Berlin unterm Hakenkreuz: Blanka Alperowitz erlebt als Jüdin all die Erniedrigungen, Diskriminierungen und Verfolgungen der Nationalsozialisten hautnah. Die Lehrerin weiß um die Züge, die mit unbekanntem Ziel in den Osten fahren, kennt manche der mit ihnen Deportierten, aber sie ahnt nur, dass es Transporte in den Tod sind. Alperowitz beschreibt das Alltagsleben der in der Reichshauptstadt verbliebenen Juden, schreibt über die unzähligen Verbote, die drangsalierte Jüdische Gemeinde, für die sie tätig ist, die angepassten Deutschen und ihre eigene unglaubliche Rettung nach Erez Israel im November 1942. Ihr Bericht wird 1943 in Tel Aviv veröffentlicht - ein authentisches Zeugnis der NS-Verfolgung.
Der Politikwissenschaftler und Journalist Klaus Hillenbrand hat ihren kaum bekannten Text ediert und um eine Biographie von Blanka Alperowitz erweitert.
Der Politikwissenschaftler und Journalist Klaus Hillenbrand hat ihren kaum bekannten Text ediert und um eine Biographie von Blanka Alperowitz erweitert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2017Letzte Liste
Juden in Berlin 1942
Der von Klaus Hillenbrand edierte Text von Blanka Alperowitz erschien erstmals als Broschüre 1943 in Tel Aviv. Die Autorin kam damit einem Wunsch jener 80000 nach Palästina emigrierten deutschen Juden nach, die sich um das Schicksal ihrer noch im Deutschen Reich lebenden oder bereits ermordeten Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn sorgten. Alperowitz war als eine der letzten deutschen Jüdinnen und Juden den Deportationen nach Osten entkommen, weil sie auf der Liste einer Austauschaktion zwischen Großbritannien und Deutschland stand.
In Palästina lebende Mitglieder einer evangelisch-pietistischen Sekte der Templer, die im 19. Jahrhundert ausgewandert waren, wurden gegen britisch-palästinensische Staatsangehörige, vor allem Juden, ausgetauscht. Sie hatten sich meist zufällig bei Kriegsbeginn im Deutschen Reich oder Polen bei Verwandten zu Besuch befunden; ihnen war die Ausreise bis dahin nicht gelungen. Alperowitz verdankte ihren Platz auf der 137 Namen umfassenden Liste wohl ihrem prominenten Vater, dem Schriftsteller und Zionisten Albert Katz, gewiss aber dem Engagement ihres Mannes Jacob Alperowitz, der 1939 geflüchtet war. Unterstützt wurde er in seinen Bemühungen um die Ausreise seiner Frau von der Jewish Agency for Palestine. Vor ihrer strapaziösen Reise nach Palästina über Wien und Istanbul hatte die ehemalige Religionslehrerin im Berliner Katasteramt gearbeitet, wo sie dafür zuständig war, Wohnungen zu erfassen, in denen Juden lebten. Sie übernahm dieses Amt als Mitglied der "Jüdischen Kultusvereinigung", die unter anderem versuchte, Institutionen wie Schulen, Altenheime und Waisenhäuser zu organisieren und Reste jüdischen Gemeindelebens zu gestalten.
Im Herbst 1941 stellte die Gestapo die Jüdische Gemeinde in Berlin vor die Alternative, bei der Abholung von Juden und Unterbringung in Sammelstellen mitzuwirken oder die Arbeit gleich der SS zu überlassen. Alperowitz und andere wirkten bei den Deportationen mit, in der Hoffnung, humanitäre Hilfe bieten zu können. Außerdem wurden alle vorläufig von den Deportationen zurückgestellt, die einer Arbeit nachgingen. Vor allem Männer schufteten unter schweren körperlichen Belastungen in Fabriken zu Hungerlöhnen.
Was Blanka Alperowitz auf rund vierzig Seiten nüchtern und präzise beschreibt, liest man mit großer Beklemmung. Es wird deutlich, wie die Nationalsozialisten immer neue Gesetze, Verordnungen und Schikanen ersannen, um die noch verbliebene jüdische Bevölkerung zu exkludieren, zu demütigen und zu quälen. Firmen wurden "arisiert", Arbeitsverhältnisse gekündigt, Schulen geschlossen, und Juden wurden systematisch aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Sie durften in Parks zunächst nur für sie gekennzeichnete Bänke benutzen, dann gar keine mehr. Öffentliche Verkehrsmittel durften nur nach den "Ariern" betreten werden, dann kam es zum völligen Nutzungsverbot. Die Essensrationen auf den Lebensmittelkarten wurden derart reduziert, dass die dort zugestandene Kalorienmenge zum Hungertod führen konnte. Jüdinnen und Juden durften 1942 nur noch zwischen 16 und 17 Uhr in einer kleinen Anzahl von Geschäften überhaupt einkaufen. Elektrogeräte, Pelze und warme Winterkleidung mussten in Depots abgeliefert werden. Der Bezug von Zeitungen wurde verboten. Hinzu kamen die Kennzeichnung der Kleidung mit dem gelben Judenstern und die der Wohnung durch einen weißen Stern, damit sich niemand der Verfolgung entziehen konnte. Die Angst, zu den Nächsten zu gehören, die deportiert wurden, war allumfassend und übermächtig. Viele Betroffene setzten ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende in Würde. Als die Autorin Berlin verließ, lebten von ehemals rund 200000 Jüdinnen und Juden nur noch 30000.
Den Deportationen konnte man ansonsten nur noch durch Flucht entgehen. Von den Vernichtungslagern schien Alperowitz nichts gewusst zu haben, dass die Deportationen aber wahrscheinlich in den Tod führten, ahnten die betroffenen Menschen durchaus. Der Herausgeber Klaus Hillenbrand kommentiert den Text und erleichtert es dem Leser so, die Informationen der Broschüre einzuordnen. Korrekturen sind kaum anzubringen, Blanka Alperowitz irrt sich zum Beispiel, wenn sie davon ausgeht, dass sich "arische" Ehepartner von jüdischen trennen mussten. Hielten sie dem großen Druck stand, überlebten jene. Ihr Urteil bezüglich der "Arier" ist differenziert. Sie beschreibt eine breite Skala von Denunzierung über Herabsetzung bis zu einem doch beachtlichen Maß an versteckter Hilfe vor allem in Form von Lebensmittelzuwendungen. In diesem Buch liest man nichts, was nicht schon längst erforscht worden ist oder bekannt wäre, dennoch ist es ein beeindruckendes und eingängiges Zeitzeugnis, das vor allem jüngeren Leser empfohlen sei.
GABRIELE B. CLEMENS
Blanka Alperowitz: Die letzten Tage des deutschen Judentums (Berlin Ende 1942), herausgegeben von Klaus Hillenbrand. Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2017. 143 S., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Juden in Berlin 1942
Der von Klaus Hillenbrand edierte Text von Blanka Alperowitz erschien erstmals als Broschüre 1943 in Tel Aviv. Die Autorin kam damit einem Wunsch jener 80000 nach Palästina emigrierten deutschen Juden nach, die sich um das Schicksal ihrer noch im Deutschen Reich lebenden oder bereits ermordeten Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn sorgten. Alperowitz war als eine der letzten deutschen Jüdinnen und Juden den Deportationen nach Osten entkommen, weil sie auf der Liste einer Austauschaktion zwischen Großbritannien und Deutschland stand.
In Palästina lebende Mitglieder einer evangelisch-pietistischen Sekte der Templer, die im 19. Jahrhundert ausgewandert waren, wurden gegen britisch-palästinensische Staatsangehörige, vor allem Juden, ausgetauscht. Sie hatten sich meist zufällig bei Kriegsbeginn im Deutschen Reich oder Polen bei Verwandten zu Besuch befunden; ihnen war die Ausreise bis dahin nicht gelungen. Alperowitz verdankte ihren Platz auf der 137 Namen umfassenden Liste wohl ihrem prominenten Vater, dem Schriftsteller und Zionisten Albert Katz, gewiss aber dem Engagement ihres Mannes Jacob Alperowitz, der 1939 geflüchtet war. Unterstützt wurde er in seinen Bemühungen um die Ausreise seiner Frau von der Jewish Agency for Palestine. Vor ihrer strapaziösen Reise nach Palästina über Wien und Istanbul hatte die ehemalige Religionslehrerin im Berliner Katasteramt gearbeitet, wo sie dafür zuständig war, Wohnungen zu erfassen, in denen Juden lebten. Sie übernahm dieses Amt als Mitglied der "Jüdischen Kultusvereinigung", die unter anderem versuchte, Institutionen wie Schulen, Altenheime und Waisenhäuser zu organisieren und Reste jüdischen Gemeindelebens zu gestalten.
Im Herbst 1941 stellte die Gestapo die Jüdische Gemeinde in Berlin vor die Alternative, bei der Abholung von Juden und Unterbringung in Sammelstellen mitzuwirken oder die Arbeit gleich der SS zu überlassen. Alperowitz und andere wirkten bei den Deportationen mit, in der Hoffnung, humanitäre Hilfe bieten zu können. Außerdem wurden alle vorläufig von den Deportationen zurückgestellt, die einer Arbeit nachgingen. Vor allem Männer schufteten unter schweren körperlichen Belastungen in Fabriken zu Hungerlöhnen.
Was Blanka Alperowitz auf rund vierzig Seiten nüchtern und präzise beschreibt, liest man mit großer Beklemmung. Es wird deutlich, wie die Nationalsozialisten immer neue Gesetze, Verordnungen und Schikanen ersannen, um die noch verbliebene jüdische Bevölkerung zu exkludieren, zu demütigen und zu quälen. Firmen wurden "arisiert", Arbeitsverhältnisse gekündigt, Schulen geschlossen, und Juden wurden systematisch aus dem öffentlichen Leben verdrängt. Sie durften in Parks zunächst nur für sie gekennzeichnete Bänke benutzen, dann gar keine mehr. Öffentliche Verkehrsmittel durften nur nach den "Ariern" betreten werden, dann kam es zum völligen Nutzungsverbot. Die Essensrationen auf den Lebensmittelkarten wurden derart reduziert, dass die dort zugestandene Kalorienmenge zum Hungertod führen konnte. Jüdinnen und Juden durften 1942 nur noch zwischen 16 und 17 Uhr in einer kleinen Anzahl von Geschäften überhaupt einkaufen. Elektrogeräte, Pelze und warme Winterkleidung mussten in Depots abgeliefert werden. Der Bezug von Zeitungen wurde verboten. Hinzu kamen die Kennzeichnung der Kleidung mit dem gelben Judenstern und die der Wohnung durch einen weißen Stern, damit sich niemand der Verfolgung entziehen konnte. Die Angst, zu den Nächsten zu gehören, die deportiert wurden, war allumfassend und übermächtig. Viele Betroffene setzten ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende in Würde. Als die Autorin Berlin verließ, lebten von ehemals rund 200000 Jüdinnen und Juden nur noch 30000.
Den Deportationen konnte man ansonsten nur noch durch Flucht entgehen. Von den Vernichtungslagern schien Alperowitz nichts gewusst zu haben, dass die Deportationen aber wahrscheinlich in den Tod führten, ahnten die betroffenen Menschen durchaus. Der Herausgeber Klaus Hillenbrand kommentiert den Text und erleichtert es dem Leser so, die Informationen der Broschüre einzuordnen. Korrekturen sind kaum anzubringen, Blanka Alperowitz irrt sich zum Beispiel, wenn sie davon ausgeht, dass sich "arische" Ehepartner von jüdischen trennen mussten. Hielten sie dem großen Druck stand, überlebten jene. Ihr Urteil bezüglich der "Arier" ist differenziert. Sie beschreibt eine breite Skala von Denunzierung über Herabsetzung bis zu einem doch beachtlichen Maß an versteckter Hilfe vor allem in Form von Lebensmittelzuwendungen. In diesem Buch liest man nichts, was nicht schon längst erforscht worden ist oder bekannt wäre, dennoch ist es ein beeindruckendes und eingängiges Zeitzeugnis, das vor allem jüngeren Leser empfohlen sei.
GABRIELE B. CLEMENS
Blanka Alperowitz: Die letzten Tage des deutschen Judentums (Berlin Ende 1942), herausgegeben von Klaus Hillenbrand. Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2017. 143 S., 17,90 [Euro].
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