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»Noch von den 'Besten' wird der Jude - und das ist ja nichts als eine Gestalt des Menschlichen, aber immerhin eine Gestalt - nur allzu gerne als Subjekt aufgehoben und zum Objekt pervertiert«, schreibt Paul Celan im Jahr 1961 an Peter Szondi. Der Dichter und der Literaturwissenschaftler hatten einander 1959 in Paris kennengelernt. Sie wechselten - von Zürich, Berlin, Göttingen und Paris aus - bis zu Celans Tod im Jahr 1970 über 150 Briefe, Postkarten, Telegramme und Widmungen, die nun erstmals vollständig und kommentiert vorliegen. Die Goll-Affäre, in der Szondi Celan entschieden verteidigte,…mehr

Produktbeschreibung
»Noch von den 'Besten' wird der Jude - und das ist ja nichts als eine Gestalt des Menschlichen, aber immerhin eine Gestalt - nur allzu gerne als Subjekt aufgehoben und zum Objekt pervertiert«, schreibt Paul Celan im Jahr 1961 an Peter Szondi. Der Dichter und der Literaturwissenschaftler hatten einander 1959 in Paris kennengelernt. Sie wechselten - von Zürich, Berlin, Göttingen und Paris aus - bis zu Celans Tod im Jahr 1970 über 150 Briefe, Postkarten, Telegramme und Widmungen, die nun erstmals vollständig und kommentiert vorliegen.
Die Goll-Affäre, in der Szondi Celan entschieden verteidigte, ihrer beider Judentum, Celans Depression und das Verständnis von Celans Gedichten, vor allem aber die ethischen Ansprüche, die Szondis literarischer Hermeneutik zugrunde liegen - das alles kommt zur Sprache. Mit seinen Celan-Studien (1972 postum erschienen) konnte Szondi daher früh die Frage nach der Biographie in Celans Werk stellen, und gerade weil er an dessen Leben teilhatte, erkannte er die kritische, sprachliche Individualität seiner Gedichte. Noch darüber hinaus aber ist diese Korrespondenz das Dokument einer großen, stets gefährdeten Freundschaft, die einen Dritten mit einschloß: Jean Bollack, den Gräzisten und Philosophen in Paris. Auszüge aus den Briefen an ihn und von ihm konturieren die Korrespondenz durch eine gewichtige, bald teilnehmende, bald kommentierende Stimme.
Autorenporträt
Celan, PaulPaul Celan wurde am 23. November 1920 als Paul Antschel als einziger Sohn deutschsprachiger, jüdischer Eltern im damals rumänischen Czernowitz geboren. Nach dem Abitur 1938 begann er ein Medizinstudium in Tours/Frankreich, kehrte jedoch ein Jahr später nach Rumänien, zurück, um dort Romanistik zu studieren. 1942 wurden Celans Eltern deportiert. Im Herbst desselben Jahres starb sein Vater in einem Lager an Typhus, seine Mutter wurde erschossen. Von 1942 bis 1944 musste Celan in verschiedenen rumänischen Arbeitslagern Zwangsarbeit leisten. Von 1945 bis 1947 arbeitete er als Lektor und Übersetzer in Bukarest, erste Gedichte wurden publiziert. Im Juli 1948 zog er nach Paris, wo er bis zu seinem Tod lebte. Im selben Jahr begegnete Celan Ingeborg Bachmann. Dass Ingeborg Bachmann und Paul Celan Ende der vierziger Jahre und Anfang der fünfziger Jahre ein Liebesverhältnis verband, das im Oktober 1957 bis Mai 1958 wieder aufgenommen wurde, wird durch den posthum veröffentlichten

Briefwechsel Herzzeit zwischen den beiden bestätigt. Im November 1951 lernte Celan in Paris die Künstlerin Gisèle de Lestrange kennen, die er ein Jahr später heiratete. 1955 kam ihr gemeinsamer Sohn Eric zur Welt. Im Frühjahr 1970 nahm sich Celan in der Seine das Leben.

Szondi, PeterPeter Szondi (1929-1971) war Literaturwissenschaftler, Kritiker, Übersetzer und Essayist. Von 1965 bis zu seinem Tod war er Ordinarius und Direktor des neugegründeten Seminars für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der Freien Universität Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.01.2006

Ästhetik fordert Verstecktheit
Paul Celans Briefwechsel mit Peter Szondi und nachgelassene Prosa

Von 1959 bis zu seinem Freitod im Jahr 1970 wechselte der Dichter Paul Celan mit dem neun Jahre jüngeren Literaturwissenschaftler Peter Szondi über hundert Briefe, Postkarten, Telegramme und Widmungen, die Christoph König nun in einer sorgfältigen Edition mit zahlreichen Zusatzdokumenten, einem Kommentarteil und ausführlichem Nachwort herausgegeben hat.

Celan und Szondi lernten sich 1959 auf Vermittlung von Bernhard Böschenstein in Paris kennen. Szondi hatte zu diesem Zeitpunkt mit der "Theorie des modernen Dramas" seine Dissertation vorgelegt, Celan gerade seinen Gedichtband "Sprachgitter" fertiggestellt. Es trafen sich zwei, die durch ihre Biographie als Überlebende des Holocaust verbunden waren. Szondi war mit seiner Familie durch das Kasztner-Abkommen mit etwa 1600 anderen ungarischen Juden der nationalsozialistischen Massenvernichtung entgangen und hatte 1944 Exil in der Schweiz gefunden. Celan hatte seine Eltern durch den Holocaust verloren und war selbst mit dem Leben davongekommen. Die traumatischen Erfahrungen liegen der Präzision zugrunde, mit der Celan jegliches sprachliche Material im Prozeß der schriftlichen Fixierung einer kritischen Reflexion unterzog, um einem instrumentellen Umgang mit der Sprache widerständig zu begegnen. Die von Jean Bollack, dem gemeinsamen Freund Szondis und Celans, gebrauchte Charakterisierung einer Dichtung, die sich selbst beim Dichten zusieht, kann auch auf die Sprache von Szondis philologischen Studien übertragen werden.

Trotz dieses Verbindenden ist der Ton der Briefe häufig verhalten, stockt die Korrespondenz immer wieder. Celans Mißtrauen mag ein Anlaß dafür gewesen sein, sah sich der Dichter doch immer wieder Angriffen der literarischen Öffentlichkeit ausgesetzt, die mit seiner hermetischen Lyrik wenig anzufangen wußte. Doch hoffte Celan darauf, daß der junge Wissenschaftler Szondi ein Gegengewicht zu diesen Ressentiments schaffen und eine Mittlerrolle übernehmen würde. Und Szondi übernahm diesen Part.

Die Briefe beziehen sich entsprechend meist auf konkrete berufliche Situationen und Ereignisse und betreffen weit mehr Celans als Szondis jeweilige Projekte, freilich ohne große poetologische oder philologische Detailliertheit. Zentral ist die sogenannte Goll-Affäre, bei der sich Celan Plagiatsvorwürfen durch Ivan Golls Witwe Claire ausgesetzt sah. Szondi ergriff 1960 in der "Neuen Zürcher Zeitung" Partei für Celan, indem er unter Bezugnahme auf den 1948 erschienenen, von Celan zurückgezogenen Band "Der Sand aus den Urnen" nachwies, daß sein Autor das Vokabular, auf das sich die Plagiatsvorwürfe bezogen, verwendet hatte, bevor er nach seiner Übersiedlung nach Paris Goll und dessen Lyrik kennenlernte. Szondi riskierte in seiner noch jungen akademischen Karriere durch den Einsatz einiges Ansehen. Celan reagierte wiederum trotz der Verteidigung enttäuscht, denn Szondis Nachweis hatte einer weiteren Studie seitens der Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung gedient, die befand, daß Celan zwar nicht Anleihen bei Goll genommen hatte, jedoch bei den Surrealisten. Celan sah darin einen erneuten Angriff.

Auf die instabile psychische Verfassung, in der sich Celan zunehmend befand, lenkt die Auswahl der Zusatzdokumente im Anhang des Briefwechsels den Blick. Die hierfür ausgewählten Briefe, die zwischen Szondi und dem gemeinsamen Freund Jean Bollack gewechselt wurden, beleuchten diesen Aspekt, der auch durch die Veröffentlichung des Ehebriefwechsels im Jahr 2000 deutlich wurde. Szondis und Bollacks Äußerungen lassen Celans seelische Zustände als eine Belastung erscheinen, der auf Dauer niemand gewachsen sein konnte.

Der Kontakt zwischen Szondi und Celan behielt eine gewisse Kontinuität und blieb über Unstimmigkeiten bestehen - mit ihm Szondis Einstehen für Celan. 1964 publizierte Szondi eine Entgegnung auf Hans Egon Holthusens Kritik an Celans Gedichtband "Die Niemandsrose" in der F.A.Z., er beriet den Freund beim Wechsel vom S.-Fischer-Verlag zu Suhrkamp, wählte dessen Lyrik zum Gegenstand mehrerer Seminare. Gegenseitige Besuche fanden einen ihrer Höhepunkte in Celans Berlin-Reise im Winter 1967, wo Celan im von Szondi begründeten komparatistischen Institut der FU im Rahmen eines Seminars aus seinen Gedichten las.

Virulent wird die große Bedeutung von Celans Lyrik für Szondis wissenschaftliches Arbeiten jenseits der Korrespondenz. Szondis "Traktat über philologische Erkenntnis" von 1967 weist Verbindungen zu Celans Büchnerpreis-Rede "Der Meridian" (1960) auf. Die in Szondis Traktat entfaltete Wendung gegen das Parallelstellenverfahren als philologisches Erkenntnisinstrument, nach dem sich Interpretationen entlang wortgleicher oder -ähnlicher Stellen entwickeln, kann ferner - obwohl anhand Hölderlins Lyrik veranschaulicht - als eine methodische Kritik an den Plagiatsvorwürfen gegen Celans Lyrik gelesen werden. Celans Dichtung bedurfte leidenschaftlicher philologischer Streiter wie Peter Szondi, um zu der breiten Wertschätzung zu gelangen, die sie heute erfährt.

Die zweite neu erschienene Publikation "Mikrolithen sind's, Steinchen" will die bislang nicht publizierte Prosa aus dem Nachlaß Paul Celans versammeln. Seiner äußeren Gestalt nach legt der von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou herausgegebene massive Band nahe, daß man es hier mit einem noch zu entdeckenden Prosaautor Celan zu tun hätte und eine Fülle neuen Materials präsentiert würde. Tatsächlich finden sich dagegen auf den knapp eintausend Seiten nur 200 Seiten Prosa, die beinahe 800 Seiten Kommentar gegenübergestellt sind.

Nach seiner Zeit in Bukarest, in der neben Gedichten vor allem aphoristische und surrealistisch geprägte, von ihm selbst "Gegenlichter" genannte Kurztexte entstanden, hatte Celan in den fünfziger Jahren mehrere Anläufe unternommen, fiktionale Prosa zu schreiben. Daneben präsentiert der Band die zahlreichen theoretischen, philosophischen und poetologischen Notizen sowie Texte aus dem Umfeld der Goll-Affäre und verstreut publizierte Prosa und Interviews, darunter auch anderweitig Veröffentlichtes, wie zum Beispiel Celans Radiorede zu Ossip Mandelstams Dichtung von 1959.

Neben wenigen als abgeschlossen zu betrachtenden Texten setzt sich die Sammlung hauptsächlich aus Fragmenten zusammen, deren kleinste auftretende Einheit aus einem Wort bestehende Notizen wie "Rezeptivität" oder "Poesie" sind, aus denen sich kaum hermeneutischer Gewinn ziehen lassen dürfte. In seiner Disparatheit und mit dem vorläufigen Charakter vieler Texte dürfte der Band insgesamt eher für Celan-Philologen relevant sein, die an der Genese der Celanschen Lyrik (und Prosa) interessiert sind, als für Liebhaber von Celans Gedichten, es sei denn, letztere wollten die Reflexionen des Autors bis in ihre kleinsten verschriftlichten Einzelbestandteile verfolgen. Einigkeit dürfte sich jedenfalls schnell darüber herstellen lassen, daß viele Texte zu Recht nicht vom Autor zur Veröffentlichung bestimmt waren.

Unter Berücksichtigung seiner Selbstetikettierung als "kritische Ausgabe" hat der Band einer Prüfung standzuhalten, die er nicht uneingeschränkt besteht. Problematisch wird die Edition, wo die Herausgeber hinter ihrem methodischen Anspruch zurückbleiben. Eine kritische Ausgabe liefert einen zuverlässig editierten Text, hält sich aber mit Interpretationen möglichst zurück. Doch bereits der Titel deutet in eine andere Richtung. Auch die Aufspaltung der einzelnen Texte in vier gattungsbezogene Untergruppen interpretiert das Material. Begründet wird diese Auflösung der Chronologie mit dem Argument, man wolle den Leser nicht überfordern, das allein diesen starken Eingriff nicht rechtfertigen kann.

Auch die Erläuterungen lassen Zweifel aufkommen. Die Abteilung "Theoretische und kritische Fragmente" beginnt mit folgendem Notat: "Die Ästhetik fordert die Verstecktheit und lohnt sie, die Ethik fordert Offenbarwerden und straft die Verstecktheit." Der Kommentar bemerkt nicht, daß es sich hier um ein Zitat aus Emanuel Hirschs Kierkegaard-Übersetzung von "Furcht und Zittern" handelt, die sich - wenn auch ohne Anstreichungen - in Celans Bibliothek befand. Ärgerlich ist dabei nicht nur, daß das Zitat nicht identifiziert wird, sondern daß der Kommentar sich in einer Spekulation über Celans Interesse an "Unverborgenheit" bei Heidegger ergeht und, nicht genug, auf eine weitere Notiz verweist, die sich zwar auf Heidegger bezieht, aber das von Celan wörtlich aus Heideggers "Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung" zitierte "Ausklang: Dichtung: ,ein tempelloser Schrein'" ebenfalls nicht ausweist, sondern statt dessen auf Heideggers "Holzwege" verweist.

Leser, die Texte der Nachlaßprosa mit Hilfe der Erläuterungen einordnen wollen, landen so buchstäblich auf dem Holzweg. Durch das durchgängig angewandte Verfahren, im Rahmen der Erläuterungen auf wort- oder formulierungsgleiche oder -ähnliche Stellen bei Celan hinzuweisen, dem das Nachwort besonderen Wert beimißt, werden Kommentierungsirrtümer weitergetragen. Zudem legen diese Querverweise eine Interpretationsweise nahe, die sich auf die nicht zuletzt von Szondi als philologisch fragwürdig ausgewiesene Parallelstellenmethode bezieht - und letztlich wohl der Celanschen Dichtungslogik von der Einmaligkeit und Gegenwärtigkeit des Gedichts zuwiderläuft, was freilich kein Maßstab sein muß.

Ein dritter Einwand betrifft die Auswahl der Texte. Das heterogene Prosamaterial des Nachlasses setzt sich zusammen aus in unterschiedlichen Sprachen verfaßten Teilen, die hier erfreulicherweise nicht nur in den Originalsprachen abgedruckt sind, sondern aus dem Rumänischen und Französischen übersetzt wurden, weiterhin aus Texten, die sich auf Briefstellen, Tagebuchaufzeichnungen und Gedichte beziehen. Dazu kommen Celans schriftliche Äußerungen im Zusammenhang mit seinen Tätigkeiten als Übersetzer und Lektor an der École Normale Supérieure, die Vorarbeiten zu seinen publizierten Prosatexten und zahlreiche, in Celans Werk zentrale, sogenannte "-i-"Notate, mit denen er erste Ideen für Gedichte festhielt. Letztere drei Gruppen werden von der Edition ausgeschlossen, da sie, so die Herausgeberbegründung, teilweise in anderen bereits erschienenen oder noch ausstehenden Veröffentlichungen zu suchen sind oder, wie Celans Tagebücher, aus denen auszugsweise zitiert wird, weiterhin unter Verschluß liegen.

Die Kriterien werden zwar benannt - ausgewählt wurden als theoretische Fragmente zu wertende Passagen aus den Tagebüchern -, Transparenz stellt sich so aber nur bedingt ein, da die Herausgeber das Wissen, über das sie durch Einsichtnahme in die Tagebücher verfügen, sozusagen nur in Häppchen verabreichen. Methodisch weniger heikel wäre es gewesen, ganz auf die Tagebuchnotizen zu verzichten.

Diese Edition trägt so zu einer gewissen Mystifizierung Paul Celans bei und stellt diejenigen vor eine schwierige Aufgabe, die blinde Flecken durch den Kommentar kompensieren wollen. Andererseits läßt das nun vorliegende Material die Vermutung zu, daß in bezug auf Celans Nachlaß allzu große literarische Überraschungen nicht mehr zu erwarten sind.

BEATE TRÖGER

Paul Celan/Peter Szondi: "Briefwechsel". Mit Briefen von Gisèle Celan-Lestrange an Peter Szondi und Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen Peter Szondi und Jean und Mayotte Bollack. Herausgegeben von Christoph König. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 264 S., geb., 19,80 [Euro].

Paul Celan: "Mikrolithen sind's, Steinchen". Die Prosa aus dem Nachlaß. Kritische Ausgabe. Herausgegeben von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 948 S., geb., 34,- [Euro].

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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2006

Die Entlassung aus der Mitwisserschaft
Ein Dichter, nicht ohne Bosheit: Paul Celans Prosa aus dem Nachlass und sein Briefwechsel mit Peter Szondi
Wer ihn kannte, musste bei der Nachricht von der Auffindung der Leiche des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi im Halensee am 9. November 1971 unwillkürlich an den nur ein Jahr zurückliegenden Selbstmord des Dichters Paul Celan in der Seine denken ( 20. April). Nach einem Menschenalter erscheint nun beider Briefwechsel in einer schönen, sorgfältig gearbeiteten Ausgabe, mit einem erschöpfenden Kommentar und einem Nachwort von Christoph König. Die eigentümliche Mischung von Anziehung und Zurückweisung, von Sympathie und Misstrauen, die man bei Peter Szondi ebenso wie bei Paul Celan im Umgang spürte, durchzieht auch die Freundschaft dieses Briefwechsels.
Die Schreiber beobachten einander genau: Wenn Szondi einmal vergisst, auf seinem gedruckten Briefkopf „Dr. Szondi” den Dr. durchzustreichen, schreibt Celan sofort „Lieber Herr Dr. Szondi” statt dem üblichen „Lieber Herr Szondi”. Nachdem Szondi sich in einem Artikel in der Neuen Zürcher Zeitung kompromisslos für Paul Celan eingesetzt hatte, wird dieser verbindlicher, schreibt „Lieber Peter” und zeichnet „von Ihrem Paul”, und Szondi würdigt diese Annäherung gebührend, ja unterwürfig: „Lieber Paul, haben Sie herzlichen Dank für Ihren Brief, für Ihr liebes Geschenk, dafür dass ich Sie so nennen darf.”
Celan scheint für Szondi der Stein des Anstoßes gewesen zu sein, der nicht nur seine wissenschaftlichen Überzeugungen erschütterte. In seiner letzten und nicht vollendeten Studie hat er mit seiner „Entschlüsselung” des Gedichts „Eden” (,Du liegst im großen Gelausche‘) eine Celan-Forschung ermutigt, deren Problematik er voraussah. „Inwiefern ist das Gedicht durch ihm Äußerliches bedingt, und inwiefern wird solche Fremdbestimmung aufgehoben durch die eigene Logik des Gedichts?” heißt es darin.
Celan hatte Szondi im Dezember 1967 in Berlin besucht, und dieser kannte so gut wie alle Realelemente, die in das Gedicht eingegangen sind. Am 8. Februar 1971 schreibt er an den klassischen Philologen Jean Bollack ohne Umschweife den fatalen Satz (in französischer Sprache): „Im letzten Aufsatz werde ich versuchen, alle Einzelheiten mitzuteilen, die helfen, das Gedicht (,Du liegst im großen Gelausche . . . ‘) über Rosa Luxemburg und Liebknecht zu verstehen, und dabei aufzuzeigen, wie viele Einzelheiten man kennen muss, um die Gedichte der letzten Jahre zu verstehen.”
Das Buch ist spannend. Die Spannung kommt weniger aus den Briefen selber, als aus ihrer sorgfältig dokumentierten Umwelt im Kommentar und in den Zusätzen. Das Ehepaar Bollack hat Celan bis zu seinem Tod auch in den schwersten Zeiten seiner psychischen Erkrankung treu unterstützt, und Szondis Freundschaft zu dem Dichter forderte auch von ihm Opfer. Es ist darum umso ergreifender, wenn man aus der Feder Bollacks (am 7.1.1961) von dem „unstillbaren Argwohn” liest, „der Pauls Schritte bestimmt”, oder noch trauriger (am 13.5.1961): „Celan ist ein boshafter Mensch, zumindest hat er ein Bedürfnis nach Bosheit, nach Spaltung und Abständen um ihn herum.” Und Szondi schreibt am 3. März 1962: „Ich fürchte, dass wir seine Reaktionen überhaupt nicht mehr auf uns beziehen dürfen, sondern sie unter medizinischem Gesichtspunkt aufzunehmen haben.” Wenn solche Einblicke in sein Leben sich überhaupt rechtfertigen lassen, so vielleicht , weil sie zeigen können, worin der Dichter unfrei war. Aber seine Furcht vor der Auferstehung des Nationalsozialismus versteht man erst, wenn man immer wieder an die Masse der vertuschten Vergangenheiten und deren Gewicht in der Öffentlichkeit der jungen Bundesrepublik erinnert wird.
Der editorische Zufall will es, dass man den Briefwechsel neben den imposanten Band der Prosa aus dem Nachlass Paul Celans legen kann, aus den bewährten Händen von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Die Celan-Philologie hat sich mächtig, ja übermächtig in einer Richtung entwickelt, welche die Publikation jedes schriftlichen Zeugnisses unausweichlich erscheinen lässt. Das editorische Nachwort betont die dadurch begründete Heterogenität dieses Bandes, welcher als Ergänzung zu den Bänden III und V der „Gesammelten Werke” nun das Prosawerk Celans abschließt.
Zettel, überlebensgroß ediert
Dass die allermeisten dieser Texte und Textfragmente nicht als solche, sondern nur als Zeugnisse des kreativen Arbeitsprozesses von Interesse sind, räumen die Herausgeber ein, aber das stachelt sie nur umso mehr an, den totalen Kommentar dazu in Angriff zu nehmen: Der Celansche Text nimmt gut 200 Seiten in Anspruch, der Kommentar über 700! Diese Arbeit zeugt nicht nur von stupendem Fleiß, sondern auch von einer Kenntnis der Materie, über die der geduldige Leser nur staunen kann. Dass es da häufig zu einem Missverhältnis zwischen Celans Notiz und der akribischen Beschreibung des Zettels kommt, auf dem sie gemacht wurde, ist wohl unvermeidlich.
Für die Wiederholung von Dokumenten, hier und im Briefwechsel mit Szondi, die in der großen Dokumentation „Paul Celan - Die Goll-Affäre” (2000) von Barbara Wiedemann gedruckt vorlagen, ist man als Leser freilich eher dankbar: Der Plagiatsvorwurf, den Claire Goll gegen seine Gedichte erhob, hat nicht nur Celans Leben vergiftet, er ist auch so etwas wie ein Prüfstein für die Beteiligten und für den Literaturbetrieb im allgemeinen geworden.
Während also unser Wissen über Celan ins Unüberschaubare wächst, rückt eine Antwort auf die Frage nach dem poetischen Status seiner Gedichte in immer weitere Ferne. Wer an einer Lesung des Dichters, z.B. am Dienstag, dem 18. Juni 1963 in Göttingen, teilgenommen hat, wird sich beinahe beschämt daran erinnern, dass die Gedichte bei der jugendlichen Zuhörerschaft sogleich und spontan einen tiefen Eindruck hinterließen. Nach heutigen Kriterien haben aber die meisten dabei nicht die Bohne verstehen können, ja sie kannten in vielen Fällen nicht einmal die wichtigsten biografischen Hintergründe. Was haben diese jungen Zeitgenossen überhaupt „verstanden”, wenn Szondi wirklich gezeigt haben sollte, „wie viele Einzelheiten man kennen muss”, wobei dieses „muss” das entscheidende Wort des Satzes ist? Freilich macht Szondi auch gleich eine Einschränkung: „wie viele Einzelheiten man kennen muss, um die Gedichte der letzten Jahre zu verstehen.”
Darf man da einen Gedanken anschließen, der weder in der interpretierenden noch in der archäologisierenden Celan-Forschung Fuß zu fassen scheint? Wäre es denkbar, dass auch Paul Celan Gedichte geschrieben und veröffentlicht hat, und das nicht nur, aber vielleicht öfter in den „letzten Jahren”, die seine Idealvorstellung vom Gedicht nicht erfüllen und manchmal gar nicht erfüllen wollten? In den erst aus dem Nachlass veröffentlichten Gedichten und Gedichtfragmenten (manchmal tragen sie die Notiz „nie veröffentlichen” bei sich!) gibt es solche ohne Zweifel. Über die Idee, welche Celan sich vom Gedicht machte, geben allerdings die heterogenen theoretischen Zeugnisse, welche der Nachlassband versammelt, immer wieder Auskünfte. Sie weisen alle in dieselbe Richtung: „Das Gedicht ist als Gedicht dunkel”; „Echte Dichtung ist antibiographisch” ; „Es gehört zum Wesen des Gedichts, daß es den Autor, den Mitwisser - , aus seiner Mitwisserschaft wieder entlässt”. Und dann unmissverständlich: „!! Nirgends von der Entstehung des Gedichts sprechen; sondern immer nur vom entstandenen Gedicht!!” Hat er das wirklich nur für sich selbst geschrieben, und nicht auch für die Celan-Forschung, und nicht für Peter Szondi?
Vielleicht ist „Eden” für diesen Anspruch nicht dunkel genug. Die offenkundige Empörung über den politischen Mord an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die man auch auf unpoetische Weise empfinden kann, blendet vielleicht eine wesentliche Dunkelheit des Gedichts aus. Es hat den Mitwisser vielleicht nicht aus seiner Mitwisserschaft entlassen! Verstehen heißt hier wohl Verständnis aufbringen. Der Dichter hat nicht darum gebeten, aber wir sind es ihm schuldig, wenn wir damit fortfahren, seinen Nachlass zu obduzieren.
Hat ein Gedicht, dessen Entstehungsbedingungen man kennen „muss”, ohne sie kennen zu können, nicht einen ästhetischen Mangel? Im Nachlassband liest man dazu: „Die Ästhetik fordert also Verstecktheit und lohnt sie, die Ethik fordert Offenbarwerden und straft Verstecktheit.” Hat die Ethik hier die Oberhand gewonnen? „Gib das Geheimnis nicht preis sonst gibt das Geheimnis dich preis” - ruft ohne Punkt und Komma der Aphorismus 111. HANS-HERBERT RÄKEL
PAUL CELAN, PETER SZONDI: Briefwechsel. Mit Briefen von Gisèle Celan-Lestrange an Peter Szondi und Auszügen aus dem Briefwechsel zwischen Peter Szondi und Jean und Mayotte Bollack. Herausgegeben von Christoph König. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 264 Seiten, 19,80 Euro.
PAUL CELAN: Mikrolithen sind‘s, Steinchen. Die Prosa aus dem Nachlass. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann und Bertrand Badiou. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 950 Seiten, 34 Euro.
Peter Szondi, 1962 in Göttingen.
Foto: Wibke von Bonin / DLA Marbach
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Der Briefwechsel des Literaturwissenschaftlers Peter Szondi mit dem Lyriker Paul Celan ist vor allem das "Zeugnis einer Freundschaft" zweier Holocaust-Überlebender, erklärt Alexander von Bormann. Bis zu ihrem Freitod 1970 bzw. 1971 tauschten sich Celan und Szondi über Termine, Begegnungen und Lektüreerfahrungen aus und ließen dabei nur selten die "Tiefe der Probleme" aufscheinen, die eher "verdeckt" in den Briefen vorkommen, wie Bormann feststellt. Neben der Korrespondenz der beiden Freunde enthält der Band auch Briefe des befreundeten Ehepaars Jean und Mayotte Bollack, die der Rezensent als ebenso "unentbehrlich" preist wie den ausführlichen, "hochinteressanten" Anmerkungsapparat von Herausgeber Christoph König, in dem alle in den Briefen vorkommende Namen und Hintergründe erläutert werden. Auch das Nachwort lobt Bormann als "kundig" und findet darin vor allem deutlich gemacht, wie "empfindlich und präzise" die Korrespondenzpartner "aufeinander reagierten", wie sich z. B. anhand der gegen Celan gerichteten Rufmord-Affäre um Karl Goll zeigt. Besonders beeindruckt haben den Rezensenten die Briefe aus den 60er Jahren, aus denen er, wie er schwärmt, am liebsten "alles zitieren möchte". Insgesamt preist er den Band als ein "wichtiges" Stück "Literatur- und Zeitgeschichte", das "berührt".

© Perlentaucher Medien GmbH
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