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'Heinrich von Pierer und die Siemens AG verbinden vier Jahrzehnte. Als Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender repräsentierte er 15 Jahre lang den Weltkonzern mit fast 500.000 Mitarbeitern in 190 Ländern. In seinem Leben spiegeln sich die deutsche und die Weltgeschichte des letzten halben Jahrhunderts. Ob Wiedervereinigung oder Kernkraft-Debatte, Aufstieg Asiens oder Irankonflikt, Dotcom-Blase oder Klimawandel neben der Wirtschaft ging es immer auch um Politik: Die Kanzler Kohl, Schröder und Merkel suchten Pierers Rat, mit dem chinesischen Ministerpräsident Li Peng diskutierte er über…mehr

Produktbeschreibung
'Heinrich von Pierer und die Siemens AG verbinden vier Jahrzehnte. Als Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender repräsentierte er 15 Jahre lang den Weltkonzern mit fast 500.000 Mitarbeitern in 190 Ländern. In seinem Leben spiegeln sich die deutsche und die Weltgeschichte des letzten halben Jahrhunderts.
Ob Wiedervereinigung oder Kernkraft-Debatte, Aufstieg Asiens oder Irankonflikt, Dotcom-Blase oder Klimawandel neben der Wirtschaft ging es immer auch um Politik: Die Kanzler Kohl, Schröder und Merkel suchten Pierers Rat, mit dem chinesischen Ministerpräsident Li Peng diskutierte er über Menschenrechte und als einziger Unternehmer trat er vor dem UN-Sicherheitsrat in New York auf. Selbstverständlich äußert sich "Mr. Siemens" außerdem zu den Hintergründen der Korruptionsaffäre, die das Unternehmen erschütterte.
Autorenporträt
Heinrich von Pierer studierte Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft in Erlangen. Seit 1992 ist er Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.01.2011

Verstohlene Nachtarbeit im leeren Chefsessel

Mit Cliffhanger-Dramaturgie: Heinrich von Pierers Autobiographie hat etwas Verstörendes, wenn man sie vor der im Buch aufreizend nachlässig analysierten Schmiergeldaffäre im Hause Siemens liest.

Als Heinrich von Pierer vergangene Woche in den Räumlichkeiten der Bundespressekonferenz seine Autobiographie vorstellte, waren sich viele Medienvertreter in einem Punkt einig: Man zeigte sich enttäuscht darüber, dass der Autor es an einer vertieften Auseinandersetzung mit der Schmiergeldaffäre bei Siemens fehlen ließ. Es geht um die zweifelhaften Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro, die zwischen 1999 und 2006 von Mitarbeitern des Unternehmens geleistet worden sind, in jener Zeit, als Pierer Vorstandsvorsitzender beziehungsweise Aufsichtsratschef bei Siemens war. Und in der Tat: Nur ein Zehntel seiner Autobiographie widmet sich ausdrücklich dem Korruptionsthema, und dies hauptsächlich in Form einer scharfen Medienkritik.

Nun versteht es sich nicht von selbst, dass eine Autobiographie die Rolle eines Korruptionsberichts übernehmen soll, aber die Dramaturgie, die Pierer für sein Buch wählte, schürt genau diese Erwartung, die dann als performativer Widerspruch gegen den Autor ausschlägt. Denn Pierer beginnt und beendet seine Autobiographie mit dem Bußgeldbescheid in Höhe von 250 000 Euro, den er von der Münchner Staatsanwaltschaft zur Unterschrift wegen verletzter Aufsichtspflicht vorgelegt bekommen hat, so dass der umfangreiche Textteil dazwischen als die weit ausholende Geschichte zum Bußgeldbescheid erscheint. Auf mehr als eine Ordnungswidrigkeit wurde tatsächlich nicht erkannt, Pierer ist weder verurteilt noch angeklagt worden, bis heute wies man ihm keine strafrechtlich relevante Beteiligung an der Schmiergeldaffäre nach (die fünf Millionen Euro, die er bei einem Vergleich an Siemens überwies, wollen nicht als Schuldeingeständnis gelten). Das Buch ist in eine Cliffhanger-Dramaturgie gespannt: Am Anfang, auf Seite 7, die Forderung der Staatsanwaltschaft: "Am Montag müsse der Bescheid unterschrieben werden." Dann vierhundert Seiten Buch, um auf Seite 417 mit dem Satz zu enden: "Am Montag, 1. März 2010, habe ich den Bußgeldbescheid unterschrieben."

Die Suggestion dieses Ringbaus ist klar. Das Buch "Gipfel-Stürme" hätte demnach den unausgesprochenen Untertitel: "Anatomie einer Ordnungswidrigkeit". Der Leser hat die Wahl: Entweder er entzieht sich der Suggestion und ärgert sich darüber, dass die Erwartung nicht erfüllt wird und der größte Teil des Buches mit der Schmiergeldaffäre augenscheinlich nichts zu tun hat. Oder er liest auch diesen größeren Teil als Subtext zum Korruptionsskandal, was sich als eine im Ganzen reizvolle und nicht unfruchtbare Lektüre erweist. Man gewinnt dann einen Eindruck davon, wie sich eine Biographie von einem einzigen Punkt her erzählt: von dem Punkt, nicht mehr der zu sein, der man einmal in dem kompakten Sinne eines Selbstverständnisses gewesen ist.

Mit diesem Selbstverständnis ist das Selbstverständliche der Biographie weggebrochen, die Form zertrümmert, auf die man alle seine Erfahrungen zu beziehen gewöhnt war. In der Erzählung kann Pierer noch einmal die Position des Siemens-Lenkers einnehmen, von der aus er die Stationen seines Lebens auf die Reihe bekommt. Womit auch gesagt ist: Von einer anderen Position als dieser des gewesenen Repräsentanten der Deutschland AG, des Beraters der hohen Politik von Kohl, Schröder und Merkel, des Redners vor dem UN-Sicherheitsrat in New York - von einer anderen Position als jener des Drahtziehers im Establishment kommt hier kein Verslein zustande. Damit hat das Phantomhafte des Buches zu tun, das Erzähler-Ich ist bei aller Authentizität ein notgedrungen auktoriales, dem seit seinem Ausscheiden aus dem Konzern keine Referenzstelle in der Wirklichkeit mehr entspricht. Deshalb macht Pierer so viel Gewese um sein "Hausverbot" bei Siemens, obwohl es sich doch in vielen Unternehmen aus guten Gründen von selbst versteht, dass frühere Chefs nicht mehr ein- und ausgehen. Aber mit dem "Hausverbot" bei Siemens scheint zugleich der Weg zum eigenen Ich versperrt, weswegen sich die Arbeit an einer Autobiographie eigentümlicherweise nur als ein fiktionales Projekt bewerkstelligen lässt, als verstohlene Nachtarbeit im leeren Chefsessel, auf dem tagsüber schon jemand anders sitzt.

Aus diesem über Nacht beschlagnahmten Chefsessel lässt man sich über die Machtlosigkeit der deutschen Chefs belehren. Hatten die Verfasser des Bußgeldbescheids etwa vergessen, dass "rechtlich gesehen ein Vorstandsvorsitzender in Deutschland weniger Macht (hat), als manche meinen"? Pierer stellt klar: "Er hat nur beschränkte Möglichkeiten, direkten Einfluss zu nehmen. Er ist gegenüber den anderen Vorstandskollegen nicht weisungsberechtigt. Greift er mit einem Vorschlag zu sehr in die Interessen des jeweiligen Vorstands ein, heißt es: ,Bitte respektieren Sie mein Ressort!'. Auch ich habe das zu hören bekommen." Na dann, denkt sich der auf Pierers Dramaturgie der Schmiergeldaffäre fixierte Leser, na dann hat er ja nichts gegen die Korruption machen können, selbst wenn er gewusst und gewollt hätte. Solche bewusst schillernd abgefassten Passagen verstören, wenn man sie vor der im Buch aufreizend nachlässig analysierten Korruptions-Thematik liest.

Als Choreograph der Unternehmensgeschichte übersteht Pierer noch immer Gipfelstürme, die Gipfeltreffen von damals (der Bildteil illustriert sie mit 28 Fotos als etwas gespenstische Ikonographie der Vita Pierer) sind nicht abgeschlossen, sondern überblenden ex opere operato die desillusionierte Gegenwart: "Join Siemens and you will see the world. Dieser Slogan ist für mich bei Siemens Wirklichkeit geworden. Darauf beruhen die wunderbaren Erfahrungen, die ich in aller Welt machen durfte", schreibt Pierer. "Umso mehr schmerzt mich, dass der Korruptionsskandal in den letzten Jahren einen Schatten auf die vielen vorausgegangenen Jahre wirft, dass durch die Ereignisse der jüngsten Zeit die Früchte der Vergangenheit in den Hintergrund rücken und dass zeitweise sogar der Eindruck entstehen konnte, es habe nichts anderes Berichtenswertes gegeben. Doch gerade weil ich schon so viele Gipfelstürme überstanden habe, bin ich voller Zuversicht, dass sich im Laufe der Jahre die Wahrnehmung klären wird."

In seinem Buch - ein Impulsreferat zu diesem kommunikativen Klärungsprozess ("Ich galt als Kommunikator") - blickt der Autor auf die Gipfellandschaft zurück, auf jenes bei Nacht und Nebel entworfene 10-Punkte-Programm ("ein Urknall") etwa, mit dem Pierer 1998 den Spekulationen um seine Ablösung ein Ende machte und Siemens "vom verschlafenen Hoflieferanten und verkrusteten Beamtenladen zum dynamischen Zukunftswert" (zustimmend aus "Cicero" zitiert) machte. Wie aber sollte man Produktivität, Innovation und Wachstum als Unternehmensziele auf den einprägsamen Begriff bringen? Der Urknall ist hier nicht ohne den Volltreffer, das 10-Punkte-Programm nicht ohne das "top"-Programm berichtenswert: "Wir nannten das den Kulturwandel, den wir im Unternehmen erzielen wollten." Die Sache mit "top" verhielt sich so: "Nach einiger Zeit, nachdem so mancher Vorschlag unterbreitet und aus dem einen oder anderen Grund verworfen worden war, schlug jemand aus dem Projektteam time optimized processes vor, und das könne man top abkürzen. Ein Volltreffer! Die ausformulierte Wendung time optimized processes geriet sehr schnell in Vergessenheit, aber das Wort top hat sich durchgesetzt, nicht zuletzt auch auf seiner Konnotation im Sinne von erstklassig, spitze."

Ruft man heute in der Pressestelle von Siemens an, um ein Foto des "top"-Logos zu erhalten, weiß keiner mehr, wovon man redet. Der große Sprung von damals droht heute nicht einmal mehr als Hüpfer wahrgenommen zu werden. Weiß in der Pressestelle denn wirklich keiner mehr, was Pierer meint, wenn er in seinem Manifest gegen die Gipfelvergessenheit Gefühl und Phantasie beschwört? "Natürlich haben wir auch versucht, durch die üblichen Marketingmaßnahmen zu emotionalisieren: Es gab entsprechende Stifte, Blöcke und Fahnen mit einem eigenen top-Logo, das die einzelnen regionalen Einheiten auf ihre Weise abgewandelt haben. Einige haben dabei richtig Phantasie entwickelt, in Kanada beispielsweise war ein Ahornblatt in das top-Zeichen integriert. Dadurch konnten die Landesgesellschaften auch optisch signalisieren, dass sie das Programm akzeptierten und zur Leitlinie ihres Verhaltens machten."

Auch hier wieder dasselbe Bild: Der gewisse skurrile Effekt solcher Darstellungen verdankt sich dem Proportionsproblem des Buches. Pierer erwähnt die enthusiastische Entwicklung von PR-Fähnchen, die papierene Beschreibung von Chefplanstellen, die Empörung übers Hausverbot auf einer Linie mit dem Desaster der betrieblichen Korruption. In dieser Art, leutselig die Maßstäbe zu verwischen und die letztlich doch ausgesparte Analyse der Schmiergeldaffäre durch allerlei sonst noch Interessantes zu ersetzen, erscheint das Buch als ein aufwendig inszeniertes Ablenkungsmanöver. Selbst auf die zahlreichen, zum Teil köstlich erzählten Anekdoten - wie ich einmal mit Schröder und Stoiber um die Präsidentschaft der Europäischen Kommission trank, wie ich einmal Helmut Schmidt ein Hörgerät aus hauseigener Produktion verschaffte - fällt so ein fahles Licht.

Was freilich Medienorgane nicht berechtigt, die juristische Unschuldsvermutung in den Wind zu schlagen und über den Fall Pierer zu berichten, als sei doch, fehlende Anklage und Verurteilung hin oder her, klar, dass der Mann Dreck am Stecken habe. Solche Art von Verdachtsberichterstattung beklagt Pierer mit aussagekräftigen Beispielen in seinem Buch zu recht. Erst in der vergangenen Woche musste eine überregionale Tageszeitung "in eigener Sache" melden, falsch aus Pierers Bußgeldbescheid zitiert zu haben, wonach der Manager seine Aufsichtspflicht verletzt und dadurch das Unternehmen Siemens "erheblichen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt" habe. In einer Zwischenzeile hatte die Zeitung daraus gemacht: Pierer habe Siemens "erheblichen wirtschaftlichen Schaden zugefügt". Dass man sich solche Schludrigkeiten bei einer juristisch derart brisanten Materie leistet, legt den Eindruck nahe, dass Heinrich von Pierer für manche Beobachter den Rang von Freiwild eingenommen hat. Dem steht neben den Aussagen der Staatsanwaltschaft auch die Lebensleistung entgegen, die mit dieser Autobiographie vor dem Vergessen bewahrt werden möchte.

CHRISTIAN GEYER.

Heinrich von Pierer: "Gipfel-Stürme". Die Autobiographie. Econ Verlag, Berlin 2011. 431 S., geb., 24,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Für diesen Autor gilt laut Rezensent die Unschuldsvermutung. Dass Heinrich von Pierer in seiner Autobiografie jedoch derart lautstark die Korruptionsthematik verschweigt beziehungsweise  dramaturgisch geschickt kurz am Beginn und am Ende des Buches behandelt und stattdessen anekdotenreich seine Lebensleistung ausbreitet, empfindet Christian Geyer dann doch als ein An-der-Nase-Herumführen des Lesers. Geyer selbst unterläuft diese Dramaturgie, indem er einfach alles dazwischen als Subtext zur Schmiergeld-Affäre liest. Pierers Geschichte erscheint ihm sodann reizvoll aber auch ein bisschen phantomhaft, weil Pierers Rausschmiss bei Siemens dem Mann im Grunde die Grundlage seines Seins entzogen hat, so kommt es Geyer jedenfalls vor. Skurril bleibt für ihn auch, über niedliche PR-Aktionen bei Siemens oder Pierers Weinchen und Bierchen mit Schröder, Stoiber und Co. zu lesen, immer mit der Ahnung, gerade einem aufwendigen Ablenkungsmanöver beizuwohnen.

© Perlentaucher Medien GmbH