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Die Junggesellenmaschinen - Carrouges, Michel
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Wenige Wortschöpfungen der historischen Avantgarde haben einen so langanhaltenden Einfluss auf die Phantasie von Künstlern, Kuratoren und Philosophen ausgeübt wie der Begriff der Junggesellenmaschine. Geprägt wurde er erstmals von Marcel Duchamp für die untere Hälfte seines frühen Hauptwerks Die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar. Mehr als drei Jahrzehnte später griff der Literaturkritiker Michel Carrouges Duchamps Idee eines in sich geschlossenen Liebesmechanismus auf und erkannte darin die Spuren eines modernen Mythos, der die phantastische Literatur des neunzehnten und zwanzigsten…mehr

Produktbeschreibung
Wenige Wortschöpfungen der historischen Avantgarde haben einen so langanhaltenden Einfluss auf die Phantasie von Künstlern, Kuratoren und Philosophen ausgeübt wie der Begriff der Junggesellenmaschine. Geprägt wurde er erstmals von Marcel Duchamp für die untere Hälfte seines frühen Hauptwerks Die Braut von ihren Junggesellen entblößt, sogar. Mehr als drei Jahrzehnte später griff der Literaturkritiker Michel Carrouges Duchamps Idee eines in sich geschlossenen Liebesmechanismus auf und erkannte darin die Spuren eines modernen Mythos, der die phantastische Literatur des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts durchzieht.

Ausgehend vom "Großen Glas" entwirft Carrouges eine Genealogie literarischer Imagination im Zeichen der Maschine, die von Poe und Villiers de l'Isle-Adam über Jules Verne und Lautréamont bis hin zu Jarry, Roussel und Kafka reicht. Ihre enigmatischen, sich dem Gebot der Nützlichkeit entziehenden, oftmals dysfunktionalen Apparate und Mechanismen deutet er
als erotisch aufgeladene Symbole für die Selbstbezüglichkeit des Begehrens und die Verweigerung der Fortpflanzung. Indem sie Eros- und Todestrieb in sich vereinen, zeugen die Junggesellenmaschinen vom Phantasma einer prometheischen Subjektivität, die sich von jeder Transzendenz befreit glaubt.

Carrouges' Nachweis der strukturellen und motivischen Konvergenzen zwischen augenscheinlich heterogenen Werken hat bis heute seine ganz eigene mythopoetische Kraft bewahrt. Sein Buch darf zugleich als die erste Monographie gelten, die dem Werk Marcel Duchamps gewidmet wurde. Es hat Gilles Deleuze und Félix Guattari ebenso beeinflusst wie Enrique Vila-Matas und Harald Szeemann, der 1975 seine legendäre Ausstellung über die Junggesellenmaschinen zeigte. "Das Junggesellentum", so fasste Szeemann Carrouges' Analyse zusammen, "ist eine Form der Rebellion. Der Junggeselle weigert sich, die Menschheit fortzupflanzen, indem er ihr das Bild seines Funktionierens gegenüberstellt."

Die vorliegende Ausgabe bietet die vom Autor revidierte und erweiterte Fassung von 1976.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.06.2019

Blendende Mechanik
Michel Carrouges über Maschinisten à la Duchamp

In den siebziger Jahren tourte eine von Harald Szeemann eingerichtete Gruppenschau durch Europa, die auch in der Düsseldorfer Kunsthalle Station machte. Sie wurde dort als verschroben, hermetisch und herausfordernd aufgenommen: "Junggesellenmaschinen" - benannt nach einem frühen Hauptwerk von Marcel Duchamp aus den Jahren 1915 bis 1923, dem verrätselten Bild mit dem geschraubten Titel "Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar". Darin "reiben sich die Junggesellen ihre Schokolade selbst", so der Urheber in seinen literarisch hoch ambitionierten Notizen zu der Glastafel, die wie ein Altarbild im Raum steht (seit langem im Philadelphia Museum of Art).

Gemeint ist damit nichts anderes, als dass jene Junggesellen ihre Lust ohne die Braut in der oberen Bildhälfte abarbeiten. Sie bewerkstelligen dies in einer maschinellen Apparatur, in deren Funktion Intimität und Erotik nicht vorgesehen sind, von Fortpflanzung ganz zu schweigen. In dieser wenig lebensbejahenden Form von Sexualität wollte der französische Autor Michel Carrouges, in steiler These, den Ausdruck eines neuen modernen Mythos ausmachen. Zugleich widmete er Duchamp mit seinem Buch "Die Junggesellenmaschinen" von 1954 die erste monographische Darstellung überhaupt, die 1976 in einer überarbeiteten, lange schon vergriffenen Auflage erschien - und nun in einer deutschen Übersetzung von Maximilian Gilleßen vorliegt, der auch ein hilfreiches, ausführliches Nachwort beisteuert.

Der 1910 in Poitiers geborene Michel Carrouges stand den Surrealisten um André Breton nahe, ohne sich je ganz von seinem katholischen Glauben lossagen zu können, als er sein Buch über die "großen Maschinisten und ihre Maschinen" des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert verfasste. In der Hinrichtungsmaschine aus Franz Kafkas 1919 erschienener Erzählung "In der Strafkolonie" spürte Carrouges etwa eine ähnliche "Grundstruktur" wie im "Großen Glas" auf, sah eine vergleichbare Mechanik von "Schlitten und Wagen" bei Duchamp und dem "mechanischen Bett" bei Kafka sowie eine "gleichartige Schlusswirkung" beider Mechanismen, nämlich der "Blendung durch Spritzer" in Duchamps Bild und der "Ekstase nach dem Erbrechen" in Kafkas Text.

Verbindungslinien zog Carrouges auch zur "elektromagnetischen Liebesmaschine" in Alfred Jarrys "Supermann" aus dem Jahr 1902 (den Marianne Kesting 1969 einen "Pop-Roman" nannte) oder zu Raymond Roussels "Blitzableiter-Bett" in den "Afrikanischen Impressionen" von 1910. So stellte Carrouges den Erfinder des Readymades ins Zentrum einer literarischen Genealogie, kanonisierte ihn damit und beförderte tatkräftig dessen Wirkungsgeschichte, die ihn spätestens in den sechziger Jahren - bis heute - zur Schlüsselfigur der modernen und zeitgenössischen Kunst machen sollte.

All die Fremdheit des bei Carrouges aufgefächerten, sehr egomanischen, sehr maskulinen Junggesellen(maschinen)tums kleidet der neue Band in eine eigenwillige Typographie, für die der Berliner Verlag zero sharp bekannt ist. Die Kombination aus Groteskschrift und Kursivierung ist ebenso gewöhnungsbedürftig wie der Flattersatz mit maximaler Spaltenbreite, vereint aber geschickt heutige Gestaltungselemente mit solchen, wie sie um 1900 bei der Beschriftung technischer Zeichnungen üblich waren - womit die Gestaltung ihrem Gegenstand, eben den Maschinen, sinnlich nahekommt. Das schlechterdings Merkwürdige und Seltsame an dem Inhalt des Buches wird so buchstäblich sichtbar; samt einem bizarren Schriftsatz, der eigens für das Titelblatt entwickelt wurde.

Eine "Gebrauchsanweisung" für seine Ideen hatte Michel Carrouges übrigens im Katalog zur besagten, von Szeemann zusammengestellten Gruppenausstellung vorgelegt, der seinerseits ein lesenswertes Kompendium und eine Art Handbuch zum Komplex der "Junggesellenmaschinen" darstellt. Leider vergriffen.

GEORG IMDAHL

Michel Carrouges: "Die Junggesellenmaschinen".

Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Maximilian Gilleßen. zero sharp Verlag, Berlin 2019. 272 S., br. 28,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Georg Imdahl liest Michel Carrouges' Duchamp-Monografie von 1954 mit Interesse. Die deutsche Fassung von Maximilian Gilleßen lässt ihn teilhaben an Carrouges' Verortung von Duchamps Junggesellenmaschine im Kreis weiterer technischer Liebesmaschinen, etwa bei Jarry, und der daraus folgenden Kanonisierung Duchamps. Die spezielle Typografie des Bandes beschäftigt Imdahl nachhaltig. Laut Rezensent ist sie technischen Zeichnungen um 1900 nachempfunden und sorgt für zusätzliche Nähe zwischen dem Leser des Buches und dessen immerhin merkwürdigem Inhalt.

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