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Rembrandt und Descartes halten sich gleichzeitig in Amsterdam auf und arbeiten jeweils an demselben Thema: Der eine schreibt über die Vorstellung, dem Menschen könne seine Wahrnehmung durch einen bösen Geist lediglich vorgetäuscht werden, der andere malt eine junge Frau, deren Hand über den Rahmen heraus in die Realität des Betrachters zu greifen scheint, ein Trompe-l'oeil, eine Augentäuschung. Während der eine seine Gewissheit in dem Satz »ego cogito, ergo sum« (Ich denke, also bin ich) sucht, lotet der andere die Gattung des Selbst-Portraits bis zu seinem Lebensende immer wieder von Neuem…mehr

Produktbeschreibung
Rembrandt und Descartes halten sich gleichzeitig in Amsterdam auf und arbeiten jeweils an demselben Thema: Der eine schreibt über die Vorstellung, dem Menschen könne seine Wahrnehmung durch einen bösen Geist lediglich vorgetäuscht werden, der andere malt eine junge Frau, deren Hand über den Rahmen heraus in die Realität des Betrachters zu greifen scheint, ein Trompe-l'oeil, eine Augentäuschung. Während der eine seine Gewissheit in dem Satz »ego cogito, ergo sum« (Ich denke, also bin ich) sucht, lotet der andere die Gattung des Selbst-Portraits bis zu seinem Lebensende immer wieder von Neuem aus. Beide verstehen sich auf das Spiel der Maskerade, darauf, sich zu verkleiden, in Rollen zu schlüpfen und somit sich auf der Bühne der Öffentlichkeit einerseits zu präsentieren sowie andererseits zu verbergen - das Täuschen verschafft ihnen Freiräume. Ausgehend von Rembrandts Gemälde "Mädchen im Bilderrahmen" entfaltet Wolfgang Kemp in seinem Essay ein historisches Tableau, auf dem beide Akteure sich auf sehr unterschiedliche Weise an Täuschung, Subjektivität und Freiheit abarbeiten. Nicht nur kommt dabei die Frage auf, ob beide durch ihre jeweils unterschiedlichen Tätigkeiten, Werkzeuge und Medien letztlich gegensätzliche Einsichten und Erfahrungen ermöglichen. Kemps historischer Rückblick lässt unwillkürlich auch unseren gegenwärtigen medialen Umgang mit Täuschung und Maskerade in einem veränderten Licht erscheinen. Täuschung ist ein drängendes Thema unserer digitalen Zeit und sie hat eine Geschichte - von dieser handelt der hier vorgelegte Essay. Eine Reise in das Atelier Rembrandts und die Schreibstube Descartes'. Kemp geht zurück zu den Anfängen des modernen Menschen, in die Laboratorien unseres Selbstverständnisses.
Autorenporträt
Wolfgang Kemp ist Kunsthistoriker. 2018 erhielt er von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa. Mit seinen Veröffentlichungen führte er die Rezeptionsästhetik in die kunsthistorische Forschung ein und trug wesentlich dazu bei, dass die Fotografie ein etablierter Gegenstand seines Faches wurde. Neben zahlreichen Schriften über Kunst, Architektur, Fotografie und Theorie erscheinen von ihm auch Erzählungen und Essays sowie Beiträge in den Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Wochenzeitung Die Zeit. Erschienen sind u.a. Der Scheich, Springe, zu Klampen 2018. Von Gestalt gesteigert zu Gestalt. Hokusais 100 Ansichten des Fuji, Berlin, Merve 2006. Vertraulicher Bericht über den Verkauf einer Kommode und andere Kunstgeschichten, München, Hanser 2002.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.08.2023

Dieser ewige Selbstbetrug
Wolfgang Kemp hat ein Buch über barocke Täuschungen geschrieben – und den Versuch, ihnen etwas entgegenzusetzen
Im Jahr 1641 malte Rembrandt van Rijn, Künstler und Betreiber einer Malerwerkstatt in Amsterdam, das Porträt einer jungen Frau mit langen, offenen Haaren unter einem großen dunklen Hut. Es ist unter dem Titel „Das Mädchen im Bilderrahmen“ bekannt und wird in Warschau verwahrt. Das Gemälde ist ein „Tronie“, also kein Porträt eines lebenden Menschen, sondern ein Abbild ohne Vorbild, die gemalte Fantasie einer Person, die es nicht gab.
„Tronies“ waren damals neu, hervorgegangen aus einem frisch entstandenen Kunstmarkt, der an die Stelle der mäzenatischen Aufträge getreten war. Zu ihm gehörte ein Vertriebssystem, das weitgehend in den Händen der Künstler lag. Doch als wäre es nicht unheimlich genug, dass ein ebenso hübsches wie unwirkliches Wesen den Betrachter anschaut, greift das Mädchen mit beiden Händen auf den ebenfalls gemalten Bildrahmen aus Ebenholz. Es ist, als wollte es seine Unwirklichkeit durch einen Übergriff in die Realität ausgleichen. Aber so verdoppelt sich nur die Fiktion.
Von barocken Täuschungen handelt ein kleines Buch, das der Hamburger Kunsthistoriker Wolfgang Kemp vor Kurzem veröffentlichte, vom Verlust der Gewissheiten und dem Versuch, dagegen die Realität eines „Ich“ zu behaupten. Dem Trompe-l’Œil-Maler Rembrandt stellt er René Descartes gegenüber, den Philosophen der Täuschung. „Ich weiß, wie sehr wir in allem, was die eigene Person betrifft, der Selbsttäuschung unterworfen sind“, heißt es in Descartes’ „Abhandlung über die Methode“, veröffentlicht im Jahr 1637 im niederländischen Leiden.
In der Fortsetzung des Gedankens erklärt er, sein Leben „wie in einem Gemälde“ darstellen zu wollen, mit dem Ziel, alle „Zweifel und Irrtümer“ auszuräumen, sodass am Ende nur noch das wahrhaftige Ich übrig bleibe. Descartes lebte zu jener Zeit hauptsächlich in Amsterdam, im damals freiesten Land Europas, und er blieb dort, bis er im Sommer 1649 nach Stockholm, an den Hof der schwedischen Königin gerufen wurde (wo er dann starb). Ob er Rembrandt je begegnete, ist nicht gewiss.
Die Parallelität nicht nur der Lebensumstände, sondern auch der Motive ist allerdings frappierend, und sie wird umso erstaunlicher, je weiter Kemp in die Einzelheiten der Schriften und Bilder vordringt. „Cogito ergo sum“ hatte Descartes in seinen „Meditationen über die Grundlagen der Philosophie“ aus dem Jahr 1641 erklärt, „ich zweifle, also bin ich“. Vielleicht, so hatte der Denker geargwöhnt, sei das Leben nur ein Traum. Vielleicht, so hatte er weiter überlegt, sei er selbst nur eine Figur im Traum eines Anderen. Und wer träumt den Anderen? Doch wenn es einen Zweifel gebe, müsse es eine Instanz geben, die zweifelt. Auf diese Weise meinte Descartes, die tatsächliche Existenz eines „Ich“ beweisen zu können, auf Kosten der göttlichen Ordnung, die bis dahin für das Vorhandensein von Ich und Welt verantwortlich gewesen war. Doch taugt Descartes’ vermeintlicher Beweis nicht viel. Er ist eine „petitio principii“, ein Zirkelschluss, in dem das Ergebnis zugleich die Voraussetzung des Gedankens bildet.
Die Folgen des inneren Widerspruchs liegen auf der Hand: Auf der einen Seite treibt er den Philosophen in unendlich viele Versuche, seiner selbst durch sinnliche Erfahrungen habhaft zu werden: Der systematisch operierende Zweifel bringt ein unsystematisches, von Einfall zu Einfall, von Objekt zu Objekt springendes Prüfungswesen hervor, in dem Regen und Hagel, Honigscheiben und Blumenduft als Garanten der Wirklichkeit dienen sollen. Und auf der anderen Seite spreizt sich ein „Ich“ auf, das, eben weil es die einzige Gewissheit sein soll, letztlich alles sein will. Solipsismus ist der passende Ausdruck für dieses Verfahren, doch der darin waltende Anspruch ist nicht weit vom Größenwahn entfernt. Rembrandts Gemälde sind keine Illustrationen der Lehren Descartes’. Doch ist die Parallelität, in der ein Gedankengebäude und eine Bildkunst einander gegenüberstehen, weitaus mehr als eine historische Koinzidenz: Rembrandts Gemälde sind rationalistische Philosophie, in Bilder gefasst, und Kemp entfaltet nicht nur seine kunsthistorischen Kenntnisse, sondern auch einen beträchtlichen detektivischen Spürsinn, um zu jedem Schritt des Gedankens die passenden Kunstwerke zu finden: In den „Tronies“ erkennt er das Wesen, das der Wirklichkeit zu entstammen scheint, tatsächlich aber der Traum eines Anderen ist, in den Verkleidungen und Fratzen, mit denen Rembrandt in seinen Selbstporträts auftritt, sieht er das vergebliche Streben nach einem festen, unverwechselbaren „Ich“, in den Trompe-l’Œils die immer wieder aufs Neue wiederholte Herausforderung der sinnlichen Gewissheit.
Auf die Spitze getrieben, in der Bildkunst wie in der Welt der Gedanken, erscheint die Philosophie des radikalen Zweifels, mitsamt der unauflöslich dazugehörigen Hypertrophie des Ich in einer kleinen Zeichnung Rembrandts, die heute im Louvre aufbewahrt wird. Sie trägt den Titel „Meditierender Philosoph“ und zeigt einen einsamen Mann in einem Raum, der einem spiralförmig gestalteten Schneckengehäuse nachgebildet zu sein scheint: ein kleines Verstandestier in einem ebenso unendlichen wie geschlossenen Interieur, in dem eine Magd ein Feuer unterhält und das Essen vorbereitet. Das Bild, schreibt Kemp, sei „ein geradezu exzessiver Versuch über die Frage, wie viele Kreisformen und Kreisfragmente man in einem Raum, in einem Bild unterbringen kann“. Zugleich ist es eine allegorische, extrem verdichtete Darstellung von Zweck, Anmaßung und Vergeblichkeit einer Philosophie, mit der das moderne Denken beginnt.
THOMAS STEINFELD
Dem Maler Rembrandt stellt er
René Descartes gegenüber,
den Philosophen der Täuschung
In der Philosophie des radikalen
Zweifels liegt das
moderne Denken begründet
Rembrandts „Das Mädchen im Bilderrahmen“ scheint aus dem Rahmen herausgreifen zu wollen. Foto: images / Alamy Stock Picture
Wolfgang Kemp: Die ehrbaren Täuscher. Rembrandt und Descartes im Jahr 1641. Schlaufen-Verlag, Berlin 2023.
168 Seiten, 22,50 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Helmut Meyer lässt sich von Wolfgang Kemps Essay über Rembrandts "Mädchen im Bilderrahmen" von 1641 inspirieren. Wie der Kunsthistoriker sich dem Kunstwerk über Descartes und über Valerys Texte über den Philosophen annähert, findet Meyer höchst anregend, gelingt es dem Autor seiner Ansicht nach doch, auf elegante Weise, etwa reale Räume und Topoi wie das Trompe-l'oeil in seine Betrachtung miteinzubeziehen.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2024

Maskeraden im Atelier

So lehrreich und anregend kann die Liebeserklärung an ein Bild ausfallen:

Wolfgang Kemp über ein Gemälde Rembrandts - und einen Philosophen in Amsterdam.

Ich spaziere alle Tage mit ebenso viel Freude und Behagen durch das Gewoge einer großen Menge wie Sie durch Ihre Alleen, und ich betrachte die Menschen, die ich dort sehe, nicht anders als ich die Bäume in Ihren Wäldern oder die Tiere betrachte, die dort vorüberziehen." So schreibt René Descartes im Jahr 1631 an einen Bekannten in Frankreich, der zurückgezogen auf seinem Schloss in Angoulême lebt. Descartes wohnte damals, mit Unterbrechungen, bereits seit zwei Jahren in Amsterdam, das zwar deutlich kleiner war als Paris, aber groß genug, um ihm als Fremdem das verborgene, von der Umgebung nicht weiter wahrgenommene Leben zu gestatten, für das er Frankreich verlassen hatte.

Ob er bei seiner Weise des Stadtgebrauchs von Rembrandt sprechen hörte, zumindest in den späteren Jahren, lässt sich nicht sagen. Vielleicht, denn schließlich wurde der 1631 ebenfalls nach Amsterdam gekommene Rembrandt dort binnen recht kurzer Zeit zum gesuchten und erfolgreichen Künstler mit florierender Werkstatt. Dass er andere Vorteile aus dem städtischen Treiben zog als Descartes, liegt auf der Hand.

Weshalb man auch nicht ohne Weiteres darauf kommt, Descartes und Rembrandt zu verknüpfen. Wolfgang Kemp tut es trotzdem, nutzt dafür den gemeinsamen Wohnort als Grundierung und wählt das Jahr 1641 als Fokus - da publiziert Descartes seine "Meditationen über die Grundlagen der Philosophie", und Rembrandt malt das heute in Warschau hängende Bild "Mädchen im Bilderrahmen". Zwischen diesen beiden Polen wird das Motiv hin- und hergespielt, das der Titel des Essays nennt: Täuschung.

Bei Descartes ist damit sowohl der "genius malignus" aufgerufen, der zum Zweck der philosophischen Fundierung ins Spiel gebrachte Täuscher in extremis, wie die letztlich über ihre ontologische Zweitrangigkeit täuschenden sinnlichen Eigenschaften der wahrgenommenen Dinge, die als sekundäre Qualitäten beiseitegekehrt werden, um bloß der Ausdehnung die Bühne für die neue Naturphilosophie zu überlassen. Aber ins Spiel kommen auch die cartesischen Maximen der Maskierung ihres Autors, das "larvatus prodeo" oder die (nicht durchgehaltene) Einklammerung seiner gewagten Weltschöpfungsgeschichte als bloße "Fabel" im nachgelassenen Traktat "Le Monde".

Auf der anderen Seite, bei Rembrandt, ist die Täuschung schon durch die zeitgenössische Literatur zur Malkunst durch wohleingeführte Topoi präsent: Bilder als täuschende Nachahmungen, mit dem dafür paradigmatischen Genre des Trompe-l'OEil. Womit freilich das Besondere von Rembrandt noch nicht erreicht ist, um das es Kemp vor allem zu tun ist, nämlich der sparsame, gerade deshalb aber fesselnde Gebrauch der augentäuschenden Durchbrechung der Bildebene in einem Spiel von gemalten Händen und Rahmen, mit dem eine gesteigerte Präsenz der Dargestellten erreicht wird. Im Fall des ausgewählten Bildes: eine Hand, die sich anschickt, diesen gemalten Rahmen zu berühren, während die andere sich bereits auf ihn gelegt hat.

Man kann nicht sagen, dass Kemps subtile und eingängige Interpretation von Rembrandts Bild, welche eine Reihe von anderen Werken hinzuzieht, der Verknüpfung oder viel mehr Kontrastierung mit Descartes - schließlich relegiert der Philosoph entschlossen in die zweite Reihe, was für den Maler prima materia ist, die Farbe - wirklich Entscheidendes verdankt. Überaus reizvoll ist sie trotzdem, schlägt sie doch unvermutete Verbindungen, etwa vom wohlgeheizten Zimmer, in dem Descartes seinen beschriebenen Exerzitien nachgeht, zu den kalten oder befeuerten Kaminen der gemalten holländischen Interieurs, von Descartes' "larvatus prodeo" zu den Verkleidungen in Rembrandts Atelier und den Abwandlungen der Gattung des Porträts, die dort erprobt werden, oder von einem Holzschnitt aus der "Dioptrique" zu Rembrandts Verfahren, den Blick aus einer verschatteten Zone hervorkommen zu lassen.

Zumal sich der Kunsthistoriker Kemp in der Literatur zu Descartes durchaus umgesehen hat. Vielleicht wichtiger aber noch ist in dieser Hinsicht seine Wahl eines Mittelsmanns, der für eine Lektüre Descartes einsteht, die alle rhetorischen Schachzüge von dessen Nullpunktfiktion einer grundlegenden intellektuellen Selbstreform ("semel in vita") begeistert nachvollzog, nämlich von Paul Valéry. Seine Texte über Descartes wieder oder zum ersten Mal zu lesen ist eine Anregung, die dieser elegant geschriebene, genau gearbeitete Essay sogar auch noch gibt. HELMUT MAYER

Wolfgang Kemp: "Die ehrbaren Täuscher". Rembrandt und Descartes im Jahr 1641.

Schlaufen Verlag, Berlin 2023. 155 S., Abb., br., 23,20 Euro.

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