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Erschütternde Kindheitsbilder, herrliche Gaunergeschichten und schonungslose Kriegsbeschreibungen, Schilderungen vom Erwachen der Liebe und dem Entdecken der Künste - Isaak Babel, der von Maxim Gorki entdeckt wurde, hat mit Klassikern wie "Die Reiterarmee" und "Geschichten aus Odessa" Weltliteratur geschaffen. Nun liegt das gesamte Erzählwerk des großen literarischen Stilisten aus Russland in einheitlicher Übersetzung vor. Babel hat wie kein anderer den Jahrzehnten vor und nach der russischen Revolution eine unverwechselbare Stimme gegeben, journalistisch präzise und zugleich mit lyrischem Wortreichtum.…mehr

Produktbeschreibung
Erschütternde Kindheitsbilder, herrliche Gaunergeschichten und schonungslose Kriegsbeschreibungen, Schilderungen vom Erwachen der Liebe und dem Entdecken der Künste - Isaak Babel, der von Maxim Gorki entdeckt wurde, hat mit Klassikern wie "Die Reiterarmee" und "Geschichten aus Odessa" Weltliteratur geschaffen. Nun liegt das gesamte Erzählwerk des großen literarischen Stilisten aus Russland in einheitlicher Übersetzung vor. Babel hat wie kein anderer den Jahrzehnten vor und nach der russischen Revolution eine unverwechselbare Stimme gegeben, journalistisch präzise und zugleich mit lyrischem Wortreichtum.
Autorenporträt
Isaak Babel (1894 -1940) wuchs in Odessa auf und zog 1920 mit der Roten Kavallerie des Generals Budjonnyj als Reporter in den Russisch-Polnischen Krieg. Mit dem 1926 veröffentlichten Erzählband "Die Reiterarmee" wurde er zum gefeierten Schriftsteller; dem stalinistischen Terror entkam er dennoch nicht. 1940 wurde er als Staatsfeind erschossen, 1954 rehabilitiert. Bei Hanser erschienen Mein Taubenschlag (Sämtliche Erzählungen, 2014) und Wandernde Sterne (Dramen, Drehbücher, Selbstzeugnisse, 2022).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rezensent Christian Thomas zollt der Isaak-Babel-Werkausgabe größten Respekt. Die in den zwei Bänden gesammelten und von Bettina Kaibach und Peter Urban übersetzten Texte, im einen Band Erzählungen, im anderen Dramen, Drehbücher und Selbstzeugnisse, bieten tiefe Einblicke in das Leben und Schreiben des in Odessa geborenen jüdischen Autors und Reporters und in seine große Zwiespältigkeit, wie Thomas erklärt: einerseits "ideologisch eingespannt" als Journalist bei der Roten Armee, der über den Polnisch-Sowjetischen Krieg berichtete, andererseits unterschwellig zweifelnd an den brutalen Methoden, sich einer "literarischen Wahrhaftigkeit" nicht verwehren könnend, die der Kritiker vor allem in metaphorischen Ausbrüchen der ansonsten kühlen Berichte angelegt sieht: In einem "schwarzen, aufgequollenen Himmel" etwa zeigt sich ihm das leise Aufrührerische in Babels Prosa, das ihm - aufgebauscht freilich zum Spionagevorwurf - schließlich sein Leben kostete. Wie Kaibachs und Urbans punktgenaue Übersetzungs- und "akribischste" Herausgabearbeit nicht nur in den Berichten, sondern auch in den Erzählungen über die mafiösen Strukturen im Moldawanka-Quartier Odessas, Babels unverwechselbare Stimme und seine "revolutionsrote Bewusstseinsspaltung" der Leserschaft näherbringt, findet der Kritiker höchst verdienstvoll.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.11.2014

Alle hochfliegenden Pläne enden im Sturzflug

Ein Wunder aus Odessa: Isaak Babels Erzählungen sind Literatur vom Feinsten - abgründig, lakonisch, theatralisch. Jetzt gibt es sie in einer neuen präzisen Übersetzung.

Was kann einer Stadt Besseres passieren, als einen Schriftsteller hervorzubringen, der sie im Handstreich auf die literarische Weltkarte setzt? Genau wie Dublin ohne Joyce nicht mehr vorstellbar ist, wird Odessa, die junge, 1794 in der letzten Regierungszeit der Zarin Katharina auf dem Reißbrett entworfene Hafen- und Handelsstadt am Schwarzen Meer, untrennbar mit dem Namen Isaak Babels verbunden bleiben. Er ist der literarische Herold des "russischen Marseille", der quirligen, lärmigen, buntscheckigen Stadt, in der die Juden einen großen Bevölkerungsteil ausmachten. "Odessa ist eine richtig miese Stadt ... die bezauberndste im Russischen Reich." So stammelnd widersprüchlich sprechen nur Verliebte.

Isaak Babel hat dem Viertel, in dem er 1894 als Sohn eines jüdischen Händlers geboren wurde, der Moldawanka, die auch Unterschlupf für Gauner und Ganoven war, ein Denkmal gesetzt. Der Held seiner frech-fröhlichen "Geschichten aus Odessa" von 1931 ist Benja Krik, der Nachfolger des einäugigen Kriminellenhäuptlings Froim Gratsch. Als er den reichen Kaufmann Tartakowskij ausraubt, kommt dessen Angestellter Muginstejn durch eine verirrte Kugel ums Leben, worauf Krik, der "König", ihm ein opernhaftes Begräbnis ausrichtet und dessen Mutter besucht, die sich vor Schmerz auf dem Boden windet. Und Krik holt zu einer Rechtfertigungsrede mit theologischen Implikationen aus: "Aber jeder macht Fehler, sogar Gott. Es ist ein kolossaler Fehler passiert, Tante Pesja. Aber war es etwa von Gott kein Fehler, die Juden in Russland anzusiedeln, damit sie dort Höllenqualen leiden? Und was wäre schlecht daran, wenn die Juden in der Schweiz lebten, umgeben von erstklassigen Seen, Bergluft und lauter Franzosen?"

Bei aller flackernden Gewalt webt in Babels Erzählungen eine Sehnsucht nach friedlichem Zusammenleben und Zugehörigkeit. "Die Internationale der guten Menschen", von der Gedali träumt, ein Trödler aus Schitomir, mag auch der Traum des Autors gewesen sein. Das Entsetzen vor plötzlich ausbrechender Gewalt, banges Glück und Grauen, eine mit ersticktem Jubel beschworene Lebensfreude - das sind Isaak Babels Markenzeichen. Dass sein Name zu Recht zu den glanzvollsten in der russischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts gezählt werden darf, erweist sich unverkennbar an einer Neuausgabe seiner gesammelten Erzählungen.

"Die Reiterarmee", jenes Werk, das Babel 1926 schlagartig berühmt machte, hatte Peter Urban 1994 in einer vielgelobten, vorbildhaften Neuübersetzung herausgebracht. Dass sie in die neue Ausgabe des Hanser Verlages aufgenommen wurde, lässt sich als Hommage an den kürzlich verstorbenen bedeutenden Übersetzer verstehen. Alle anderen Übersetzungen stammen von Bettina Kaibach, und sie überzeugen durch schneidende Präzision und ein bewundernswertes Gespür für die raffinierte Rhythmik dieser Prosa, für Wortwitz und furchtlose Drastik. Es ist eine veritable Neuinszenierung eines Erzähltalents, das man mit Staunen und Genuss auf seinen diversen Wegen verfolgen kann.

Babel bedeutet ein sprachliches Abenteuer, weil er aus einer Vielzahl mündlicher Quellen schöpft. Er versetzt seine Erzählungen mit dem odessitischen Stadtdialekt, mit Ukrainismen und jiddischen Einsprengseln und schafft es durch eine wundersame Magie, dass sie dennoch wie aus einem Guss erscheinen. Der Zugewinn der mit vorzüglichen Anmerkungen versehenen neuen Ausgabe besteht auch darin, dass sie Einblicke in die Werkstatt eines besessenen Perfektionisten und Wortjuweliers vermittelt.

Die Herausgeber warnen zu Recht: Ein "Anatevka-Erlebnis" ist bei Babel nicht zu holen. Die traurig-selige Schtetl-Literatur eines Scholem Alejchem oder Mendele Mojcher Sforim darf man bei diesem urbanen, widersprüchlichen, an der Schockästhetik der russischen Moderne geschulten Intellektuellen nicht suchen. Er ist von durchtriebenem, abgründigem Witz, sein Stil ist oft verletzend lakonisch, dann wieder barock und theatralisch, mal zynisch, mal pseudonaiv. Zärtliche Anhänglichkeit an Tradition und Vergangenheit und fiebriges Aufbruchpathos ergeben eine literarische Mixtur, deren Vitalität und Virulenz auf jeder Seite verblüffen. Der altbackene Buchumschlag, der Nostalgie und Beschaulichkeit des neunzehnten Jahrhunderts suggeriert, wird von jeder Babelschen Zeile desavouiert.

Babels Werk und Werdegang kann man nicht verstehen ohne den Hintergrund der Traumatisierung durch den Oktoberpogrom von 1905 in der Stadt Nikolajew, der zu den schlimmsten der russischen Geschichte gehört. Die Eröffnung der Sammlung, die großartige Erzählung "Die Geschichte meines Taubenschlages", wo dem zehnjährigen Kind das ersehnte Taubenpaar, die Belohnung für die bestandene Aufnahmeprüfung ins Gymnasium, vom entfesselten Pöbel im Gesicht zermalmt wird, bleibt auch beim Wiederlesen ein Schock. "Zartes Taubengedärm kroch über meine Stirn, und ich schloss das letzte unverklebte Auge, um die Welt nicht zu sehen, die sich vor mir ausbreitete."

Den Juden blieb später, im Bürgerkrieg zwischen zarentreuen "Weißen" und bolschewistischen "Roten", oft nur die Wahl zwischen zwei Übeln. Die verstörende Erzählung "Der Weg" schildert eine Fahrt von Kiew nach Petrograd im Bürgerkrieg. Dem Lehrer Jehuda Weinberg wird im Zugabteil unvermittelt ins Gesicht geschossen, und er wird grausam verstümmelt. Als der Erzähler, aus dem Zug geworfen und nur um Haaresbreite demselben Schicksal entronnen, mit erfrorenen Füßen in Petrograd ankommt, wirft er sich als Übersetzer der Tscheka, dem Instrument des roten Terrors, in die Tentakelarme. Ein Zeitalter der Gewalt löst das andere ab. Der legendäre Ganovenchef Froim Gratsch wird von gefühllosen Tschekisten ohne Umstände liquidiert.

Der Zusammenprall des Alten und des Neuen zeigt sich exemplarisch in der Erzählung "Karl-Jankel". Der Vater will den Säugling zu Ehren von Karl Marx mit dem Namen des Klassenkampfphilosophen verziert sehen, die Familie der Mutter nennt ihn Jankel und lässt ihn heimlich beschneiden. Es kommt zur Gerichtsverhandlung, unterbrochen vom Schreien des Säuglings, der zuletzt von einer barmherzigen kirgisischen Amme - einer sowjetischen Madonna lactans - gestillt wird. Und der melancholische Erzähler hält eine bewegende Ansprache an das umkämpfte Kleinkind: "Es kann nicht sein, dass du nicht glücklich wirst, Karl-Jankel ... Es kann nicht sein, dass du nicht glücklicher wirst als ich ..."

Babels Erzählungen sind bei aller autobiographischen Prägung dennoch und in erster Linie Literatur, aber vom Feinsten. Die neue Ausgabe vermag da und dort Fragezeichen hinter das Autobiographische zu setzen. Sie legt einen Akzent auf Inszenierung und Theatralik, auf Fabuliererei, Geflunker und Verführung, auf die kleinen süßen Lügen der Literatur.

Als der beste Flunkerer erweist sich immer wieder der sich autobiographisch gebärdende Erzähler. Mehrere Geschichten schildern die Wege seiner phantasieverwöhnten Berufung. Oft hat das Erzählen eine erotische Dimension, es beruht auf jener "Verführung durch Stil", von der das exzellente Nachwort Bettina Kaibachs spricht. In "Mein erstes Honorar" ist die Liebesdienerin so umgarnt von den Fabulierkünsten des Kunden, dass er sich den Hurenlohn sparen kann. In "Guy de Maupassant" ist die Gattin eines reichen Rechtsanwalts, die sich an Übersetzungen des französischen Autors versucht, so hingerissen von den stilistischen Fertigkeiten ihres ausgehungerten Lektors und Jungautors, dass sie gern auch seine anderen Künste ausprobieren möchte. Wie Babel in die erotischen Meisterstückchen seine Prosapoetik nebenher hineinpackt, das ist mehr als ein virtuoser Trick: "Kein Eisen vermag so schneidend kalt ins menschliche Herz zu dringen wie ein zur rechten Zeit gesetzter Punkt."

Überhaupt das Vorbild Maupassant und dessen Werk, "geladen mit Mitleid, Genie, Leidenschaft": In der großen Hommage an seine Geburtsstadt Odessa orakelt der Erzähler, dass der herbeigesehnte "russische Maupassant", der "literarische Messias" der Moderne, aus dieser sonnendurchfluteten südlichen Stadt kommen müsse. Auf einen bestimmten Autor könnte das Signalement recht genau passen ...

Doch alle hochfliegenden Pläne enden im Sturzflug. Babel, der in den dreißiger Jahren kaum noch veröffentlicht und sich als "Meister des Schweigens" bezeichnet, sieht sich mit Vorwürfen der Sabotage an der Sowjetliteratur konfrontiert. Am 16. Mai 1939 wird er verhaftet und in der Moskauer Lubjanka wochenlang verhört und gefoltert, als Trotzkist, Terrorist und Spion bezeichnet. Babel klagt sich und andere an, widerruft dann aber seine Geständnisse. Am 27. Januar 1940 endet das Leben dieses hinreißenden Erzählers in den Erschießungskellern des NKWD als eines der prominenten Opfer von Stalins Schriftstellermassaker im Terror der "Säuberungen".

In seiner Moskauer Wohnung wurden Dutzende von Manuskripten, Notizblöcken, Briefen beschlagnahmt. Nichts davon ist je wieder aufgetaucht. Es bleiben ein paar Dutzend glanzvolle Erzählungen eines Jahrhundertautors, versammelt in der phantastischen Prosa-Arche dieses lobenswerten Bandes.

RALPH DUTLI

Isaak Babel: "Mein

Taubenschlag". Sämtliche Erzählungen.

Hrsg. von Urs Heftrich, Bettina Kaibach. Aus dem Russischen von Bettina Kaibach und Peter Urban. Hanser Verlag, München 2014.

862 S., geb., 39,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2014

Wie man mit Säbeln Honig erntet
Eine übersetzerische Großtat: Das erzählerische Gesamtwerk von Isaak Babel um die
„Reiterarmee“ und die „Geschichten aus Odessa“ liegt jetzt zum ersten Mal auf Deutsch vor
VON BURKHARD MÜLLER
An die mörderische Geschichte des 20. Jahrhunderts haben wir uns im Großen und Ganzen gewöhnt. Doch was uns immer noch zu bestürzen vermag, das sind die Fußnoten, die scheinbar belanglosen Dinge am Rand, auf die man nicht gefasst war.   Seine Erzählung „Weg nach Brody“ beginnt Isaak Babel so: „Ich trage Trauer um die Bienen. Verheert sind sie von feindlichen Armeen. In Wolhynien gibt es keine Bienen mehr. Wir haben die unbeschreiblichen Bienenstöcke geschändet. Wir haben sie ausgeräuchert mit Schwefel und gesprengt mit Pulver. Rußgeschwärzte Lappen verbreiteten Gestank in den geheiligten Republiken der Bienen. Sterbend, flogen sie langsam und summten kaum hörbar. Da wir kein Brot hatten, holten wir uns mit den Säbeln Honig. In Wolhynien gibt es keine Bienen mehr.“
  Natürlich ist viel Schlimmeres vorgefallen in diesem Krieg, an den heute kaum noch jemand denkt, dem Russisch-Polnischen Krieg von 1920, einem der vielen und gar nicht kleinen Konflikte, die im Osten Europas noch jahrelang wüteten, nachdem der Erste Weltkrieg im Westen vorbei war. Die russischen Kosaken und die polnischen Ulanen, zwei Heere zu Pferde, Orthodoxe gegen Katholiken, Kommunisten gegen Reaktionäre, überbieten einander an Grausamkeiten, besonders wenn es um die von beiden Seiten gehassten Juden geht. Doch mit dem Untergang der ganz unbeteiligten Bienenvölker, für Babel geheiligte Republiken, wird, jenseits des akuten Entsetzens, mit einem Mal erkennbar, was es heißt, wenn die Grundlage von Sitte und Kultur zerfällt.
  Und doch geht diese Trauer nicht mit der Anklage einher. Isaak Babel weiß, dass Soldaten, die kein Brot haben, nicht anders können, als sich den Honig zu holen, auch mit, vorsichtig ausgedrückt, nicht-nachhaltigen Mitteln. Babel ist Partei; er steht auf der Seite Russlands und der Revolution, er nimmt an der Offensive des Generals Budjonnyi als Berichterstatter teil und beliefert die Hauszeitung Roter Kavallerist mit seinen Texten. Er hat sich dabei selbst in der Gestalt des Ljutow porträtiert, des verdächtig bebrillten „Vierauges“, der von Glück sagen kann, wenn er, der Intellektuelle und Jude, unter diesen Haudegen ungeschoren davonkommt. Dass er dazugehört, muss er beweisen, indem auch er tötet, wenngleich für den Anfang nur eine Gans. Im Nachhinein ist es erstaunlich, dass die schonungslosen Geschichten der „Reiterarmee“ in Russland und der Sowjetunion der Zwanzigerjahre haben erscheinen können. Offenbar besaß der junge kommunistische Staat in erheblichem Maß die Kraft, den Anblick der Gewalt, die er ausübte und erlitt, auszuhalten.
  Das schützte das Werk des 1894 geborenen Babel freilich nicht vor Verstümmelungen. In den aufeinanderfolgenden Auflagen wurden immer wieder andere Stellen zensiert, mal wurde der Name des in Ungnade gefallenen Trotzki gestrichen, mal störte es die Behörde, dass der Erzähler einen geschenkten Apfel mit „Wehmut und Ehrfurcht“ verzehrt. Babel, heißt es im Anhang des von Urs Heftrich und Bettina Kaibach herausgegeben Bandes, trage seinen Namen zurecht: seine Überlieferungsgeschichte sei schlechthin babylonisch.
  Umso mehr muss man die Leistung des hier vorliegenden Bandes bewundern, der „Sämtliche Erzählungen“ und damit das Gesamtwerk Babels abzüglich der rein journalistischen Arbeiten zusammenführt. Außer der „Reiterarmee“ gehören dazu vor allem „Die Geschichten aus Odessa“, die Babels Popularität begründet haben. Sie spielen in einem Milieu jüdischer Gangster, einer Art von Mafia, die die ganze Stadt beherrscht – zu einem Zeitpunkt, wo es diesen so malerischen wie gewalttätigen Charakteren doch schon ans Leder ging, denn die neuen roten Machthaber kennen weder Tradition noch Pietät und knallen selbst den Paten ab, als wäre es ein ganz normaler Systemfeind. Der Autor (der in Odessa aufwuchs und aus der eigenen Erfahrung schöpfte) heißt das neue System willkommen; aber die Auslöschung des alten anarchischen Eigensinns bucht er doch mit einer Art von nostalgischer Bitterkeit.
  Speziell diese Odessa-Geschichten verlangen dem Übersetzer Erhebliches ab. Sie leben in einem sprachlichen Fluidum, das es so nicht mehr gibt: einem Umgangs-Russisch voller Ukrainismen, das sich syntaktisch ans Jiddische anlehnt, überformt durch das spezifische Rotwelsch der Gauner. In der alten Übersetzung von Kay Borowsky und Erwin Honig klang das so: „ ,In das Viertel ist gestern a neuer Polizeikommissar gekommen, soll ich Euch sagen von Tante Chana.‘ ‚Hab ich gewusst vorgestern. Und sonst?’ ‚Der Kommissar hat das Viertel zusammengerufen und geredet eine Rede . . .‘ ‚Neuer Besen kehrt gut. Er will machen eine Razzia. Und sonst?‘“
  Man versteht die neuen Übersetzer Bettina Kaibach und Peter Urban, dass ihnen dies als Karikatur des ostjüdischen Jargons zu weit ging. Bei ihnen liest sich diese Passage so: „Gestern hat das Polizeirevier einen neuen Vorsteher bekommen, lässt Tante Chana Ihnen sagen . . .‘ ‚Das weiß ich seit vorgestern‘, antwortete Benja Krik.
‚Weiter.‘ ‚Der Vorsteher hat das Revier versammelt und vor dem Revier eine Rede gehalten . . .‘ ‚Neue Besen kehren gut‘, antwortete Benja Krik. ‚Er will eine Razzia. Weiter . . .‘ “ Vermutlich ist das sogar genauer als die alte Version, denn dass der Kommissar vor seinem Revier eine Rede hält, muss man als viel wahrscheinlicher ansehen, als dass er dies vor dem ganzen ‚Viertel‘ tut. Und doch geht in der neuen, konsequent normalisierenden Fassung der sprachgestische Umriss dieser Menschen zu einem großen Teil verloren.
  Der letzte Teil trägt den Titel „Erzählungen vom Ruhm bis zum Verstummen“. In knappster Form spricht sich darin die Tragödie von Babels späteren Jahren aus. In dem Maß, wie sein schriftstellerisches Ansehen wuchs, nahm auch der Druck auf ihn zu, die Rolle des Staatsdichters zu übernehmen. Mochte er sich zunächst noch mit einer Farce durchwinden wie der vom Baby Karl-Jankel, in dessen Namen sich Marx und Ostjudentum ein skurriles Stelldichein geben, so ging er später wohl weiter, als es sich mit der geistigen Selbständigkeit eines Autors vereinbaren lässt. In „Das Ende von St. Hypatius“ verhöhnt er eine Ikone der Gottesmutter als dürres Weib mit grünen Hängebrüsten und schließt mit dem Emblem des Textilarbeiterverbands: „Hammer und Sichel und eine Frau am Webstuhl, von dem nach allen Seiten Strahlen ausgingen.“
  Die Eingriffe der Zensur lassen sich, wie die Herausgeber anmerken, mit erheblichem philologischem Aufwand vielleicht rückgängig machen; hoffnungslos aber ist es, heilen zu wollen, was die Selbstzensur angerichtet hat. Geholfen hat es Isaak Babel zuletzt nichts, so wenig wie sein persönlicher Umgang mit dem sowjetischen Geheimdienstchef Ježov, von dem er sich faszinieren ließ. Wie kam es dazu? Wollte er „mitmischen, wo der Tod ausgeteilt wird, um die Finger drin zu haben“,, wie sein Schriftstellerkollege Ossip Mandelstam ihn befremdet fragte? Babel erwiderte: „Nein, nicht die Finger, ich will nur schnuppern, wie es riecht.“ Er wird 1939 verhaftet, wegen Spionage angeklagt, gefoltert und am 27. Januar 1940 im Moskauer Ljubjanka-Gefängnis erschossen. Von den Texten, die er zuletzt noch geschrieben hatte, fehlt bis heute jede Spur.
Immer wieder wurden in Babels
Werk ganze Passagen zensiert,
Namen von Figuren gestrichen
Zwischen 1928 und 1932 malte Kasimir Malewitsch „Die Rote Kavallerie“.
Foto: oh
    
        
Isaak Babel: Mein Taubenschlag. Sämtliche Erzählungen. Hrsg. von Urs Heftrich und Bettina Kaibach. Aus dem Russischen von Bettina Kaibach und Peter Urban. Carl Hanser Verlag, München 2014. 864 Seiten, 39,90 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Die nun bei Hanser erschienene Edition seines Gesamtwerks zeigt erst, welch ein ungehobener Schatz da noch auf Leser wartet. Erlebtes und Erfundenes, Gewalt und Lebensfreude sind in Babels Texten unlösbar verflochten." Fanz Haas, Neue Zürcher Zeitung, 15.04.15

"Immer wieder ist es ein Glück Isaak Babel zu lesen. Ein Glück, aber auch eine Erschütterung. ... Wer noch keine Babel-Ausgabe besitzt, tut gut daran, seine zweitbeste Hose für diese Edition in Zahlung zu geben." Manfred Papst, Neue Zürcher Zeitung, 11.01.15

"Nichts da mit Folklore, sondern bleibende Erzählkunst". Kathrin Schmidt, Die Welt, 13.12.14

"Der meisterhafte Chronist der russischen Revolution ("Die Reiterarmee"), hier in seinen erschütternden Erzählungen zu entdecken." Jens Jessen, Die Zeit, 11.12.14

"Eine übersetzerische Großtat ... Umso mehr muss man die Leistung des vorliegenden Bandes bewundern, der 'Sämtliche Erzählungen' und damit das Gesamtwerk Babels abzüglich der rein journalistischen Arbeiten zusammenführt." Burkhard Müller, Süddeutsche Zeitung, 28.11.14

"Unglaublich stark ist dieser Erzählband; unglaublich stark auch die Wut nach dem Lesen - auf Babels Mörder, auf die UdSSR." Anna Prizkau, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 23.11.14

"Ein Wunder aus Odessa: Isaak Babels Erzählungen sind Literatur vom Feinsten - abgründig, lakonisch, theatralisch." Ralph Dutli, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.11.14

"Die perfekt übersetzten Geschichten werden manche Winternacht mit Einsichten in die Abgründe des Menschen bereichern. " Guido Kalberer, Tages-Anzeiger, 13.12.14…mehr