Man stelle sich den Schriftsteller vor als einen Gärtner, glücklich in der Sorge um seine Schützlinge - den kümmerlichen Papyrus, die erkahlende Zypresse, die auffahrende Palme, all die unterschiedlichen Gesellen, die sich über die Jahre in seinem Garten eingefunden haben. Und man stelle sich das Gedächtnis vor als einen solchen südlichen Garten: von scheuen Tieren besucht, mit Steinen und Unkraut durchsetzt, von Austrocknung bedroht, und dann, ein Tropfen Wasser, ein Stichwort, und er erblüht in ungeahnter Pracht. Ich habe keins, behauptet Cees Nooteboom gern, wenn es um sein Gedächtnis geht, und im nächsten Moment sieht man ihn wieder begeistert jäten, harken, fegen, gießen, hegen, entlausen und sägen: "Wer keine Vergangenheit hat, muß sich eine schaffen." Die Leichten Geschichten zeigen Nooteboom als Arbeiter im Garten der Erinnerung. Erste Reisen, ein Labyrinth aus Gassen und eine Haschpfeife in irgendeiner Oase, längst geteerte Schotterpisten, alte Nachbarn auf Menorca, jugendliche Exzesse und was an Weisheit oder Rückenschmerzen davon übrig ist, all die Szenen und Erlebnisse, die im Gedächtnis so zufällig wie zwingend Niederschlag gefunden haben, sind hier versammelt zu einem Strauß sehr heiterer, sehr persönlicher Geschichten, mehrheitlich die Ernte des letzten, ausgesprochen fruchtbaren Jahres. Der belgische Maler Jan Vanriet steuert zum Gärtner ohne Garten ausdrucksstarke Vignetten bei.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.03.2008Die Wunder und Widersprüche der Welt
„Roter Regen”: Mit der Unangestrengtheit des Altmeisters versammelt Cees Nooteboom „Leichte Geschichten”
Was für Proust die Madeleine war, ist für Cees Nooteboom der rote Regen. Wenn der Mauerputz seines Hauses auf Menorca durch den von Regentropfen mitgeführten Saharastaub rötlich eingefärbt wird, gedenkt der Rastloseste unter den niederländischen Schriftstellern seines ersten Marokko-Aufenthalts und einer längst verstorbenen Weggefährtin. Sogleich kommt ihm ein umwerfender Kif-Rausch in den Sinn, dann ein Sturm bei Kap Hoorn, das junge Mädchen, das unlängst in der Straßenbahn für ihn aufstand, schließlich die Homer-Ausgabe, die er als Schüler benutzte, und der Studiersaal bei den Franziskanerpatern in Venray. Eine Odyssee en miniature, ausgelöst durch einen Farbton. Auf die Streifzüge der Erinnerung wird der Leser in einem lockeren Plauderton mitgenommen, den der Untertitel dieser Textsammlung, „Leichte Geschichten”, bereits ankündigt – um falschen Erwartungen vorzubeugen?
Der Autor, 75 Jahre und auf angenehme Art weise, hat genug Prosa von respektablem Schwierigkeitsgrad geschrieben, um sich das Leichte gelassen leisten zu können. Das Haus und der Garten im Süden, Pflanzen und Tiere, Dorfklatsch und Kochrezepte – das ist der Stoff, bei dem man sich entspannt, wenn man die „Wunder und Widersprüche der immer größer werdenden Welt” gesehen und geschildert hat. Dann bringt man es endlich über sich, in alten Notizen zu blättern, etwa im allerersten Reisetagebuch des damals siebzehnjährigen Radtouristen Nooteboom, dem sein später Leser bescheinigt, nirgends sei „auch nur ein Hauch von Talent zu erkennen”. Und man nimmt sich die Zeit, im „inneren Archiv” zu stöbern, gespeicherte Eindrücke von Sensationen und Petitessen mit Betrachtungen über das Altern, die Dauer im Wandel und das Wesen der Erinnerung zu verknüpfen. Bis der Esel des Nachbarn schreit, „wie Esel seit Jahrtausenden schreien”, und die Geschichte mit der Gegenwart verschwimmt.
Die Sammlung bietet außerdem Platz für charmante Gelegenheitsarbeiten wie die „Begegnung mit einem Großbuchstaben” (ein Auftragswerk der Accademia della Crusca in Florenz) oder die „Begegnung in Recanati” (bei der ein bekannter Münchner Verleger geburtstagshalber zum Helden einer Erzählung gemacht wurde). Zur federleichten, doch jederzeit geistreichen Anmutung der Texte passen die Illustrationen von Jan Vanriet: Sie enthalten Stilelemente der fünfziger Jahre, die dieses mittlere Genre auch in den Feuilletons kultivierten. Und wieder einmal gebührt Helga van Beuningen viel Lob für ihr Geschick bei der Übersetzung der „merkwürdigen nördlichen und größtenteils geheimen Sprache” Nootebooms in ein feinfühliges Deutsch. KRISTINA MAIDT-ZINKE
CEES NOOTEBOOM: Roter Regen. Leichte Geschichten. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 244 Seiten, 19,80 Euro.
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„Roter Regen”: Mit der Unangestrengtheit des Altmeisters versammelt Cees Nooteboom „Leichte Geschichten”
Was für Proust die Madeleine war, ist für Cees Nooteboom der rote Regen. Wenn der Mauerputz seines Hauses auf Menorca durch den von Regentropfen mitgeführten Saharastaub rötlich eingefärbt wird, gedenkt der Rastloseste unter den niederländischen Schriftstellern seines ersten Marokko-Aufenthalts und einer längst verstorbenen Weggefährtin. Sogleich kommt ihm ein umwerfender Kif-Rausch in den Sinn, dann ein Sturm bei Kap Hoorn, das junge Mädchen, das unlängst in der Straßenbahn für ihn aufstand, schließlich die Homer-Ausgabe, die er als Schüler benutzte, und der Studiersaal bei den Franziskanerpatern in Venray. Eine Odyssee en miniature, ausgelöst durch einen Farbton. Auf die Streifzüge der Erinnerung wird der Leser in einem lockeren Plauderton mitgenommen, den der Untertitel dieser Textsammlung, „Leichte Geschichten”, bereits ankündigt – um falschen Erwartungen vorzubeugen?
Der Autor, 75 Jahre und auf angenehme Art weise, hat genug Prosa von respektablem Schwierigkeitsgrad geschrieben, um sich das Leichte gelassen leisten zu können. Das Haus und der Garten im Süden, Pflanzen und Tiere, Dorfklatsch und Kochrezepte – das ist der Stoff, bei dem man sich entspannt, wenn man die „Wunder und Widersprüche der immer größer werdenden Welt” gesehen und geschildert hat. Dann bringt man es endlich über sich, in alten Notizen zu blättern, etwa im allerersten Reisetagebuch des damals siebzehnjährigen Radtouristen Nooteboom, dem sein später Leser bescheinigt, nirgends sei „auch nur ein Hauch von Talent zu erkennen”. Und man nimmt sich die Zeit, im „inneren Archiv” zu stöbern, gespeicherte Eindrücke von Sensationen und Petitessen mit Betrachtungen über das Altern, die Dauer im Wandel und das Wesen der Erinnerung zu verknüpfen. Bis der Esel des Nachbarn schreit, „wie Esel seit Jahrtausenden schreien”, und die Geschichte mit der Gegenwart verschwimmt.
Die Sammlung bietet außerdem Platz für charmante Gelegenheitsarbeiten wie die „Begegnung mit einem Großbuchstaben” (ein Auftragswerk der Accademia della Crusca in Florenz) oder die „Begegnung in Recanati” (bei der ein bekannter Münchner Verleger geburtstagshalber zum Helden einer Erzählung gemacht wurde). Zur federleichten, doch jederzeit geistreichen Anmutung der Texte passen die Illustrationen von Jan Vanriet: Sie enthalten Stilelemente der fünfziger Jahre, die dieses mittlere Genre auch in den Feuilletons kultivierten. Und wieder einmal gebührt Helga van Beuningen viel Lob für ihr Geschick bei der Übersetzung der „merkwürdigen nördlichen und größtenteils geheimen Sprache” Nootebooms in ein feinfühliges Deutsch. KRISTINA MAIDT-ZINKE
CEES NOOTEBOOM: Roter Regen. Leichte Geschichten. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 244 Seiten, 19,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.02.2008Fernweh
Als Leser von Reisegeschichten schwankt man häufig zwischen Neid, Fernweh und dem unangenehmen Gefühl, trotz aller Schwärmerei unbeteiligt zu bleiben. Alle drei Empfindungen könnten auftauchen, wenn ein Schriftsteller von seinen Sommern berichtet, die er seit Jahrzehnten auf Menorca verbringt. Es zeugt von großem schreiberischem Geschick, dass bei Cees Nooteboom nur das Fernweh ab und zu auftaucht. Im ersten Teil hat er Geschichten aus dem Inselalltag aufgeschrieben: die selbstgepflanzten Palmen im Garten, die Katze, die den ganzen Winter über allein ist, und die Nachbarn, deren Sprache klingt wie "Blumentopfscherben, die man in einen Zinkeimer wirft". Dank seines lockeren Stils ist das unvergleichlich charmant. Die beiden anderen Teile handeln von Nootebooms zahlreichen Reisen und von denen, die er anhand seines Tagebuchs nachvollzieht. Da liest ein Mann von Mitte siebzig seine Aufzeichnungen als junger Kerl und findet sein junges Ich eher amüsant in dessen unbedingtem Willen, ernst genommen zu werden. An vieles erinnert er sich nicht mehr, von anderem kann er kaum glauben, dass er es damals nicht notiert hat. So entsteht eine feine ironische Distanz, die die Berichte zu etwas Besonderem macht. (Cees Nooteboom: "Roter Regen". Erzählungen. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Zeichnungen von Jan Vanriet. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 240 S., geb., 19,80 [Euro].) bähr
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Als Leser von Reisegeschichten schwankt man häufig zwischen Neid, Fernweh und dem unangenehmen Gefühl, trotz aller Schwärmerei unbeteiligt zu bleiben. Alle drei Empfindungen könnten auftauchen, wenn ein Schriftsteller von seinen Sommern berichtet, die er seit Jahrzehnten auf Menorca verbringt. Es zeugt von großem schreiberischem Geschick, dass bei Cees Nooteboom nur das Fernweh ab und zu auftaucht. Im ersten Teil hat er Geschichten aus dem Inselalltag aufgeschrieben: die selbstgepflanzten Palmen im Garten, die Katze, die den ganzen Winter über allein ist, und die Nachbarn, deren Sprache klingt wie "Blumentopfscherben, die man in einen Zinkeimer wirft". Dank seines lockeren Stils ist das unvergleichlich charmant. Die beiden anderen Teile handeln von Nootebooms zahlreichen Reisen und von denen, die er anhand seines Tagebuchs nachvollzieht. Da liest ein Mann von Mitte siebzig seine Aufzeichnungen als junger Kerl und findet sein junges Ich eher amüsant in dessen unbedingtem Willen, ernst genommen zu werden. An vieles erinnert er sich nicht mehr, von anderem kann er kaum glauben, dass er es damals nicht notiert hat. So entsteht eine feine ironische Distanz, die die Berichte zu etwas Besonderem macht. (Cees Nooteboom: "Roter Regen". Erzählungen. Aus dem Niederländischen übersetzt von Helga van Beuningen. Zeichnungen von Jan Vanriet. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 240 S., geb., 19,80 [Euro].) bähr
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Entspannten Lesegenuss hat diese Textsammlung Rezensentin Kristina Maidt-Zinke verschafft. Es handelt sich ihren Informationen zufolge um eine Mischung aus "charmanten Gelegenheitsarbeiten", angenehm weisen Erinnerungstexten, sowie dem allerersten Reisetagebuch des damals siebzehnjährigen Radtouristen Cees Nooteboom. Kleine Texte über eher randständige Fragen des Lebens, die ihre Kraft der Rezensentin zufolge gerade aus dem "lockeren Plauderton" nehmen, in dem sie verfasst worden sind. Der titelgebende rote Regen hat sich, wie Maidt-Zinnke schreibt, auf Menorca über das nooteboomsche Ferienhaus aus Backstein ergossen und einen Proust'schen Madeleine-Erinnerungseffekt beim Autor ausgelöst, dem sie sich, wie auch den anderen Streifzügen der Erinnerung in diesem Band, gerne angeschlossen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Kaum eine Landschaft, die nicht schon der junge Autor uns erschlossen hat in einer eigenen, prosapoetischen Sprache, in schönen, oft verblüffenden, (ein)leuchtenden Bildern.« Dieter Hildebrandt DIE ZEIT
»Cees Nooteboom war in der Welt so viel und so hellwach unterwegs und hat davon so viel berichtet, dass man den Dichter fast als einen Reiseschriftsteller verkennen konnte. Kaum eine Landschaft, die nicht schon der junge Autor uns erschlossen hat in einer eigenen, prosapoetischen Sprache, in schönen, oft verblüffenden, (ein)leuchtenden Bildern. Aber er hat auf seinen Wegen auch immer den nach innen gesucht und in mancher Ferne nicht nur Abenteuer und fremde Schicksale gefunden, sondern auch sich selbst. Von silchen Orten und solchen Selbstbegegnungen handeln die in diesem neuen Band versammelten Geschichten. Die schönsten bezeugen den Versuch eines alten Mannes, Freundschaft zu schließen mit dem, der er als junger Mann war, vergangene und gegenwärtige Identität zusammenzubringen.«