Es gibt nicht viele japanische Krimis, geschrieben von Japanern, die den Weg in den Westen finden. Oft braucht man einiges Hintergrundwissen, um das für unsere Begriffe seltsame Verhalten der Japaner zu erklären, die im Übrigen auch ein Wertesystem haben, das sich sehr von unserem unterscheidet. Hideo Yokoyama hat den Sprung über die Kulturgrenze hinweg geschafft und seine Krimis zeigen sehr eindrücklich, wie die japanische Gesellschaft tickt und wie insbesondere das japanische Justizsystem „funktioniert“. Hier ist das Gesichtswahren stets wichtiger als die Wahrheit.
So gerät der Polizist
Soichiro Kaji in die Mühlen der Justiz, nachdem er seiner schwerkranken Frau den Wunsch erfüllt hat, sie zu töten. Obwohl sein Geständnis unvollständig ist, einigen sich Staatsanwaltschaft und…mehrEs gibt nicht viele japanische Krimis, geschrieben von Japanern, die den Weg in den Westen finden. Oft braucht man einiges Hintergrundwissen, um das für unsere Begriffe seltsame Verhalten der Japaner zu erklären, die im Übrigen auch ein Wertesystem haben, das sich sehr von unserem unterscheidet. Hideo Yokoyama hat den Sprung über die Kulturgrenze hinweg geschafft und seine Krimis zeigen sehr eindrücklich, wie die japanische Gesellschaft tickt und wie insbesondere das japanische Justizsystem „funktioniert“. Hier ist das Gesichtswahren stets wichtiger als die Wahrheit.
So gerät der Polizist Soichiro Kaji in die Mühlen der Justiz, nachdem er seiner schwerkranken Frau den Wunsch erfüllt hat, sie zu töten. Obwohl sein Geständnis unvollständig ist, einigen sich Staatsanwaltschaft und Polizeibehörde darauf, den Fall schnell zu den Akten zu legen und damit dieser ehrenrührige Mord nicht mit der Polizei in Verbindung gebracht wird, entlässt man Kaji vor der Verhaftung noch kurzerhand aus dem Dienst. Doch der Kriminalkommissar Kazumasa Shiki lässt auch danach nicht locker, bis er die Lücken in Kajis Geständnis erklären kann.
Die Erzählstruktur des Romans ist ungewöhnlich, denn sie folgt exakt den Stufen des japanischen Justizwesens: Zunächst sieht der Leser die Ereignisse durch die Augen von Shiki, anschließend durch die des Staatsanwalts, danach des Verteidigers und des Gefängniswärters. Die Geschichte entwickelt sich dabei völlig linear, d. h. man sieht nicht die gleichen Vorgänge aus unterschiedlicher Sicht, sondern so wie Kaji durch das Justizsystem wie auf einem Fließband geschleust wird, so geben die Erzähler sich den Staffelstab in die Hand. Dabei erfährt man ganz nebenbei die Prinzipien, nach denen in Japan Verwaltungen und Hierarchien funktionieren. Es herrscht ein Kadavergehorsam schlimmster Güte, bei dem nichts in Frage gestellt werden darf. Karriere macht, wer sich völlig an das System anpasst und schon der Verdacht von Opposition kann zur sofortigen Versetzung in die Provinz führen. Korruption, also die Rechtsvereitelung, wird weniger durch Schmiergeld erreicht als durch Erpressung, auch und gerade über die Dienststellen hinweg. Als Europäer wundert man sich im Übrigen, wegen welcher Bagatelldelikte man in Japan im Gefängnis landet. Solche Prozesse würde bei uns wahrscheinlich wegen Geringfügigkeit eingestellt. Wer in Japan ins Visier der Polizei gerät, hat schon verloren, denn dort werden 99 % der angeklagten Personen auch schuldig gesprochen - sonst würde der Staatsanwalt ja das Gesicht verlieren. Wer „50“ gelesen (oder gehört) hat, der weiß, dass das kein Hirngespinst ist und zu welchen deformierten Persönlichkeiten die ständige Unterwerfung führt.
Zum Schluss wird die Geschichte ein wenig zu sehr strapaziert und die Auflösung ist für einen Europäer weit weniger schockierend als für zartbesaitete Japaner, die es nicht wagen, einen Zigarettenstummel auf die Straße zu werfen. Aber vor dem Hintergrund, dass man einen eindrucksvollen und seltenen Einblick in das japanische Justizsystem erhält, bleibt der Plot über die gesamte Zeit trotzdem spannend.
Gerhard Garbers liest sehr routiniert und mit angenehmer Stimmführung. Das einzige, was man der Produktion vorwerfen muss, ist die falsche Aussprache nahezu aller Eigennamen, die im Roman vorkommen. Da mache ich dem Sprecher nicht mal einen Vorwurf, aber die Regisseurin hätte sich ja durchaus vorher mal informieren können. Dafür ist sie schließlich da.