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Im Inneren der Bauverwaltung - Schmidt, Michaela
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Wer macht eigentlich unsere Siedlungslandschaft? Diese Frage wird von Städtebauer_innen sowie Planer_innen meist beantwortet, indem sie sich selbst ins Zentrum stellen. Jedoch zeigen nicht nur umstrittene Großprojekte wie die Hamburger Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen, dass hierbei auch die Bauverwaltung eine in ihrer Wirkmacht oft unterschätzte Rolle spielt - sie ist es, die im Modus des Erteilens von Baugenehmigungen aktiv in das Leben und in die gebaute Umwelt eingreift.Abseits allfälliger Klischees wendet sich Michaela Schmidts Studie Bauprojekten in Schweizer Gemeinden und…mehr

Produktbeschreibung
Wer macht eigentlich unsere Siedlungslandschaft? Diese Frage wird von Städtebauer_innen sowie Planer_innen meist beantwortet, indem sie sich selbst ins Zentrum stellen. Jedoch zeigen nicht nur umstrittene Großprojekte wie die Hamburger Elbphilharmonie oder der Berliner Flughafen, dass hierbei auch die Bauverwaltung eine in ihrer Wirkmacht oft unterschätzte Rolle spielt - sie ist es, die im Modus des Erteilens von Baugenehmigungen aktiv in das Leben und in die gebaute Umwelt eingreift.Abseits allfälliger Klischees wendet sich Michaela Schmidts Studie Bauprojekten in Schweizer Gemeinden und Kleinstädten zu, um dem Einfluss von Verwaltungen im Alltäglichen auf den Grund zu gehen und die realen Zusammenhänge und Wirkungen von städtebaulichen, politischen und administrativen Prozessen sichtbar zu machen.
Autorenporträt
Schmidt, MichaelaMichaela Schmidt (Dr. sc. ETH), geb. 1983, ist seit 2010 Nachwuchswissenschaftlerin am ETH Wohnforum - ETH CASE der ETH Zürich, Departement Architektur. Die Architektursoziologin forscht an der Schnittstelle zwischen gebauter Umwelt und Gesellschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2017

Zu welchem Stamm gehören Petenten?
Michaela Schmidt erprobt ethnographische Methoden in Bauämtern

Aus der Vielzahl der Administrationen in unseren Breiten suche man sich ein spezielles Soziotop heraus. Es muss ein Bereich sein, innerhalb dessen es Wichtiges zu entscheiden gibt und jeder davon betroffen sein kann. Ein Hauch von Intransparenz soll über allem liegen, und es muss um viel Geld und divergierende Interessen gehen. Im Falle von Michaela Schmidt sind es die Bauverwaltungen dreier Kleinstädte in der deutschsprachigen Schweiz - "Blackboxes" in den Worten der Verfasserin, die dringend wissenschaftlicher Erhellung bedürfen.

Nun mag der normalen Klientel aus Architekten und Bauherren solcher Ämter deren Inneres zwar in ihren personal-fachlichen Funktionen und Räumlichkeiten bestens bekannt sein. Das gehört zum Alltagswissen der "Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller", wie Schmidt sie im korrekten Genderdütsch benennt. Auch gehört zum Selbstbild der Rathäuser, keine Behörde, sondern bürgernaher Dienstleister sein zu wollen. Mitarbeiter bekommen Fallzahlen vorgegeben, intensive Fortbildung soll die Rechtsmittelanfälligkeiten der Bauabteilungen in Grenzen halten. Trainiert wird der Umgang mit den "Kunden": Korrektheit, Freundlichkeit, kein Von-oben-herab, aber alles Sachfremde muss tabu bleiben.

Anders die sozialwissenschaftliche Sicht. Nach einer umfänglichen Analyse des aktuellen Forschungsstandes kommt die Autorin zu dem Schluss, dass die Forschungsinstrumente etwa von Verwaltungswissenschaften und Organisationssoziologie zu kurz greifen. Sie schlägt deshalb die Ethnographie mit ihrer Methode der Trans-sequentiellen Analyse als wesentlich zielführender vor. Nehmen wir ihr Fallbeispiel Visp im Oberwallis, ein Ort mit 7191 Einwohnern (2012). Drei hauptamtliche Fachleute bescheiden dort Baugesuche, bearbeiten Zonen- und Bebauungspläne. Eine große Zahl von öffentlichen und privaten Belangen in komplexen Abwägungen sind dabei zu berücksichtigen und zu gewichten.

An dieser Stelle entstehen schon Zweifel, wie aus der "Feldarbeit" in drei Kleinstädten ungefähr gleicher Ausstattung wie Visp die mangelhafte Reichweite kommunalwissenschaftlicher Methodik konstatiert werden kann. Dazu noch der Spagat zur Ethnographie, wobei Schmidt als moderne Variante ethnographischen Denkens die Trans-sequentielle Analyse nutzt, um Eigenlogik und Wirkmacht kommunaler Bauämter kritisch zu beleuchten. Was bedeutet nun diese Analyse in der praktischen Anwendung? Man nähert sich der Verwaltung so, wie man einen bisher unbekannten indigenen Stamm aufsucht und analysiert. Es wird das Environment der Arbeitsplätze im Detail beschrieben und das faktische Handeln. "Shadowing" heißt das Vorgehen des Beobachtenden, möglichst ohne Rückwirkung auf das Handeln der Baufachleute unsichtbar zu protokollieren. Sitzungen werden mit Videokamera festgehalten. Man begleitet ohne eigenes Eingreifen zu Vor-Ort-Begehungen, gerade so, wie man aus beobachteten Stammesritualen die soziale und mentale Ordnung (Eigenlogik) der Gemeinschaft ableitet oder erfährt, welche Wirkungsmacht eigenes tribales Verhalten auf das der Nachbarvölker (hier die Petenten mit Baugesuchen) ausstrahlt.

Man fragt sich nur, welchen praktisch verwertbaren Erkenntnisgewinn Michaela Schmidt durch die Umdeutung von drei kommunalen Kleinstbauämtern in Begrifflichkeiten tribalen Symbolhandelns erzielen will. Ein Beispiel: Die Autorin begreift das Wechselspiel der Bediensteten mit offenen und geschlossenen Türen, auch das der Öffnungszeiten und der internen Nutzung einer der Klientel verwehrten Hintertreppe als unbewusstes Machtspiel. Der Hinweis, es handele sich um ein Fluchttreppenhaus im Brandfalle, genügt nicht, ebenfalls nicht, dass wichtige Archivräume geschlossen sein müssen - schon aus Klientenschutz. Im ethnographischen Methodenkosmos verfängt auch nicht das Argument, dass die Bediensteten ein bestimmtes Quantum ihrer Zeit darauf verwenden müssen, um ungestört Ergebnisse zu produzieren.

Am Ende keltert Schmidt ihre Erkenntnisse in zwölf Thesen, welche sie dem in der Schweiz heftig diskutierten Konflikt zwischen "Agglo-Schweiz und Alpenglühn" zur Lösung andient. Ihre Thesen entziehen sich als praktische Handreichung für die "Macher" durch ihre Allgemeinheit. Die These Nummer fünf lautet etwa: "Es gilt, der Fülle von Bauprojekten und deren Qualifizierung gerecht zu werden. Auf diese Weise wird die Qualifizierung der Fragmentierung gefördert, da nicht die Qualifizierung der Siedlungslandschaft als Ganzes im Fokus steht, sondern deren vielfältige Teilstücke." Ein analytisches Urteil a posteriori, die Aussage steckt schon im Vorgedachten.

Man muss dem Buch die profunde Auseinandersetzung mit der Literatur ihres Faches zugutehalten und die gründliche Feldarbeit. Der Mut, einen originellen methodischen Ansatz zu testen, ist aller Ehren wert. Auf dem Flug ins Unbekannte hätte sie ihren Treibstoffmangel allerdings früher erkennen müssen.

HANS-ERHARD HAVERKAMPF.

Michaela Schmidt: "Im Inneren der Bauverwaltung". Eigenlogik und Wirkmacht administrativer Praktiken bei Bauprojekten.

Transcript Verlag, Bielefeld 2016. 338 S., Abb., br., 39,99 [Euro].

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»Michaela Schmidt [gelingt es], einen äußerst wertvollen Beitrag zur Klärung dessen zu leisten, was innerhalb kommunaler Administrationen und spezifisch auf Bauverwaltungen vor sich geht, welche administrativen Ressourcen vorhanden sind und wie diese im Rahmen der kommunalen Autonomie genutzt werden (könnten). Dabei macht Schmidt auch aufgrund ihrer sprachlichen Kreativität [...] kommunale Verwaltungspraktiken intuitiver erlebbar.« Lineo U. Devecchi, Geographica Helvetica, 72 (2017) O-Ton: »Sie hieß mal Baupolizei« - Michaela Schmidt im Interview bei Stadtaspekte am 30.11.16. Besprochen in: AKP, 1 (2017) Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.02.2017, Hans-Erhard Haverkampf IRB Fraunhofer, 2 (2017)