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Auf den Spuren von Tim, der illegale Radiosignale aufspürt, in verborgene Gräber eindringt und schwierige Herausforderungen meistert, sucht Tom McCarthy nach dem Geheimnis im Werk Hergés. Er enträtselt die verheimlichte königliche Abstammung des Autors und deckt auf, was die Geschichten von Tim und Struppi motiviert: die Vertreibung von Zuhause, die Missachtung des Heiligen, die Konfrontation mit Fälschungen und die Gesetze der Gastfreundschaft. Dabei zeigt McCarthy, wie diese Comics mit den zentralen Ideen der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts verbunden sind. Ein stilistisch brillanter…mehr

Produktbeschreibung
Auf den Spuren von Tim, der illegale Radiosignale aufspürt, in verborgene Gräber eindringt und schwierige Herausforderungen meistert, sucht Tom McCarthy nach dem Geheimnis im Werk Hergés. Er enträtselt die verheimlichte königliche Abstammung des Autors und deckt auf, was die Geschichten von Tim und Struppi motiviert: die Vertreibung von Zuhause, die Missachtung des Heiligen, die Konfrontation mit Fälschungen und die Gesetze der Gastfreundschaft. Dabei zeigt McCarthy, wie diese Comics mit den zentralen Ideen der Kunst und Literatur des 20. Jahrhunderts verbunden sind. Ein stilistisch brillanter Essay nicht nur für Liebhaber von »Tim und Struppi«, sondern für alle, die sich für Literatur und Philosophie begeistern.
Autorenporträt
Tom McCarthy, geboren 1969, lebt als Künstler, Schriftsteller und Literaturkritiker in London. Er ist Generalsekretär der International Necronautical Society und hat zahlreiche Erzählungen und Essays veröffentlicht.
Rezensionen
"Der Engländer Tom McCarthy hat den bedeutendsten Comic Europas analysiert - und Erstaunliches über Tim & Struppi herausgefunden." -- SZ MAGAZIN

"Voller Freude und mit einem neuen Blick kehrt man erfrischt zu den Comics zurück." -- TIME OUT

"Alle gute Literatur verdient es, mit einem solchen Einfallsreichtum erkundet zu werden. Keine Antworten, aber unendliche Möglichkeiten. Das ist es, was Literatur uns bieten muss." -- SUNDAY HERALD

"Mag sein, dass McCarthy Widerspruch herausfordert. Doch sein Stil ist so überzeugend, seine Argumente sind so gut begründet, dass man sich ihnen schließlich überlässt... Ein brillantes Buch." -- THE DAILY TELEGRAPH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.2010

So gut wie Chaucer, Dickens, Austen!

Fast hätte er mit seinem neuen Roman den Booker-Preis gewonnen. Aber bevor er zu höheren Weihen fand, versuchte sich der Brite Tom McCarthy an einer Analyse von Hergés "Tim & Struppi" - und landet in der Nullpunktzone der Deutung.

Gleich zu Beginn, als Präsident Sarkozy die Ausweisung der Roma als innenpolitische Waffe entdeckte, verwies man in Frankreich auf eine Quelle zur Lage der Zigeuner, die manchem im Ausland eher obskur erscheinen könnte: den 1963 erschienenen Comic "Die Juwelen der Sängerin" aus der "Tim & Struppi"-Reihe des Zeichners Hergé. Darin gewährt der bärbeißige Kapitän Haddock einer Gruppe von Zigeunern Unterkunft auf seinem Schlossgrundstück, weil die örtlichen Behörden ihnen lediglich eine Müllkippe als Aufenthaltsort zuweisen wollten. Als dann wertvolle Schmuckstücke im Schloss verschwinden, richtet sich der Verdacht rasch auf das fahrende Volk: "Da sind die Schuldigen", führt Detektiv Schultze in bewährter Wortgewandtheit aus: "Das steht fest. Wie Wasser!" Am Schluss wird der Vorwurf entkräftet, und Hergés implizites Plädoyer für Toleranz veranlasste den Philosophen Jean-Luc Nancy und den Schriftsteller Jean-Christophe Bailly in einem gemeinsamen Artikel zu der spöttischen Bemerkung, dass die Mächtigen im gegenwärtigen Frankreich wohl mit denselben Wassern gewaschen seien wie Schulze und Schultze.

Hergés Werk ist eine feste Größe im intellektuellen Diskurs der frankophonen Welt, und "Die Juwelen der Sängerin" ist dabei ein besonders beliebtes Album, weil sich das ganze Geschehen an einem einzigen Ort binnen kurzer Zeit abspielt - deshalb ist es prädestiniert zur Essenz jeder Ausdeutung von Hergés Erzählweise. Es ist auch das Lieblingsalbum des Schriftstellers Tom McCarthy, der vor vier Jahren in seiner britischen Heimat eine Analyse der "Tim & Struppi"-Comics veröffentlicht hat. Sie ist jetzt auf Deutsch erschienen: hergétypisch betitelt als "Tim & Struppi und das Geheimnis der Literatur" und in zauberhaft gestalteter Ausstattung. Bilder darf man natürlich nicht im Buch erwarten, denn die Fondation Hergé ist äußerst zurückhaltend, wenn es um Reproduktionsrechte für Texte geht, deren Inhalt nicht ihrer Kontrolle unterliegt.

Hätte sie hier indes Kontrolle ausüben dürfen, wäre uns einiges erspart geblieben. Gewiss nicht die Flut der rühmenden Vergleiche von Hergé mit Shakespeare, Dickens, Chaucer, Marlowe, Brecht, Austen, Henry James, Molière, Dumas d. Ä., Conrad, Rabelais, Faulkner, den Brontës, Stendhal, George Elliot, Pynchon - und da sind wir noch nicht einmal auf Seite 20 (Flaubert folgt kurz danach). Das ist einigermaßen peinlich, weil maßlos, aber immerhin mag diese Reihe von angeblichen Ahnen ja der Antwort auf McCarthys grundlegende Frage dienen, "ob wir Tim und Struppi als Literatur begreifen sollen"? Er beantwortet sie - und so richtig überrascht sind wir angesichts des Buchtitels nicht darüber - mit einem klaren Ja.

Man könnte zweifeln, ob der Autor dieses Buches etwas von Literatur versteht. Das tut McCarthy aber zweifellos, in England wird er für seine eigenen Bücher gefeiert und hätte gerade mit "C" fast den Booker-Preis gewonnen. Aber welche liest er? Jedenfalls nicht Mark Twains "Ein Yankee am Hofe von König Artus" (sonst würde er den Sonnenfinsternistrick von Tim im Album "Der Sonnentempel" nicht so andächtig schildern) oder A. A. Milnes "Pu der Bär" (sonst wäre das überschwengliche Urteil über die "brillante allegorische Szene" mit Schulze und Schultze, die im Band "Im Reiche des schwarzen Goldes" ihren eigenen Spuren im Kreis folgen, wohl moderater ausgefallen). Und warum schreibt der souveräne Romancier in einem Sachbuch Sätze wie die folgenden: "Diese Flughöhe unterhalb des Radars, dieser blinde Fleck, diese stumme Nische ist, wie wir bereits wissen, diejenige Zone, wo sich die wirkliche Handlung abspielt. Wir wollen sie Nullpunktzone nennen, eine Art aufgeladener Antiraum, der in Reserve gehalten wird." Das steht wortwörtlich auch so im englischen Original, dem Übersetzer Andreas Leopold Hofbauer kann man also nur den Vorwurf machen, dass er das Geschwafel nicht lesbarer gemacht hat. McCarthy hat entschieden zu viele Poststrukturalisten gelesen und zu wenig Klassiker. Sonst wüsste er womöglich, dass nicht Derrida die Entdeckung zu verdanken ist, dass sich "Ökonomie" aus oikos und nomos zusammensetzt.

Auch Sigmund Freud gehört zu den Lieblingslektüren von Tom McCarthy, und entsprechend ist das ganze Werk Hergés für ihn eine Ansammlung von Sexualsymbolen - Arno Schmidt hat es in seiner Studie "Sitara und der Weg dorthin" am Beispiel Karl Mays vorgemacht, und ein halbes Jahrhundert später ist die Plausibilität solcher Deutung nicht größer geworden. So vergräbt McCarthy unter einem Wust von psychoanalytischen Termini und hanebüchenen Analogien seine einzige originelle Ausführung: die zur Abstammung Kapitän Haddocks vom französischen Königshaus. In den über die "Tim & Struppi"-Alben verteilten heraldischen wie biographischen Hinweisen erkennt McCarthy die Sublimierung eines unbewältigten Traumas von Hergé, denn der Vater des Zeichners selbst soll ein illegitimer Sohn des belgischen Königs gewesen sein. Dafür bieten die ernsthaften Hergé-Biographien zwar keinen Anhaltspunkt, aber diese Deutung hat natürlich literarischen Reiz. Immerhin einmal etwas in diesem Buch.

Aber warum hat Tom McCarthy sich nicht darauf beschränkt? Weil er die ganz großen Weihen anstrebt für ein Werk, das zweifellos ästhetisch zum Einflussreichsten zählt, was das zwanzigste Jahrhundert hervorgebracht hat, aber erzählerisch nur besseren Durchschnitt liefert. Dennoch ist es in Frankreich in aller Munde. Dieses Phänomen wäre eine Analyse wert gewesen, wenn man schon den großen Wurf wagen will. Aber dann hätte McCarthy ja seine Obsessionen nicht auf der Grundlage von Hergés Werk austoben können. Doch dieses Werk hält dankenswerterweise auch das aus.

ANDREAS PLATTHAUS

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Andreas Platthaus hätte sich das jüngste Buch von Tom McCarthy, in dem der britische Autor seinen Lieblingscomics, Herges "Tim und Struppi", höhere literarische Weihen verleihen will, gern erspart. Regelrecht "peinlich", weil vollkommen überzogen, findet der Rezensent McCarthys Vergleiche der Comicserie mit Literaturgrößen von Shakespeare bis Pynchon. Das Bemühen, "Tim und Struppi" als große Literatur zu legitimieren, zeigt für Platthaus vor allem eins: Der Autor hat "zu wenig Klassiker" gelesen, weshalb er berühmte Vorlagen zu den von ihm in den Himmel gelobten Passagen nicht erkennt. Auch McCarthys Freud'sche Analysen der Geschichten findet der Rezensent alles andere als originell oder überzeugend, zumal er nicht wenig unter dem psychoanalytischen Jargon und den "hanebüchenen Analogien", die der Autor auffährt, gelitten hat. Einzig die Interpretation eines "unbewältigtem Traumas von Herge", das er den "Tim und Struppi"-Abenteuern abliest, findet er reizvoll, ansonsten kann er dieser Hommage an ein einflussreiches, "erzählerisch" aber allenfalls durchschnittliches Werk nichts abgewinnen.

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