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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
© Perlentaucher Medien GmbH
Klagenfurter Nachlese: Kerstin Preiwuß’ düsterer Debütroman „Restwärme“
Die Heimat ist nicht unschuldig; sie lauert,legt Fallstricke aus, in der Natur und in der Erinnerung; ein Gang durch den Garten des Elternhauses, hinunter zum See, „die Gemüsebeete glotzten sie mit Möhren-, Radieschen-, Kohlaugen an, der See besaß Augen, die er nur nicht immer zeigte, sondern unter seinen Wellen wie hinter unzähligen Lidern verbarg.“
Die Konstellation, die dem Debütroman von Kerstin Preiwuß, bislang ausschließlich als Lyrikerin in Erscheinung getreten, zugrunde liegt, ist hart an der Grenze zum Klischee: Eine Frau, Marianne, kehrt zurück in das Dorf ihrer Kindheit in Mecklenburg-Vorpommern und wird eingeholt von den Bildern der Vergangenheit. Marianne, studierte Geologin und alleinerziehende Mutter, kommt von einem Arbeitstreffen in Neapel; die Mutter hat angerufen, der Vater ist tot.
Mit einem Auszug aus „Restwärme“ war Preiwuß beim diesjährigen Bachmann-Wettbewerb angetreten, wurde von der Jury durchaus mit Lob bedacht und kam trotz schwächerer Konkurrenz doch nicht einmal in die Endauswahl. Jetzt, da man das Buch im Ganzen lesen kann, bestätigt sich der Verdacht, den bereits der Auszug nahelegte: Als Roman scheitert „Restwärme“ an einer heillosen Überinstrumentierung. Kein Text erträgt auf einer Strecke von 240 Seiten eine derartige Zusammenballung von Motiven: Vier Generationen in Deutschland vom Ersten Weltkrieg bis in die Jetztzeit, Krieg und Versehrung mitsamt den daraus folgenden Traumata, Nationalsozialismus, Sozialismus und dessen Zerbröseln, familiäre Gewalt und obendrein noch die komplett funktionslose Andeutung eines frühen inzestuösen Verhältnisses zwischen Marianne und ihrem jüngeren Bruder Hans, gezeugt noch im Wochenbett in einem viehischen Akt und aus Enttäuschung darüber, dass das erstgeborene Kind ein Mädchen war.
Entfernt erinnert „Restwärme“ an „Das Mädchen“ und „April“, die beiden letzten Romane von Angelika Klüssendorf. Auch sie waren angesiedelt in einer großen amoralischen Verwahrlosungszone namens DDR; auch in ihnen bewegte sich eine jugendliche Antiheldin in einem von sozialen Grausamkeiten geprägten Szenario. Alles ist dunkel und beschädigt, allen voran Marianne selbst, aber auch die mächtige Gegenfigur, der Vater, ein Alkoholiker, der, so wird es angedeutet, möglicherweise in einer historischen Kontinuität erst im Dritten Reich und später dann in der DDR ein gewisses Raffinement in der Tötung von Lebewesen entwickelt hat, zuletzt auf einer großen Nerzfarm. Dort war es seine Aufgabe, die Tiere zu vergasen. Die Analogie ist offensichtlich, wenn nicht gar aufdringlich; das gilt hier auch für das Funktionsprinzip von Erinnerung, die sozusagen anlassbezogen an die Oberfläche schießt. Man bedenke: Marianne ist Geologin und forscht an Vulkanen.
Das ist die eine Seite. Der Kontrapunkt dazu sind die kargen, der Lähmung abgerungenen Dialoge, vor allem aber Kerstin Preiwuß’ Genauigkeit in der Beschreibung der Natur. Sie kann plastisch und facettenreich zugleich von der Kristallbildung im Winter erzählen, von Gewicht und Farbe der unterschiedlichen Apfelsorten, und auch die Passage über das Leben und Sterben die Nerze ist auf einem sprachlichen Niveau, das wenige Debütanten haben. In der Präzision und im Vokabelreichtum blitzt dann doch augenblicksweise Schönheit auf.
CHRISTOPH SCHRÖDER
Kerstin Preiwuß:
Restwärme. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2014.
224 Seiten, 18,99 Euro,
E-Book 14,99 Euro.
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