"Eigentümliches Leben" - eigentümlich beschrieben
Melitta von Stauffenberg, Ein deutsches Leben - Name und Titel klingen interessant, der Text auf der Buchumschlagseite auch. Der Autor Thomas Medicus setzt damit die Reihe der "Stauffenberg-Bücher" fort. Auch von Melitta von Stauffenberg gibt es
schon eine Biografie von Gerhard Bracke. Nun hat Medicus, so berichtet er in seinem Vorwort, jahrelang…mehr"Eigentümliches Leben" - eigentümlich beschrieben
Melitta von Stauffenberg, Ein deutsches Leben - Name und Titel klingen interessant, der Text auf der Buchumschlagseite auch. Der Autor Thomas Medicus setzt damit die Reihe der "Stauffenberg-Bücher" fort. Auch von Melitta von Stauffenberg gibt es schon eine Biografie von Gerhard Bracke. Nun hat Medicus, so berichtet er in seinem Vorwort, jahrelang neues Quellenmaterial recherchiert, das berechtigt natürlich zu einer neuen Biografie über die gleiche Frau. Ist das aber wirklich die gleiche Frau "derein eigentümliches Leben er erhellen will"? Wer Gerhard Bracke "Melitta Gräfin Stauffenberg, Das Leben einer Fliegerin" gelesen hat, befindet sich bei Medicus im Leben einer anderen Frau. Als Leserin empfinde ich den Schreibstil von Medicus chauvinistisch geprägt. Im Vergleich zu Bracke, der diese aussergewöhnliche Frau würdigt, entwürdigt Medicus sie.
Hat er zu wenig neue Informationen gefunden und kann sich nur so von Bracke's Buch unterscheiden? Denn wirklich Neues findet man nicht. Für Medicus ist Melitta "androgyn", "selbstsüchtig", "total avantgardistisch", "innere Brüche", "äussere Störungen" usw. Dann dichtet er der verheirateten Melitta eine Affäre an, die genauso gut eine Freundschaft sein konnte. Schreibt er das, weil sich das heutzutage besser verkaufen lässt? Einen weiteren Knüller, so glaubt er landen zu können, ist seine Äusserung, dass Melitta von Stauffenberg von den Attentatsplänen ihres Schwagers Claus von Stauffenberg nichts wusste. Eine Behauptung, die Medicus durch nichts anderes beweisen kann, als einen Zeitzeugen der Falschaussage zu bezichtigen. Dabei schreibt er selbst, dass Melitta in der Tristanstrasse in Berlin (Wohnung von Claus und Berthold von Stauffenberg und bekanntlich die zentrale Stelle des Widestands) ein und aus ging. Er verschweigt die bekannten Tatsachen (Tagebuchnotizen von Melitta von Stauffenberg), dass Melitta kurz vor dem Attentat laufend Kontakt hatte zu von Haeften, Adjutant des Attentäters und direkt Beteiligten des 20. Juli. Und dass sie "Telefone..." sogar noch am 19. Juli in ihren Tagebuchnotizen erwähnte. Klingt das nach Nichtwissen? Dass Melitta nichts notiert hat, was sie direkt hätte gefährden können, ist einleuchtend. Hier hat der vom Autor im Prolog versprochene "detektivische Spürsinn" wohl versagt. Zudem ignoriert Medicus spätere Aussagen weiterer vertrauenswürdiger Zeitzeugen, z.B. die der Witwe von Claus von Stauffenberg, die sehr wohl die Mitwisserschaft von Melitta bestätigen. Auch Melittas Ehemann, Alexander von Stauffenberg, so kann man in verschiedenen Quellen nachlesen, wusste Bescheid. In den Anmerkungen im Buch tauchen durchaus solche Hinweise auf, diese bezeichnet Medicus jedoch respektlos als "Legende".
Unsensibel geht er mit der jüdischen Familienvergangenheit von Melitta von Stauffenberg um: "die jüdische Herkunft ihres Vaters ein weiteres Mal unter den Tisch fallen zu lassen". Was hätte sie denn sonst tun sollen, um bei dem im Dritten Reich herrschenden Arierkult am Leben zu bleiben.
Sein ungewöhnlich langes Nachwort enthält Ressentiments gegenüber Adel und erfolgreichen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen. Und erneut beisst er sich an der jüdischen Familienvergangenheit von Personen in der Nachkriegszeit fest. Er beschuldigt die Geschwister, dass sie die Erinnerung an die aussergewöhnliche Melitta überhöht bewahrt haben sollen. Dann wiederholt er noch einmal in übertriebenen Worten seine verachtenden Interpretationen über Melitta von Stauffenberg und kommt zu der Erkenntnis "irgendwann war von Melittas Biographie wie der ihrer Eltern nur noch die nackte Wirklichkeit eines brutalen Zeitalters übrig geblieben, dem sich nicht der geringste Mehrwert an Sinn abgewinnen liess". Mit diesem letzten Halbsatz, von Medicus selbst formuliert, könnte man auch sein Buch im Vergleich zu der von Gerhard Bracke verfassten Biografie beurteilen.