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Eine neue Form der Männergesellschaft Auf der ganzen Welt gerät das ausgewogene Zahlenverhältnis zwischen den Geschlechtern aus der Balance. Es gibt zu viele Jungen und zu wenig Mädchen. Das gilt für China, wo die Differenz mit 163 Millionen fehlenden Frauen bereits der Gesamtanzahl der weiblichen Bevölkerung der USA entspricht, es gilt für Indien, aber inzwischen auch für weitere Länder in Osteuropa, Afrika und Lateinamerika.
Anders als bisher angenommen verschwindet das Phänomen nicht mit steigendem Wohlstand und wachsender Bildung. Der Frauenmangel führt zu steigender Gewalt gegenüber
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Produktbeschreibung
Eine neue Form der Männergesellschaft
Auf der ganzen Welt gerät das ausgewogene Zahlenverhältnis zwischen den Geschlechtern aus der Balance. Es gibt zu viele Jungen und zu wenig Mädchen. Das gilt für China, wo die Differenz mit 163 Millionen fehlenden Frauen bereits der Gesamtanzahl der weiblichen Bevölkerung der USA entspricht, es gilt für Indien, aber inzwischen auch für weitere Länder in Osteuropa, Afrika und Lateinamerika.

Anders als bisher angenommen verschwindet das Phänomen nicht mit steigendem Wohlstand und wachsender Bildung. Der Frauenmangel führt zu steigender Gewalt gegenüber Frauen, Zwangsverheiratungen und grenzüberschreitendem Frauenhandel.

"Hast du keinen Jungen, verlierst du dein Gesicht ... die dramatischen Folgen selektiver Geburtenkontrolle." Süddeutsche Zeitung
Autorenporträt
Mara Hvistendahl ist eine vielfach ausgezeichnete amerikanische Wissenschaftsjournalistin. Sie unterrichtet Journalismus an der Fudan Universität Shanghai, ist Asien-Korrespondentin für 'Science' und schreibt unter anderem auch für 'Harper's', 'Scientific American', 'Popular Science', die 'Financial Times' und 'Foreign Policy'. Ihr Buch 'Unnatural Selection. Choosing Boys over Girls, and the Consequences of a World Full of Men' (bei dtv 'Das Verschwinden der Frauen. Selektive Geburtenkontrolle und die Folgen') war 2012 unter den Finalisten des Pulitzer-Preises in der Kategorie "General Nonfiction".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.06.2013

Dem Volk war damit nicht gedient

Chinas Ein-Kind-Politik hat das Gleichgewicht der Geschlechter zerstört. Langsam dreht sich der Trend.

VON SONJA KASTILAN

Bis zu sieben Kinder von vier Frauen soll er haben. Selbst wenn es sich um einen Prominenten handelt, ist das normalerweise nur für die Klatschblätter eine Nachricht. In diesem Fall weckten die Gerüchte Anfang Mai aber auch das Interesse seriöser Zeitungen. Denn sie galten dem chinesischen Regisseur Zhan Yimou. Bevor er durch das Heldenepos "Hero" bekannt wurde, machte sich Yimou einen Namen durch Filme wie "Rote Laterne", in denen er seine Hauptdarstellerinnen gegen Tradition und Konvention aufbegehren ließ. Nun stand der Regisseur plötzlich unter Verdacht, selbst gegen Regeln verstoßen zu haben. Das chinesische Familienplanungsamt prüfe die Vorwürfe, hieß es in den Medienberichten, ermittele aber noch nicht, ob Zhan Yimou tatsächlich gegen die offizielle Ein-Kind-Politik gehandelt habe. Experten halten in einem solchen Fall eine Geldstrafe von umgerechnet zwanzig Millionen Euro für möglich.

Seit 1979 schränkt die chinesische Regierung auf drastische Weise das Wachstum ihrer Bevölkerung ein. Das soll den Lebensstandard heben und die Wirtschaft des Landes fördern. Nach offiziellen Angaben sind auch heute noch 63 Prozent der chinesischen Paare dazu verpflichtet, nur ein Kind in die Welt zu setzen. Es gibt jedoch Ausnahmen von der Regel: In bestimmten ländlichen Regionen ist zum Beispiel ein zweites Kind erlaubt, wenn das Erstgeborene ein Mädchen ist. Auffallend häufig ist das zweite Kind dann ein Junge.

"Weißt du schon, was es ist?" "Nein, nach dem nächsten Ultraschalltermin vielleicht. Ich wünsche mir ja ein Mädchen." So klingen in Deutschland typische Gespräche über Schwangerschaften. Niemand käme hierzulande wohl auf die Idee, dass werdende Mütter nicht überall so denken. Ein Sohn wäre in den meisten deutschen Familien ebenso willkommen, aber erzwingen würde man das nicht. Weder die Tochter abtreiben noch sie nach der Geburt ertränken. In China war das lange Zeit üblich. Erst in den neunziger Jahren wurden Verbote ausgesprochen. Vor zehn Jahren startete außerdem eine Kampagne, erst in 24 ausgewählten Landkreisen, ein paar Jahre darauf landesweit. "Sorgt euch um die Mädchen!", hieß es - offenbar erfolgreich, wie sich im Geschlechterverhältnis der Neugeborenen zeigte.

Im Reich der Mitte werden Söhne seit alters bevorzugt. Töchter übernahmen in der durch konfuzianische Prinzipien und eine männlich-väterlich dominierte Kultur geprägten Gesellschaft höchstens Nebenrollen. Durch die Ein-Kind-Politik verschärfte sich das Dilemma. Das Verhältnis der Geschlechter verschob sich zunehmend (siehe "Millionen Frauen fehlen"). Anfang dieses Jahrtausends kamen bei den Neugeborenen durchschnittlich 120 Jungen auf 100 Mädchen. Für dieses Ungleichgewicht gibt es keine biologischen Erklärungen. Weder Umweltkatastrophen noch Erbleiden waren die Ursache, sondern gezielte Schwangerschaftsabbrüche. Die Zahl der männlichen Neugeborenen übertraf im Jahr 2005 die der weiblichen um 1,1 Millionen. In China lebten zu dieser Zeit schätzungsweise 32 Millionen mehr Männer im Alter unter zwanzig Jahren als Frauen. Man entschied sich in vielen Fällen gegen Töchter, die wiederum später als Partnerinnen fehlten. Und zwar in einem gewaltigen Ausmaß.

1989 sprach sich das chinesische Gesundheitsministerium erstmals gegen die Geschlechtsbestimmung von Ungeborenen aus. 2002 wurde es dann ausdrücklich verboten, Ultraschall oder andere Techniken anzuwenden, um herauszufinden, ob ein weiblicher oder männlicher Fetus im Bauch einer Schwangeren heranreift. Doch Ultraschalluntersuchungen sind nach wie vor weit verbreitet. Allein die Tatsache, dass verschiedene Regulierungen gegen deren Missbrauch existieren, sei ein Hinweis darauf, dass es ihn gab, sagt Therese Hesketh, die am Department for Population Health Sciences des University College in London und an der Zhejiang Universität in China lehrt. Abtreibungen des Geschlechts seien inzwischen zwar illegal, die britische Medizinerin habe jedoch schon mit mehreren Frauen gesprochen, die einen solchen Eingriff vornehmen ließen, weil ein Sohn gewünscht war.

"Wir haben vor zehn Jahren angefangen, die Auswirkungen der Ein-Kind-Politik zu untersuchen", berichtet Hesketh. Die Veränderung des Geschlechtsverhältnisses, der sogenannten Sex Ratio at Birth (SRB), sei ein deutlicher Effekt gewesen. Insbesondere nach Einführung von Ultraschalluntersuchungen Mitte der achtziger Jahre entwickelte sich ein starkes Ungleichgewicht. "China ist nicht das einzige Land, in dem dadurch deutlich weniger Mädchen geboren wurden", sagt Hesketh. Solche selektiven Schwangerschaftsabbrüche würden außerdem vergleichsweise spät durchgeführt. Diesen Zusammenhang sehe man auch in Südkorea sowie in Taiwan und einigen Teilen Indiens wie Punjab, Delhi oder Gujarat, ganz im Gegensatz zu Kerala im indischen Süden, wo das Geschlechterverhältnis ausgewogen ist.

Kulturelle oder ethnische Unterschiede sind selbst bei indischen Migranten in Großbritannien oder Norwegen zu beobachten, obwohl es dort schwieriger ist, ein Kind abhängig vom Geschlecht abzutreiben. Mediziner des Rikshospitalet in Oslo berichteten 2010 im Fachjournal "BMC Pregnancy and Childbirth", dass Inderinnen in Norwegen vergleichsweise häufiger Söhne zur Welt brachten als pakistanische Frauen. Gerade bei einer zweiten oder dritten Schwangerschaft wurden unnatürlich wenige Töchter geboren. Den Verdacht, dass sie selektiv abgetrieben wurden, hegen zumindest die norwegischen Ärzte, obwohl ihre Zahlen nicht eindeutig darauf hinwiesen. Neue, signifikante Daten hätten sie leider nicht, erklärt Narpinder Singh auf Nachfrage. Aus England und Wales oder dem kanadischen Quebec gebe es allerdings ähnliche Zahlen. Es sei auch eine positive Entwicklung zu erkennen: "Bei Kindern von indischstämmigen Müttern, die in westlichen Ländern geboren und aufgewachsen sind, entspricht das Geschlechtsverhältnis dem ihrer Geburtsländer." Es nimmt also normale Züge an.

Davon sind die Verhältnisse in China und Indien noch weit entfernt. Zugleich wird beobachtet, dass derzeit auch in Vietnam, Armenien, Georgien und Aserbaidschan auffallend mehr Söhne geboren werden. Das ist einer von vielen Aspekten, denen die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Mara Hvistendahl in ihrem kürzlich auf Deutsch erschienenen Buch "Das Verschwinden der Frauen" nachgeht. Sie stellt die selektive Geburtenkontrolle in einen größeren Zusammenhang. Dabei betrachtet sie auch den früheren Einfluss der Kolonialmächte sowie den männlichen Irrglauben, dass Töchter eher verzichtbar wären, wenn es gilt, die Bevölkerungsexplosion zu verhindern.

Hvistendahl beschränkt sich bei ihrer Schilderung nicht auf Entwicklungs- und Schwellenländer, sondern kritisiert zugleich die Auswüchse der modernen Reproduktionsmedizin. Reiche Amerikanerinnen beispielsweise schrecken durchaus nicht vor einer Geschlechtswahl bei der künstlichen Befruchtung zurück, wenn sie sich in den Kopf gesetzt haben, Prinzessinnen zur Welt zu bringen, die sie in rosa Kleidchen stecken können. Hvistendahl hat eine ganze Sammlung wahrer Schauermärchen zusammengetragen.

Vor allem in ärmeren, ländlichen Gebieten, wo der ausländische Einfluss gering ist und die Männer heute in der Überzahl sind, wird das Ungleichgewicht der Geschlechter zum Problem. Zwar fühlen sich Frauen in China heute mehr geachtet und geschätzt, auch ihr Selbstwertgefühl ist gestiegen. Doch das Missverhältnis wirkt sich unverändert aus. Frauen würden häufiger entführt und zur Heirat oder Prostitution gezwungen, heißt es immer wieder. Aber es gibt auch subtileres Leiden. "In den Regionen Chinas, in denen ein starkes Ungleichgewicht herrscht und viele unverheiratete Männer leben, fühlen sich die Frauen sehr unwohl", sagt Therese Hesketh. Nicht unbedingt weil sie direkten Angriffen ausgesetzt seien, sondern weil die männlich geprägte Umgebung sie verunsichere. "In der chinesischen Gesellschaft sind Geld und Status enorm wichtig, dazu tragen eine Hochzeit und Kinder bei. Für Frauen ist es leichter, sie können sozusagen nach oben heiraten." Männer könnten sich dem gesellschaftlichen Druck hingegen nicht auf diese Weise entziehen und klagten häufiger über Armut. Sie beschrieben sich selbst als hoffnungslos, traurig und einsam.

Die Medizinerin hat ihre Studie Anfang dieses Jahres im "Journal of Affective Disorders" veröffentlicht. Die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache: "In den stark betroffenen Regionen neigen Männer häufiger zu Depressionen und Selbstmordgedanken. Doch auch die Frauen sind dort depressiv." Immerhin würde man psychische Probleme in China inzwischen ernster nehmen, auch wenn sich dort weniger als zwei Psychiater um jeweils hunderttausend Einwohner kümmern müssen, wovon Städter wohl mehr profitieren als die Landbevölkerung.

Angesichts einer solchen männlichen Übermacht, die für ihre sexuelle Frustration und psychische Schwächen kein anderes Ventil findet, rechnen Sozialwissenschaftler automatisch mit höherer Gewaltbereitschaft und aggressivem Verhalten. Empirisch ließ sich diese Befürchtung lange Zeit nicht bestätigen. Allerdings fand Hesketh inzwischen erste Hinweise für eine leichte Zunahme. Das blieb auch der chinesischen Führung nicht verborgen. Weil das die Stabilität des Landes bedrohen könnte, macht sie sich seit einigen Jahren für die Chancengleichheit der Mädchen stark. Mit gewissem Erfolg, wie eine demographische Erhebung aus dem Jahr 2010 annehmen lässt: Es wurden durchschnittlich nur noch 118 Jungen je 100 Mädchen geboren.

Obwohl sich eine echte Balance im Geschlechterverhältnis erst in Jahrzehnten einstellen wird, stimmt dieser Rückgang Therese Hesketh optimistisch. "Ich habe mit vielen Menschen in China gesprochen, und es scheint, dass sie das Problem erkannt haben und wirklich etwas ändern wollen." Auf einem Sohn zu beharren ist nicht mehr der große Wunsch, ganz im Gegenteil: "Sie wünschen sich Töchter."

Literatur: Mara Hvistendahl, "Das Verschwinden der Frauen". Deutscher Taschenbuch Verlag,, München 2013. 424 S., geb., 24,90[Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Das Thema findet Eva Berendsen so düster wie wichtig. Die Wissenschaftsjournalistin Mara Hvistendahl reist um die Welt, um dem Frauenschwund auf die Spur zu kommen, und berichtet über die Abtreibungspraxis in China, Indien und Teilen Osteuropas, wo ein Mädchen als Nachwuchs nichts gilt. Berendsen ist schockiert über das, was sie liest. Ein bisschen schockieren sie allerdings auch die mangelhaften Übersetzungen im Buch und das Gehetzte der Autorin von einem Ort zum nächsten, immer auf der Suche nach neuen Belegen für ihre These. Ein besser strukturiertes Buch hätte dem Thema gutgetan, meint die Rezensentin.

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