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Gottfried Sempers bewegtes Leben zwischen Revolution und Reaktion
Gottfried Semper war mehr als ein Stararchitekt des Historismus. Sonja Hildebrand würdigt den visionären Denker, Kunsttheoretiker und Revolutionär in ihrer neuen Biografie. Die Autorin zeichnet anhand vieler Originalquellen seinen widersprüchlichen Charakter nach. Ein Leben auf der europäischen Bühne von Athen bis London: wie antike Bauten Sempers Architekturverständnis prägten und die Revolution von 1848 ihn ins Exil zwangHäusliches Glück, Konkurrenzkampf und geplatzte Träume: Briefe an seine Familie und an Weggefährten wie…mehr

Produktbeschreibung
Gottfried Sempers bewegtes Leben zwischen Revolution und Reaktion

Gottfried Semper war mehr als ein Stararchitekt des Historismus. Sonja Hildebrand würdigt den visionären Denker, Kunsttheoretiker und Revolutionär in ihrer neuen Biografie. Die Autorin zeichnet anhand vieler Originalquellen seinen widersprüchlichen Charakter nach.
Ein Leben auf der europäischen Bühne von Athen bis London: wie antike Bauten Sempers Architekturverständnis prägten und die Revolution von 1848 ihn ins Exil zwangHäusliches Glück, Konkurrenzkampf und geplatzte Träume: Briefe an seine Familie und an Weggefährten wie Richard Wagner bringen uns den privaten Gottfried Semper näherDer Vater der modernen Theaterarchitektur: Details zu Semperoper, Burgtheater und vielen anderen berühmten BauwerkenVon Dresden nach Wien: die konfliktreiche Baugeschichte des Kaiserforums an der Wiener RingstraßeMit zahlreichen Fotos, farbigen Plänen und Skizzen: die DNA seiner bekanntesten Bauten, nie verwirklichte Entwürfe und zerstörte Gebäude
Der Republikaner als Architekt von Königen und Kaisern: eine Karriere mit Höhen und Tiefen

Sempers Karriere war wechselhaft: Das Europa des Vormärz prägte sein Leben bis zum fulminanten Karrierestart in Dresden. Als überzeugter Republikaner kämpfte er 1848/49 auf den Barrikaden. Die prekären Exiljahre waren von der Trennung von seiner Familie und einer daraus resultierenden Ehekrise geprägt. Darauf folgte eine Professur für Architektur in Zürich. Doch selbst erste kleine Erfolge wie die Mitarbeit an der Londoner Weltausstellung konnten den beruflichen Existenzkampf nicht mildern. Erst ab 1870 konnte sich Semper, dessen Gebäude wir heute noch bewundern, als Schöpfer glanzvoller Bauten etablieren.

Mit ihrer Semper-Biographie schenkt uns Sonja Hildebrandt einen tiefen Einblick in die Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts und zeigt, wie sehr für Gottfried Semper Architektur und Politik miteinander verbunden waren!
Autorenporträt
Sonja Hildebrand ist Professorin für neuere Architekturgeschichte an der ¿Università della Svizzera italianä in Mendrisio (Tessin). Zahlreiche Forschungsprojekte und Publikationen zur Theorie und Geschichte der Architektur des 18. bis 21. Jh. ,
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Rezensent Michael Mönninger würde gerne mehr solcher Bücher lesen über "Kunstgötter des 19.Jahrhunderts". Denn hier erhält ein wohlerforschter Architekt und Theoretiker der Architektur persönliche Kontur - und die ist oft schwer zu ertragen, so misantropisch, eitel und selbstmitleidig erscheint der Star, der zunächst Rebel im Vormärz ist, dann als Emigrant über ein Jahrzehnt durch Europa flüchtend schließlich zum wichtigen Architekten aufsteigt. Manche persönliche Widersprüchlichkeit dieses Mannes wird von der Architekturhistorikerin beleuchtet und beschrieben, selten jedoch aufgeklärt, bemängelt der Kritiker, der auch keine Antwort auf die Frage findet, wie Semper ein modernes Baumaterial wie Eisen übersehen, die Bauten der Antike jedoch als "Volkskunst" neu erfinden konnte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.09.2020

LITERATUR
„Papa ist zu schrecklich“
Sonja Hildebrand beschreibt die schwierige Person
und das unruhige Leben des Stararchitekten Gottfried Semper
VON MICHAEL MÖNNINGER
Der Architekturprofessor war ein Radikaler im öffentlichen Dienst. Er kämpfte als Scharfschütze auf den Barrikaden des Mai-Aufstands 1849 in Dresden und floh vor dem Haftbefehl 14 Jahre lang ins politische Exil nach Paris, London und Zürich. Auf der Weltausstellung in London 1851 erlebte er den Urknall der Globalisierung und entwickelte inmitten der Warenflut im Kristallpalast eine neue Ordnung der Dinge, mit der er Wissenschaft, Industrie und Kunst völlig neu sortieren wollte. Er verfasste die weitreichendste Theorie des 19. Jahrhunderts über den Ursprung und Formenwandel von Gewerbe, Technik, Kunst und Architektur. Und zeitlebens schwärmte der entschiedene Republikaner vom einfachen Volk und seinem urtümlichen Handwerk, doch seine Riesenbauten entwarf er am liebsten für Autokraten.
Gegenüber dem umfassend erforschten Werk des Hamburger Architekten Gottfried Semper (1803 bis 1879) stand sein Leben bislang immer im Schatten. Nun verleiht die Schweizer Architekturhistorikerin Sonja Hildebrand dem Architekturhelden und Wegbereiter der frühmodernen Materialkunde und Produktionsästhetik erstmals Gesicht und Stimme. Einen Hinweis auf die schwierige Person gab zuvor schon Werner Oechslin, als er vom „schwierigen, verschlossenen, vergrämten, unverstandenen Semper“ sprach. Das war im Vergleich zu Sonja Hildebrands Biografie noch geprahlt: Sie schildert den Mann bei allem Respekt als übellaunige, misstrauische, beleidigte Krawallschachtel, dessen unbestreitbare Kunstgröße daneben umso rätselhafter erstrahlt.
Semper stammte aus einer Hamburger Kaufmannsfamilie und studierte Mathematik und Geschichte in Göttingen, wo er der örtlichen Polizei schon früh als Randalierer auffiel. Sein Architekturstudium an der Münchener Kunstakademie brach er ab und ging nach Paris, wo er im Atelier des Staatsbauinspektors Franz Christian Gau einen respektierten Lehrer fand. Auf seiner „grand tour“ zu den Grabungen in Italien und Griechenland kletterte Semper furchtlos an der römischen Trajanssäule und dem Theseus-Tempel in Athen herum und geriet angesichts der gefundenen Farbreste in Verzückung: „Du kannst Dir keinen Begriff von der Pracht und dem Reichtum der Alten machen“, schrieb er 1832 nach Hause. In Pompeji gewann er vollends die Überzeugung, dass es eine antike Kunst ohne Farbe nicht gab. Damit stieg er zum Wortführer im damaligen „Polychromie-Streit“ auf, der die klassizistisch idealisierte, zeitlose, weiße Antike aus dem Götterhimmel herunterholte, in historische Kontexte stellte und als Volkskunst interpretierbar machte.
Doch über seine Gemütsverfassung schrieb Semper schon damals, er werde ständig von seinem „Dämon der Unzufriedenheit“ getrieben. Das befähigte ihn immerhin, schon als junger Architekturprofessor in Dresden 1834 über die Stränge zu schlagen. Dazu schildert der Band die schöne Anekdote, dass der Architekt den Standort eines Denkmals für Friedrich August I. vorschlagen sollte, aber stattdessen den Gesamtplan für ein Riesenforum zwischen Zwinger und Elbe vorlegte. Übrig blieben davon immerhin seine ersten Bauaufträge für Hoftheater und Gemäldegalerie. Mit seinem Jugendfreund Richard Wagner, dem sächsischen Hofkapellmeister, stritt er über die revolutionäre Verbesserung der Gesellschaft durch Kunst, wobei Wagner schon damals „Sempers wunderliche und krankhafte Neigung zum absoluten Widerspruch“ auffiel.
Beide Junggenies mussten nach dem Revolutionsversuch 1849 als steckbrieflich gesuchte Aufrührer fliehen. Im Pariser Exil, so die Autorin, verfiel der unterbeschäftigte Semper in Depressionen und wäre fast nach New York ausgewandert, hätte ihn nicht ein überraschendes Arbeitsangebot nach London gelockt. Hier begegnete er den Pionieren der ersten Weltausstellung Henry Cole und Joseph Paxton, in deren Auftrag er die Länderabteilungen für Kanada, Ägypten, die Türkei, Schweden, Norwegen und Dänemark im Kristallpalast einrichtete. Leider lässt die Autorin die Frage unbeantwortet, warum Semper in Paxtons Riesenbau die Zukunftstechnik der Eisenkonstruktion nicht erkannte. Er sah damals nur ein „glasgedecktes Vacuum“, sprach dem Baustoff Eisen jede raumbildende Wirkung ab und wollte ihn nur für Schmuck oder Waffen akzeptieren.
Das ist eine der grundlegenden Ungereimtheiten in Sempers Leben, die die Autorin anhand vieler neuer Quellen beschreibt, aber nicht aufklären kann: dass Semper bei allem Pathos der Anschauung und der Lust an der historischen Tiefenanalyse oft geringschätzig oder gar blind gegenüber seiner nächsten Umgebung blieb. Seine große intellektuelle Spannkraft, empirische Beobachtungen systematisierend zu vereinfachen, schien mit wachsendem Produktionsdruck auf Kosten der sinnlichen Nahwahrnehmung zu gehen.
Als Richard Wagner ihn 1855 nach Zürich auf die neue Architekturprofessur im Polytechnikum vermittelte, fing Semper schon nach wenigen Monaten mit Dauerklagen an: Er mokierte sich über seinen „verhassten Beruf als Lehrer“, den „dummen Luxus“ in Zürich, seine „kalte und ungemütliche Wohnung“ und sogar die Landschaft: „Die Berge sind mir langweilig und wegen trüber Luft nie zu sehen.“
Zudem schmähte er die Schweizer Demokratie als „Vielregiererei, die dem Wichte dasselbe Gewicht beilegt wie dem Meister“ und empfand Mitbestimmung als „Chikane“: „Der schlimmste despotische Fürst und der fanatischste Papst thut mehr für die Kunst als ein Freistaat“. Architekturwettbewerbe nannte er „Firlefanz“ und „Unsinn“ und war erst zufrieden, als er den Direktauftrag für das Zürcher Polytechnikum erhielt. Grausam auch, wie er mit seinem treuen Verleger Eduard Vieweg aus Braunschweig umging. Nach mehr als zehn Jahren Vorschüssen ohne Gegenleistung bat ihn Semper um Entlassung aus dem Vertrag, weil er plötzlich einen anderen Verleger hatte. Diese Illoyalitäten mögen auch erklären, warum von Sempers Hauptwerk „Der Stil“ nur die beiden ersten Bände über das Kunsthandwerk erschienen, aber nicht der dritte über Architektur.
An schlechten Tagen litt auch seine Familie. „Papa ist zu schrecklich,“ klagte seine Frau Bertha. „Er spricht kein Wort mit uns und kommt den ganzen Tag nicht zum Vorschein.“ Derweil schwelgte der Architekt in Selbstmitleid, er werde in Zürich „glanzlos, im Trüben und unbeachtet verlöschen“. Als aber der österreichische Kaiser 1869 Semper für die neuen Hofmuseen nach Wien holte, wollte dieser doch lieber in Zürich bleiben: „Man ist doch niemals glücklich, sondern tritt von einer Sorge in die nächste.“ Semper sah sich als „Wüstenwanderer, der keine Ruhe findet“. Den Gipfel seines Pessimismus erreichte er, als er mit dem Wiener Kontaktarchitekten Hasenauer in Streit über Urheberschaft und Ausführung des Kaiserforums mitsamt Burgtheater geriet. „Ich verfluche den Augenblick, der mich nach Wien führte,“ schrieb er 1875: „Hasenauer ist mein Verderben.“ Obwohl die Bauarbeiten längst liefen und sein Ruhm wuchs, klagte Semper, ihm sei „alles Selbstvertrauen abhanden gekommen“: „Ich sehne mich fort von hier und weiß nur nicht wohin.“
Ob Semper unter dem Widerspruch litt, als ehemaliger Republikaner auf dem Gipfel seines Schaffens neoabsolutistische Monumente zu entwerfen, oder ob das lange Exil und die Trennung von seiner Familie ihn aus dem seelischen Gleichgewicht brachten? Sonja Hildebrand eröffnet viele Deutungen und liefert in ihrer Studie reiches Material für eine personalisierte Kulturgeschichtsschreibung, die man gerne auch über andere Kunstgötter des 19. Jahrhunderts lesen würde.
Sonja Hildebrand: Gottfried Semper. Architekt und Revolutionär. wbg Theiss, Darmstadt 2020. 256 Seiten, 32 Euro.
„Die Berge sind mir langweilig
und wegen trüber Luft
nie zu sehen.“
„Man ist doch niemals glücklich,
sondern tritt von einer
Sorge in die nächste.“
Er war getrieben vom „Dämon der Unzufriedenheit“:
Gottfried Semper, porträtiert von Franz von Lenbach.
Foto: mauritius images / Alamy / Painters
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»Hildebrands umfassendes Bild des Menschen spannt nun einen grossen kulturgeschichtlichen Bogen durch das europäische 19. Jahrhundert und wird lebendig durch die episodischen Momente der Erzählung.« Sabine von Fischer, NZZ