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Amsterdam im November. Im »Ural«, einer russischen Kneipe an der Amstel, treffen Menschen zusammen, die die politische Geschichte unseres Jahrhunderts durch Räume und Zeiten getrieben hat und aus deren Geschichte hier Geschichten werden. Der »Ural« ist der magische Ort, an dem sie Zuflucht finden und Zeugen einer neuen Geschichte werden, der von Alon und Olga. »Ich hatte gesehen, daß sie einander angesehen hatten, gespürt, daß ihre Blicke trafen. Und seither stelle ich mir die Frage nach der Liebe, als ginge sie mich noch was an.« Die alte Tatjana, Exilrussin, Wirtin des »Ural«, erzählt diese…mehr

Produktbeschreibung
Amsterdam im November. Im »Ural«, einer russischen Kneipe an der Amstel, treffen Menschen zusammen, die die politische Geschichte unseres Jahrhunderts durch Räume und Zeiten getrieben hat und aus deren Geschichte hier Geschichten werden. Der »Ural« ist der magische Ort, an dem sie Zuflucht finden und Zeugen einer neuen Geschichte werden, der von Alon und Olga. »Ich hatte gesehen, daß sie einander angesehen hatten, gespürt, daß ihre Blicke trafen. Und seither stelle ich mir die Frage nach der Liebe, als ginge sie mich noch was an.« Die alte Tatjana, Exilrussin, Wirtin des »Ural«, erzählt diese Geschichte, die sich in neun Tagen ereignet, mit Worten, die aus dem Rußland Dostojewskis zu kommen scheinen. Und was Tatjana nicht wissen kann, weil nur Olga und Alon es wissen können, erzählen die beiden ihr -Alon, Israeli, Hirnforscher, mit Worten, die von Krieg und Zionismus geprägt sind, Olga mit solchen, die von ihrer Jugend in der DDR und der Ausbildungszeit in den Trainingscamps der Islamischen Revolution im Iran und Libanon zeugen. Ich weiß, dass du weißt ist ein Roman über die Liebe und die Sehnsucht, die kein Ende findet. Und eine Agentengeschichte, in der es um islamischen und jüdischen Fundamentalismus geht und um den Krieg, den israelische Fanatiker mit arabischen Extremisten um eine Psycho-Waffe führen.
Autorenporträt
Berkéwicz, UllaUlla Berkéwicz wurde in Gießen geboren. Sie studierte an der Hochschule für Musik in Frankfurt, an der sie auch ihre Schauspiel- und Gesangsausbildung absolvierte. Ab 1971 Engagements am Staatstheater Stuttgart, den Städtischen Bühnen Köln, an den Münchner Kammerspielen, dem Residenztheater München, Hamburger Schauspielhaus, Bochumer Schauspielhaus und der Freien Volksbühne Berlin. Seit 1982 freie Schriftstellerin und Übersetzerin von Theaterstücken. Einige ihrer zwölf Bücher wurden in neun Sprachen übersetzt. Sie heiratete 1990 den Verleger Siegfried Unseld und war nach seinem Tod von 2002 bis 2015 Verlegerin der Verlage Suhrkamp und Insel. Sie ist Vorsitzende der Siegfried und Ulla Unseld Familienstiftung und seit Dezember 2015 Vorsitzende des Aufsichtsrats des Suhrkamp Verlags. Ulla Berkéwicz wurde mit vielen Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit der LutherRose 2015. Für ihr Wirken als Schriftstellerin und Suhrkamp-Verlegerin erhielt sie die Moses Mendelssohn-

Medaille 2016. Ulla Berkéwicz lebt in Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.08.1999

Wie sage ich es meiner Wirtin?
Ulla Berkéwicz' Roman "Ich weiß, daß du weißt"

Als Ulla Berkéwicz im Sommer 1982 beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt ihre Lesung aus der Erzählung "Josef stirbt" beendet hatte, war sofort klar, dass sich diese Debütantin von der Literaturbühne nicht mehr würde verdrängen lassen. In der minutiösen Erzählung vom Sterben eines vertriebenen böhmischen Bauern, der auf fremden Böden geackert hatte, erprobte Ulla Berkéwicz die Grammatik des ersparten sprachlichen Aufwands. Sie hat sich durch den Erfolg ihres Debüts nicht blenden lassen und sich gehütet, gleich zur großen erzählerischen Form zu greifen. Ihre nächsten Texte waren Schauspiele und weiterhin Erzählungen. Erst mit "Engel sind schwarz und weiß" (1992) überschritt sie den Rubikon zum Roman. Ihr Versuch, den Zeitroman aus dem Tagebuchroman zu gewinnen, wollte nicht jedem Kritiker einleuchten.

Es gibt im Drama, in der Erzählliteratur und im Film das Modell eines Ortes, an dem sich mühelos Menschen unterschiedlicher Herkunft und Prägung, ob zu verabredeter oder zufälliger Begegnung, zusammenführen lassen: das Gasthaus und in neuer Variation das Hotel oder das "Lokal". Dieses Modell nutzt Ulla Berkéwicz in ihrem Roman "Ich weiß, daß du weißt" für ein Höchstmaß an Kontakten auf engem Raum. Eine russische Emigrantin aus wohlhabender Petersburger Familie führt in Amsterdam seit langem ein kasachisches Lokal, den "Ural". Unter den wechselnden Gästen - neben Stammgästen wie dem erblindeten, philosophierenden Elias, dem Kenner der Lehren des Spinoza und der Kabbala, und anderen "Nachtvögeln" - nisten sich im Spätherbst 1987 zwei Ausländer im "Ural" ein. Ihre Ankunft öffnet den Vorhang zur Romanhandlung.

Mit der Einführung des Israeli Alon Katznelson und der DDR-Bürgerin Olga Michelizki setzt Ulla Berkéwicz die Handlung auf die zwei Gleise des Agenten- und Liebesromans. Denn Alon ist, getarnt als Wissenschaftler in einem Amsterdamer Hirnforschungszentrum, Mitarbeiter des israelischen Geheimdienstes, und Olga, getarnt als Assistentin der in Amsterdam gastierenden Ost-Berliner Staatsoper und dann als "Republikflüchtling", gehört dem östlichen Geheimdienst an. Beide sind aufeinander angesetzt.

Der Roman hat eine Ich-Erzählerin, die Chefin des "Ural", und zwei Binnenerzähler, Alon und Olga, die der Wirtin ihre Lebensläufe berichten, ja gestehen. Erzähltechnisch sind diese Geständnisse ein Fehlgriff - unglaubwürdig, weil kein Spion vor einer noch so mütterlichen Kneipenwirtin alle seine Geheimnisse ausplaudert. Es ist aber der fesselnden Erzählweise und -sprache zu verdanken, dass man diese Unwahrscheinlichkeit schnell vergisst und die Bekenntnisse wie Bewusstseinsmonologe liest. Außerdem signalisieren die Widersprüche, dass sich unter der Hülle des Agenten- und Spionageromans psychologische Spannungen und zugleich Zerrissenheiten verbergen, die für die politische Situation der Zeit repräsentativ sind.

Ungebrochen ist in diesem Roman die Kraft der sinnlichen Wirklichkeitsdarstellung, die in der ersten Erzählung, "Josef stirbt", sogar das Makabre des Sterbens in seiner ganzen leiblichen Schroffheit zeigte; sie neutralisiert eine Neigung der Erzählerin, die Daseinswunden mit dem Öl der Metaphysik zu salben. Wie Ulla Berkéwicz die Schwierigkeiten des Lebens in Israel, wie sie den Schock des Jom-Kippur-Krieges von 1973 schildert und wie sie die Unerbittlichkeit und Fatalitäten der libanesischen und iranischen Lager, in denen Olga ausgebildet wurde, beschreibt, das hat die Überzeugungskraft eines Dokuments.

Das Echo auf Modelle weltliterarischen Erzählens hilft den Roman strukturieren. So das mit Boccaccios "Decamerone" klassisch gewordene Rahmenmuster des Erzählens (in einer geschlossenen Gesellschaft unterhält man sich gegenseitig mit Geschichten). Im "Ural" sitzen nach Elias' Begräbnis die Freunde zusammen und erzählen sich Todesgeschichten. Solche Erzählskizzen - Alon trägt im Sechstagekrieg einen sterbenden Kameraden über den Sinai, Olga ist als Kind mit ihren Beinen an der Leiche der Großmutter festgefroren, die Tante der russischen Emigrantin feiert ihr eigenes Todesfest - sind exemplarisch für Ulla Berkéwicz' Erzählkunst.

Die Liebe der beiden Agenten, die wissen, dass jeder die Rolle des anderen kennt ("Ich weiß, daß du weißt"), wächst mit dem Zweifel an den Ideologien, deren Werkzeug beide sind. Dem Besitzdrang Olgas, ihrem Wunsch nach dem Liebesvollzug, entzieht sich Alon immer wieder auf unerklärbare Weise. Bis gegen Ende des Romans das Geheimnis gelüftet wird. Alon teilt das Schicksal des Jake Barnes aus Hemingways "The Sun also Rises" ("Fiesta"), eine Kriegsverletzung hat ihn entmannt, zum Krüppel der Liebe gemacht. Auf ganz eigene Weise erneuert Ulla Berkéwicz die Geschichte von Jake und Brett, die nicht zueinander kommen können.

Ich finde in diesem Roman, trotz aufgesetzter Burschikosität, eine tiefe Melancholie. Sie stimmt auf das Ende ein und verschleiert es auch. Alon und Olga betreten auf dem Amsterdamer Bahnhof ein Gleis, sehen die Züge ein- und weiterfahren. "Machen wir den Versuch!" Den Versuch, Anna Kareninas Schritt in den Selbstmord zu tun? Oder doch den Versuch, eine Liebe zu wagen, in der Jake und Brett scheiterten?

Im "Ural" treffen sich die Expatriierten und Emigranten, die Ausgesetzten und Ausgeflippten, hinzu kommen die im Kalten Krieg abtrünnig und vogelfrei Gewordenen. Ulla Berkéwicz' packender Roman handelt von Menschen, die in einer durch Ideologien zerrissenen Welt zu Verlierern der Geschichte und des Lebens wurden.

WALTER HINCK

Ulla Berkéwicz: "Ich weiß, daß du weißt". Roman. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 262 S., geb., 38,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Zwiespältig bewertet Beatrix Langner diesen Roman. Sie findet es heikel, bei dieser "Weltpolitik im Taschenformat" ethisch nicht deutlich Stellung zu beziehen. Humanisten hätten es daher mit Berkéwicz` Zynismus nicht ganz leicht. Andererseits zeigt sich Langner sehr beeindruckt von Berkéwicz` genauer Recherche, wenn diese auch in Langners Augen an der Realität vorbei geht und von der Inszenierung der Geschichte, in der sich Brutalität mit "melancholischem Erzählton" verbinde.

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