Der Wieser-Verlag hat eine neue Reihe konzipiert: Die Bände im DIN A6 Format, Leinen, broschiert mit Golddruck und Lesebändchen, sind nicht nur optisch eine Augen-weide, sondern auch hervorragend in der textlichen Auswahl. Der Leiter des Wieser- Verlages Lojze Wieser begann sein ambitioniertes
Projekt zunächst mit Mitteleuropa und veröffentlichte literarische Bändchen z. B. über Venedig, den…mehrDer Wieser-Verlag hat eine neue Reihe konzipiert: Die Bände im DIN A6 Format, Leinen, broschiert mit Golddruck und Lesebändchen, sind nicht nur optisch eine Augen-weide, sondern auch hervorragend in der textlichen Auswahl. Der Leiter des Wieser- Verlages Lojze Wieser begann sein ambitioniertes Projekt zunächst mit Mitteleuropa und veröffentlichte literarische Bändchen z. B. über Venedig, den Karst, Triest und Istrien, in denen dem Leser die vielfältige literarische Landkarte dieser Gebiete neu vorgestellt wurde. Die Erfolge ermunterten den Herausgeber nun auch weitere Bände über Mähren, den ich besonders empfehle, Dublin, Prag, St. Petersburg, Siebenbür-gen usw. zu veröffentlichen. Nun liegen über 80 Bände vor. In diesem Jahr sollen noch weitere Titel über Bratislava, Belgrad etc.. folgen.
Die Auswahl der Texte des Siebenbürgen-Bandes (Gedichte und Prosa) ist zunächst von der Topographie Siebenbürgens bestimmt. Es sind Autoren deutscher, rumäni-scher und ungarischer Provenienz, die mit ihren Beiträgen an eine weitgehend verlo-rengegangene Gemeinsamkeit dieser Völker im Karpatenbogen erinnern.
Für Georg Aescht, der aus Siebenbürgen stammt und Herausgeber der Zeitschrift „Der gemeinsame Weg“ ist, gibt es Siebenbürgen nicht mehr: Diese Sammlung litera-rischer Texte, die von ihm kenntnisreich und liebevoll zusammengestellt wurde, kön-ne nur noch ein Nachruf sein.
Die Autoren sind durchweg in Siebenbürgen geboren oder fühlen sich mit dieser Landschaft besonders verbunden. Georg Aescht ordnet die von ihm ausgewählten Texte sechs verschiedenen Themenkreisen zu, von „Dem weißen Fleck Farbe ge-ben“ bis „Der Tod“. Der längste Text „Die Verfolgung“ stammt von dem Klassiker der sächsischen Literatur Erwin Wittstock.
Georg Aescht hat eine anregende und interessante Auswahl getroffen. So finden sich u.a. Beiträge von Adolf Meschendörfer und Eginald Schlattner, der bei der 98er Buchmesse mit seinem Roman „Der geköpfte Hahn“ Furore machte. Zentrales The-ma vieler Texte ist das Motiv der verlorenen Heimat. Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang ein Auszug aus der Zeitchronik „Stehendes Ich in laufender Zeit“, des aus Schäßburg stammenden Dichter Dieter Schlesak, der nun in Italien lebt. Wehmütig sind auch die Gedichte „Mergeln“ von Wolf von Aichelburg“, „michelsberger abendidyll“von Franz Hodjak oder „Siebenbürgischer Heuweg“ von Werner Söllner - die deutlich machen, was verlorenging und lange nachklingen.
Immer wieder gibt es auch Neuentdeckungen: Texte von Zsofia Balla, Irena Brezna oder Nicola Iorga etc. und man fragt sich, warum man diese kritischmelancholischen Erinnerungen nicht schon vorher kennengelernt hat.
Die Texte des Buches sind mehr als Reisebeschreibungen, es sind Erinnerungsbilder und Wiederbegegnungen, die immer wieder neue Blickweisen auf diese Landschaft ermöglichen. Lücken? Eine Auswahl kann nie vollständig sein, muss immer auch sub-jektiv getönt sein. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn es in Zukunft zu dieser Reihe auch generell biographische Anmerkungen zu den Verfassern gäbe, da z. B. die Autoren ungarischer Herkunft aus Siebenbürgen den deutschen Lesern noch nicht vertraut sind.
Es ist zu wünschen, daß der Verlag mit dieser ausgezeichneten Reihe weiter Erfolg hat. Viele Gegenden Europas warten noch darauf, auf diese Weise literarisch er-schlossen zu werden.
Eckhard Scheld