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Produktdetails
  • Verlag: Achilla Presse
  • Seitenzahl: 380
  • Erscheinungstermin: 4. Quartal 2009
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 574g
  • ISBN-13: 9783928398732
  • ISBN-10: 3928398733
  • Artikelnr.: 09637027
Autorenporträt
Herman Melville (1819-91) stammte aus einer verarmten New Yorker Familie. Er ging früh zur See und verdingte sich als Matrose, unter anderem auch auf Walfängern. Seine Reisen führten ihn bis in die Südsee. 1844 kehrte er in die USA zurück, lebte als freier Schriftsteller und war von 1866-85 als Zollinspektor in New York tätig. Der Romancier und Autor von Kurzgeschichten und Lyrik gilt als einer der bedeutendsten amerikanischen Schriftsteller. Sein Meisterwerk 'Moby Dick' zählt zu den Klassikern der Weltliteratur.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Die Wüste ist schlimmer als der Ozean
Herman Melville notiert sich eine Lebensreise in Gedächtnis-Steno / Von Martin Ebel

Einem Passagier, der mit dem Dampfer "Southampton" im Oktober 1849 den Atlantik von New York nach London querte, bot sich frühmorgens der seltsame Anblick eines in der Takelage herumkletternden Mannes von mittlerem Alter und wohlhabendem Erscheinungsbild. Es war Herman Melville, mit zwei Abenteuerromanen, "Typee" und "Omoo", zu frischem Ruhm gelangter Autor, der in seiner Jugend zur See gefahren war, "vor dem Mast", und der nun, wo er es eigentlich bequem haben konnte - er bewohnte die einzige Einzelkajüte an Bord -, sich beweisen wollte, daß er nichts verlernt hatte. "Vor dem Frühstück kletterte ich zum Masttopp hoch, als Turnübung", schreibt er in sein Reisetagebuch.

Die Besatzung nahm an den Eskapaden des prominenten Passagiers offensichtlich keinen Anstoß, zumal der seine seemännischen Reflexe tatsächlich nicht verloren hatte. Als er einmal einen Mann im Wasser treiben sieht, schlägt er Alarm und beteiligt sich beherzt und umsichtig an der Rettungsaktion: "Ich warf das Jolltau des Achterdeck-Beibootes über Bord & ließ es in Richtung des Mannes schwingen, der nun nahe an das Schiff heran getrieben wurde. Es gelang ihm nicht es zu packen, & ich stieg über die Reling, ein oder zwei Fuß von der See entfernt, & schwang das Tau noch einmal in seine Richtung. Nun konnte er es packen." Der Mann läßt das rettende Seil allerdings bald wieder los und treibt ab. "Wir rannten zur Heckreling, sahen ihn noch einmal forttreiben - sahen ein paar Luftblasen, & sahen ihn niemals wieder." Es war, wie Melville dann erfährt, ein Selbstmörder.

Die Überfahrt dauerte fast vier Wochen, aber von Langeweile ist im Tagebuch nicht die Rede. Damals war eine Reise mehr als die Überbrückung lästiger Entfernungen, der Weg - hier trifft die bis zum Überdruß gebrauchte Wendung einmal zu - war schon das Ziel oder wenigstens Bestandteil desselben. Melville las viel, promenierte auf Deck, genoß das ständig wechselnde Schauspiel, das Wind und Wellen boten, und tauschte sich mit Reisebekanntschaften aus, vornehmlich mit einem deutschen Sprachwissenschaftler und mit Doktor Taylor, dem Schiffsarzt: "Wir sprachen fortwährend über Metaphysik, & Hegel, Schlegel, Kant & Co wurden unter Whiskyeinfluß diskutiert."

Herman Melville, der sich so für den deutschen Idealismus interessierte, war intellektuell ein Selfmademan: Nach dem Bankrott seines Vaters hatte der Zwölfjährige seine Schulausbildung abrupt beenden müssen. Jetzt holte er nach, was er konnte: mit exzessiver Lektüre und intensiven Gesprächen. In London kaufte er Literatur im Dutzend (die Einkaufsliste ist erhalten), in Paris frequentierte er einen "Lesesaal für reisende Engländer", und Empfehlungsbriefe seines Schwiegervaters vermittelten ihm gebildete und einflußreiche Kontaktpersonen.

Bildung suchte Melville auch in Museen und Galerien, die er systematisch studierte. Aber er trieb sich auch in Kneipen und Theatern, am Hafen und auf den Straßen herum, er besuchte Bälle, Cafés und eine Hinrichtung. Einmal sah er die Königin Victoria; despektierlich notierte er: "Ich würde ihr zur Erfrischung des Teints Rowland's Kalydor empfehlen." Ja, der Besucher aus "God's own country", das sich noch nicht im Sezessionskrieg zerfleischt hatte, fühlte sich berechtigt, den Institutionen des alten Kontinents im stillen manchen Nasenstüber zu verpassen.

Vor ihm lag, so meinte er, eine glorreiche Zukunft. Allerdings nicht mit Werken in der Art seines erfolgreichen Debüts oder "Redburn", der gerade in England erschienen war, oder "White-Jacket", von dem er die Druckfahnen bei sich hatte und für den er einen englischen Verleger suchte. (Er fand auch einen, aber erst nach langen Verhandlungen und zu schlechteren Bedingungen als gewünscht: Die Copyright-Situation zwischen England und den Vereinigten Staaten war ungeklärt, was viele Interessenten abschreckte.) Das waren reine Brotarbeiten, "Mist", wie er unverblümt urteilte - und verteidigte: "Wenn ein armer Teufel beim Schreiben von Schuldeneintreibern umgeben ist & sie ihm über die Schulter blicken - & auf seiner Schreibfeder hocken & in sein Tintenfaß tauchen - wie die Teufel um den Heiligen Antonius", schrieb er aus London an seinen Freund Duyckinck: "Was kann man von einem armen Teufel erwarten? - Was anderes als einen ärmlichen ,Redburn'! Und wenn er nach Höherem strebt - helfe ihm Gott & rette ihn!"

Melville strebte nach Höherem; der Roman, der ihm vorschwebte, würde sowohl realistisch als auch metaphysisch sein, im Einzelnen das Ganze zeigen, aber auch das Ganze selbst in seiner ganzen Vielfalt. Diesen "totalen Roman" begann er unmittelbar nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten, er bekam den Namen "Moby-Dick". In ihn geht alles ein, was Melville bis dahin erlebt, gedacht und gefürchtet hat, also auch die Reise nach London und Paris (mit einem Ausflug nach Köln und Koblenz) 1849/50. Denn neben dem Bildungs- und dem geschäftlichen Motiv dient diese Reise vor allem dazu, Eindrücke zu sammeln. Und zwar methodisch. Diese Methode besteht - wie er auf einer späteren Reise, 1856 in Jerusalem, definiert - darin, seinen Geist mit der Atmosphäre eines Ortes zu "sättigen", sich "seinen verwirrenden Eindrücken als passives Wesen darzubieten". Wie bei der Entstehung von fossilen Brennstoffen sinken diese Impressionen in den Untergrund, verwandeln sich dort und steigen, auf geheimnisvolle Weise und an unvermuteten Orten, wieder an die Oberfläche: als Kraftstoff des künstlerischen Werks.

Diese "Migration" (wie man es beim Erdöl nennt) vom Eindruck zum Ausdruck kann vollständig nur verfolgen und genießen, wer das Gesamtwerk Melvilles präsent hat. Für alle anderen ist der sorgfältige Kommentar des Übersetzers Alexander Pechmann in dieser schönen Ausgabe der Reisetagebücher (der ersten vollständigen auf deutsch) ein adäquater Ersatz. Mit Pechmanns Hilfe kann jeder verfolgen, wie die abgenutzten Steinplatten in der Kathedrale von Canterbury, auf denen Thomas Becket ermordet wurde, in den Wal-Roman hineinwandern, wo sie ein Bild für die uralten Decks der "Pequod" liefern. Das unheimliche Elmsfeuer, das Kapitän Ahab einen unvergeßlichen Auftritt verschafft, hat Melville auf der Passage nach London selbst gesehen: Wie lakonisch notiert er das Phänomen, und was wird er daraus machen! Der Anblick des unvollendeten Kölner Doms, hier ebenfalls eher beiläufig vermerkt, wächst sich schließlich aus zum Inbegriff des Unfertigen, das nach Melvilles Sicht auch aller Kunst innewohnt: "Da sei Gott vor, daß ich jemals etwas zur Vollendung brächte", heißt es am Ende des "systematischen" Kapitels 32, der "Cetologie", des "Moby-Dick" (in der neuen, derzeit vieldiskutierten Übersetzung von Matthias Jendis). "Mein ganzes Buch ist nur ein Entwurf - nein, nur der Entwurf zu einem Entwurf. Ach, Zeit, Kraft, Geld und Geduld!"

Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar zwischen diesem "Entwurf zu einem Entwurf", also dem Wal-Roman, und den Reisenotizen. Zielt dort alles aufs Allegorische, Typologische, Überindividuelle, Vielfach-Bedeutende, so beschränkt sich der Autor hier auf nackte Fakten: Was er gesehen und gegessen, mit wem er gesprochen hat. Selbst das Zusammentreffen mit dem bewunderten Nathaniel Hawthorne (dem "Moby-Dick" Entscheidendes verdankt) schlägt sich in einem dürren "gutes Gespräch" nieder. Die Sprache, die im Roman mit der Wirklichkeit einen verzweifelten Ringkampf führt, bei dem alle Griffe erlaubt sind, begnügt sich hier mit dem bloßen Antippen. Eine Art Gedächtnis-Steno. Und schließlich ist die Reise selbst in "Moby-Dick" symbolisch zu verstehen, als Lebensreise. In den Reisetagebüchern dagegen triumphiert der Pragmatismus: Es wird, manchmal nach Art des Touristen, vermerkt, verbucht, auch verglichen ("Turin ist weniger abwechslungsreich als Philadelphia").

Sehr oft ist Melville bitter enttäuscht. Dies gilt vor allem für die zweite Reise, die 1856/57 in den Orient führte, nach Konstantinopel und Griechenland, Ägypten und Palästina, nach Neapel und Rom, Florenz und Venedig. Tiefen Eindruck machen ihm nur die Pyramiden: "Nichts Natürliches kann solch eine Vorstellung von ungeheurer Größe vermitteln." Inkommensurabel auch Alter und Dauerhaftigkeit der Bauwerke: "Könnten zusammen mit der Schöpfung erschaffen worden sein." Ähnliche Affekte wird der große Meeressäuger auslösen; davon ist zwar hier nicht die Rede, aber immerhin soviel: "Die Wüste ist ein noch schreckenerregenderer Anblick als der Ozean." Moby-Dick schwimmt nicht durch den Wüstensand, aber im Unbewußten des Reisenden immer mit.

Palästina aber: ein Steinhaufen. Die Stelle, wo Jesus gekreuzigt wurde: "eine nichtssagende, herausgeputzte Platte. Alles glänzt & nichts ist Gold. Ein Übelkeit erregender Schwindel." Die Insel Patmos, wo der Apokalyptiker Johannes seine Gesichte hatte, ist ein öder Ort - "wer könnte (nach diesem Anblick) noch an den Besuch eines Gottes glauben". Kurios ist aus heutiger Sicht die Begegnung mit amerikanischen Philanthropen, die in Jerusalem ansässigen Juden den Ackerbau schmackhaft zu machen versuchen; ohne Erfolg, was Melville zu dem seinerzeit sicher mehrheitsfähigen Urteil führte: "Der Plan aus Juden Landwirte zu machen ist vergebens. Erstens ist Judäa mit wenigen Ausnahmen eine Wüste. Zweitens hassen die Juden die Landwirtschaft."

Die überwiegend schlechte Stimmung auf dieser Reise ist nicht nur die Folge des künstlerischen Mißerfolgs: Die in den vorangehenden Jahren veröffentlichten Bücher, auch der "Moby-Dick", waren bei Kritik und Publikum durchgefallen. Melville fühlte sich gescheitert und ausgebrannt; die Hoffnung seines Schwiegervaters, ihn durch frische Eindrücke zu kurieren (deshalb hatte er ihm die Reise finanziert), erfüllte sich nicht. Zwar trug auch der Orient künstlerische Früchte, aber sie blieben sozusagen privat, denn das Versepos "Clarel", das der inzwischen als Zollinspektor bestallte Autor über eine Pilgerreise verfaßte, wollte kein Verlag drucken.

Wo Melvilles Enttäuschung aber ins Grundsätzliche zielt, kann sie der moderne Leser, der ja auch Tourist ist, nachvollziehen. Vom Skeptizismus als dem "Fluch des modernen Reisens" spricht der Autor an einer Stelle. Er meint damit, daß das, was man an einem bestimmten Ort vorfindet, nie mit der Vorstellung konkurrieren kann, die man sich von diesem Ort gemacht hat. Wenn diese Beobachtung auf jeden von uns zutrifft - wie erst auf einen Dichter mit der Vorstellungskraft Melvilles! Und gerade er, der doch auf die Anschauung als Sprungbrett für die Phantasie unbedingt angewiesen war (Reisen im Kopf genügte nicht), mußte schmerzlich feststellen, wie wenig die Aufnahmefähigkeit seiner Sinne zu steuern, gar zu intensivieren war. Wer kennt das nicht, daß einer "Drei-Sterne-Sehenswürdigkeit" keine Drei-Sterne-Empfindung entsprechen will?

Melvilles letzte große Reise hatte dann keinen anderen Zweck mehr als Ablenkung von der Lebensmisere. Mit seinem Bruder Thomas, Kapitän auf dem Klipper "Meteor", wollte er 1860 von New York aus die Welt umschiffen. Aber er brach das Unternehmen bald ab und ging in San Francisco von Bord. Auf dieser Reise machte er nur wenige Notizen, die letzte bezieht sich wieder auf einen Todesfall: in der Nähe von Kap Hoorn stürzte ein Matrose von einer Rah zu Tode. Nur ein Zwischenfall, das Leben an Bord geht weiter, "auch ich lese & denke & esse & spreche als ob nichts geschehen wäre - als ob ich nicht wüßte, daß der Tod wahrhaftig König aller Schrecken ist".

Bald darauf kam Melvilles Lebensschiff im New Yorker Hafen zur Ruhe. Als er 1891 starb, war er als Autor längst vergessen. Heute gehört er zu denen, von denen wir jede Zeile kennen wollen und wichtig nehmen, auch diese oft bloß stichwortartigen Notizen. Daß in ihnen die Keime zu Größerem stecken, arbeitet die Ausgabe von Pechmann schön heraus (sie befremdet allerdings manchmal durch eine abenteuerliche Kommasetzung). Sinnvoll ergänzt werden die Tagebücher durch einige Briefe und Dokumente, darunter auch Bemerkungen von Nathaniel Hawthorne, die den berühmten Satz enthalten: "Er ist der Unsterblichkeit eher würdig als die meisten von uns." Der fromme Hawthorne hat es zwar anders gemeint - aber er hat recht bekommen.

Herman Melville: "Die Reisetagebücher". Aus dem Englischen übersetzt und kommentiert von Alexander Pechmann. Achilla Presse, Hamburg 2001. 380 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Rezensent Martin Ebel ist ausgesprochen angetan von "dieser schönen Ausgabe" der Reisetagebücher Herman Melvilles, die seiner Auskunft zufolge nun zum ersten Mal in deutscher Sprache vorliegen. Hier könne der Leser verfolgen, wie Melville nach Methode reiste, um Eindrücke für seine Romane zu sammeln. Der Rezensent sieht in den Aufzeichnungen der diversen Reisen "wie bei der Entstehung fossiler Brennstoffe" diese Impressionen in den Untergrund sinken, und ebenso verwandelt wie unvermutet wieder an die Oberfläche gelangen: "als Kraftstoff des künstlerischen Werkes". Vollständig verfolgen und genießen könne diesen Vorgang freilich nur der Kenner des Melvilleschen Gesamtwerkes. Allen anderen empfiehlt Ebel den sorgfältigen Kommentar des Übersetzers Alexander Pechmann als adäquaten Ersatz. Mit Pechmanns Hilfe könne man beispielsweise verfolgen, "wie die abgenutzten Steinplatten der Kathedrale von Canterbury" in den Roman "Moby Dick" hineinwandern.

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