat und Hilfe, ihm vertraute er seine Werke an. Neben bedeutenden übersetzungen erschienen die Lyrikbände Sprachgitter und Die Niemandsrose sowie die Büchner-Preis-Rede Der Meridian bei S. Fischer. »Die Worte, die Sie mir vor meiner Lesung zuteil werden ließen, haben mich zuinnerst ergriffen«, schreibt Celan im März 1959 nach einer Lesung in Frankfurt: »Es war ein großer Augenblick für mich, ich wollte, ich hätte in ihm stehen bleiben dürfen, sofort, mit den Gedichten.« So sind die 207 erhaltenen Briefe, Karten und Telegramme, welche die beiden zwischen 1954 und 1964 wechselten, Zeugnisse einer langsam wachsenden tiefen Freundschaft, bis sie tragisch zerbrach: Bedrängt und gequält von den in der 'Goll-Affäre' erhobenen, unberechtigten Plagiatsvorwürfen, wandte sich Celan schließlich auch gegen seinen Verleger, glaubte ihn als Drahtzieher eines »doppelten Spiels« zu durchschauen und zog sich ins Schweigen zurück.
Autorenporträt
Celan, PaulPaul Celan wurde am 23. November 1920 als Paul Antschel als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen Czernowitz geboren. Nach dem Abitur 1938 begann er ein Medizinstudium in Tours/Frankreich, kehrte jedoch ein Jahr später nach Rumänien, zurück, um dort Romanistik zu studieren. 1942 wurden Celans Eltern deportiert. Im Herbst desselben Jahres starb sein Vater in einem Lager an Typhus, seine Mutter wurde erschossen. Von 1942 bis 1944 musste Celan in verschiedenen rumänischen Arbeitslagern Zwangsarbeit leisten. Von 1945 bis 1947 arbeitete er als Lektor und Übersetzer in Bukarest, erste Gedichte wurden publiziert. Im Juli 1948 zog er nach Paris, wo er bis zu seinem Tod lebte. Im selben Jahr begegnete Celan Ingeborg Bachmann. Dass Ingeborg Bachmann und Paul Celan Ende der vierziger Jahre und Anfang der fünfziger Jahre ein Liebesverhältnis verband, das im Oktober 1957 bis Mai 1958 wieder aufgenommen wurde, wird durch den posthum veröffentlichten

Briefwechsel Herzzeit zwischen den beiden bestätigt. Im November 1951 lernte Celan in Paris die Künstlerin Gisèle de Lestrange kennen, die er ein Jahr später heiratete. 1955 kam ihr gemeinsamer Sohn Eric zur Welt. Im Frühjahr 1970 nahm sich Celan in der Seine das Leben.

Seng, JoachimJoachim Seng, Studium der Germanistik, Politologie und Volkswirtschaft in Frankfurt am Main. Seit 1997 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum, seit 2007 Leiter der dortigen Spezialbibliothek zur Goethezeit und Romantik. Editionen und Publikationen zu Paul Celan, Einzelveröffentlichungen zu Johann Wolfgang von Goethe und Hugo von Hofmannsthal sowie zur Geschichte des Freien Deutschen Hochstifts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.12.2004

Unerhörtes Dokument
Der Briefwechsel zwischen Paul Celan und Rudolf Hirsch
Einen Verlagslektor wie Rudolf Hirsch wird man heute kaum noch antreffen. Er verfügte mit großer Selbstverständlichkeit über die abendländische Bildungstradition. Man zuckt unwillkürlich ein bisschen zusammen, wenn Hirsch in seinem Briefwechsel mit Paul Celan gegen das Wort „Engführung” argumentiert, das zeitweilig als Buchtitel vorgesehen war: Ihn „stört die letzte Silbe, um derentwillen schon Goethe aus der deutschen Sprache ausbrechen wollte”. Der akribische Herausgeber des Briefwechsels, Joachim Seng, ist für seinen Kommentarteil tatsächlich in Goethes Sämtlichen Werken fündig geworden. Es handelt sich um eine Anspielung auf das Gedicht „Kein Vergleich!”, mit dem Goethe in Cottas „Morgenblatt” 1818 auf einen Beitrag Jean Pauls reagierte und dem Wort „Vergleichung” ironische Spitzen abgewann.
Rudolf Hirsch war Celans Ansprechpartner beim S. Fischer-Verlag von Mitte der fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre, und da ging es vor allem um zwei Ereignisse, die in ihrer entgegengesetzten Dynamik charakteristisch sind: die Verleihung des Büchnerpreises an Celan 1960 sowie die „Goll-Affäre”, die parallel dazu ihren Höhepunkt hatte und Celans Biografie unheilvoll prägte. Dass auch das fast freundschaftlich zu nennende Verhältnis zu Hirsch durch die Goll-Affäre zerbrach, wirkt wie ein Fanal.
Auch Hirsch war Jude, aus dem Berliner Großbürgertum, konvertierte aber früh zum Katholizismus. 1933 floh er als Achtzehnjähriger mit seiner Familie nach Amsterdam, wo er ab 1940 im Untergrund überlebte. Einmal, nach einem Telefongespräch, schreibt Celan an ihn: „das Trauma, sagten Sie vorhin. . . Das Trauma - vielleicht auch das Stigma. . . Oder auch: das Gewissen. Oder auch nur: ein Nicht-schlafen-Können, manchmal. . .” Das rührt an gemeinsame Erfahrungen. Bei Hirsch konnte sich Celan sicher sein, dass seine Sensibilität für die antisemitische Kontinuität in der frühen Bundesrepublik mitvollzogen wurde.
Sandfarben, nicht gelblich
Als es ab Mitte der fünfziger Jahre zu ersten Buchprojekten Celans bei S. Fischer kommt, neben dem eigenen Lyrikband „Sprachgitter” auch Übersetzungen von Alexander Bloks Revolutionspoem „Die Zwölf” und Gedichten René Chars, zeigen sich ungestüme, künstlerische Züge bei Celan. Für den Herbst 1958 ist die Veröffentlichung des Char-Zyklus bei S. Fischer vorgesehen. Im Februar fragt Celan Hirsch, ob ihn auch Blok-Übersetzungen interessieren würden. Zwei Tage später schickt er sie ihm, ohne eine Antwort abgewartet zu haben. Hirsch erwidert, dass er nichts vor dem Frühjahr 1959 planen könne, das Herbstprogramm sei so überfüllt, dass er „jetzt schon voller Sorge” darauf schaue.
Am nächsten Tag schreibt Celan: „Lieber, verehrter Herr Dr. Hirsch, das Frühjahr 1959 ist so weit! Ich habe in den letzten drei Jahren kaum etwas veröffentlicht - ich komme jetzt von der Vorstellung, daß die ‚Zwölf' zur Herbstmesse erscheinen, nicht mehr los - lassen Sie das kleine Buch doch bitte schon im September da sein!” Darauf Hirsch: „Da Ihr Wunsch, daß ‚Die Zwölf' im Herbst erscheinen sollen, so inständig ist, füge ich mich ihm und veranstalte die Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt.” Stattdessen werde er den Char auf das Frühjahr vertagen. Das wiederum erschreckt Celan: „Bitte tun Sie das nicht, das darf auf keinen Fall geschehen, ich kann das wirklich nicht verantworten! René Char soll und muss zuerst dasein!”
Celans Existenz ist die Dichtung, das wird in diesen Briefen ganz deutlich, sie sprechen von den Empfindlichkeiten des Dichters wie von den euphorischen Erlebnissen, die damit einhergehen. Es ist verlagsgeschichtlich aufschlussreich, wie sehr Celan in die Gestaltung seiner Bücher mit einbezogen wurde. Für „Sprachgitter” wünscht er sich einen „sandfarbenen” Umschlag und findet, dass eine erste Probe zu sehr ins Gelbliche ging, er moniert die zu großen römischen Ziffern als Unterteilungen in der Blok-Ausgabe und hat genaue Vorstellungen über Rückenschildchen und Typen bis hin zu Kapitälchen.
Doch immer mehr mischen sich Probleme dazwischen, die Celan seine Identität als Jude schmerzhaft bewusst machen. Eine erste Irritation entsteht, als Hirsch Celans Entsetzen über eine Rezension seines Gedichtbandes durch Günter Blöcker im Tagesspiegel zwar teilt, aber schneller wieder zur Tagesordnung zurückzukehren scheint, als es Celan gut tut. Die Rezension ist ein schlagender Beweis für die Verdrängung des Naziterrors, die in der frühen Bundesrepublik auch im kulturellen Milieu herrschte. Bei Celan, dessen Eltern von den Nazis umgebracht worden waren, wurde das Trauma dadurch aktualisiert.
In immer kürzeren Abständen kommt es zu kritischen Situationen. Auslöser sind die Intrigen Claire Golls, die Celan vorwirft, von Gedichten ihres verstorbenen Mannes Yvan Goll abgeschrieben zu haben. Celan kann bald nicht mehr den Antisemitismus von den üblichen Machenschaften im Literaturbetrieb unterscheiden. Er „weist” seinem Freund Günter Grass „die Tür”, weil dieser nicht in Celans Sinn über dessen Prosatext „Gespräch im Gebirg” gesprochen hatte, und der übliche lyrische Futterneid (wie in einer Rezension Peter Rühmkorfs) vermengt sich in Celans Wahrnehmung mit dem Weiterleben des Naziregimes.
Hirsch sieht die Gefahr, in der Celan schwebt, und versucht zu beschwichtigen. Immer wieder fallen Sätze wie: „Meine Bitte geht dahin, daß Sie sich nicht mit diesem Schmutz beschäftigen möchten.” Oder, als die Verleumdungen Claire Golls ihrem Höhepunkt zusteuern: „Denken Sie mehr an Ihre Freunde als an die kleine, aber laute Schar der Feinde!” Tatsächlich melden sich sehr viele Stimmen zu Wort, die Celan beistehen; die Vorwürfe Golls sind innerhalb eines Jahres öffentlich widerlegt. Es ist bewegend zu sehen, wie Celan auf Hirsch eingehen möchte: „Nicht zuletzt Ihnen zuliebe, Ihnen zu Dank, möchte ich ruhiger werden.” Aber - er schafft es nicht. Bald wird er auch Hirsch gegenüber misstrauisch.
Als Hirsch sich im Januar 1961 in Paris aufhält und sich nicht bei Celan meldet, ist dieser zutiefst gekränkt, und als Hirsch dann im März tatsächlich Celan besucht, kommt er nicht allein, sondern in Begleitung der Tochter Chagalls, Ida - für Celan ein Zeichen dafür, dass er einem Vier-Augen-Gespräch ausweichen wollte. Hirsch unterschätzt Celans Lage, abermals wünscht er, dass Celan sich „nicht von der Last der feindseligen Haltung bestimmen” lasse.
Hirsch wird nun tatsächlich zum Feind. 1962 bezeichnet ihn Celan in einem Brief an seinen alten Bukarester Mentor Alfred Margul-Sperber als „Drahtzieher” der Goll-Affäre. Es sind wohl die großen Hoffnungen, die Celan in Hirsch über Jahre hinweg gesetzt und die dieser zu einem beträchtlichen Teil auch erfüllt hat, die zur Unbedingtheit des Dichters geführt haben. Da werden kleinste Abweichungen vom eigenen Standpunkt als Verrat empfunden. Hirsch versucht, die Anfeindungen gegen Celan zu relativieren: Das macht ihn für diesen verdächtig. Beim Lesen des Briefwechsels stellt sich das beklemmende Gefühl ein, dass die Entwicklung unvermeidlich war. Hirsch schreibt 1962 in einem seiner letzten Briefe an Celan: „Warum wollen Sie, daß ich nicht in der Welt bin?”
Der Leser hat das Gefühl, eine schicksalshafte Verstrickung mitzuerleben. Dieser Briefwechsel ist ein Beleg für die Gefährdungen von Celans Psyche, aber auch für seine dichterische Größe. Manchmal glaubt man, dass das eine etwas mit dem anderen zu tun hat. Aber dann wird wieder deutlich, wie sehr Celans Sensorium auf reale Bedrohungen, auf das Fortdauern nationalsozialistischer Strukturen im Adenauer-Staat reagierte. Wie man es auch wendet, ob ästhetisch, ob psychologisch oder zeitgeschichtlich: Dies ist ein unerhörtes Dokument.
HELMUT BÖTTIGER
PAUL CELAN, RUDOLF HIRSCH: Briefwechsel. Herausgegeben von Joachim Seng. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 399 Seiten, 25,80 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2004

An den Toren der Vergeblichkeit
Nähe war vom Dichter nicht vorgesehen: Der beeindruckende Briefwechsel von Paul Celan und Ilana Shmueli

Von Abu Tor aus, südlich von Jerusalem gelegen, sehen Paul Celan und Ilana Shmueli im Oktober 1969 auf die Altstadt. Es ist spät am Nachmittag, die Mauern scheinen im Licht. Die Idylle trügt. Die Stationen des Spaziergangs, der sie bis hierher führte, hat Shmueli aufgezeichnet: Skopusberg, American Colony Hotel, Bethlehem. Celan rechnet mit den historischen Abgründen. "Der Blick auf die Stadt, die Kuppeln der Moscheen beherrschen das Bild - trotz allem", hält Shmueli in den Notaten fest, um die Celan sie gebeten hat, und erinnert dann an das Gahenna-Tal, das sie von Abu Tor aus ebenfalls gesehen haben und das seinen Namen vom hebräischen Wort für "Hölle" hat: Dort opferte man die Kinder dem Moloch. In gleicher Weise leitet Celan den Blick von der goldenen Kuppel des Felsendoms, die aus allem hervorsticht, zu den Mauern des Tempels darunter. Schließlich nur ein eiliger Besuch bei der Klagemauer: "Keine Ausgrabungen bitte", mahnt er sie, denn Celan gibt der Tiefe streng den Sinn der Lage hier und jetzt. Die Sorge um Israel angesichts seiner politischen, militärischen Bedrohung und die Gefährdung einer prekären Liebesbeziehung stehen im Mittelpunkt.

Celan wechselt nach seinem Besuch in Israel regelmäßig Briefe mit Shmueli, sechs Monate lang bis kurz vor seinem Suizid im April 1970. Oft legt er Gedichte bei oder schickt sie an Briefes Statt. Meist sind es neue Gedichte, die posthum 1976 als zweiter Zyklus des Bands "Zeitgehöft" erscheinen und im Manuskript noch mit "Ilana" überschrieben sind. Paul und Ilana kennen sich seit ihrer Kindheit in Czernowitz: Beide gingen ins Exil, er nach Paris, sie nach Israel. Unverhofft treffen sie sich 1965, zwanzig Jahre später, in Paris. Shmueli lädt ihn sogleich ein und zitiert auf hebräisch aus dem Buch Jeremia, 40, wo Jerusalem zum Ort für die verstreuten Juden wird. Sie setzt ein Zeichen, das Celan so nicht aufgreift: Er zögert und kommt erst vier Jahre später für knappe drei Wochen; danach gewinnt ihre Leidenschaft in den Briefen Gestalt und Leben.

Ilana tritt an die Stelle der anderen Frauen, und wie früher konstruiert Celan mit dichterischen Parolen eine Erinnerung, um bestehen zu können. Nur einmal noch sehen sie sich, als Shmueli über die Weihnachtszeit und im Januar 1970 nach Paris fährt. Später wird er ihr schreiben: "Ich denke an den Nachmittag und Abend in Paris, ich höre Dich, wie Du daliegst, nebenan, durchdrungen, eröffnet, wie Dein Atem geht, hörbar hörbar." Erstaunt von der späten Möglichkeit einer ausgelassenen und mehr noch verzweifelten Liebe, schließt Celan sie dennoch aus. Nach Paris beginnt er - in großer Freundlichkeit - zu verstummen: Die Gedichte, die er ihr schickt, gehören zu einem neuen Zyklus. Er weiß es schon und sagt es ihr.

Hundertunddreißig Briefe hin und her und 26 Gedichte Celans teilen Ilana Shmueli und Thomas Sparr nun mit, kommentiert und umsichtig ergänzt durch einzelne Dokumente; leider fehlen drei Briefe Shmuelis, die im Deutschen Literaturarchiv aufbewahrt werden, darunter der erste vom September 1965. Der Band nimmt dem Leser den Atem. Er spitzt die Frage zu, die nach der Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Celan und seiner Frau Gisèle Celan-Lestrange auf neue Weise zu stellen war: Ist das die Biographie des Dichters? Shmueli weiß um die schutzlosen, oft - und gerade im Schmerz - hemmungslosen Briefe und begleitet die Edition mit einem Nachwort. Sie kommentiert darin ihre Erinnerungen, denn sie hat Scheu vor der Preisgabe der Korrespondenz und fürchtet, die "Menschenwürde" Celans zu verletzen. Dies zeugt von ihrem Verständnis für Celans dichterische Problematik, das sie schon als Briefpartnerin ehedem aufbrachte.

Celan hat seine Briefe stets auf die Dichtung hin geschrieben: Die Gedanken, die er in Gedichten aufgreift, wollen schon vorher in eine sprachliche Form gebracht werden. Den Briefen, die er schreibt und die er erhält, kommt daher eine besondere Rolle zu. Sie dienen dem Willen des Dichters wie der Knecht dem Herrn. Nur in dem Maß, in dem die Briefe gelingen, hält er als Person stand. Die Briefe an Ilana Shmueli zeigen ihn mit Ansprüchen an sich und an sie; sie zeigen ihn auch in seiner Schwäche, unerreichbar und unzureichend zugleich. In der Kurve der Korrespondenz wird erneut deutlich, woran er starb: an Erschöpfung.

Als "Goldboje" taucht die Kuppel des Felsendoms am 7. November 1969 im Gedicht wieder auf und geht von da in die idiomatische Sprache der Briefe ein: "Das Leuchten, ja jenes, das / Abu Tor / auf uns zureiten sah, als wir / ineinander verwaisten, vor Leben / nicht nur von den Handwurzeln her -: // eine Goldboje, aus / Tempeltiefen, / maß die Gefahr aus, die uns / still unterlag." Celan zitiert das Licht der jüdischen Mystik, in dessen Glanz Gott sich zeige. Doch für ihn steht das Leben am Anfang und gibt die Kraft, die die Liebenden benötigen, um zueinanderzukommen: Diese Kraft erst vereinzelt sie, macht sie zu Waisen. Auch "von den Handwurzeln her": Das Gedicht hat daran einen Anteil, denn in Celans Sprache schreibt die "Hand". Im Rhythmus des Gedichts, das wie ein Ort das Geschehen betrachtet, kommt das "Leuchten" auf die beiden zu. Celan überträgt den Rhythmus des Gedichts auf die sinnliche Liebe. Nicht das Leuchten der Moschee kommt auf sie zu, sondern "jenes": das andere, schon resemantisierte, das von der "Goldboje" ausgeht, die über den Tempeltiefen schwimmt und Halt gibt, weil sie die Gefahr kennt, die heute im Verhältnis von Arabern und erneut bedrohten Juden liege. Das Wesentliche offenbare sich in jener unüberbrückbaren Situation.

Davon sprechen sowohl die Horizontale als auch die Vertikale des Gedichts, das am Tag nach Nassers Rede vom Krieg als einzigem Mittel gegen Israel entsteht. Zur gleichen Zeit bekennt Celan, daß seine Kräfte schwinden. Die "Goldboje" soll den beiden einzigen Wahrheiten Halt geben, die er in seiner radikalen, materialen Kritik anerkannte: eine körperliche und die nicht verdeckte Wahrheit der politischen, der historischen Ereignisse. Celan schreibt ihr einige Wochen später: "Die Goldboje muß heraufkommen, damit die Gefahr unterliegt. Dann - jetzt? - umarme ich Dich. Natürlich denke ich unausgesetzt an Israel."

Die Rettung im Gedicht ist konkret und setzt sein Judentum voraus, das er Jerusalem und Ilana gegenüber schärft. Dieses Judentum ist er selbst in seiner Einsamkeit. In der Rede vor dem hebräischen Schriftstellerverband am 14. Oktober 1969 in Tel Aviv spricht er von der "jüdischen Einsamkeit", die seiner Dichtung ähnlich sei: "Und ich finde hier, in dieser äußeren und inneren Landschaft, viel von den Wahrheitszwängen, der Selbstevidenz und der weltoffenen Einmaligkeit großer Poesie. Und ich glaube, mich unterredet zu haben mit der gelassen-zuversichtlichen Entschlossenheit, sich im Menschlichen zu behaupten." Das ist diplomatisch zu den Zuhörern hin gesagt, ein wenig adaptiert, ohne indes falsch zu sein: Weder nach einem sakralen "himmlischen Jerusalem" noch nach einer Heimkehr zu den Vätern steht ihm der Sinn.

Ilana mußte fremd sein, um ihm in seiner Fremdheit beistehen zu können. Und sie soll ihm etwas von ihrer Zugehörigkeit vermitteln, um ihm nahezukommen. Nähe war letztlich nur in der Repräsentation eines "Wir" vorgesehen. Einmal geht sie auf diese Dialektik ein und protestiert gegen die ihr zugewiesene Rolle. "Auch schreibe ich wenig von dem was Du von mir erwartest - Wir - Wir - in Israel - Israel ich weiß so wenig darüber zu sagen." Und über das "Land, das sein Volk auffrißt": "Ein heilloses Durcheinander - auch Goldbojen und Tempeltiefen und Du und Ich an den Toren der Vergeblichkeiten, an die Du uns verbannst, verbannen willst - Ich will nicht!" Da ist das System schon zusammengebrochen, das sie zuvor als lebensnotwendig erlebt. Alles dreht sich um Celans Gedichte: "und erst die Gedichte, und zuletzt die Gedichte", sagt sie. Celan schreibt in Paris und zeichnet gleichsam seine Reise nach. Alles ist Konstruktion, von der Begegnung mit der Jugend angefangen, und Shmueli tritt darin ein: Seine Gedichte sind für sie Gegenworte gegen die eigene Melancholie, denn sie handeln wider die Vernunft. Die immer konkreten dichterischen Entscheidungen, die so zustande kommen und an die er sich hält, nennt sie absurd. Aus Celans Meridianrede gibt sie der Entscheidung den Namen "Atem": "Es gibt Atem, es gibt tausend Sehensmöglichkeiten", versichert sie. Und nimmt aus jener Rede auch die Parole, der die dichterische Sprache folge: den Ruf von Büchners Lucile, den Celan zitierte und an den sich nun auch seine Geliebte hält: "Es lebe der König." Für ihn besteht die Majestät des Absurden darin, Reden zu halten, die der Situation nicht entsprechen, um so die Dinge richtig auszudrücken.

Von den Gedichten erhalten auch die Briefe ihren Sinn und finden Eingang in die so geschaffene Welt. Ihre idiomatische Redeweise zehrt vom dichterischen Vokabular Celans. Man kann geradezu die Dynamik der Korrespondenz entlang der sich ablösenden und oft wieder verknoteten Hauptwörter und Losungen verfolgen: "wissen", "sagen", "Dauer", "Hand", "Tiefe", "hoffen", "Goldboje", "gegen", "stehen". Celans Klage etwa über "ein fast totales Down" greift die figura etymologica "vertieft uns die Tiefe" aus dem Gedicht "Das Wort vom Zur-Tiefe-Gehn" auf, an das er über Jahre hin sich mit Gisèle geklammert hat. Die "Goldboje" ist ein naheliegendes Exempel. Auch die nachgestellten Einreden und die den Sinn schrittweise verändernden, gänzlich unrhetorischen Wiederholungen kennt man aus den Gedichten. Shmueli nimmt sich schließlich ein Beispiel daran und schreibt wie er: "Hoffe, hoffe ein stilles Hoffen kein zu großes."

Was versteht, wer wie Celan spricht, von Celan? Man staunt über Shmuelis Einblick in die Notwendigkeit, der er sich aussetzt: Mit der Vita in den Gedichten halte er stand. Oft hat er in der Goll-Affäre betont, daß sein Leben dort zu finden sei. Früher als die meisten Zeitgenossen hat Shmueli seine Gedichte zu lesen gewußt. Doch Celan erlebt in seiner Liebe für sie eine Machtkonzentration, die er fürchtet. Immer wieder mahnt er: "Du sei wie Du", "daß Du aus Dir machst, was Du bist", oder er verspricht: "Über Dich trag ich Dich zu mir." Er kommt diesmal nicht zu einer Dichterin wie Ingeborg Bachmann, und es steht nicht die deutsche Sprache nach dem Mord an den Juden auf dem Spiel. Die Schwäche zeigt sich auch in der Wahl.

Nach dem "Ilana"-Zyklus schickt Celan ein makabres Abschiedsgedicht: "Die Welt, Welt / in allen Fürzen gerecht, // ich, ich, / bei dir, dir, Kahl- / geschorne." Was soll das schon für eine Welt sein, spottet das Gedicht: Weniger als so eine kleinste, lächerliche Gerechtigkeit lasse sich kaum denken. Diese absolute Ironie trifft das "Ich", und es fragt sich, wo es denn gelandet sei: bei einer Kahlgeschorenen! Also bei diesem "Du" auch Untergang und Vernichtung. Shmueli reagierte schockiert, aber sie war vielleicht gar nicht mehr gemeint. In einer früheren Fassung des Gedichts trug die Kahlgeschorene einen Namen: "Mirjam" - Celan erinnert an Ruth, Noëmi und Mirjam in dem Gedicht "In Ägypten", entstanden 1948, wo das "Ich" die ermordeten jüdischen Frauen im Bett der "Fremden" rächt. Schon in den frühen Gedichten Celans gibt es mehr Erotisches, als man gemeinhin annimmt. Doch die Erotik gewinnt in diesem Buch ein für ihn bis dahin ungekanntes Gewicht und durchschlägt sein Idiom. Die Gedichte und seine Briefe bringen nicht mehr die Kraft der Gegenwehr gegen diese "konstruierte" Konzentration auf, auch nicht gegen die eigene Sprache. "Ich will nicht rechten - ich kann es auch nicht mehr richtig."

Die in der Schwäche wachsende Bedeutung des "Biographischen" drängt Ilana Shmueli in ihren Erinnerungen - zugunsten seiner Suche nach "Jerusalem" - zurück und weiß sich eins mit den Theologen unter den Literaturwissenschaftlern. Doch ihr ist auch in den Briefen nur mehr die verzweifelte Montage eines leeren Idioms geblieben, als Celan sich ihrem Protest entzieht. "Ein heilloses Durcheinander."

Paul Celan/Ilana Shmueli: "Briefwechsel". Herausgegeben von Ilana Shmueli und Thomas Sparr. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2004. 250 S., 12 Abb., geb., 20,80 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Einen Seufzer stößt Helmut Böttiger aus, wenn er verlauten lässt, einen Verlagslektor wie Rudolf Hirsch gäbe es heute kaum noch! Einer, der die gesamte abendländische Bildungstradition intus hatte! Einer, der es mit Paul Celan intellektuell aufnehmen konnte! Rudolf Hirsch, wie Celan Jude und während der NS-Zeit in Amsterdam untergetaucht, war von Mitte der 50er bis Anfang der 60er Jahre als Lektor beim S. Fischer-Verlag der Ansprechpartner Celans, der dort nicht nur eigene Gedichte, sondern auch Übersetzungen Rene Chars oder Alexander Bloks veröffentlichte. Der gesamte Briefwechsel zwischen Celan und Hirsch ist laut Böttiger ein erschütterndes Dokument, da er das Zerwürfnis zwischen den beiden festhält, das von Celans Empfindlichkeiten und dem realen Intrigenspiel Claire Golls vorangetrieben wurde. Für Celan war es schwer, stellt der Rezensent fest, zwischen Antisemitismus und den "üblichen Machenschaften im Literaturbetrieb" zu unterscheiden, er witterte überall Verrat, so auch bei Hirsch. Gleichzeitig werde aber auch klar, betont Böttiger, dass Celan nicht nur überempfindlich reagierte, sondern sein Misstrauen gegen den Fortbestand nationalsozialistischer Strukturen im Adenauer-Staat durchaus berechtigt war. Nicht allerdings bei Hirsch, weshalb der Kritiker den Briefwechsel als Zeugnis einer "schicksalhaften Verstrickung" bezeichnet.

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr