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Der Herbst kommt wenig überraschend, doch er erwischt sie kalt. Denn Mutter ist gar nicht bereit: Das Dach noch immer ungedämmt, der Garten längst nicht winterfest. Sie grollt und bockt, sie streikt und schweigt; sie spricht nicht mal mehr mit sich selbst. Es friert sie oft, der Hals tut weh, und alle Zähne wackeln. Vom Regen sind die Brüste schwer. Was macht der neue alte Körper nur? Ist er noch ich?Mutter ist eine irrwitzige Figur unbestimmten Alters in einem großen, leeren Haus mit Garten. Ihr bricht die Stimme, ihr gebricht es an allem. Erst ein Zahn-, dann ein Ortswechsel sind nötig,…mehr

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Produktbeschreibung
Der Herbst kommt wenig überraschend, doch er erwischt sie kalt. Denn Mutter ist gar nicht bereit: Das Dach noch immer ungedämmt, der Garten längst nicht winterfest. Sie grollt und bockt, sie streikt und schweigt; sie spricht nicht mal mehr mit sich selbst. Es friert sie oft, der Hals tut weh, und alle Zähne wackeln. Vom Regen sind die Brüste schwer. Was macht der neue alte Körper nur? Ist er noch ich?Mutter ist eine irrwitzige Figur unbestimmten Alters in einem großen, leeren Haus mit Garten. Ihr bricht die Stimme, ihr gebricht es an allem. Erst ein Zahn-, dann ein Ortswechsel sind nötig, damit sie wieder Boden gewinnt und sich einrichten kann in ihrem Leben.Katharina Mevissen schreibt in Körpersprache über eine unberechenbare Transformation. Ein bilderstarker Roman, genau und unerschrocken.
Autorenporträt
Katharina Mevissen, geboren 1991, studierte Kulturwissenschaft und Transnationale Literaturwissenschaft und lebt als Autorin in Berlin. Ihr Romandebüt »Ich kann dich hören« gewann den Kranichsteiner Literaturförderpreis und wurde 2021 vom Westdeutschen Rundfunk als Hörspiel adaptiert. Sie ist Mitherausgeberin der Publikation »Gesammeltes Schweigen« in der Edition Zweifel. Aktuell forscht sie an der Freien Universität Berlin zu Mündlichkeit und Literatur.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Diesen Roman von Katharina Mevissen sollte man eigentlich laut lesen, meint Rezensentin Amelie Sittenauer. In kraftvollen Hauptsätzen und "starken Bildern" erzähle die Autorin, wie sich "Mutter" - einen anderen Namen hat die Protagonistin nicht - gegen das Altern zur Wehr setzt und, im wahrsten Sinne des Wortes, ihre eigene Stimme wiederfindet, lesen wir. Mutter wohnt in einem windschiefen Haus, spricht kaum noch, fühlt sich vom eigenen Körper verraten, der sie im Stick lässt, resümiert die Rezensentin. Doch eines Tages kommt der Umschwung: Mutter zieht in die Stadt, beginnt eine Telefonsex-Affäre, schwimmt Oben-ohne im Schwimmbad und, vor allem, findet sie ihre Stimme wieder, die nun viel tiefer und kraftvoller ist als früher. Die Kritikerin freut sich über die "Leichtigkeit und den Witz" mit denen diese Emanzipations-Geschichte erzählt wird und findet, dass man sich Mutter als Frau durchaus zum Vorbild nehmen kann.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.04.2023

Auf hundertsiebzig Quadratmetern allein
Nicht Mann, nicht Frau, sondern Bass: Katharina Mevissens "Mutters Stimmbruch"

Als einen Roman über das Altern kündigt der Verlag in seiner Vorschau Katharina Mevissens zweites Buch an, und das weckt zunächst einmal die schlimmsten Befürchtungen, zumal auch das passende Beauvoir-Zitat nicht fehlt. Dann erinnert man sich, dass gute Bücher selten "über" etwas sind, zumindest nicht ausschließlich. Zwar stellt Mutter, die titelgebende Figur dieses Buches, tatsächlich gleich am Anfang fest: "Ihr Körper wird nicht mehr gebraucht, aber er ist immer noch da."

Aber dieser Befund führt mitnichten direkt in die Resignation, weil Mutter mit viel zu vielen Dingen beschäftigt ist, von denen die wichtigsten sind: der Garten, die Baumwurzeln (vor allem die Wurzeln der Weide), der Keller mit der Heizungsanlage darin, ihre Zähne, ihre Stimme (die verschwindet), das Wasser allgemein und insbesondere das Meer (oder die Sehnsucht danach). Mutter wohnt "auf hundertsiebzig Quadratmetern, allein, aber mit Telefonanschluss und Warmwasser". Das wird uns früh mitgeteilt, und man erwartet einen Moment lang den Familienroman, der sich nun in mannigfachen Rückblenden anschließt, aber diese Gefahr besteht nicht. Von den drei Kindern erfahren wir nur, dass sie dreimal im Jahr anrufen, zum Muttertag, zu Weihnachten und zum Geburtstag. Mutters Alter ist unbestimmt, irgend etwas zwischen fünfzig und fünfundsechzig.

Wichtig ist anderes. Zu den Dingen, die Mutter anfangs beschäftigen, zählt auch das Dach, das undicht ist und gemacht werden muss, was daran scheitert, dass Mutter die Handwerker auf keinen Fall in den Keller lassen will. Da müssten sie aber hin, um vorübergehend das Wasser abzustellen.

An Mutters Weigerung scheitert die geplante Aktion, die Handwerker packen und kommen nicht wieder, und Mutter bereitet sich auf den Winter vor, den sie aus ehrlichem Herzen hasst. Manche Abende verbringt Mutter inzwischen im dunklen Heizungskeller, der für sie das Herz des Hauses ist. "Hier kann sie hören, wie das Wasser durch die Leitungen gluckert. Wie in der Ferne das Meer rauscht. Wie die Wurzeln der Weide auf der anderen Seite des Gemäuers wachsen und dem Haus zu Leibe rücken."

Noch kein Winter war so streng

Die Weide, die das Haus seit Jahren untergräbt, ist es dann auch, die in diesem Winter den Rohrbruch herbeiführt und es unbewohnbar macht. "Noch kein Winter war so streng mit ihr wie dieser", stellt Mutter fest, denn zur gleichen Zeit lässt sie sich all ihre lockeren Zähne ziehen, und das Ende scheint nah, auch wenn sie ein Gebiss bekommt: "Erschöpft verlässt Mutter die Praxis, mit taubem Mund und den Taschen voller Zähne ... Ihr Augenlicht hat sie behalten. Das Radio hält sie an die Brust gedrückt, in kleinen Schritten geht sie davon."

Das ist aber nicht das Ende, nur der Schluss des vierundzwanzigsten von insgesamt sechzig Kapiteln von einer bis vier Seiten Länge: Miniaturen, die sich zu einem erstaunlich kohärenten Erzählfluss verbinden. Die rätselhafteste Figur in diesem Buch ist und bleibt völlig unsichtbar und unidentifizierbar: die Erzählerin selbst. Auf keinen Fall ist es eine Tochter oder eine Freundin oder auch nur eine Bekannte von Mutter, auch nicht Mutter als verkappte personale Erzählerin. Schon klar: Es ist die Autorin Katharina Mevissen selbst, aber wie sie in wirklich jedem Satz ganz und gar präsent und zugleich unauffindbar ist und das bis zum Schluss durchhält, das ist bewundernswert.

Deshalb hört sich der Beginn von Kapitel 25 ganz selbstverständlich an: "Mutter ist danach nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Sie ist in die Stadt gezogen. Eine Neubauwohnung unterm Dach mit zwei Zimmern für sich allein."

In diesen two rooms of her own beginnt in der Tat so etwas wie ein neues Leben. Das allerdings nicht methodisch und zielstrebig, sondern tastend und quasi als Versuchsreihe. Dabei spielt die Wiedergewinnung ihrer Stimme eine große Rolle, die sie unter anderem in Telefonzellen (!) ausprobiert, in denen sie die Auskunft und andere Teilnehmer anruft und eine skurrile Art von Telefonsex betreibt. Zudem geht Mutter regelmäßig schwimmen, und auch in einer heftigen Auseinandersetzung mit dem Bademeister erprobt sie ihre neu gewonnene Stimme.

Die Badegäste klatschen

Mit den Stimmen verhält es sich so: "Mutter hatte immer gedacht, dass man im Leben zwei Stimmen bekommt: erst die Milchstimme, mit ihr lernt man sprechen. Und später die erwachsene Stimme, mit ihr lernt man zu sagen, was man will. Aber wenn die zweite Stimme gehalten hätte, was sie verspricht, wozu hätte Mutter dann noch eine dritte gebraucht?" Die aber entwickelt sich nach und nach und sorgt am Ende "endlich für Unklarheit: Mutter ist nicht Mann nicht, nicht Frau, sondern Bass."

Es ist kaum anzunehmen, dass Katharina Mevissen uns damit aufs Feld von LBGTQIA führen will. Es ist überhaupt nicht anzunehmen, dass sie uns eine Botschaft übermitteln will, auch wenn der zweite Teil der Erzählung (der Verlag hat dankenswerterweise darauf verzichtet, dem Buch den Romanstempel aufzudrücken) die Geschichte wachsender Autonomie erzählt, die man so zusammenfassen könnte: Mutter traut sich zunehmend mehr. Sie ruft wildfremde Leute an, sie singt auf dem Dreimeterbrett im Schwimmbad eine Ballade und klingt wie ein ganzer Kammerchor. "Mutter bricht ab. Ein paar der Badegäste klatschen, einer pfeift. (. . .) Als sie unten ankommt, hat sie wieder ihre normale Größe erreicht. Mutter strahlt. Sie fand sich großartig."

Ein Psychoanalytiker würde Mutter vielleicht erklären, dass sie an einer narzisstischen Störung leide, diese zur Entwicklung eines Größenselbst führe und die wiederum gefährlich sei. Zum Glück macht Mutter aber keine Therapie, sondern wird stattdessen praktisch. Der nächste verhasste Winter droht, und da die Hausverwaltung die Heizungstemperatur nicht vor einem bestimmten Kalendertermin höher stellen will, nimmt Mutter das im Heizungskeller selbst in die Hand. In dieser Hinsicht kennt sie sich bestens aus: "Eine moderne Ausführung, Jahrzehnte jünger als die in ihrem Haus. Mühelos reguliert Mutter das Programm und erhöht die Durchschnittstemperatur des Warmwassers. Mit jeder Minute wird es wärmer im Keller."

Das Ende bleibt offen. Wir erfahren noch, dass Mutter weiter schwimmen gehen wird und dass sie alle Telefonnummern anrufen wird, die sie von früher noch im Kopf hat. "Sie weiß nicht, unter welchen Nummern noch Anschlüsse sein werden, und unter welchen Anschlüssen noch die Stimmen, auf die sie hofft. Mutter weiß auch nicht, wer sie mit ihrer dritten Stimme überhaupt wiedererkennen wird." Auch wir erfahren das nicht mehr, das wäre eine neue Geschichte. Bis hierhin hat uns Katharina Mevissen geführt, und das hat sie mit Bravour getan. JOCHEN SCHIMMANG

Katharina Mevissen: "Mutters Stimmbruch".

Mit Monotypien von Katharina Greeven. Wagenbach Verlag,

Berlin 2023. 128 S., br., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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