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Die Kunstfigur HURE H, über die bereits ein erster Band bei Reprodukt erschien, ist ein Langzeitprojekt der Schriftstellerin Katrin de Vries und der Zeichnerin Anke Feuchtenberger. Die HURE H erlebt nicht das, was sich die Medien oder unser Allerweltswissen unter den Abenteuern einer Hure vorstellen mögen. Aber die HURE H-Geschichten spielen mit all dem, was der kulturelle Komplex "Hure" hinter starren Klischees gewaltsam zu verbergen sucht, und machen die Schönheit und Gefährlichkeit des Verborgenen erfahrbar.

Produktbeschreibung
Die Kunstfigur HURE H, über die bereits ein erster Band bei Reprodukt erschien, ist ein Langzeitprojekt der Schriftstellerin Katrin de Vries und der Zeichnerin Anke Feuchtenberger. Die HURE H erlebt nicht das, was sich die Medien oder unser Allerweltswissen unter den Abenteuern einer Hure vorstellen mögen. Aber die HURE H-Geschichten spielen mit all dem, was der kulturelle Komplex "Hure" hinter starren Klischees gewaltsam zu verbergen sucht, und machen die Schönheit und Gefährlichkeit des Verborgenen erfahrbar.
Autorenporträt
Katrin de Vries, geboren 1959 in Dollart, arbeitet als Schriftstellerin in ihrer Geburtsstadt. Veröffentlicht neben Prosa auch Theaterstücke und Comics.

Anke Feuchtenberger, geboren 1963 in Berlin (DDR). Seit 1997 als Professorin an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, lebt sie mit ihrem Sohn Leo und dem Zeichner Stefano Ricci an der Elbe. 2008 erhielt Anke Feuchtenberger den Max und Moritz-Preis in der Kategorie bester deutschsprachiger Comic-Künstler.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.01.2004

Hochzeit in Schwarz und Weiß
Katrin de Vries und Anke Feuchtenbergers Bildergeschichte „Die Hure H. zieht ihre Bahnen”
Dieses Buch ist unvergleichlich. Das könnte es ihm schwer machen: Denn da es sich an nichts ein Beispiel nimmt und in keine Reihe tritt, muss der Betrachter und Leser sich den Weg in sein Inneres allein und ohne Hilfe bahnen. Schon wie diese beiden Dinge, Betrachten und Lesen, sich zueinander verhalten und wie man lesend sehen, sehend lesen soll, muss jeder für sich herausfinden. Literatur und Bild schließen sich in diesem Gemeinschaftswerk der Schriftstellerin Katrin de Vries und der Zeichnerin Anke Feuchtenberger zu etwas Neuem zusammen: einem veränderten Begriff dessen, was es heißt, zu „erzählen”.
„Die Hure H will heiraten” heißt die erste dieser Geschichten. Es ist, ebenso wie die folgenden zwei, die Geschichte einer Reise. Und auch der Leser tut gut daran, sich darauf im Geist der Reise einzulassen; Reisen bedeutet, wenn es glückt, das rechte Maß aus Vorankommen und Verweilen gefunden zu haben. Vier große quadratische Bilder („Panels” mag man sie nicht mehr nennen) weist jede Doppelseite auf, in ruhigem Wechsel. Die Tusche als das klassische Elixier des Comic-Künstlers ist abgelöst durch die Kohle: schwarz auch sie; aber sie lässt die Linie ins Räumliche schmieren und verleiht der Fläche die Qualität des Bebenden; sie erschließt dem bloßen Schwarz und Weiß eine Dimension dazu. So geht an einer Schattenwand eine lange schwarze Frau, ihr Gesicht ist schwarz und doch deutlich in seiner Knochigkeit, mit Ausnahme ihrer Nase, die nochmals wie ein Abgrund der Finsternis hineingeschnitten ist. Auf sie trifft die Hure H und tritt ihr ängstlich, um Haar, Brust und Hüfte mit Linnen gewickelt und ihr Hochzeitskleid unter dem Arm, als die kleine Weiße entgegen. Wie sie entworfen ist und namentlich ihr Mund mit seiner sozusagen rosigen Schwärze: es zeigt, dass zuweilen, ohne sich dabei untreu zu werden, auch die Zeichnung von der Malerei lernen kann (statt immer nur umgekehrt).
Und dann wieder macht die Zeichnerin vom Vorrecht des Comics auf Vereinfachung in fast karikaturistischer Weise Gebrauch, doch ohne Lächerlichkeit, als die Alte sich an ihre eigene Hochzeit erinnert: Als Schattenriss steht sie da, den Kopf gesenkt, jedoch den schleppenden Rock zierlich angehoben, und spricht: „Schwarz war die Farbe. Es war würdevoll. Ich war die Braut. Ich war würdevoll. Ich.”
Wie man eine Alte abwickelt
An solchen Stellen ahnt man, wie der literarische Anteil dieser Koproduktion, weit davon entfernt, nur ein Drehbuch zu sein, der Bildfantasie den Pfad gewiesen hat; wie der Text zeugt und das Bild empfängt. Und so setzt sich die Narration fort, wenn nun die Alte die Hure H ins Hochzeitskleid gewandet: wie sie, tief doppeldeutig, in ihrer Finsternis zwischen Dienerin, Mutter und Hexe changiert, und das Kleid, das sie handhabt, zwischen steifem Segel, nervös knitterndem Schleier, Ballon und fliegenpilzhaft genoppter Glocke sich entfaltet.
Ballon und Glocke miteinander erweisen sich schließlich als das Schicksal der Trägerin: Die Alte lässt sie an dem abgewickelten Linnenband wie an einer Nabel-, Glocken- oder Drachenschnur aufsteigen zum „Turmgebäude”; dort erblickt man, größte visuelle Überraschung der ganzen Sequenz, einen ganzen Glockenstuhl von Röcken, in denen Frauenbeine läuten.
Die Erzählung, machtvoll, aber nur ihrer eigenen bildhaften Logik verpflichtet, gibt den starken Wunsch nach symbolischer Deutung ein; ihm sollte man, wie bei einer Kafkaschen Parabel, widerstehen. Nur dann hat man eine Chance, der traumhaften Entsprechung von Welt und Körper, die hier waltet, nahe zu kommen. In „Die Hure H ist frei” geht die Heldin, diesmal im sachlichen Damenmantel, die Haare zu einer Art Kerzenflamme frisiert, ein Eisenbahngleis entlang; rätselhafte Signalmasten mit Querbalken und tiefgeschlungenen Drähten folgen der Strecke. Plötzlich liegt sie quer über den Gleisen, die Hüftpartie auf der Schiene prekär hochgestemmt, das Handtäschlein im rührenden Kontrast zur wildwesthaften Leere der Ebene: der klassische Cliffhanger, wo jetzt der Expresszug herandonnern muss und man routiniert um die Rettung in letzter Sekunde bangt. Doch es geschieht etwas ganz Anderes. Die Hure H sinniert über die Schwere ihrer Knochen, namentlich ihres Beckens, und im selben Augenblick beginnen die Masten ihre Balken zu schwingen: Hieroglyphen des Skeletts sind es die ganze Zeit gewesen, bis zum Horizont, die sich erst jetzt zu erkennen geben.
Die düsterste Geschichte steht zweifellos in der Mitte. Sie beginnt „Die Hure H wird älter. Und immer. Und immer. Und immer will die Hure H den Mann.” Jedoch die Männer sind ausgestorben; und so muss auch die Heldin ins ausgestorbene Land, gekleidet wie ein Imker oder Tropenforscher. Dort steigt sie einen Vulkan empor, in dessen dunkle Aschenhalde weiß die Schädel und Brustkörbe der toten Männer eingebettet sind – eine Art Phasenumkehr der Kreideklippen auf Rügen mit ihren Bändern aus Feuersteinknollen, in Vorpommern, wo die Zeichnerin aufgewachsen ist.
„Schwarzer Gestank weht in Schwaden über das Land”, die Knochen wimmeln von Fliegen und Maden; und es schmerzt fast, die beherzt durchgestreckten Arme und zugreifenden Hände der Heldin zu sehen, wie sie diese Fäulnis packen, dass es stiebt. Endlich erreicht sie den Krater und die Höhle darunter, wo sich aus den Schätzen des Berges, geleitet von der „Gebieterin”, die die Gestalt eines schweren alchimistischen Geräts besitzt, behutsam eine milchige Flüssigkeit destilliert; schalenweise wird sie in katakombenhaften Nischen aufbewahrt. Heißt es zu argwöhnisch sein, und tut man den beiden Autorinnen unrecht, wenn man hier einen höhnischen Witz über die Männer vermutet, bei denen alle Leiblichkeit zuletzt bloß auf den Tropfen Samen hinausläuft? Hoffentlich nicht; denn er wäre, auf Kosten der Kadaver gemacht, allzu schauerlich.
Warum übrigens „Hure H”, die doch offenbar so gar nichts Hurenhaftes an sich hat? Weil, wie Anke Feuchtenberger im Interview gesagt hat, der Begriff der Hure so weit und frei ist wie der des Kindes, das vor allem dies, Kind, ist, noch kein Individualcharakter; er greift seinem Bild nicht vor. Das Konzept hat sich als überaus fruchtbar erwiesen: Es ist bereits das dritte Buch, das Katrin de Vries und Anke Feuchtenberger miteinander gemacht haben.
BURKHARD MÜLLER
KATHRIN DE VRIES / ANKE FEUCHTENBERGER: Die Hure H zieht ihre Bahnen. edition moderne, Zürich 2003. 80 Seiten, 19,80 Euro.
Hörst Du nicht die Glocken, in denen Frauenbeine läuten? Siehst Du nicht die Knochen?
Abb.: Aus dem bespr. Band
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Comics sind es eigentlich nicht, sinniert Ina Hartwig, was die Autorin Katrin de Vries und die Illustratorin Anke Feuchtenberger gemeinsam schaffen, eher handele es sich um gezeichnete Theoreme, in eine "geradezu traumlogische Form gegossen". Zum zweitenmal treten die de Vries und Feuchtenberger an, ihre traurige Geschichte der Hure H zu erzählen, in Text-Bild-Strecken, die immerhin ähnlich wie Comics funktionieren - nur auf höherer, philosophischer Ebene, die auch den Ansprüchen einer postmodernen Psychoanalyse standzuhalten vermag, wie Hartwig andeutet. Wo kein Begehren ist, kann auch nichts erobert werden, heißt ihre Schlussfolgerung; Huren seien einsam. Die Hure H wird infolgedessen auch nicht bei der Ausübung ihrer Arbeit geschildert, sondern auf ihren vergeblichen Eroberungszügen in Sachen Liebe, Heirat, Unabhängigkeit. Genießen könne diese seltsame Melange vermutlich nur, wer auch einen theoretischen Zugang zu dieser Thematik habe, vermutet Hartwig; gerade das mache aber die Arbeit wiederum so originell, zumal sich mit de Vries und Feuchtenberger ein Team zusammengefunden hätte, das sich in Wort und Strich wunderbar ergänze.

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