Reportagen aus Bagdad - Im Winter des Jahres 2002 harrt Bagdad im Warten auf den Angriff der USA aus. Die surreale Stimmung vor dem Krieg gibt einen Vorgeschmack auf die Anarchie, die diem US-Angriff folgen würde, als Saddams Hunderte von Häftlingen und psychisch Kranken aus dem Abu Ghraib-Gefängnis
amnestierte und sie buchstäblich auf der Straße stehen ließ. John Lee Anderson gibt zunächst…mehrReportagen aus Bagdad - Im Winter des Jahres 2002 harrt Bagdad im Warten auf den Angriff der USA aus. Die surreale Stimmung vor dem Krieg gibt einen Vorgeschmack auf die Anarchie, die diem US-Angriff folgen würde, als Saddams Hunderte von Häftlingen und psychisch Kranken aus dem Abu Ghraib-Gefängnis amnestierte und sie buchstäblich auf der Straße stehen ließ. John Lee Anderson gibt zunächst Einblick ins diplomatische Handwerkszeug eines Auslandskorrespondenten. Während seine Journalisten-Kollegen nach und nach das Land verlassen oder noch mit ihren Agenturen über Bleiben oder Gehen verhandeln, bereitet Anderson sich auf den Krieg vor. Sein Geschäft mit den Nachrichten erfordert Fahrer, Dolmetscher, einen Aufpasser des Informations-Ministeriums, Visum, Presseausweis und zahlreiche Genehmigungen. Andersons Kontakt-Personen wollen in Friedens- wie in Kriegszeiten bei Laune gehalten werden. Der amerikanische Journalist mietet ein Zimmer in einem unauffälligen Hotel, kauft Generator, Trinkwasser und Vorräte ein. Er nutzt dafür eine pragmatische Verbindung auf Gegenseitigkeit zu einheimischen Gewährsleuten, die sich von ihm glaubwürdige Informationen zu ihrer persönlichen Gefährdung erhoffen. . Im Gespräch mit seinem langjährigen Fahrer, beim Friseur, Schuhputzer oder Geldwechsler fängt Anderson die Stimmung in der Stadt ein. Es sind diese Verbindungen zu einfachen und prominenten Irakern, die Bremers "Briefe aus Badgdad" im New Yorker so authentisch lesenswert machten. - Der Einmarsch der Amerikaner in Bagdad in der ersten Aprilwoche 2003 konfrontiert Anderson mit der politischen wie militärischen Ahnungslosigkeit der jungen Soldaten. Als Anderson bei den Amerikanern um die Bewachung eines Krankenhauses gegen drohende Plünderungen bittet, scheint es im ersten Moment, als wollte die US-Armee das Krankenhaus beschießen. Anderson erlebt sprachlos eine ziel- und hilflose Befreiungstruppe. Der langjährige Korrespondent entdeckt, in wie winzigen Ausschnitten er selbst die 5-Millionen-Stadt vorher nur gekannt hatte. Schlaglichtartig zeigen zwei Meinungen die Einschätzung der Zivilbevölkerung: Andersons Fahrer muss einsehen, dass sein sorgfältig gespanntes Netz aus "wohlwollenden" Polizisten und Kontaktpersonen nicht mehr existiert und er statt dessen jungen, ungehobelten Männern in Tarnanzügen zu gehorchen hat. - ... Anderson vermittelt seinen Lesern eine Ahnung davon, welche Lücke im sozialen und politischen Leben die Nomenklatura der Saddam-Ära hinterlässt, wenn sie sich ins Ausland absetzt. Andersons Berichte enden ein Jahr nach Kreigsbeginn. -Anderson zeigt sich in seinen für das Buch (Engl: The Fall of Baghdad, 2004) überarbeiteten Reportagen als einfühlsamer Beobachter, dem sich die Menschen leicht öffnen. Schon seine Berichte aus der Zeit vor 2003 ließen aufmerksame Leser daran zweifeln lassen, dass die alleinige Beseitigung des Saddam-Regimes zur Einführung demokratischer Strukturen im Land führen würden. Anderson öffnet seinen Lesern die Augen für fremde Kulturen – im Fall des Irak hätte man seine Reportagen in den USA nur lesen müssen.