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Alexei Wangenheims Fachgebiet waren die Wolken. Überall in der UdSSR war man auf seine Vorhersagen angewiesen, damit Flugzeuge sicher landeten, Schiffe ihren Weg durchs Polarmeer fanden und die Kolchosen rechtzeitig die Ernte einfahren konnten. Bei der einsetzenden Eroberung des Weltraums erforschten seine Messinstrumente die Stratosphäre, er träumte von der Nutzung von Wind- und Sonnenenergie und glaubte an die Zukunft des Sozialismus - auch noch, als er aus unerfindlichen Gründen als 'Saboteur' verhaftet wurde und sein Leben fortan dem Tod geweiht war. Während der Jahre im Arbeitslager…mehr

Produktbeschreibung
Alexei Wangenheims Fachgebiet waren die Wolken. Überall in der UdSSR war man auf seine Vorhersagen angewiesen, damit Flugzeuge sicher landeten, Schiffe ihren Weg durchs Polarmeer fanden und die Kolchosen rechtzeitig die Ernte einfahren konnten. Bei der einsetzenden Eroberung des Weltraums erforschten seine Messinstrumente die Stratosphäre, er träumte von der Nutzung von Wind- und Sonnenenergie und glaubte an die Zukunft des Sozialismus - auch noch, als er aus unerfindlichen Gründen als 'Saboteur' verhaftet wurde und sein Leben fortan dem Tod geweiht war. Während der Jahre im Arbeitslager schickte er seiner kleinen Tochter Eleonora regelmäßig Briefe mit Bilderrätseln, dazu Zeichnungen von Pflanzen und Tieren. Es war der Fund dieser bewegenden Korrespondenz, der Olivier Rolin dazu gebracht hat, den Spuren von Alexei Wangenheim zu folgen, dem Gründer und ersten Leiter des sowjetischen Wetterdienstes. Denn seine Geschichte ist auch die einer Revolution, während der sich der Traum voneiner gerechteren Welt in einen schrecklichen Albtraum verwandelte.
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Autorenporträt
Olivier Rolin wird 1947 in Boulogne-Billancourt geboren. Die Kindheit verbringt er im Senegal, nach seinem Schulabschluss studiert er in Paris Literatur und Philosophie. 1967 tritt er der 'Kommunistischen Jugend' Frankreichs bei, ein Jahr später wird er Mitglied des maoistisch orientierten 'Neuen Volkswiderstands' und beteiligt sich an militanten Aktionen. Als sich die Bewegung 1973 auflöst, geht er für längere Zeit in den Untergrund. 1978 wird er Lektor und später Herausgeber in einem Pariser Verlagshaus, 1983 erscheint sein erster von bislang elf Romanen. Für 'Port Sudan' wird er 1994 mit dem renommierten Prix Femina ausgezeichnet, für 'Die Papiertiger von Paris' erhält er 2003 den Prix France Culture.
Rezensionen
"Große Literatur, unausweichlich, einzigartig!" -- MAGAZINE LITTÉRAIRE

"Eines der schönsten Bücher in diesem Jahr." -- LE NOUVEL OBSERVATEUR

"Sein sachlich nüchterner Ton macht diesen Roman so ergreifend." -- LE MONDE

"Dieses Buch ist scharfsinnig und zeugt von großem Einfühlungsvermögen." -- LE FIGARO

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.08.2015

Wolken über den Solowezki-Inseln
Olivier Rolin erzählt die Lebensgeschichte des deportierten und ermordeten sowjetischen Meteorologen Alexej Wangenheim
Der 1881 in einem ostukrainischen Dorf geborene Alexej Wangenheim war als erster Direktor des Hydro-Meteorologischen Dienstes der Sowjetunion ein wichtiger Mann im Staate. Bereits im Ersten Weltkrieg hatte Russland sich auf seine Vorhersagen verlassen, woher der Wind weht oder ob es regnen wird, um in Galizien die Giftgaseinsätze gegen die Österreicher besser planen zu können. Von 1927 an setzte dann auch Stalins Machtapparat auf Wangenheims Kenntnisse, zum einen im Wettkampf mit dem USA um die Eroberung der Stratosphäre per Heißluftballon, und zum anderen im Blick auf die Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft.
  Anfang der Dreißigerjahre sagte Wangenheim voraus, dass in Zukunft Sonne und Wind im Zentrum der Energiegewinnung stehen würden. Der Aufbau eines all-sowjetischen Wetterdienstes mit Stationen in jeder noch so abgelegenen Region des Riesenreiches und sein Traum von einer weltweiten Vernetzung meteorologischer Daten fanden international große Beachtung. Wangenheim war aber durchaus kein politischer Mensch, sondern bloß ein leidenschaftlicher Meteorologe.
  Wenn der französische Schriftsteller Olivier Rolin in seinem Roman „Der Meteorologe“ nun erstmals Wangenheims Geschichte und seiner Rolle im kommunistischen Herrschaftssystem nachspürt, arbeitet er auch seine eigene Vergangenheit auf. Bereits in seinem Roman „Die Papiertiger von Paris“ (dt. 2003) hat Rolin, der in den Sechzigerjahren einer militant-maoistischen Untergrundzelle angehörte, aus der realsozialistischen Propaganda und den eigenen Lebenslügen seinen Stoff gewonnen. Rolin widmet einen Großteil seiner literarischen Arbeit nicht nur seiner „ideologischen Idiotie“, sondern auch der Geschichte Russlands, des Vaterlands der sozialistischen Revolution.
  Die Vorbereitung zu seinem neuen Roman „Der Meteorologe“ führte Rolin auf die Solowezki-Inseln im Weißen Meer, 160 Kilometer südlich des Polarkreises. Dort entdeckte er eine Klosterfestung aus dem 15. Jahrhundert, die von 1923 an das erste sowjetische Lager des Gulag beherbergte. In den Aufzeichnungen ehemaliger Insassen des Lagers fand er zahlreiche Briefe und kunstvolle Zeichnungen von Pflanzen und Tieren, die ein gewisser Alexej Wangenheim aus dem Arbeitslager an seine Frau und Tochter geschickt hatte.
  Dem einstigen Chef-Meteorologen Wangenheim war zum Verhängnis geworden, dass er den Kopf etwas zu sehr in den Wolken hatte und sich für das irdische Tagesgeschäft kaum interessierte. Am 8. Januar 1934, auf dem Höhepunkt seiner Karriere im Sowjetsystem, wurde er von Agenten der Staatssicherheit verhaftet. Der Vorwurf: in einer Zeitschrift seines Instituts hatte ein Autor über die neue „norwegische Theorie“ zur Entstehung von Tiefdruckgebieten geschrieben, ohne explizit auf die Verdienste der sowjetischen Wetterforschung einzugehen. Ein eifersüchtiger Kollege hatte Wangenheim zudem beschuldigt, einem Sabotage-Zirkel anzugehören und Wettervorhersagen gefälscht zu haben, um der sowjetischen Landwirtschaft zu schaden.
  Nach einem Tag im Verhörraum gestand der gänzlich unschuldige Wangenheim jeden einzelnen der infamen Vorwürfe und lobte anschließend sogar die Effizienz der Verhörmethoden. Widerstand war zwecklos, das wusste er nur zu gut. Wangenheim war überzeugt, dass es sich bei seiner Verhaftung nur um ein Versehen im System handeln konnte.
  Oder brauchte die Staatspolizei etwa einen Schuldigen für die verheerenden Ernteausfälle, Hungerkatastrophen und das Massensterben in der Ukraine? Für das Ende von Wangenheims Geschichte spielt das keine Rolle: nach seiner Deportation auf die vom Eis eingeschlossenen Solowezki-Inseln und drei Jahren Zwangsarbeit wurde er laut der akribischen Aufzeichnungen der Staatspolizei im Oktober 1937 gemeinsam mit 1100 Mithäftlingen per Genickschuss exekutiert und in einem Massengrab im Wald verscharrt.
  Olivier Rolin nähert sich seinem wenig heldenhaften Protagonisten äußerst behutsam. Ihn selbst habe Wangenheims blindes Vertrauen in die Partei zunächst enttäuscht. Doch dann sei ihm aufgegangen, dass genau in dessen innerem Kampf zwischen blinder Folgsamkeit und der ungläubigen Empörung über die ihm widerfahrene Ungerechtigkeit der literarische Stoff liege. Wangenheims zahlreiche Gesuche an die Sowjet-Führung, seine Lobgesänge auf die Weisheit der Partei blieben unbeantwortet. Auch die Stalin-Mosaike, die er aus Steinsplittern in seiner Freizeit anfertigte, stimmten die Sowjet-Führer nicht um.
  Detailliert schildert der Roman nicht nur die zunehmende nervliche Zerrüttung seines Protagonisten in der Lagerhaft, sondern auch die Mechanismen des stalinistischen Repressionsapparats, denen allein während des Großen Terrors der Jahre 1937/38 mehr als 750 000 Menschen zum Opfer fielen. Dabei tariert Rolin das Distanzverhältnis zu seinem Protagonisten als Individuum und als einem Repräsentanten der Weltgeschichte gekonnt aus und verknüpft die verschiedenen Quellen seines Stoffs zu einem faszinierenden Gesamtbild mit dokumentarischem Kern.
  Neben Wangenheims Briefen an seine Frau und seine Tochter stützt Rolin seine Recherche auf die Erkenntnisse von Lokalhistorikern der Solowezki-Inseln und die Forschungen des Geschichtsvereins „Memorial“, der übrigens im Russland Putins derzeit mehr und mehr unter Druck gerät. Mit Memorial-Mitarbeitern spürt er in einem Wald unweit der Festlandküste das Massengrab auf, in dem Alexej Wangenheim 1937 endete. Der Schilderung des Recherche-Prozesses widmet Rolin ein ganzes Kapitel seines vierteiligen Buches und fügt so dem Roman die Geschichte seiner Entstehung hinzu. Aus einer Fülle von Details, die, gerade weil sie nüchtern-faktisch berichtet werden, ihren Schrecken entfalten, wird deutlich, wie der Traum der Sowjets vom „neuen Menschen“ zum Albtraum wurde.
  Bis zu ihrem Tod erfuhren weder seine Witwe noch seine Tochter Genaues über das Schicksal Wangenheims, der erst 1956 unter Nikita Chruschtschow offiziell rehabilitiert wurde. Erst Olivier Rolins aus der Recherche hervorgegangener Roman macht diese exemplarische Geschichte über den Untergang eines Naturwissenschaftlers in der Verdachts- und Denunziationsmaschinerie der Sowjetunion nun einer größeren Öffentlichkeit auch im Westen bekannt.
CORNELIUS WÜLLENKEMPER
Man warf ihm Sabotage
durch Fälschung von
Wettervorhersagen vor
Aus dem „Geometrischen Herbarium“, das
Alexej Wangenheim im Lager für seine Tochter anlegte: Anleitung
zum Zeichnen einer Spirale. 
Foto: Liebeskind Verlag
  
  
Olivier Rolin:
Der Meteorologe. Roman. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. Verlagsbuchhandlung Liebeskind, München 2015. 240 Seiten, 98 farbige Abb., 19,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Matthias Hennig zeigt sich begeistert von Olivier Rolins Recherchearbeit in Sachen Gulag und dem daraus entstandenen Buch. Wie Rolin anhand der Aufzeichnungen des ukrainischstämmigen Meteorologen und Gulag-Häftlings Alexei Wangenheim die stalinistische Lagerwirtschaft vor den Leseraugen auffächert, öffnet für ihn einen historischen Abgrund. Dass der Autor dabei weniger fiktionalisiert als in seinen anderen Büchern und stattdessen Leerstellen und Ungewissheiten freilegt, gefällt dem Rezensenten. Auf die Art entsteht eine Archäologie des Grauens, gespiegelt in einer Biografie, meint Hennig.

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