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Keine ausführliche Beschreibung für "Siegfried Kracauer / Erwin Panofsky Briefwechsel 1941-1966" verfügbar.

Produktbeschreibung
Keine ausführliche Beschreibung für "Siegfried Kracauer / Erwin Panofsky Briefwechsel 1941-1966" verfügbar.
Autorenporträt
Siegfried Kracauer, geb. am 8. Februar 1889 in Frankfurt am Main, war ein deutscher Journalist, Soziologe, Filmkritiker und Geschichtsphilosoph. Kracauer ist Autor der ersten empirisch-soziologischen Studie in Deutschland (Die Angestellten) und gilt als einer der Begründer der Filmsoziologie. Kracauer starb am 26. November 1966 in New York.

Erwin Panofsky (1892-1968) war bis zu seiner Emigration in die USA 1933 Professor für Kunstgeschichte an der Universität in Hamburg. 1935 bis 1962 lehrte er am Institut für Advanced Study in Princeton. Ehrendoktor an verschiedenen Universitäten in den USA und Europa. 1967 wurde er in den Orden 'Pour le merite' für Wissenschaften und Künste gewählt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Auch die Marx Brothers waren in Arkadien
Kamerafahrten durch den Humanistenkrimi: Als Erwin Panofsky und Siegfried Kracauer von den Movies lernten / Von Ulrich Raulff

Im August 1932 begegnete Erwin Panofsky dem Tod. Auf Bornholm, wohin er sich "vor Hakenkreuz und Kunstgeschichte geflüchtet hatte", fand er die Zeit, sich in ein Bildmotiv zu vertiefen, das ihn seit langem beschäftigte. Es war das Thema des Grabes in Arkadien. Poussin hatte ihm seine klassische Form gegeben, wenige Jahre nachdem Guercino es als erster gemalt hatte. In einer idyllischen Landschaft, dem von Vergil ersonnenen Arkadien, entdecken Hirten ein Grab mit der Inschrift "Et in Arcadia ego". Bei Guercino erblicken sie einen Totenschädel, zu dem sich eine Fliege und eine Maus gesellt haben; bei Poussin studieren sie die Züge der Inschrift auf einem Sarkophag. Auch Panofsky, den sein insuläres Feriendasein an ein nördliches Arkadien erinnern mochte, faszinierte die lateinische Sentenz. Seit etwa zwei Jahrhunderten, so beginnt der Essay, der zu einem seiner berühmtesten werden sollte, haben wir uns daran gewöhnt, diesen Satz falsch zu deuten. "Et in Arcadia ego", so glauben wir, sei um ein Perfekt wie "fui" oder "vixisti" zu ergänzen. Es ist aber nicht das Wort eines Reisenden, der stolz verkündet, auch er sei in Arkadien gewesen. Das einleitende "et" bedeutet "selbst" oder "sogar": Selbst in Arkadien gibt es mich - den Tod. Panofsky führte seinen Beweis als Philologe und Grammatiker. Erst gegen Ende verwies er auf Guercinos Bild und den Totenschädel, der ihm bestätigte: "Et in Arcadia ego" war ein Sinnbild der Vergänglichkeit.

Dreißig Jahre später und unter einem anderen Himmel, in Princeton, wo er seit einem Vierteljahrhundert lebte, "ins Paradies vertrieben", besann sich Erwin Panofsky von neuem auf das Motiv des Todes in Arkadien. Jetzt waren es nicht die Lettern auf dem Sarg bei Poussin, die ihn beschäftigten. Es war die Maus, die Guercino neben dem Schädel sitzen ließ. Aber eigentlich ging es um eine andere Maus, eine, die es gar nicht gab - jene Maus, die Michelangelo angeblich aus Marmor hauen wollte, aber nie ausgeführt hatte: "The mouse that Michelangelo failed to carve". Das Nagetier sollte, so Michelangelos erster Biograph, Ascanio Condivi, den Figuren der Tageszeiten in der Grabkapelle der Medici beigegeben werden: als Sinnbild der allesverschlingenden Zeit. Panofsky zeigte, daß Michelangelo hier aus einer sehr alten ikonographischen Tradition schöpfte. Er versäumte nicht, auf ein eben erst entdecktes Etruskergrab hinzuweisen, genannt "La tomba del Topolino", das Grab der "kleinen Mickey Mouse", an dessen Eingang eine "Grabmaus" Wache hielt. So endete - vorläufig - die Geschichte vom Grab im Traumland des Humanismus: mit dem Auftritt von Mickey Mouse. Auch sie war in Arkadien gewesen.

Noch einmal tauchte das Grab in Arkadien auf, in einem späten Text, geschrieben kurz vor Panofskys Tod. Diesmal näherte er sich nicht mehr ehrfurchtsvoll wie der Hirte Poussins, der seinen Finger in die Lettern legt. Diesmal schrieb er selbst sein Epitaph. Panofsky, der Philologe, der gute Leser Vergils - in seinen Ohren klang bereits der Ruf, der nach seinem Tod durch Princeton schallen würde: Der große Pan ist tot! Immer dichter hatte er die Motive verflochten, bis am Ende alle arkadischen Welten, in denen er je gelebt hatte, Freiburg, Hamburg, Bornholm, Princeton, zu einer verschmolzen, bis Pan und Panofsky, Phantasie und Philologie zu einem wurden. Der Grundton freilich blieb ironisch, der Gestus ganz der des humanistischen Bildungsathleten: Wir springen - und stehen auf unseren Fußnoten.

Lange Zeit hat es Erwin Panofsky seinen Deutern nicht leicht gemacht. Für die einen war er der Theoretiker in der Kunstgeschichte, der Neuplatoniker und Erfinder einer Drei-Stufen-Lehre der Bildinterpretation, für die anderen der Philologe, der sich für Bilder nur am Rande interessierte, der Laokoon der Texte, der intellektuelle Glasperlenspieler. Rückblickend erscheint vielen die Ikonologie Panofskyscher Observanz als eines der abstrakten Monumente einer alternden Moderne, in denen die Lava des Aufbruchs, der um die Jahrhundertwende den Boden zerriß, zu Säulen von imponierender Klassizität erstarrte. Und der Mann selbst als einer der Riesen, von deren Schultern die Späteren ratlos ins Weite spähten, bis sie fanden, es sei nun genug, und hinabstiegen, um die Kunst, das Wissen und das Leben nach neuen, weniger strengen Mustern zu ordnen. Zu Lebzeiten als Genie gefeiert, nach dem Tod zum Mythos erhoben, ein wenig vergessen und endlich entzaubert, der gesunkene Leitstern dessen, was einst der "internationale Stil in der Kunstgeschichte" hieß - war es das? Seit kurzem wissen wir, daß es nicht alles war.

Seit kurzem lesen wir den Theorieroman des Jahrhunderts mit neuen Augen. Aus der hereinbrechenden Dämmerung des Fin de siècle treten Ideenhistoriker, die uns eine Ahnung davon vermitteln, zu welchen Renaissancen und Wiedergeburten dieses Jahrhundert fähig gewesen ist und welch unerhörte Träume vom Wissen es geträumt hat. Neben die Bilanz der Schrecken dieses Jahrhunderts setzen sie die Beschreibung seiner Reichtümer. Solche Analysen können freilich nur gelingen, wenn sie sich von allen Fortschritts- oder Verfallsschemata freimachen. Was etwa die Emigration in diesem Jahrhundert wirklich bewirkt hat, bleibt unsichtbar, solange man sie immer wieder ausschließlich als Erfolg (in den Augen der Wissenschaftsgeschichte) oder als Verlust (in den Augen der Exilgeschichte) begreift.

Kaum, daß er das rettende Gestade Amerikas erreicht hatte, schrieb Siegfried Kracauer an Max Horkheimer, er wolle, sobald er erst halbwegs zur Ruhe komme, unter dem Titel "Reise nach Amerika" seine Erlebnisse der letzten Jahre niederschreiben. "Entweder es gelingt mir", fuhr er fort, "Kafka in den Schatten zu stellen, oder ich bin unfähig gewesen, die Ereignisse darzustellen." Wie Franz Kafka wollte Kracauer zum Diagnostiker seiner Zeit und Generation werden. Mit seinem letzten, in den sechziger Jahren entstandenen und postum erschienenen Werk, "Geschichte. Vor den letzten Dingen", gelang ihm ein immens dichtes, beziehungsreiches und zugleich verschwiegenes Buch. Indem er Elemente eines Selbstbildes mit Schicksalslinien der Emigration und dem Idealbild des Historikers übereinanderprojizierte, schuf er einen ebenso exoterischen wie esoterischen Text. Zu diesen Meditationen eines rationalistischen Mystikers bietet Kracauers Briefwechsel mit Erwin Panofsky, den der Kunsthistoriker Volker Breidecker jetzt veröffentlicht hat, einen Schlüssel, wie man ihn nie zuvor besaß. Doch dieser Schlüssel öffnet auch das Tor zur Sesamstraße der Ikonologie.

Vor wenigen Jahren noch träumte Breidecker davon, die "intellektuelle Kollektivbiographie der kulturwissenschaftlichen Emigration" zu schreiben. Als solche wird man die ausführliche und subtile Kommentierung eines eher schmalen und auf den ersten Blick wenig bedeutenden Briefkonvoluts sicher nicht bezeichnen können. Dennoch stellen diese Briefedition und Breideckers Nachwort einen Meilenstein auf dem Weg einer erneuerten Ideengeschichte dar. Sie bezeugen nicht nur den dichten Austausch von Gegenständen und Ideen, der sich zwischen Panofsky und Kracauer ergab, die sich erst 1941 im Exil kennenlernten, miteinander korrespondierten und sich gelegentlich in New York oder Princeton trafen. Sie zeigen auch, wie Kracauer, der Phänomenologe der Oberflächen, dem Zauber der in Panofsky und anderen fortlebenden Warburg-Tradition verfiel und in ihrem Forschungsstil eigene Intentionen wiederzuerkennen meinte, während umgekehrt Panofsky lebhaft an Kracauers Untersuchungen zeitgenössischer Ausdrucksformen partizipierte.

Das wichtigste gemeinsame Thema der Briefpartner war der Film. Schon in den zwanziger Jahren hatte Kracauer als Filmkritiker brilliert und über Fotografie gearbeitet; jetzt verlegte er sich, von seinen Auftraggebern, zunächst dem Museum of Modern Art, gefördert, ganz auf die Erforschung des Mediums Film und seines propagandistischen Gebrauchs. Zwei Jahrzehnte lang, von Ende der dreißiger bis Ende der fünfziger Jahre (als seine "Theorie des Films" erschien), wurde der Film in historischer, politischer und ästhetischer Hinsicht Kracauers großes Sujet. Auch Panofsky, ein passionierter Kinogänger seit 1905, also seit der Frühzeit des Kinos, beschäftigte sich ab Mitte der dreißiger Jahre als Theoretiker mit dem neuen Medium. Doch da sich diese Beschäftigung weitgehend hinter hohen Mauern humanistischer Gelehrsamkeit abspielte, springt sie nicht sogleich ins Auge.

Wäre da nicht der berühmte Vortrag "On Movies" von 1936, an dem Panofsky zehn Jahre lang immer wieder feilte (wobei sich auch der Titel änderte, bis er endlich die klassizistische Form "Style and Medium in the Motion Pictures" annahm) und den er wiederholt mit großem Publikumserfolg zur Aufführung brachte. In diesem Versuch, den die Filmhistoriker und Medientheoretiker seit langem, die Kunsthistoriker aber erst seit kurzem schätzen, würdigt Panofsky den Film als Medium, dessen Wurzeln in der Volkskultur liegen, und er entwickelt begriffliche Instrumente, um der scheinbar banalen Tatsache Rechnung zu tragen, daß das Kino die dargestellte Welt in Bewegung versetzt: "Dynamisierung des Raums" und "Verräumlichung der Zeit" sind nach Panofsky wesentliche Effekte filmischer Behandlung der Wirklichkeit.

Für seine Einsichten in die Natur des Films und für seine Exempel ist Panofsky viel gelobt und viel gescholten worden. Gelobt wird er bis heute für sein ganz unelitäres Wohlgefallen am trivialen Unterhaltungskino mit seinen Historienschinken, Romanverfilmungen und Lustspielen, an Slapstick und Comic: Daß sich der Bildungssäulenheilige so jovial über Walt Disneys Knubbelzoo und den Anarchoklamauk der Marx Brothers äußerte, rechnen ihm die gönnerhaften Advokaten der niederen Künste immer noch hoch an. Gescholten und vor das Benjaminsche Gericht gezerrt wird er ob seines Antimodernismus, den angeblich gerade sein Film-Essay unter Beweis stellt: Panofsky, der die abstrakte Kunst gehaßt und das Fortleben des sinnlichen Scheins der Kunst im Kino gefeiert habe - wenn schon nicht mehr Michelangelo, dann wenigstens Mäusekino.

Jenseits der Liebe zum Trivialen und dem Haß aufs Abstrakte enthält der Film-Essay aber tatsächlich einen entscheidenden Hinweis auf Panofskys Stellung zur Moderne. Nachdrücklich sucht er den neuartigen, durch die Filmkamera ermöglichten Zugriff auf die Wirklichkeit zu formulieren: Nicht um die Darstellung von Bewegung geht es im Kino, sondern darum, daß die Darstellung selbst bewegt ist. Das Auge identifiziert sich mit dem Objektiv der Kamera und vollzieht deren Bewegungen mit: Das ist das Geheimnis der movies. Damit gerät der gesamte Sehraum in Bewegung, er wird "dynamisiert" und biegsam wie ein Akkordeon. Die von der Renaissance gestiftete und von der Moderne aufgebrochene Ordnung des Visuellen, die Ordnung des perspektivischen Sehens, wird durch den Film gewissermaßen aufgehoben und fortgeschrieben. Breidecker hält sich vorsichtig im Konjunktiv, meint aber dasselbe, wenn er schreibt: "Panofsky dürfte die Erfindung der Filmtechnik an der Schwelle dieses Jahrhunderts als ein mit der Erfindung der Zentralperspektive in der Renaissance vergleichbares Ereignis erfahren haben."

Hat man erkannt, woran Panofsky mit "On Movies" anknüpft - nämlich an seine Überlegungen über die Perspektive als "symbolische Form" -, dann sieht man auch, worin die Sache ihre Fortsetzung findet. Über ein Jahrzehnt hinweg, von 1936 bis 1947, produziert Panofsky Varianten seines Film-Essays. Zur selben Zeit aber meißelt er an einem Monument: seiner im Jahr 1943 erscheinenden Studie "Das Leben und die Kunst Albrecht Dürers". Deutlich hat die Beschäftigung des Autors mit dem Film hier ihre Spuren hinterlassen. Sie zeigen sich etwa, wenn Panofsky eine druckgraphische Werkstatt der Renaissance mit den Ateliers von Walt Disney vergleicht oder Dürers Porträts mit "zwei Ausdrücken aus der Filmindustrie" als "gewöhnliche Einstellung" und "Nahaufnahme" bezeichnet. Freilich kann man solche Vergleiche und Metaphern auch als Versuche deuten, den deutschesten aller deutschen Künstler vor seinen Landsleuten zu retten, indem man einen Hauch Hollywood über die Welt von Nürnberg legt: Panofsky als der Lubitsch der Kunstgeschichte.

Kracauer hingegen ahnt, worum es dem Verfasser wirklich geht. Von fast jedem Punkt des Dürer-Buches, so schreibt er Panofsky im Dezember 1943, habe man den Eindruck, "als ob man durch ein in die Wand gebohrtes Löchelchen auf eine unermesslich weite Landschaft blickte". Doch das Dürer-Buch ist mehr als eine Ansammlung von Perspektiven, die vermittels einer Camera obscura gewonnenen wurden. Der Blick, der sich auf die Technik des alten Bildmediums Holzschnitt richtet, ist instruiert durch Erfahrungen mit dem neuen Bildmedium Film. Wie in einer langen, schwingenden Kamerafahrt folgt der Text des Dürer-Buchs der Bewegung der Hand, die das Werkzeug führt: "Während wir die Gegenstände erfassen", schreibt Panofsky, "vollziehen wir beständig die Bewegung des Grabstichels nach, wie er die kreisende Platte durchfurcht; und wenn wir die schwingenden Konturen mit dem Auge verfolgen, kann sich eine ähnliche Empfindung einstellen wie beim Steuern eines Automobils über eine kurvenreiche Straße."

Seit Jahrzehnten werden Panofskys Kritiker nicht müde, ihm den Vorwurf zu machen, er habe die Worte mehr geliebt als die Bilder, und seine Ikonologie sei in Wahrheit eine verkappte Philologie, der das Bild als Vorwand zur Textkompilation und -exegese diene. Die eigentümliche Qualität der analytischen Prosa des späteren, des "amerikanischen" Panofsky liegt aber gerade darin, daß sie die Bewegung des Films aufzunehmen und zu reproduzieren vermag. Panofsky schreibt nicht nur über den Film als Gegenstand, sondern es gelingt ihm in seinen eigentlich kunsthistorischen Studien, charakteristische Filmtechniken wie Großaufnahme, Kamerafahrt, Schnittfolgen und Überblendungen mit sprachlichen Mitteln wiederzugeben und zur Sichtbarmachung historischer Verbindungen von Stil und Technik einzusetzen. In dieser literarischen Nachbildung einer technischen Wirklichkeit zu analytischen Zwecken erweist sich die Kunst - und die Modernität - Erwin Panofskys.

Hat man sich, angeregt durch die Lektüre der Briefe und Breideckers Kommentar, an den Gedanken einer Ikonologie gewöhnt, die ihren Objekten, den Bildern, nicht ruhig gegenübersteht, sondern, wie Panofsky an Kracauer schreibt, "von den Movies gelernt hat" und sich nun selbst rhetorisch in Bewegung setzt, könnte man die Schriften des späteren Panofsky durchmustern und den Eindruck gewinnen, es handele sich um lauter Filmskripte. Nur darf man nicht übersehen, daß die Stoffe dieser Filme allesamt der Renaissance und dem Barock entnommen sind und daß sie einer Moral gehorchen, die eine unnachahmliche Mischung aus skeptischem Humanismus, deutschem Gelehrtenethos und amerikanischem Unterhaltsamkeitsgebot darstellt. Wenn Panofskys Schriften tatsächlich etwas von Drehbüchern haben, so sind es Drehbücher für Humanistenkrimis - in denen, je älter und spielfreudiger der Autor wurde, immer häufiger der Part des Sherlock Holmes mit einem Komiker besetzt wurde. Daß freilich auch der Philologe als Clown nur eine der vielen Masken des Melancholikers war - welchem Leser von Panofsky muß man das erklären?

Zwischen dem düsteren Brüten der Melancholie in Dürers rätselhaftem Stich und der heiteren Distanz des Erasmus von Rotterdam spannt sich die Atmosphäre des Humanismus der Emigration - eine Gelehrtenkirche, in der auch die versprengten Europäer Kracauer und Panofsky Zuflucht fanden. Diese Kirche spendet ihren Trost vornehmlich in Form von Bildern, die denen ausreichend Spielraum läßt, die von den religiösen Formen der Metaphysik, gleichviel ob jüdisch oder christlich, nichts wissen wollen, entweder weil sie - wie Kracauer - zur Mystik tendieren oder weil sie - wie Panofsky - der spöttischen Weltfrömmigkeit eines Jean-Paulschen Humors zuneigen. Vergänglichkeit ist ihr erstes und letztes Wort, und daß kein Heil sei in einem Neopaganismus: Et in Arcadia ego.

Eine der Entdeckungen, die Panofsky bei Dürer gemacht hatte, begeisterte seinen Leser Kracauer ganz besonders. Es war die geheime Präsenz des Malers in so vielen seiner Bildnisse. Mehr noch als der Nachweis, "dass das Porträt von Dürer's Vater auch ein Selbstporträt ist", entzückte ihn freilich Panofskys Deutung der "Melencholia" als "a spiritual self-portrait of Dürer". Damit bezeichnete Kracauer nicht nur den inneren, geistigen Kern von Panofskys Dürer-Interpretation, er benannte auch ein beiden Briefpartnern Gemeinsames, das sonst nicht zur Sprache kam: ihren eigentümlichen Hang zur gleichnishaften Rede. Wie viele Emigranten, die in jenen Jahren eine Kunst des esoterischen Sprechens und Schreibens entwickelten, neigten auch Panofsky und Kracauer dazu, sich in Parabeln auszudrücken, die es erlaubten, Aussagen über die eigene Zeit und Situation zu treffen, ohne sie direkt berühren zu müssen. Die eigene Gegenwart schimmerte durch die Fugen dieser Rede und verbarg sich in den Vexierbildern des Diskurses. Breidecker sieht deutlich, wie bei Panofsky "eine vordergründige Gegenwartsabgewandtheit mit virtuos eingespielten Formen des indirekten Sprechens über die eigene Zeit und Gegenwart kontrastiert".

Worüber man nicht sprechen kann, das kann man doch im Bild verstekken. Wie Dürer war auch Panofsky ein Meister des verdeckten Selbstporträts und des "spiritual portraits" des Autors und seiner existentiellen Situation. Der "Selbstauslöschung" des Historikers, die sowohl Kracauer als auch Panofsky für sich reklamierten, entspricht, wie Breidecker bemerkt, die "Selbsterweiterung" in historischen Figuren und mythologischen Figurationen. Der Abt Suger von St. Denis, dessen Bild Panofsky Mitte der vierziger Jahre entwarf, trägt, wie wir heute wissen, deutliche Züge eines Selbstporträts: Suger, der Proto-Humanist, der Neuplatoniker, der Kenner Ciceros und Ovids, der Mann von kleiner Statur, der sich doch weigerte, ein kleiner Mensch zu sein. Aber auch Jan van Eyck, den Panofsky einige Jahre später zum Helden seiner Studie über frühe niederländische Malerei machte, erscheint wie ein gebrochenes Spiegelbild des Ikonologen, und erst recht tut es Erasmus, dessen Verhältnis zur bildenden Kunst Panofsky gegen Ende seines Lebens befragte: Die realen historischen Objekte und Figuren wurden derart zu Symbolen - so wie es die Theorie des "verborgenen Symbolismus" beschrieb, die Panofsky in "Early Netherlandish Painting" entwickelte.

Wie Dürer, mit dem Panofskys Studie "Idea" von 1924 endete, es vom guten Maler forderte, war auch der Ikonologe "inwendig voller Figur". Deutlicher noch als in der langen Reihe der verborgenen Selbstporträts zeigt sich das in den Sinnbildern, in denen Panofsky die Situation des kritischen Intellektuellen und das Weltgefühl des Emigranten ausgelegt fand - dem Wächter auf dem "Elfenbeinturm", dem er eine zauberhafte Apologie widmete, und dem Betrachter des Grabes in Arkadien. Zwar sollte Panofsky nie so weit gehen wie Kracauer, der in der tragenden Erasmus-Passage seines letzten Buches ein mehrfach belichtetes Selbstporträt schuf, in das, wie Breidecker zeigt, nicht nur Momente des Briefwechsels mit Panofsky, sondern auch eine lange Passage des Fritz-Saxl-Porträts von Gertrud Bing einging, eines Porträts, das Kracauer wiederum mit dem Mythos von Ahasver, dem wandernden Juden, unterlegte.

Aber auch Panofskys humanistische Bilderwelten dienten nicht allein der Entzifferung von Bedeutung, sondern zugleich der Erschaffung neuer Bedeutung. Anders als bei dem tiefernsten Kracauer hatte die Bedeutung bei ihm einen spielerischen Ton. In Panofskys Kosmos gingen Humanismus und surrealer Witz Hand in Hand, wurde Erasmus nicht zum Anagramm von Ahasverus, sondern gelegentlich eher zu einem vierten Mann der Marx Brothers. Panofsky hat nicht die irdische Welt mit der überirdischen der Ideen vermessen, sondern wie Jean Paul, sein Bruder im Geist, umgekehrt mit der kleinen Welt die unendliche. Nur so, wußte er, entsteht "jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist".

"Siegfried Kracauer - Erwin Panofsky. Briefwechsel 1941-1966". Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Volker Breidecker. Akademie Verlag, Berlin 1996. 257 S., Abb., geb., 88,- DM

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