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Jurek Becker hat sich im Laufe seines Schriftstellerlebens vielen Genres gewidmet. Er schrieb Texte fürs Kabarett, verfasste Drehbücher, wurde mit seinem ersten Roman weltberühmt, veröffentlichte Erzählungen und Essays. In seinem Nachlass fanden sich für die meisten seiner Werke Entwürfe, die er in Schulhefte geschrieben hatte - zumindest für die Texte, die nach der Übersiedlung aus der DDR nach Westberlin entstanden waren.
Selbst Briefe und Postkarten schrieb Becker im Konzept, wurden häufig korrigiert, wonach die Postkarte sich bei der Abschrift ein weiteres Mal zum Original
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Produktbeschreibung
Jurek Becker hat sich im Laufe seines Schriftstellerlebens vielen Genres gewidmet. Er schrieb Texte fürs Kabarett, verfasste Drehbücher, wurde mit seinem ersten Roman weltberühmt, veröffentlichte Erzählungen und Essays. In seinem Nachlass fanden sich für die meisten seiner Werke Entwürfe, die er in Schulhefte geschrieben hatte - zumindest für die Texte, die nach der Übersiedlung aus der DDR nach Westberlin entstanden waren.

Selbst Briefe und Postkarten schrieb Becker im Konzept, wurden häufig korrigiert, wonach die Postkarte sich bei der Abschrift ein weiteres Mal zum Original wandelte.

An der gesteigerten Zahl der Postkarten, die Jurek in erster Linie in seinen letzten Lebensjahren schrieb, lässt sich ablesen, dass es ihm nicht darum ging, dem Freund, der Freundin, dem Familienmitglied eine Freude zu bereiten. Um Mitteilungen des Autors über sich selbst ging es dabei nur nachrangig. In allererster Linie lag Jurek Becker daran, den Leser für Minuten zu unterhalten. Zunehmend wurde die Postkarte eine Textform, in der sich auszudrücken dem Autor Freude bereitete. War es doch eine Form, die ihm einerseits Sprachspielerei und Albernheiten erlaubte - und ihm andererseits die Möglichkeit gab, Zuwendung zu zeigen, ohne allzu viel von sich selbst preisgeben zu müssen.

In chronologische Reihenfolge und in Zusammenhang gebracht erzählen Jurek Beckers Postkarten letztendlich, ob gewollt oder nicht, viel über seine Persönlichkeit und sein Leben, geben Auskunft über Vorlieben und Leidenschaften, ganz besonders aber über die ihm sehr eigene Art, die Liebsten aufzuheitern und sie über Trennungen hinwegzutrösten.
Autorenporträt
Becker, Jurek
Jurek Becker wurde am 30. September 1937 in Lodz/Polen geboren und starb am 14. März 1997 in Sieseby/Schleswig-Holstein. Von 1939 bis 1945 wuchs Becker im Ghetto in Lodz auf und wurde später in den Konzentrationslagern Ravensbrück und Sachsenhausen inhaftiert. 1945 siedelte er in den Ostteil Berlins über, wo er von 1957 bis 1960 Philosophie an der Humboldt-Universität studierte. 1960 wurde Becker aus politischen Gründen vom Studium ausgeschlossen und ging an die Filmhochschule Babelsberg. Becker ist Autor zahlreicher Drehbücher. 1969 wurde sein erster Roman veröffentlicht - Jakob der Lügner wurde weltbekannt. Jurek Beckers Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Adolf-Grimme-Preis in Gold und dem Bundesverdienstkreuz.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.04.2018

Er selbst war das Leben

Korrespondenzen aller Art: Eine zauberhafte Zusammenstellung der Postkarten, die der Schriftsteller Jurek Becker an Freunde und Familie geschrieben hat.

Die Subtilität, mit der Jurek Becker die Postkarten formulierte, die er dann an Familie und Freunde verschickte, zeigt sich an der Grußformel, die eine Karte beschließt, die der Schriftsteller 1978 vom Grand Canyon an seine in Ost-Berlin lebende geschiedene Frau und die beiden Söhne sandte: "Bald umarmt Euch life Jurek". Was man für einen Fehler halten könnte, wo es doch wohl "live", also "unmittelbar", heißen müsste, ist gar keiner, denn Familie Becker darf erwarten, vom Leben ("life") selbst umarmt zu werden, wenn der Amerikareisende wieder zurückkehrt. Übrigens nach West-Berlin, denn dort lebte Jurek Becker seit 1977 - nicht als Flüchtling aus der DDR, sondern mit einem gültigen Visum, das bis 1989 immer wieder verlängert wurde. Es ist ein Spezifikum dieses wundersamen Autors, dass er der Gesellschaft, in der der 1937 in Polen geborene Überlebende der Schoa nach dem Zweiten Weltkrieg aufgewachsen war, nicht die Zugehörigkeit aufkündigte. Becker blieb DDR-Bürger, auch in den Vereinigten Staaten, denen er nicht recht zutraute, mit dem Länderkürzel GDR (German Democratic Republic) zurechtzukommen, weshalb er noch "Germany" dahintersetzte.

Als sich dann ein Dutzend Jahre später, am 3. Oktober 1990, beide Staaten zu diesem Germany vereinigten, saß Becker gerade in Neuseeland als Abgesandter der Bundesrepublik, um die Feiern zum hundertfünfzigsten Jahrestag des 1840 abgeschlossenen Vertrags zwischen Engländern und Maori mitzumachen. Die Ironie der historischen Referenz eines nur pro forma unter Gleichen geschlossenen Abkommens wird ihm nicht entgangen sein, aber er schrieb seinem Sohn Leonhard lediglich: "Plötzlich wird mir klar, daß ich am Tag der deutschen Wiedervereinigung so weit entfernt von dem glücklichen Ereignis war, wie es überhaupt nur geht - in Neuseeland. Das KANN kein Zufall sein!" Glücklich war Becker mit dem Untergang der DDR nicht. Aber er war ein viel zu lebenszugewandter Mensch, als dass er sich durch die Politik die Laune dauerhaft hätte verderben lassen. Die Karten aus Neuseeland sprühen vor Witz. Und nicht nur die.

Deshalb hat es seine Berechtigung, dass es zum wohl ersten Mal ein derart umfassendes Postkartenbuch eines bedeutenden deutschen Schriftstellers gibt. Becker entdeckte diese Form der offenen Mitteilung erst mit dem Wechsel nach West-Berlin für sich und forcierte sie in den achtziger Jahren, als er seine zweite Frau Christine kennenlernte, die er regelmäßig mit Postkarten erfreute, selbst von gemeinsamen Reisen - vierhundert sammelten sich so allein bei ihr an, ehe Becker nach schwerer Krankheit 1997 starb. Aus diesem persönlichen Schatz und aus weiteren Postkarten an regelmäßige Grußempfänger hat Christine Becker jetzt einen ebenso prachtvoll anzuschauenden wie zu lesenden und zudem noch klug kommentierten Band zusammengestellt, in dem sich auf jeweils einer Seite der Text einer Postkarte und, sofern greifbar, eine farbige Reproduktion von Vorder- und Rückseite befindet. Denn nicht selten nahm Becker beim Schreiben Bezug auf die Motive.

"Am Strand von Bochum ist einiges los" ist der Band betitelt - ein Zitat von einer Postkarte aus dem Jahr 1992, als Becker sich mit seinem Roman "Amanda" auf Lesereise befand und aus Bochum eine muntere Meeresstrandszene an seine Frau Christine schickte. Die Karten hatte er meist schon vor Reiseantritt im Gepäck, und die Texte entwarf er sorgsam in eigens dafür angelegten Notizheften. Spontan sind diese Botschaften also nicht, vielmehr dürfen sie als Kunstwerke eigenen Rechts gelten.

Dass sie dennoch auch uns so viel Vergnügen bereiten, liegt an Beckers feinsinnigem Humor, der leisen Ironie und seiner immer wieder aufblitzenden Urteilsschärfe. Was haben wir an diesem Autor verloren! Und wie traurig stimmen deshalb die Mutmachkarten aus den fünfzehn Monaten, die ihm nach der Krebsdiagnose noch zu leben blieben. Traurig nicht, weil Becker etwa sein Schicksal beklagt hätte, sondern weil er so souverän damit umging und es den Kartenempfängern leichter machte, die Situation zu ertragen.

Manfred Krug und seine Frau Ottilie, enge Freunde Beckers, hatten dessen an sie gerichtete Postkarten bereits im Todesjahr 1997 veröffentlicht, aber nun ist die Auswahl viel größer und die Aufmachung viel schöner. So glänzt der Geist des Jurek Becker besonders hell. "Heute braucht es keinen Einfall", reimte er 1994, "um die Zeilen hinzuschreiben: / Dieser Tag kennt keinen Reinfall, / ach! Könnt's immer doch so bleiben!"

Ein frommer Wunsch, sicher, aber immerhin formulierte Becker ihn genau am vierten Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung. Seinen Frieden mit diesem Ereignis hatte er da offenbar gemacht.

ANDREAS PLATTHAUS

Jurek Becker: "Am Strand von Bochum ist allerhand los". Postkarten.

Hrsg. von Christine Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2018. 398 S., Abb., geb., 32,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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"Becker hat das Schreiben dieser lyrischen Lebenszeichen regelrecht zur Kunstform erhoben und damit wahrscheinlich gar ein eigenes literarisches Genre erfunden."
Janko Tietz, Spiegel Online 24.03.2018

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die Sammlung von fast 400 Postkarten, die Jurek Becker von 1978 bis zu seinem Tod an seine Lieben, den Suhrkamp-Verlag und DDR-Intellektuelle schickte, hat Rezensent Christian Thomas regelrecht bezaubert. Der unter dem Titel "am strand von bochum ist allerhand los" erschienene Band aus chronologisch angeordneten Faksimiles mit Transkriptionen schlägt laut Thomas einen heiteren Ton an, der Rezensent merkt aber auch, dass der Autor selbst in der Ferne von der DRR und ihrer Literaturdoktrin eingeholt wurde. Zum Beispiel hat Becker den Rezensenten mit Spitzfindigkeiten wie "nun kann ich auch die Niagara-Fälle abhaken. Das Bild ist Sozialistischer Realismus" verzückt. Die Postkarten, bestehend aus gewitzten Texten, die der Autor in Schulheften vorformuliert habe, und ergänzt um bedeutungsvolle Motive und Briefmarken, sind ein humorvoller "Jurek en miniature", lobt der Rezensent.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2019

Gedruckte Memes
Jurek Beckers Postkarten jetzt als Taschenbuch
Lesereisen laden zu Städtebeschimpfungen ein. Nicht nur Thomas Bernhard, der bekannteste Stadtbeleidiger, auch der Schriftsteller Jurek Becker ließ kein gutes Haar an Ulm, Heilbronn und wie sie alle heißen. Und wie die nun als Taschenbuch vorliegende Sammlung seiner Postkarten zeigt, wurde Becker, der 1969 mit dem Roman „Jakob der Lügner“ erfolgreich die flächendeckende Versorgung mit Schullektüre auf Jahrzehnte hinaus sichergestellt hatte, von Buchhandlungen und Verlagen ausgiebig durch Deutschland und vom Goethe-Institut durch die weite Welt kutschiert. „Heidelberg ist ein seltsamer Ort. Zuerst habe ich ihn nicht gefunden, dann habe ich mein Hotel nicht gefunden. Dann haben die mich zu einem Parkhaus geschickt, das ich nicht gefunden habe, und aus Rache habe ich danach den Hotelschlüssel verloren.“
Mehr als neunhundertfünfzig Postkarten hat Jurek Becker bis zu seinem Tod 1997 verfasst und verschickt: an seinen (damals erst sechs Jahre alten) Sohn Jonathan, an seine Exfrau, an den Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld. Die meisten aber an seine Frau Christine, und zwar durchaus auch dann, wenn sie beide zu Hause waren oder gemeinsam verreisten: „Du alte Mottenkugel, ich fände es ungerecht, wenn Du bloß deshalb keine Karte aus Reykjavik kriegst, weil Du zufällig auch hier bist. Und so schlecht ist die gar nicht.“ Christine Becker ist es auch, die nun eine Auswahl dieser Karten herausgegeben hat.
1983 lernte Becker die damals 22-jährige Studentin kennen – bezeichnenderweise auf einer Lesereise. Man kann das Buch also auch als eine Art von Biografie Jurek Beckers lesen, aufschlussreich sind dabei die Kommentare, die die Herausgeberin manchen Postkarten zur historischen Einordnung beigestellt hat. Um Geld zu verdienen, schreibt Becker Drehbücher für Fernsehserien. „Die gute Nachricht: Wir kriegen sauviel Geld dafür. Die schlechte Nachricht: Wir müssen damit Schulden abzahlen. Die gute Nachricht: Dann haben wir keine mehr. Die schlechte Nachricht: Hinterher verdiene ich viel weniger. Die gute Nachricht: Wir brauchen auch viel weniger. Und so weiter, und so weiter, das Leben hält immer neue überraschende Wendungen bereit. Man muß sich immer nur schön in die Kurve legen.“
Ende 1995 erhält er die Diagnose Darmkrebs, da verlegt er sich auf das häusliche Postkartenschreiben und bringt sie nicht mehr zur Post, sondern geht nur bis zum Briefkasten an der eigenen Haustür. Der Humor jedenfalls verlässt ihn nicht: „Man weiß: Wes Brot ich eß,’ des Lied ich sing. Das stimmt, das ist Marxismus, das haut voll rein. Nun esse ich aber, wie Du weißt, seit einiger Zeit kein Brot mehr. Was jetzt? Dein verunsicherter J.“
Es gibt viele rührende und lustige Momente in diesen selbst bei Beckers winziger Handschrift naturgemäß sehr kurzen Texten. Die Kosenamen, die er seiner Frau angedeihen lässt, zeugen von einer vollständig unvorhandenen Scheu vor Schrulligkeit. Von der Vorliebe für Komposita ganz zu schweigen. Die Anrede „Du alte Inflationsrate“ ist nur eine unter vielen: Hemmschwelle, Mietspiegel, Gerinnungsfaktor – die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Etwas lyrischer geht es zu, wenn er sie „Du blaues Wunder“ nennt, „Du gesegnete Mahlzeit“ … „Du wunder Punkt“, „unverhoffte Wendung“, „milde Gabe“, „glückliche Fügung“. Was kann man mit einer Postkarte Besseres tun als seine Zuneigung zu einem Gegenüber zum Ausdruck bringen? Für Ärger und Politik ist nicht viel Platz, höchstens wenn Becker wieder einmal von jemandem gefragt wird, wie es sich anfühlt, als polnischer Jude, der als Kind das KZ überlebte, in Deutschland zu leben. „Ich habe ihn gefragt, wie er sich als taube Nuß in Deutschland fühlt, aber dann ist die Sache nicht weiter vertieft worden.“
Ein sehr guter Ersatz ist dieses Buch, wenn man von seiner schlechten Gewohnheit lassen will, abends vorm Einschlafen auf Facebook, Twitter oder Instagram herumzuirren. Das Prinzip ist das Gleiche, bloß ohne die Appelle zur Entrüstung, die im Internet so schwer zu ignorieren sind: Jemand versieht ein Bild mit einem Text, der zu dem Bild entweder passt oder das Bild auf gewisse Weise kommentiert, und man selbst entscheidet, wie lustig man das findet. Darin unterscheiden sich Memes kaum von Postkarten. Gerade weil die im Buch abgedruckten Postkarten so wunderbar retro sind, kann man sich allerdings fragen, warum Suhrkamp kein hübsches Coffee Table Book daraus gemacht hat zum Drinrumblättern und zum Verschenken. Warum dieser unbedingte Anspruch auf seriöse Nachlassverwaltung – und die Verwendung einer Schriftart, die sich bestimmt gut bei Doktorarbeiten macht? Irgendwie verständlich, aber doch eher „Gerinnungsfaktor“ als „glückliche Fügung“. Und Scheu vor Schrulligkeit, eindeutig.
BIRTHE MÜHLHOFF
Jurek Becker: Am Strand von Bochum ist allerhand los. Postkarten. Herausgegeben von Christine Becker. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 400 Seiten, 20 Euro.
Warum nur hat Suhrkamp aus
diesen Postkarten
kein Coffee Table Book gemacht?
„Du alte Honigtomate“:
Die Anreden in Jurek Beckers Postkarten zeigen, dass er
zumindest keine Furcht vor Schrulligkeit hatte. Die
kurzen Texte sind sind manchmal lustig, manchmal rührend,
aber immer zärtlich. Und was kann man mit einer Postkarte Besseres tun als seine
Zuneigung zu einem Gegenüber zum Ausdruck bringen?
Fotos: Suhrkamp 
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