Catalin Dorian Florescu
Broschiertes Buch
Der Feuerturm
Roman 'Ein bewegender und aufrüttelnder Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt.' FAZ
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Ein Jahrhundert in Bukarest
Als er 1892 errichtet wird, ist der Feuerturm von Bukarest das höchste Gebäude der Stadt. 1989, beim Aufstand gegen die kommunistische Diktatur, ist er es längst nicht mehr, aber er war Zeuge eines ereignisreichen Jahrhunderts. Victor, dessen Familie seit Generationen Feuerwehrmänner stellt und beim Turm lebt, ist der erste, der mit dieser Tradition bricht. Aber sein Leben, das von einem tückischen Verrat gebrandmarkt ist, steht doch ganz im Zeichen des Turms.
Als er 1892 errichtet wird, ist der Feuerturm von Bukarest das höchste Gebäude der Stadt. 1989, beim Aufstand gegen die kommunistische Diktatur, ist er es längst nicht mehr, aber er war Zeuge eines ereignisreichen Jahrhunderts. Victor, dessen Familie seit Generationen Feuerwehrmänner stellt und beim Turm lebt, ist der erste, der mit dieser Tradition bricht. Aber sein Leben, das von einem tückischen Verrat gebrandmarkt ist, steht doch ganz im Zeichen des Turms.
Catalin Dorian Florescu,1967 in Timi¿oara, Rumänien, geboren - ein Schweizer mit rumänischer Seele, wie er von sich selbst sagt. Im Sommer 1982 floh er mit seinen Eltern in die Schweiz. Nach einem Studium der Psychologie und Psychopathologie arbeitete er von 1995 bis 2001 als Psychotherapeut in einem Rehazentrum für Drogenabhängige. Sein erster Roman, ¿Wunderzeit¿, erschien 2001. Es folgten die Romane ¿Der kurze Weg nach Hause¿ (2002), ¿Der blinde Masseur¿ (2006) und ¿Zairä (2008). Sein Werk, das in mehrere Sprachen übersetzt ist, wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 2001 mit dem Chamisso-Förderpreis und 2003 mit dem Anna Seghers-Preis. Für den Roman ¿Jacob beschließt zu lieben¿, erhielt er 2011 den Schweizer Buchpreis. Zudem wurde er mit dem Joseph von Eichendorff-Literaturpreis 2012 für sein bisheriges literarisches Werk ausgezeichnet. 2013 wurde er als korrespondierendes Mitglied in die Bayerische Akademie der Schönen Künste gewählt. 2018 wurde ihm der Andreas-Gryphius-Preis für sein Gesamtwerk zugesprochen, außerdem erhielt er vom rumänischen Präsidenten die Kavaliersmedaille für kulturelle Verdienste. Catalin Dorian Florescu lebt als freier Schriftsteller in Zürich.
Produktbeschreibung
- Verlag: DTV
- Originaltitel: Der Feuerturm
- 1. Auflage
- Seitenzahl: 368
- Erscheinungstermin: 15. Mai 2025
- Deutsch
- Abmessung: 190mm x 121mm x 30mm
- Gewicht: 314g
- ISBN-13: 9783423149297
- ISBN-10: 3423149299
- Artikelnr.: 71957837
Herstellerkennzeichnung
dtv Verlagsgesellschaft
Tumblingerstraße 21
80337 München
produktsicherheit@dtv.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Lerke von Saalfeld erklärt, wie gewissenhaft Catalin Dorian Florescu recherchiert hat, um ein möglichst lebendiges Bild von Bukarest um 1900 zu zeichnen. Gelungen ist dem Autor laut Saalfeld das liebevolle Porträt einer Stadt und ihrer Bewohner, vor allem der im Zentrum des Romans stehenden Dynastie von Feuerwehrleuten. An ihr macht der Autor eindringlich die Umbrüche der Zeit deutlich, etwa den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Vielvölkermetropole, erklärt Saalfeld.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Von der Ablösung eines Veteranen
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit
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verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
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Von der Ablösung eines Veteranen
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit
Bukarests Schicksal, erzählt am Beispiel eines Bauwerks: Catalin Dorian Florescus Roman "Der Feuerturm" umspannt fast ein Jahrhundert
Seit vierzig Jahren lebt der in Rumänien geborene Catalin Dorian Florescu in der Schweiz. 1982 durfte er zusammen mit seiner Familie wegen einer Muskelkrankheit ausreisen. Er war damals fünfzehn Jahre alt, der deutschen Sprache nicht mächtig, eigentlich wollte die Familie nach Deutschland, aber durch Zufälle blieb die Familie in Zürich hängen. Inzwischen ist Florescu zum deutschsprachigen Autor mit stattlichen Preisen und Stipendien herangereift, die Schweiz ist seine zweite Heimat; die erste Heimat bleibt aber immer noch Rumänien, wo er seine Kindheit
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verbrachte und wo er alle seine Romane ansiedelt, oft als Jahrhunderte übergreifende Zeitporträts.
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
Catalin Dorian Florescu: "Der Feuerturm". Roman.
Verlag C. H. Beck, München 2022. 361S., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der jüngste stellt einen Feuerturm in den Mittelpunkt, erbaut 1892 am Rande von Bukarest, zur Warnung vor Bränden in der Stadt. Fünf Generationen der Familie Stoica scharen sich als Feuerwehrleute um das 42 Meter hohe Gebäude, damals der höchste Turm von Bukarest. Als die Familie den Turm in Besitz nimmt, reist sie wie in einer großen Prozession quer durch die Stadt. An jeder Kirche wird haltgemacht, um die jeweiligen Heiligen zu ehren und um Hilfe anzuflehen, aber auch Straßenkämpfe und Krawalle versperren den direkten Weg. Florescu gibt den Lesern viel Zeit, Bukarest um 1900 kennenzulernen: eine quirlige Vielvölkermetropole, die von allen Seiten bedroht ist: "Auf dem großen Marktplatz wurde gekämpft. Zeitungen riefen zum Aufstand auf, Pamphlete wetterten gegen den allzu deutschen König, Gerüchte von Verschwörungen und wirkliche Verschwörungen machten die Runde. Es gab Aufrufe zur Absetzung der Regierung und zum Kampf gegen Ungarn - das die Ungarn jenseits der Karpaten knechtete -, Putsche und Verrat. Das Überkochen der Gefühle machten sich jene zunutze, die gerade an die Macht gekommen waren, wie auch jene, die sie verloren hatten."
Der Balkan ist in Aufruhr, eine Gefühlslage, die sich durch das ganze zwanzigste Jahrhundert zieht und bis heute spürbar ist. Es gibt keine Sicherheit, alle politischen Kräfte sind untereinander verstritten: "Weg mit dem König! Zu deutsch, um rumänisch zu fühlen! Hoch lebe der König! Dank ihm beschützt uns der österreichische Kaiser! Weg mit dem Kaiser, weg mit Österreich-Ungarn und Deutschland, her mit Frankreich, her mit Russland! Für den Zaren sind wir ein Pickel mehr auf seinem Hintern. Fürchtet den Zaren! Die Ungarn sind gefährlicher als die Russen, keiner steht uns gegen die bei. Die Liberalen sind Verräter, weil sie nach Deutschland schielen, die Konservativen sind teuflisch, weil sie nach Russland schielen. Alles soll sich verändern, alles soll bleiben, wie es ist."
Die Feuerwehrleute dienen allen Fraktionen, sie fühlen sich unparteiisch, ihr Feuerturm steht wie ein Wächter über der Stadt und beschützt. Er wirkt wie eine Metapher des Widerstands und ist zugleich Zeuge einer niedergehenden Zeit. Schon zwanzig Jahre nach der Errichtung ist seine Funktion bedroht: Brände werden per Telefon gemeldet und nicht mehr von der Plattform aus gesichtet. Die Rituale rings um den Turm nehmen ab, sei es bei Hochzeiten oder Beerdigungen. Man umkreist ihn nicht mehr, der Verkehr ist zu dicht geworden. Und es entsteht über die Jahrzehnte Konkurrenz, höhere Türme werden gebaut, Plattenbauten überragen den alten Veteranen.
Auch die Dynastie der Feuerwehrleute wird brüchig. Nach fünf Generationen bricht die ehrwürdige Tradition ab. Der Ich-Erzähler Viktor Stoica, geboren in den Dreißigern, will als jüngster Enkel nicht mehr Feuerwehrmann werden, er möchte studieren und gerät in andere Feuersbrünste, die des Kommunismus. Mitte der Fünfzigerjahre verrät ihn sein Halbbruder bei der Securitate, und Viktor wird acht Jahre lang im Gefängnis gequält und gefoltert. Er soll aufgewiegelt und für den Ungarn-Aufstand 1956 agitiert haben. Kein Wort davon ist wahr. Aber die Wahrheit zählt nicht, überall werden Volksfeinde gewittert. Die Mitglieder der Stoica-Familie, die der Autor so liebevoll, hinreißend lebendig und kraftvoll dargestellt hat, sterben langsam aus. Ihre Zeit ist vorüber. Der Feuerturm steht wie ein grauer Koloss einsam in der Gegend, ein Gespenst, an das sich kaum einer noch erinnern kann. Er ist zum Museum erstarrt, das keiner besucht.
Der jüngste Enkel erzählt die Geschichte aus dem Rückblick des Jahres 1989. Die Vorgeschichte des Turms reicht bis ins fünfzehnte Jahrhundert, im zwanzigsten erlebt er alle Verwerfungen der Geschichte bis in die bleierne Zeit der Achtzigerjahre unter dem Conducator Ceausescu. Drei Jahre lang hat Florescu in Bukarest für diesen Roman Material gesammelt und recherchiert. In allen Facetten wollte er die Farben und das Leben der Stadt einfangen. Besonders eindrucksvoll ist, wie er den Untergang der jüdischen Gemeinde in der Stadt sichtbar macht.
Und dennoch bahnt sich etwas Neues an, ohne dass sich klar abzeichnete, wohin die Reise geht. Viktor ist entmutigt und hat jedes Vertrauen verloren. Zu oft wurde er gedemütigt, erniedrigt und enttäuscht. Seine Tochter Iana hört jedoch andere Stimmen. Sie spürt einen Aufbruch, eine bevorstehende Wende. Noch ist Ceausescu an der Macht, aber sein Thron wackelt. Viktor ist skeptisch, zu viel Grauenhaftes hat er erlebt, die junge Generation jedoch lässt sich nicht mehr einschüchtern. Der bewegende und aufrüttelnde Roman, der gerade in den Zeiten des Krieges in der Ukraine eindrucksvoll die Mitte Europas für den Westen in den Blick rückt, endet hoffnungserfüllt: "Der Junge nickt mir ermutigend zu und klopft mir auf die Schulter. 'Wenn du jetzt nicht rausgehst, wirst du es für immer bereuen. Mach dir keine Sorgen um uns . . .' Und dann fällt noch ein Satz, bevor sich die Tür in meinem Rücken schließt. Der Turm schützt uns." LERKE VON SAALFELD
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Gebundenes Buch
Dieses Buch hat mich gelockt, gerufen und mir eine tolle Geschichte versprochen. Historisch und gefühlvoll sollte die sein, im Mittelpunkt eine Familie und ein Turm; genauer gesagt ein Feuerturm. Das hörte sich gut an. Ich habe es erhört, das Buch, ich habe mich auf die Story …
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Dieses Buch hat mich gelockt, gerufen und mir eine tolle Geschichte versprochen. Historisch und gefühlvoll sollte die sein, im Mittelpunkt eine Familie und ein Turm; genauer gesagt ein Feuerturm. Das hörte sich gut an. Ich habe es erhört, das Buch, ich habe mich auf die Story eingelassen und darauf verlassen, bestens unterhalten zu werden. Das Buch hat es mir nicht leicht gemacht. Der Anfang schwankte zwischen interessanten Passagen und nichtssagenden Seiten, der Funke aber wollte einfach nicht überspringen. Ich wollte so gerne in die Erzählung eintauchen, mich darin verlieren, aber verloren habe ich bald leider nicht nur den Überblick, um was es überhaupt geht, sondern auch den Durchblick, wo das Ganze wohl hinführt. Ich brach ab, legte es weg, schlief drüber, nahm es wieder in die Hand und beendete es. Man stelle sich an dieser Stelle einen tiefen Seufzer vor.
Der Urgroßvater, der Großvater und der Vater, alle haben sie bei der Feuerwehr gedient. Der Erzähler selbst wohl nicht, aber sicher war ich mir lange nicht. Die Geschichte springt zwischen den Jahren und Personen, sodass ich oft nicht wusste, in welcher Zeit ich bin und um wen oder was es geht. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Autor es selbst nicht wusste, wenn er mittendrin gewechselt hat. Da half es nicht, dass zudem einige Wörter und so manche Sätze nicht übersetzt wurden. Intuitiv konnte ich die meisten erraten, aber hinderlich war es trotzdem. Es gibt zwar ein Glossar am Ende, das aber nicht alphabetisch und unvollständig ist. Ich bin ein Fan von Büchern, die mich fordern, zuletzt waren dies Zum Paradies und das wunderbare Wolkenkuckucksland. Dieses Buch aber hat mich einfach nur überfordert. Auf den letzten hundertfünfzig Seiten gab es endlich einen roten Faden, dem ich folgen konnte, aber da war ich bereits abwesend, wollte nur noch wissen, wie es ausgeht, endlich zum Ende kommen. Das ist schade, denn ich hätte gerne mehr über die Geschichte Rumäniens erfahren, aber diese Erzählung gab mir leider keine Möglichkeit dazu. Dennoch sind es gerade diese letzten hundertfünfzig Seiten, die mich so berühren und aufwühlen, dass meine Bewertung nicht ins bodenlose abrutscht, sondern sich in der Mitte einpendelt.
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Gebundenes Buch
Der Turm schützt uns
Um den neuesten Roman des rumänisch-stämmigen Schriftstellers Catalina Dorian Florescu mit dem Titel «Der Feuerturm» ist es merkwürdig still. Das deutsche Feuilleton hat sich vornehm zurück gehalten, während andere Bücher oft ja …
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Der Turm schützt uns
Um den neuesten Roman des rumänisch-stämmigen Schriftstellers Catalina Dorian Florescu mit dem Titel «Der Feuerturm» ist es merkwürdig still. Das deutsche Feuilleton hat sich vornehm zurück gehalten, während andere Bücher oft ja eilfertig schon unmittelbar nach ihrem Erscheinen besprochen werden. Erzählt wird hier die Geschichte einer rumänischen Familie über fünf Generationen hinweg, in der die Männer traditionell bei der Feuerwehr sind. Es ist auch ein Gesellschafts-Roman, und ein typischer Stadt-Roman obendrein, eine Hommage an Bukarest.
Der Roman wird eingeleitet mit der Legende von Iane, einem Unglücksboten, der aus dem Wald gelaufen kam und die Stadt vor einem nahenden Unheil warnen wollte. Auch der titelgebende Feuerturm hat eine solche Alarmfunktion, er wurde 1892 fertig gestellt und bietet mit 42 Meter Höhe eine weite Aussicht über Bukarest. Der dort oben diensthabende Feuerwehrmann alarmiert im Brandfall seine Kollegen und gibt ihnen Hinweise auf den genauen Ort des Brandes. «Dieser Turm ist eine Metapher für die Widerstandskraft der Menschen» hat der Autor erklärt. Im Roman fungiert er als Leitmotiv, um ihn rankt sich ein dichtes Geflecht von zeitlich vor und zurück springenden Geschichten und Episoden.
Ich-Erzähler ist der 1932 geborenen Victor Stoica, der froh ist, dass sein älterer Bruder Alex, der unumstößlichen Tradition folgend, Feuerwehrmann wird, er selbst hatte wenig Lust dazu. Lieber studiert er Geschichte. Im Laufe der Zeit wechseln sich, begleitet von heftigen Unruhen, die verschiedenen Regime ab. Als die Kommunisten zunehmend angefeindet werden, finden die Freiheitlichen auch auf der Uni Anhänger, zu denen auch Victor gehört. Prompt wird er als Klassenfeind denunziert, - er ahnt, wer dahinter steckt. Man holt ihn zu Verhör, er durchleidet eine unmenschliche Untersuchungshaft. Beim Prozess stellt sich sein stärkster Belastungs-Zeuge als jemand aus seinem unmittelbaren Umfeld heraus. Homo homini lupus! Denunziant und Zeuge stehen beide natürlich ebenfalls unter dem Druck der Securitate. Als er acht Jahre später entlassen wird, gibt er seine düsteren Rachepläne auf, er sucht nur noch ein ruhiges Plätzchen. Das findet sich bei einem jüdischen Schneider, der ihn einstellt, obwohl er gar nicht schneidern kann, er sucht eigentlich nur einen Gesprächspartner. Erst als der alte Schneider sein Ende nahen spürt, bringt er Victor, im Crashkurs sozusagen, das Schneidern bei, Victor soll das kleine Geschäft fortführen. Dort lernt er dann auch seine spätere Frau kennen, mit der er schließlich ein Kind hat und in einen Plattenbau zieht.
Man hilft sich gegenseitig in diesem Unterschichten-Milieu, da werden auch schon mal verhungernde Kinder von der Straße in die Familie aufgenommen. Das geschilderte Elend ist unsäglich und wird über die Zeiten hinweg im Kommunismus vom geradezu absurden Mangel als neuer Drangsal abgelöst. Bei alldem wirkt die Feuerwehr-Dynastie der Stoicas wie ein Fels in der Brandung, mit dem Turm als Symbol. Wobei die Frauen die dominante Rolle einnehmen, immer gestützt auf eine bedingungslos gläubige Religiosität, man läuft oft mehrmals am Tag in die Kirche und spricht für jeden Wunsch direkt den dafür zuständigen Schutzpatron an. Florescu bildet sehr überzeugend das Leiden unter der ständigen Fremdherrschaft Rumäniens ab, schildert detailreich das bunte Leben in den Gassen, das Gewusel auf den Märkten der Stadt. Was dann aber, durch allzu häufige Wiederholungen überstrapaziert, irgendwann langweilig wird. Neben den wilden Zeitsprüngen erschwert auch eine Überfülle von oft schwer einzuordnenden Figuren das Lesen. Die rumänischen Begriffe und Sätze tun ein Übriges, das schmalbrüstige Glossar hilft da meistens nicht. Was die Spannung anbelangt, nimmt der Roman erst im letzten Drittel etwas an Fahrt auf und lässt einen roten Faden erkennen. «Der Turm schützt uns» heißt es ganz am Ende, als Victor nach seiner aufmüpfigen Tochter sucht in den Wirren des Umbruchs von 1989.
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