Produktdetails
  • ISBN-13: 9783895332746
  • ISBN-10: 3895332747
  • Artikelnr.: 25176211
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.04.2000

Deutsches Leiden mit dem liebsten Kind

Das erste Wort hat Vogts. "Sie wird immer des Deutschen liebstes Kind sein", hat er einst über die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gesagt. Kein Bonmot, bloß eine Behauptung, die gerade deshalb Mut macht, weil sie nicht beweisbar ist. Dietrich Schulze-Marmeling und sein Autorenteam eröffnen mit dem Ausspruch des früheren Bundestrainers den "Prolog" ihres Buches "Fußball für Millionen - Die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft". Dem Prolog, einer Ansammlung von Zitaten, folgt ein Vorwort, dem Vorwort folgen eine sorgfältig zusammengetragene Bestandsaufnahme vom "Anpfiff im Kaiserreich" bis zu "Deutschen Tugenden" sowie ein "kleines Lexikon zur Nationalmannschaft" mit Kurzbiografien aller Spieler und ein umfangreicher Statistikteil. Auch die Auswahl der DDR wird berücksichtigt. Genau genommen handelt es sich um die Geschichte mehrerer Nationalmannschaften, in der auch die Länderspiele des Arbeiter-Turn- und Sportbundes (1924 bis 1932) und des Saarländischen Fußball-Bundes (1950 bis 1956) erwähnt werden.

Mit dem Titel "Fußball für Millionen" trifft der Verlag mitten ins Tor - gerade wegen der Doppeldeutigkeit, die sich vor dem Hintergrund immenser Gehaltszuwächse ergibt. So gelungen der Titel ist, so eigenwillig wirkt die Auswahl des "Titelhelden". Jürgen Klinsmann läuft groß in Farbe daher, während die Ehrenspielführer Fritz Walter, Uwe Seeler, Franz Beckenbauer und schließlich Rekordnationalspieler Lothar Matthäus sich mit kleinen Schwarzweißfotos am Rande des Umschlages bescheiden müssen. Vielleicht ein Zugeständnis an den neuzeitlichen Fernsehfußball. Klinsmann hat im Nationaltrikot nicht nur am schönsten gejubelt; er ist der wahrscheinlich telegenste Vertreter unter den herausragenden deutschen Fußballspielern.

Die Entscheidung für Klinsmann weckt auf den ersten Blick die Erwartung, dass bei allem Bemühen um Vollständigkeit Schwerpunkte gesetzt werden, die das Werk weit über eine Chronik hinausheben. Diese Erwartung wird erfüllt. Die Autoren begnügen sich nicht damit, in Buchhaltermanier Tore und Triumphe aufzulisten, sie spüren der Nationalelf als gesellschaftlichem Phänomen nach - auch abseits der ausgetretenen Rasenpfade. Das Buch widmet sich ausführlich der Wechselwirkung zwischen Fußball und Politik. In "Einwürfen" kommentieren die Verfasser die Rivalität zu England, den Niederlanden und Österreich, die sich im Fußball spiegelt. Michael John etwa befasst sich in seinem Beitrag "Rache für Königgrätz" mit dem historisch gewachsenen Konkurrenzverhältnis zwischen Deutschland und Österreich. Die Überschrift verdankt der Autor einem Wiener Bürgermeister, der eine kühne These aufstellte. Das 3:2 der Österreicher über die Deutschen bei der WM 1978 in Argentinien, als "Schmach von Córdoba" in die deutsche Länderspielgeschichte eingegangen, sei die Rache für die Habsburger Niederlage gegen die Preußen in der Schlacht bei Königgrätz 1866. Der ehemalige österreichische Teamchef Herbert Prohaska formulierte es weniger martialisch, aber nicht minder emotional: "Ein Sieg gegen eine deutsche Mannschaft wiegt fünf Niederlagen gegen Deutsche auf."

Neben der Politik haben auch die Vereine und die Medien den Werdegang der Nationalelf beeinflusst. Nicht immer zu deren Vorteil. "Sosehr die Nationalmannschaft von der Leistungskonzentration und Professionalisierung im deutschen Vereinsfußball auch profitierte: Diese Entwicklung bewirkte zugleich einen gewissen Bedeutungsverlust des Auswahlteams. Die einstige Hegemonie der Nationalmannschaft ist längst dahin", konstatiert Schulze-Marmeling, um sogleich Trost zu spenden - nicht zuletzt unter Berufung auf die Einschaltquoten des Fernsehens. "Auch das Leiden an und mit der Nationalmannschaft ist ein Hinweis auf die immer noch existierende Zuneigung."

RICHARD LEIPOLD

Besprochenes Buch: Dietrich Schulze-Marmeling: "Fußball für Millionen. Die Geschichte der deutschen Nationalmannschaft". Verlag Die Werkstatt, Göttingen. 511 Seiten, 49,80 Mark.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Richard Leipold findet, dass hier ein durchaus überzeugender Band zum Thema Nationalmannschaft vorgelegt wurde, der weit über eine bloße Chronik hinaus gehe. Zwar weiß er auch den lexikalischen Teil und die zahlreichen Statistiken zu schätzen, in dem auch die Nationalmannschaft der DDR nicht zu kurz kommt. Jedoch beschreiten die Autoren auch Wege "abseits der ausgetretenen Rasenpfade". So hebt der Rezensent besonders die Passage des Buches hervor, die sich mit den Zusammenhänge von Fußball und Politik beschäftigen. Die Autoren, so Leipold, sehen hier durchaus Parallelen zwischen politischen und sportlichen Rivalitäten, besonders im Verhältnis zu England, den Niederlanden und Österreich. Gefallen findet Leipold auch an den Ausführungen, die sich mit dem Einfluß der Medien auf das Wohl und Wehe der Nationalmannschaft beschäftigen.

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