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Die Basis soll's richten: Tomás Sedlácek und David Graeber beerdigen einträchtig und wortreich den Kapitalismus
Durch den Ausbruch der Finanzkrise hat es der Kapitalismus seinen Kritikern leichtgemacht. Mangelnde Regulierung, falsche Anreize in Finanzkonzernen, die Interdependenz des Kapitalmarktes, großzügige Kredite für Hausbauer und pure Gier - diese Zutaten vermischten sich zu einem hochexplosiven Gebräu. Im Jahr 2008 explodierte es, brachte das Geldinstitut Lehman Brothers zu Fall und hätte ohne staatliche Intervention auch Goldman Sachs und die Deutsche Bank niedergestreckt. Daraus entstand eine globale Finanz- und Wirtschaftskrise, deren Folgen bis heute nicht abgearbeitet sind.
Seither wird eine facettenreiche Diskussion über die Frage geführt, welchen Anteil das kapitalistische System an den Auswüchsen hat. Politisch blieb sie nicht ohne Wirkung, seit Ausbruch der Krise gibt es eine globale Tendenz zur Re-Regulierung. Im akademischen Umfeld setzt sich der Austausch fort. Zwei markante Beiträge kamen in den vergangenen Jahren von dem tschechischen Ökonomen Tomás Sedlácek ("Die Ökonomie von Gut und Böse", im tschechischen Original 2009) und dem amerikanischen Ethnologen David Graeber ("Schulden - Die ersten 5000 Jahre", im englischen Original 2011). Nun ist unter dem Titel "Revolution oder Evolution - Das Ende des Kapitalismus" ein Zwiegespräch der beiden Kapitalismuskritiker erschienen.
Die Idee wirkt zunächst charmant: Zwei Hochschullehrer, die den Konsumismus der westlichen Welt und die ungleichgewichtigen Handelsbeziehungen zwischen armen und reichen Ländern kritisieren, streiten über eine fundamentale Frage: Kann der Kapitalismus evolutionär in einen besseren Zustand überführt werden (Sedlácek), oder muss aus einem anarchistischen Chaos etwas völlig Neues entstehen (Graeber)? Das Ergebnis ist dann aber höchst unbefriedigend, was womöglich auch daran liegt, dass die beiden im Kern gar keinen Dissens haben oder ihn zumindest nicht offen austragen. Der unkontroverse Grundton, die fundamentale Übereinstimmung zwischen beiden tun dem Format des Zwiegesprächs nicht gut. Statt die Positionen durch Widerspruch zu schärfen, geben sie einander die Stichworte für unkonkretes Dozieren.
Dabei streifen beide durchaus interessante Felder: So wohnt dem Kapitalismus tatsächlich eine Tendenz zur Selbstauflösung inne, weil im Wettbewerb stehende Unternehmen eine Monopolstellung anstreben. Zu Zeiten der Finanzkrise hatte die globale Ökonomie Züge angenommen, in der sich der ursprüngliche Wertstrom Ware-Geld-Ware zu einem Strom Geld-Ware-Geld gewandelt hatte. Und die westliche Welt beharrt tatsächlich bei technischen Innovationen auf dem Recht des geistigen Eigentums, das sie bei der Einfuhr anderer Waren oder Errungenschaften (Sedlácek nennt chinesischen Tee oder indisches Yoga) kaum gelten ließ. Allein, aus dieser Handvoll beachtenswerter Gedanken folgt nichts.
Die hundertvierzig Seiten Dialog täuschen darüber hinweg, dass es eigentlich kleine Monologe sind, die sich abwechseln. Zudem sind diese Monologe unpräzise, schwafelig und unkonkret. Politische Schlussfolgerungen ziehen beide nicht: Graeber nicht, weil er sich als geistiger Anführer der Occupy-Bewegung reformistischen Bestrebungen widersetzt. Sedlácek nicht, weil er zu viel Gefallen an seinen Metaphern (Zombie, Vampir-Banken) und Analogieschlüssen (Kapitalismus als Horrorfilm) findet. Graeber argumentiert ideologisch: Profitstreben sei verwerflich, Autoversicherungen dienten dazu, den Porsche der Reichen zu schützen (nicht aber den einkommensschwachen verletzten Fußgänger). Amerikas Politik sei durch Spenden finanzstarker Konzerne durch und durch korrupt: "Sich am politischen System zu beteiligen und zu versuchen, es zu verändern, wäre daher unsinnig." Dass seine Vorstellungen einer basisdemokratischen Führung naiv sind, zeigt sich jedem, der den Werdegang solcher basisdemokratischer Bewegungen über einige Jahre verfolgt hat.
Alles in allem ist das Buch eine vergebene Chance. Würde präziser, ideologiefreier und nüchterner analysiert, hätten die beiden Gesprächspartner durchaus auch das "Gegenlager" zur Reflexion anregen können. Ihr Geplapper aber übertüncht einige überlegenswerte Gedanken. Es hätte mehr Arbeit, mehr Sorgfalt und mehr Unvoreingenommenheit gebraucht, ihnen Gewicht zu verleihen.
PHILIPP KROHN
Tomás Sedlácek und David Graeber: "Revolution oder Evolution". Das Ende des Kapitalismus? Aus dem Englischen von Hans Freundl. Carl Hanser Verlag, München 2015. 144 S., br., 15,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
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