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John Updike, der grand old man der amerikanischen Literatur und ein Meister der short story, legt zwölf neue Erzählungen vor
Manche von ihnen, wie etwa "Die Frauen, die durch die Lappen gingen", schlagen einen nostalgischen Ton an, sind Erinnerungen an das sexuelle Paradies der Sechziger, als man sich getrost nachts mit einer Frau verabreden konnte, weil man sicher war, dass die eigene bei deren Mann schlief. Einen anderen Aspekt ruft "Banjospielen im Kalten Krieg" auf, worin eine verliebte Beamtin des State Department unwissend eine Ehe zerstört, als ein Musiker in der Sowjetunion auf…mehr

Produktbeschreibung
John Updike, der grand old man der amerikanischen Literatur und ein Meister der short story, legt zwölf neue Erzählungen vor
Manche von ihnen, wie etwa "Die Frauen, die durch die Lappen gingen", schlagen einen nostalgischen Ton an, sind Erinnerungen an das sexuelle Paradies der Sechziger, als man sich getrost nachts mit einer Frau verabreden konnte, weil man sicher war, dass die eigene bei deren Mann schlief. Einen anderen Aspekt ruft "Banjospielen im Kalten Krieg" auf, worin eine verliebte Beamtin des State Department unwissend eine Ehe zerstört, als ein Musiker in der Sowjetunion auf Tournee geht. Ein wahres Kabinettstück ist "Metamorphose": Anderson hat Hautkrebs am Auge und wird von Dr. Kim, Korean-American, schön, schwanger, operiert. Das gefällt ihm so, dass er immer wieder kommt, bis er schließlich ein asiatisches Gesicht hat. Nur leider mit blauen Augen.
Autorenporträt
John Updike, geboren 1932 in Shillington/Pennsylvania; Kindheit in materieller Bedrücktheit; 1950 Stipendium zum Studium am Harvard College, Hauptfach Anglistik; Abschluss des Untergraduiertenstudiums 1954 mit summa cum laude. 1953 Heirat mit der Kunststudentin Mary Entwistle Pennington, mit ihr zusammen - nach dem Studium - ein Jahr an die Ruskin School of Drawing and Fine Art in Oxford/England. Rückkehr in die USA. 1955 - 57 fest angestellt beim Magazin 'The New Yorker', danach freier Mitarbeiter mit Veröffentlichung von Kurzgeschichten sowie einflussreicher literarischer Kritiken. 1957 Umzug nach Ipswich im neuenglischen Massachusetts. 1964 Vortragsreisen durch die UdSSR, Rumänien, Bulgarien und Tschechien. Seit 1964 Mitglied des National Institute of Arts and Letters. 1973 Fulbright-Lektor in Afrika. 1976 Mitglied der American Academy of Arts and Letters. Auszeichnungen: 1983 Lincoln Literary Award und Distinguished Pennsylvania Artist Award, 1988 St. Louis Literary Award, 1989 National Medal of Arts, 1991 Premio Scanno, 1993 Common Wealth Award und Conch Republic Prize for Literature, 1995 Commandeur de l'ordre des arts et des lettres und The Howells Medal from the Adademy of Arts and Letters. John Updike verstarb 2009.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.05.2004

Am Rande der Schande
Hämmernde Herzen im Zug der Zeit: John Updikes Erzählband „Wie war’s wirklich”
Nach Meinung nicht weniger weiser Männer ist es ein Segen, wenn die Geschlechtsarbeit endlich zum Erliegen kommt. All das Gescharre, Geschnalze, Gebalze nimmt ein Ende, und wer es zusammen ausgehalten hat, liegt endlich so versöhnt beieinander wie Nora Barnacle und ihr James Joyce, statt 69 Kopf an Zeh in liebevollem Ruhestand. Neben der endlich erlangten tranquillitas lockt nichts Geringeres als die Erkenntnis: „Wenn ich meine Libido (im gewöhnlichen Sinne) ganz überwunden haben werde”, verspricht der 51-jährige Sigmund Freud seinem Schüler Jung, „mache ich mich an ein ‚Liebesleben der Menschen‘.”
Von dieser gewöhnlichen Libido handeln in einer nun schon fünf Jahrzehnte währenden Beständigkeit die Romane und Erzählungen John Updikes. Mit interessiertem Wohlgefallen hat er die Liebesmühen seiner Helden geschildert und ist darüber unversehens alt geworden. Die Rolle des greisigen Roués wird ihm keiner abnehmen, und so bescheidet er sich mit dem Parfüm der frühen Erregungen, der Erinnerung an die Straßen der Vororte mit den Ehefrauen, die er (oder sein jeweiliger Held) begehrte.
Auf seine älteren Tage erlebt der aus vielen Updike-Geschichten geläufige Schriftsteller Henry Bech, „dass Frauen, mit denen er vor Jahrzehnten geschlafen hatte, sich auf einmal bei seinen öffentlichen Lesungen blicken ließen”. Auch das natürlich eine Reprise vergangener Glanzzeiten, ein Nachschmecken jugendlicher Ausschweifungen, die das vorgerückte Alter nicht mehr erlaubt. Bechs Bücher sind dem Autor beim Vorlesen nicht weniger fremd als sein Körper im Licht der Leselampe: „Er war einmal schön gewesen.”
Vergessene Sünden
In einem Transkontinentalzug war er einst einer Unbekannten aufgefallen, die ihrem Mann in Los Angeles entgegen reiste. Beim Bahnhof von Chicago kauft er sich eine Packung mit drei Präservativen, obwohl ihm der Verkäufer versichert, er werde mehr brauchen. Es war wie im Märchen, wie in einem Buch, in einer Erzählung von Updike: „Sein Herz hämmerte, als wollte es ihm die Rippen brechen.” In den drei gemeinsamen Tagen – exterritorial, jenseits von Recht und Gesetz, der Zug wie ein Flaubertsches Ehebruchsmobil – durchleben die beiden „junge Liebe, Flitterwochen und Ehe” und verlieren sich doch. Am Ziel, das verlangt die Melancholie dieser herbstlichen Reminiszenzen, am Ziel ist alles aus: „Sie verschmolz mit einem Mann in biederem Braun.”
Geblieben ist eine „Konstellation winziger Vertiefungen, Spuren eines pubertären Aknehagels vielleicht”, ein „rührender Makel”, der „ihn jedes mal traurig stimmte und etwas in ihm aufrührte”. Was das sein könnte, vermag Bech oder Updike am Ende doch nicht zu sagen. „Wirst du mich vergessen?” flüstert die nicht ganz Makellose in ihrer beengten Hochzeitsnacht im Santa Fe Super Chief, und natürlich wird er sie wie den Namen des Zuges vergessen. Als sie nach Jahrzehnten bei einer seiner Lesungen auftaucht, muss sie ihn erst an die Sündenfahrt durchs sexuell noch lang nicht befreite Amerika erinnern.
Ein ich-erzählender Vertreter reist von ganz oben im Staat New York immer wieder in die gleichnamige Stadt, wo er über Nacht bleiben und offensichtlich ein Abenteuer anzetteln will. Tatsächlich findet sich eine junge Frau, ein fremdes Wesen, das ersehnte „New-York-Girl”. Updike schildert die vorschriftsmäßige Verruchtheit ihrer Recontres, aber noch lieber verliert er sich in Epiphanien „imaginären Glücks”, die jeden seiner zahlreichen Leser zur linken Hand aus der Kurve tragen: „Einmal, im Januar, stand ich an Janes vorderen Fenstern und sah auf die Kronen einer Reihe von Platanen nieder, als ein schräg fallender nasser Schneeschauer weiße Halbmonde auf jede kleine Kugelfrucht legte, indes das Apartment hinter mir überströmte vom ergreifenden Menschenstimmengeläut der Swingle Singers, die – (Updike eifert doch gern Vladimir Nabokov nach) – Bachfugen vortrugen – eine Platte, die Janes zu Weihnachten bekommen hatte, von wem, fragte ich nicht –, und ich vor Freude den Tränen nah war.”
Es ist ein Augenblick nur – das Licht, der Schnee, die Musik –, reine Synästhesie und doch so prekär, denn Jane lebt in New York, das ihr Liebhaber nur alle paar Wochen aufsuchen kann, lebt da, wo er gern wäre, und lebt mit Menschen, nach denen er nicht fragen kann, ohne sein bestenfalls stundenweises Glück zu gefährden.
Marcel Reich-Ranicki würde hier den Heizdeckenverkäufer-Satz einflechten, dass wir mit Updike alt geworden, im Herzen aber (und selbstverständlich auch mit ihm) jung geblieben seien. Manchmal sind diese nostalgischen Erzählungen aber nur sentimental, schwelgen ohne das geringste Gefühl in Reihungen, die – Ringelsöckchen, Entenschwanzfrisuren, die Luncheonette – bis tief in die Fünfziger hinabreichen, als Amerika noch puritanisch, aber offenbar keineswegs unglücklich war. Hauptsache, es geht um die nie zu überwindende Libido.„Du kannst”, schließt eine Erzählung, „auf die dunkle Seite des Mondes reisen und wieder zurück und erlebst doch nichts, das wunderbarer und staunenswerter wäre als die Art, in der es Männern und Frauen gelingt, zueinander zu kommen.”
Doch das Heldische ist abgefallen, das Prunken mit Eroberungen und Orgasmen sonder Zahl, und geblieben ist der Zauber der Epiphanie, verdüstert manchmal durch einen Proust-Effekt, wenn auch der gröberen Art: „Wie merkwürdig es war, wieder auf einer Party zu sein, wo die Frauen noch menstruierten.” Das ist, wie einem sogar der gynäkologische Hausverstand verrät, reiner Blödsinn, weil die Frauen doch kaum auf der Party bluten werden. Aber Updikes heidnische Feier der Jugend und Fruchtbarkeit – und sein Preisgesang darauf klingt um so lauter, je älter der Sänger wird – nötigt ihm solche Stoßseufzer ab, die man einem deutschen Autor niemals verziehe.
John Updike kann eine nachsommerliche Glut entfachen, und zum Glück gibt es weit und breit keinen Rosenhof, der die Libido ins gemessen Abendländische veredelte. Es ist so irdisch, von dem Updikes Helden nun träumen müssen, aber wenigstens sorgt er für den poetischen Blütenschimmer.
Ein knisterndes Flüstern
Einmal, in der Erzählung „Mein Vater am Rande der Schande”, wird der Goldrand am Abend doch etwas eingetrübt. Vielleicht ist es ja gar keine Erzählung, sondern überdies wahr, denn Updikes Vater war während der Weltwirtschaftskrise ebenfalls Lehrer und die Familie lebte, wie hier geschildert, am Rande der Armut. Abends hörte das Kind die Eltern im Ehebett gefährliche Wörter wie „Dieser Mistkerl!” austauschen. Meist dringt durch die Wand nur „ein knisterndes, knallendes Flüstern, das so klang”, wie es in einer der typischen, leicht übertriebenen Updike-Metaphern weiter geht, „als brate etwas in einer Pfanne”.
Die Erwachsenenwelt ist fern und drohend nah zugleich, und ausnahmsweise geht es nicht um Sex, sondern um Geld, das fehlende Geld, eine andere nackte Existenz. Die Entlassung droht jederzeit, Rivalen machen dem Vater das Leben schwer, das Kleingeld, das er sich aus der Sportkasse leiht, könnte ihm als Unterschlagung vorgeworfen, er könnte entlassen werden und seine Familie mit in den Abgrund reißen.
Mit einem Mal ist die Vergangenheit nicht mehr mit Melancholie zu fassen. Der Vater, bei aller Armut eine Respektsperson, macht sich bei einer Theateraufführung mit Dirndl und blonder Gretl-Perücke vor den Schülern zum Narren: „Das ungläubig kreischende Gelächter ringsum ließ meine Ohren glühen. Ich schloss die Augen. Dies konnte nur das Ende sein.” Der Vater, die Familie erholt sich, das Kind wächst heran, hat bald selber Kinder, aber die Schande wühlt weiter. „Sie sickerte sogar in meine Kindheitsträume, die Angst.”
Sie bleibt, die Angst, und frägt: „Wirst du mich vergessen?”
WILLI WINKLER
JOHN UPDIKE: Wie war’s wirklich. Erzählungen. Aus dem Amerikanischen von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 252 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2004

Das Weltall ist zu weit
Amerikanische Konfession: John Updikes neuer Erzählband

Amerikaner sind vom Mars, Europäer von der Venus. Es mag erstaunen, welche Erklärungskraft ernsthafte Beobachter des Weltgeschehens dieser Formel zuschreiben, bedenkt man ihre Herkunft aus der Trivialpsychologie. Die ersten Marsmenschen waren die Männer, der Stern der Liebesgöttin erschien als Heimat der Frauen am Firmament unserer Epoche. Vielleicht verdankt die Idee, die westliche Wertegemeinschaft sei eine Fiktion, ihre Plausibilität aber tatsächlich der Erfahrung des Geschlechterkriegs, der den Zweifel an der Einheit jenes Menschengeschlechts lehrt, dessen Sache der Westen zu vertreten meinte.

Für John Updikes Helden sind die Frauen Wesen von einem anderen Stern. In einer der zwölf Geschichten seines jüngsten Bandes sagt es der Erzähler dem Mädchen, das ihn an sich binden möchte, auf den Kopf zu. Eddie Chester ist ein Banjospieler, der sich an seine Mission als Kulturbotschafter hinter dem Eisernen Vorhang zwei Jahre nach der Kubakrise erinnert. In Washington wurde er von Ostblockexperten instruiert, und er verbrachte die Nacht mit der Praktikantin, die ihm den Kaffee mit dem Bekenntnis serviert hatte, er sei ihr Gott. Er konnte bei ihr nicht bleiben, denn er hatte Versprechen zu halten: Er mußte Konzerte geben und ihren Planeten sicher für die Demokratie machen. Als wäre es nicht auch seiner. In isolationistischer Absicht, um Erwartungen zu enttäuschen, die seine Handlungen geweckt haben, zitiert der fahrende Sänger die Losung des idealistischen Imperialismus: Das geschichtsphilosophische Programm des auserwählten Weltvolkes ist die Ausrede eines Herzensbrechers, den es nicht ins Ehebett zurückzieht, sondern ins einsame Hotelzimmer.

Ernst nehmen kann die Verlassene diese Ausflucht nicht, übelnehmen aber auch nicht. Es ist der Charme der Unverbindlichkeit, der diesen Poeten der Straße wirklich zum Botschafter der amerikanischen Lebensweise prädestiniert. Er gibt zu, daß die Idee grotesk war, durch Darbietungen amerikanischer Volksmusik in sowjetischen Hallen des Volkes den Weltenbrand hinauszuschieben. Aber dem Amerikaner, wenn er ein treuer Staatsbürger ist, bleibt gar nichts anderes übrig, als groß zu denken, als sich Ideen zu eigen zu machen, die dem Rest der Welt bombastisch erscheinen. Die Erde in einen sicheren Ort verwandeln, und dann auch noch für die Herrschaft des Volkes? Nach den Maßstäben alteuropäischer Staatsräson ein vermessenes Projekt. Doch was ist die Alternative, wenn die Atombombe nun einmal ebenso in der Welt ist wie eine kritische Masse freier Individuen?

Den sowjetischen Jugendlichen mußte Eddie nach jedem Konzert erklären, warum die Weißen in Amerika die Schwarzen unterdrücken. Hatte er nicht selbst den Sklaven ihr Instrument gestohlen? Eddie fällt auf, daß seine Antworten sich mit der Zeit änderten. Alle Apologetik ließ er beiseite, um allein den guten Willen zu betonen, das Problem nicht länger zu verdrängen. In den Augen seiner kommunistischen Gastgeber mag dieses Zugeständnis einer Kapitulation nahegekommen sein. In Wahrheit offenbarte sich in der freimütigen Rede eine Siegeszuversicht, die keinen Propagandapanzer brauchte. Das Außenministerium, überlegt sich Eddie, wußte schon, warum es einen natürlichen patriotischen Optimisten wie ihn entsandt hatte. Für die Vaterlandsliebe schlägt die Stunde der Wahrheit mit der Selbsterkenntnis des nützlichen Idioten. Daß die Bürger an der Rolle, die ihnen zugedacht ist, nicht irre werden müssen, macht die Überlegenheit der freien Welt aus.

Ein natürlicher patriotischer Optimist: Wie man aus vielen zeitkritischen Einlassungen Updikes weiß, ist das eine Selbstbeschreibung des Verfassers. Ihm wird noch immer nachgetragen, daß ihn selbst der Vietnamkrieg nicht davon abgebracht hat, von seinem Vaterland naturgemäß immer das beste zu denken. Man kann diese Haltung, wenn sie in öffentlichen Bekundungen zutage tritt, zivilreligiös nennen. In irritierender Weise gleicht sie der für Updikes neuenglische Wahlheimat charakteristischen Form des Christentums. Wie die liberalen Kirchen an dogmatischen Formularen festhalten, ohne sie als ontologische Aussagen verstanden wissen zu wollen, macht Updikes banjospielender Missionar freien Gebrauch von Wilsons Evangelium, indem er es wörtlich nimmt. Updikes confessio americana ist ein Protestantismus des grenzenlosen inneren Vorbehalts, der Abschweifung und Ausschweifung, nicht des thesenhaft ausbuchstabierten Widerspruchs.

Ein Topos der Updike-Kritik, in dem politische und ästhetische Motive zusammenkommen, ließe sich in der Sprache der sowjetischen Kulturbürokratie auf den Begriff der Dekadenz bringen. Es gibt die Meinung, er sei den großen amerikanischen Roman schuldig geblieben, habe sein Talent verschleudert in der enthemmten Ausmalung belangloser Befindlichkeiten einer sich mit dem Abonnentenkreis des "New Yorker" deckenden Bourgeoisie. In den Abenteuern des Banjoveteranen im Kalten Krieg findet auch Vietnam Erwähnung, zum Zweck sittenhistorischer Datierung. Nach dem Verlust der Unschuld in Vietnam hat sich eine sexuelle Praktik allgemein verbreitet, mit der der Besucher vom Mars der Künstleranbeterin 1964 noch eine besondere Freude machen konnte. Welche Konsequenzen hatte der Sündenfall der amerikanischen Politik? Er hat durch die Demokratisierung erotischen Geheimwissens den Mann entzaubert. Ein klassisches Beispiel der von Updikes Verächtern seit jeher als obszön gerügten Verrückung der Maßstäbe.

Aber im Primat des Privaten liegt die ästhetische und auch die politische Wahrheit von Updikes Werk. Seine erzählte Welt ist eine erinnerte. Das gilt nicht erst für die Kurzgeschichten des Siebzigjährigen, deren Protagonist unter wechselnden Namen das Pensionsalter erreicht hat, bei Klassentreffen seine Gattin neben die unerreichbare Schulfreundin stellt und sich auf einer Party seiner Tochter darüber freut, sich wieder einmal unter Frauen vor der Menopause zu bewegen. In Amerika erschien im vergangenen Jahr eine achthundert Seiten starke, vom Autor selbst komponierte Sammlung der "Early Stories": ein Frühwerk, das die Hälfte des Schriftstellerdaseins umfaßt. Das Stichjahr 1975 markiert eine Zäsur im Leben des Verfassers: die Scheidung von der ersten Frau. Updike gibt damit die autobiographische Lesart vor; die Ordnung des Bandes richtet sich nicht nach dem Entstehungsdatum der Texte, sondern nach dem Alter der beziehungsweise des Helden. Urerlebnisse wie der Umzug der Familie auf eine Farm, die dann doch nicht bewirtschaftet werden konnte, kehren auch in den neuesten Geschichten wieder. Auch öffentliche Ereignisse kommen in dieser Welt nur vor, insofern sie Gegenstand der Erinnerung geworden sind, verschmolzen mit unhintergehbar persönlichen Gedächtnisbildern.

Diese Schrumpfung des Historischen nimmt sich wie eine groteske Trivialisierung aus - bis der Betrachter in dem Individuum, das nicht aus der Haut seiner Erinnerungen kann, seinen Doppelgänger erkennt. Es ist Amerikas Genius, daß schon der Musterknabe beim Fahnenappell seine Blicke zur Mitschülerin schweifen lassen darf. Die freie Welt lebt von der Ablenkung. Die politische Spitze von Updikes Verfahren ist antikommunitaristisch, richtet sich gegen jene Gemeinderepubliken, die die schwärmerische Variante der Kirchlichkeit Neuenglands darstellen. Auf dem Rückflug von Rußland hat der Nationalbarde, als das Flugzeug sich New York nähert, die Vision einer Kommunion. Nur aus der Perspektive eines Besuchers aus dem All ist die Vereinigung zwischen dem Volk und dem einzelnen vorstellbar. Das Riesenplakat mit dem Lenin, der den Zeigefinger ausstreckt, hatte Eddie, der aus dem frommen Süden stammt, an Johannes den Täufer denken lassen. Einer der Briefe, die ihn per Diplomatenpost aus seiner Hauptstadt erreichten, versprach ewiges Warten - auch wenn in der Zwischenzeit das Königreich des Himmels kommt. Aber Christus kam nicht bis Washington.

Updike lobt sein Land, obgleich sich die Verheißung nicht erfüllt hat. Seltsam passiv erleben seine amerikanischen Helden, Beobachter des eigenen Älterwerdens, die Verkettung ihrer Liebesunglücke, im Bann einer heilsgeschichtlichen Fatalität, der ihr Telos abhanden gekommen ist. In der Kälte, die den Solipsisten umfängt, kristalliert sich das Epochengefühl jenes Krieges, der vierzig Jahre lang nicht geführt wurde. Das freie Leben, das im Schatten des faulen Friedens möglich war, wird den Verdacht nicht mehr los, es sei unwirklich gewesen.

Als Eddie Chester das Bett der Frau verläßt, die er glücklich gemacht hat, erstellt er im Geist ein Inventar ihres kleinen Zimmers. Das Erlebnis wird gar nicht erst gemacht, sondern sofort als Erinnerung abgelegt. Updikes Stil läutert sich zu berauschender Klarheit. Man möchte diesen Blick auf die Dingwelt für amerikanisch halten. Aus ihm spricht die Lust des Asketen, der den Versandkatalog umblättert und nichts bestellt.

John Updike: "Wie war's wirklich". Erzählungen. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Maria Carlsson. Rowohlt Verlag, Reinbek 2004. 256 S., geb., 19,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Über das "Wiedersehen mit dem Autor als altem Bekannten" freut sich Andreas Merkel, der just seine eigene Weltfremdheit auf die jahrelange Beschäftigung mit Autoren der Zerrissenheit zurückführt, da er nun endlich weiß, was ihm die ganze Zeit gefehlt hat: "Updike mit seiner wohlmeinenden Milde, seinem konservativen Optimismus und seiner menschlichen Güte". Vollends unspektakulär und mit dem Charme eines chauvinistischen und dennoch liebenswürdigen Großvaters erzähle "der notorische Fast-Nobelpreisgewinner" zwölf Geschichten über den Sex vergangener Tage. "Wie war's wirklich" erinnert an die Zeit, "als die großen Erotomanen der US-Literatur sich am Vorabend der Revolution aufmachten, die Frauen und Leser zu erobern", schreibt Merkel, der sich merklich erleichtert und dankbar zeigt für die "kostbaren Augenblicke" des Buchs, "in denen man sich beim Lesen in der Welt ausnahmsweise ein bisschen zu Hause fühlen darf". Besonders gut gefällt unserem Rezensenten die Erzählung "New-York-Girl". Sie ist eine Hommage an die Stadt und erzählt von dem Seitensprung eines Handlungsreisenden mit einer Galeristin, der ihn "'wieder auf Kurs'" bringt.

© Perlentaucher Medien GmbH
Updike war nie besser Der Spiegel