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Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen – eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert.
Als die Nachricht endlich kommt, macht sich die alte Cree-Indianerin Niska auf den Weg – aus der Stille der Wälder in die beängstigend laute Stadt. Am Bahnhof wartet sie tagelang, dann steigt ein junger Mann mit einem alten Gesicht aus dem Zug: ihr Neffe Xavier. Vor Monaten zog er mit seinem
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Produktbeschreibung
Zwei junge Cree-Indianer verlassen ihre Heimat in Nordkanada und ziehen aus Abenteuerlust in den Ersten Weltkrieg. In den Schützengräben Flanderns erleben sie den Zusammenprall zwischen der Kultur ihrer Ahnen und der zerstörerischen Welt der Weißen – eine Erfahrung, die beide Männer für immer verändert.

Als die Nachricht endlich kommt, macht sich die alte Cree-Indianerin Niska auf den Weg – aus der Stille der Wälder in die beängstigend laute Stadt. Am Bahnhof wartet sie tagelang, dann steigt ein junger Mann mit einem alten Gesicht aus dem Zug: ihr Neffe Xavier. Vor Monaten zog er mit seinem Freund Elijah in den Ersten Weltkrieg. Nun kehrt er als Krüppel zurück. Doch bei allem Glück, ihn wiederzuhaben, spürt Niska, dass Xavier nicht wirklich dem Tod entronnen ist. Mit dem Kanu machen sie sich auf den Weg zurück in die Wälder. Und während Xavier im gleichmäßigen Rhythmus der Paddel von den quälenden Bildern des Krieges nicht loskommt, erzählt Niska, um ihn ins Leben zurückzuholen. Sie erzählt von ihrem Vater, dem Schamanen ihres Stammes, und von seinem düsteren Vermächtnis. Sie malt für ihn die Bilder ihrer Kindheit und lässt die uralten Traditionen der Cree lebendig werden. Ihre Worte prallen in Xaviers Kopf auf das Grauen der Schlachtfelder, das ihn mit namenloser Angst erfüllt. Er sieht wieder seinen Freund Elijah, mit dem er durchs Niemandsland zwischen den Fronten schleicht, hört das Donnern der Kanonen, riecht noch einmal den Geruch des Todes. Xaviers letzte Reise flussaufwärts in das Gebiet seiner Ahnen dauert drei Tage. Es ist ein langer Abschied – von Vergangenheit und Zukunft.

Autorenporträt
Joseph Boyden, 1967 in Kanada geboren, hat indianische Vorfahren. Zu seinem Roman wurde er durch die historische Figur des indianischen Kundschafters Francis Pegahmagabow angeregt. "Der lange Weg", nominiert für den angesehenen Governor General's Award for Fiction 2005, stand in seiner Heimat wochenlang auf den Bestsellerlisten. Die Übersetzungsrechte wurden in über zehn Länder verkauft. Joseph Boyden lebt in New Orleans.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Arnd Rühle kann wunderbar nacherzählen. Den Plot dieses Debütromans von Joseph Boyden könnte der Autor selbst sicher nicht besser wiedergeben. Was die Geschichte um die Entfremdung eines Indianers von seiner Kultur im Krieg der Weißen und seine anschließende Heilung durch die Tradition leistet, vermittelt die Besprechung auch: Den Indianern Respekt zollend, lässt uns Rühle wissen, mache sie dem Leser ihr Schicksal präsent "wie in einem Film". Beim Rezensenten löst das Trauer aus über eine verlorene Kultur.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.07.2006

Skalpjäger im Schützengraben
Joseph Boyden schickt Indianer in den Ersten Weltkrieg

Ich weiß noch, murmelt die alte Indianerin, was mein Vater tat, als ich Angst hatte. Wie er mich heilte, wenn ich verletzt war. Er erzählte Geschichten über die Familie und die Traditionen des Stammes, die morgen so sein werden, wie sie gestern waren. Die unverbrüchliche Verbundenheit mit Wald, Tier und Stein konnte das Kind in den Worten des Vaters spüren. Es lernte, daß heilige Versöhnung geschieht mit Elch und Bär, wenn die Brüder des Menschen gejagt und getötet werden.

Wie der Vater mit der Tochter, so hält es die weise Frau nun auch mit dem Neffen. Der ist, zu Tode verletzt, beladen mit Schuld und Angst, heimgekehrt aus einer fremden Welt, von einer gnadenlosen Jagd auf Menschen in einem Krieg, den Weiße unversöhnlich gegen Weiße führten. Der Krieg auf dem Schlachtfeld ist vorbei, doch er tobt weiter im Kopf. Niska, die Tante, hatte den letzten Sproß ihrer Familie in den Wäldern des Nordens großgezogen, ihm das Wissen von tausend Jahren weitergegeben, ihn gelehrt, Spuren zu lesen, den Sonnentanz des Waldhuhns als Gleichnis zu verstehen. Jetzt muß sie erzählend um sein Leben kämpfen, mit den quälenden Erinnerungen des Schreckens und der Finsternis ringen, die in dem jungen Mann wie ein verheerendes Feuer wüten. Keine einfache Aufgabe, denn das, woran Xavier leidet, ist eine zerstörerische Kraft aus einer anderen Welt, zu der sie keinen Zugang findet.

Der Erste Weltkrieg hat den Körper des Cree-Indianers zum Wrack gemacht: beinamputiert, hörgeschädigt, morphiumsüchtig, die Seele schwerverletzt. Aus Abenteuerlust hatten er und sein Jugendfreund Elijah sich der kanadischen Armee angeschlossen. Ein leichtfertiges Unterfangen, denn sie dienten somit freiwillig einem Land, in dem die Ureinwohner nichts zu lachen haben. Die beiden wollen den arroganten Weißen zeigen, wer die besseren Krieger sind. Auf den Schlachtfeldern in Frankreich und Flandern machen sie sich als Scharfschützen und Kundschafter unentbehrlich. Doch werden sich die Freunde im alltäglichen Grauen fremd. Morphium, die Medizin der Weißen, treibt Elijah in den Wahnsinn. Er wird zum fanatischen Menschenjäger, zum Geistermann, der lautlos durch die Gräben schleicht, den Feinden die Kehle durchschneidet und sie skalpiert. Nicht anders, als einem Hecht die Haut abzuziehen. Indianisches Jägergeschick - das sollen die Weißen anerkennen. Elijah wird von den Deutschen gefürchtet, den Waffenbrüdern wird er unheimlich. Er will der Beste im Felde sein. Doch der Beste in den Schützengräben von St. Eloi, Ypern oder Lens muß sich von seiner Herkunft lossagen; wer die Sprechweise der anderen annimmt, sich zum redseligen Kompaniekasper macht, der versteht die Manitous nicht mehr, die einem das Rechte raten. Als Bester wird man in der Welt der Weißen jedoch respektiert, dekoriert, befördert. Seine Trophäen sammelt Elijah wie Felle, der Tornister ist voll davon. Töten macht Spaß, sagt er. Es liegt mir im Blut. Xavier dagegen verweigert sich der fremden Sprache. Er fühlt sich schuldig nach jedem trefflichen Schuß. Er will weg von Schlamm und Trümmerhaufen, von den Bombentrichtern voller stinkender Leichen, weg vom süßlichen Blutgeruch, der über der verwüsteten Landschaft wabert, wenn einem Soldaten das Geschoß in den Rumpf gefahren ist, der sich dann augenblicklich auflöst in einen Schauer aus roten Klumpen. Xavier verzweifelt am Irrsinn des Tötens. Es ist ihm zumute, als wäre nicht er es, der durch den Frontgraben schleicht, als wäre er ein anderer, "der so tut, als wäre er ich". In den letzten Kriegstagen wird er seinem wahnsinnigen, zur Bedrohung gewordenen Stammesbruder in einer Verzweiflungstat das Leben nehmen, dem Cree-Glauben gehorchend, der solches Tun als Notwehr gebietet. Im Lazarett hält man ihn für den anderen, den berühmten Helden. Wo ist er, wer ist er? Xavier weiß es nicht.

So kehrt ein elender Mensch zurück aus einem brutal technisierten Europa in die kanadischen Wälder, wo der Mensch mit dem Kreistanz der Schöpfung im Einklang lebt. Nur Niska vermag den Hilflosen zu retten. In der Natur, von den Weißen Wildnis genannt, lebt sie nach alter Väter Sitte wie nur noch wenige andere. Auf einer Dreitagereise flußaufwärts mit dem Kanu führt sie den Neffen nach Hause; von der Bahnstation, wo der Kriegsheimkehrer aus dem Zug geschüttet wird wie ein Eimer schmutzigen Wassers, in die freundliche Welt der Ahnen. Die Tante nährt ihren Verwandten mit der Stammessprache wie mit Elchfleisch. Und sie heilt die Seele mit Erfahrungen aus dem Reich der Steine, der Pflanzen und der Tiere, die dem Menschen geistwesenhaft zugetan sind. Joseph Boyden, ein junger Kanadier mit indianischen Wurzeln, gibt mit seinem Debütroman den Indianern die Ehre, die ihnen gebührt. Die Geschichte einer schmerzhaften Heilung von den Schrecken des Todes und der Finsternis mit der Medizin des Erzählens greift unwiderstehlich nach dem Leser. Der Autor läßt das Vergangene von den Protagonisten im Präsens berichten; ihre Schicksale sind auf diese Weise gegenwärtig wie in einem Film. So wird der Leser auch einer Trauer um die verlorenen Traditionen der heute im Reservat lebenden Menschen teilhaftig, denen eine fremde Sprache aufgezwungen und die naturreligiöse Kultur ausgetrieben wurde.

ARND RÜHLE

Joseph Boyden: "Der lange Weg". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bettina Münch und Kathrin Razum. Albrecht Knaus Verlag, München 2006. 446 S., geb., 19,95 [Euro].

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