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Eine der frühesten Handschriften Lessings, eine Reinschrift seines Debüts »Kleinigkeiten« - seiner frühen Gedichte von »Liebe und Wein« - wird hier als Faksimile vorgestellt, transkribiert und mit einem Nachwort versehen.»So sind die Schriftsteller. Das Publicum giebt ihnen einen Finger, und sie nehmen die Hand.« Wer überließe sie diesem Debütanten nicht gern, der mit einer geballten Ladung von Erstlingen das Publikum für sich einnahm. - »Nach Hause komme ich nicht. Auf Universitäten gehe ich jetzt auch nicht wieder« - was sollte die Mutter des Neunzehnjährigen davon halten. Der Vater, Pastor…mehr

Produktbeschreibung
Eine der frühesten Handschriften Lessings, eine Reinschrift seines Debüts »Kleinigkeiten« - seiner frühen Gedichte von »Liebe und Wein« - wird hier als Faksimile vorgestellt, transkribiert und mit einem Nachwort versehen.»So sind die Schriftsteller. Das Publicum giebt ihnen einen Finger, und sie nehmen die Hand.« Wer überließe sie diesem Debütanten nicht gern, der mit einer geballten Ladung von Erstlingen das Publikum für sich einnahm. - »Nach Hause komme ich nicht. Auf Universitäten gehe ich jetzt auch nicht wieder« - was sollte die Mutter des Neunzehnjährigen davon halten. Der Vater, Pastor Kamenz, hatte Anfang 1748 nur mit einer Notlüge (»Deine Mutter ist todkrank«) den Widerspenstigen zu kurzer Rückkehr aus Leipzig ins Elternhaus bewegen können. Hat Lessing damals das Manuskript der »Kleinigkeiten« dort zurückgelassen? Jedenfalls mahnte er den Vater Ende April 1749 aus Berlin: »Ich bitte mir auch das vornehmste von meinen Manuscripten mit aus, auch die einigen Bogen, Wein undLiebe.« Ob das schon die hier vorgestellte Reinschrift der im Spätherbst 1751 in »Frankfurt und Leipzig«, in Wahrheit bei Johann Benedict Metzler in Stuttgart anonym erschienenen ersten Buchausgabe von Lessings spielerisch heiteren Gedichten von Liebe und Wein war, ist nicht bekannt, ebensowenig, wie der junge Freigeist an den Verleger im pietistisch strengen Württemberg geraten ist. Aber die Handschrift spiegelt vollkommen das Selbstbewußtsein ihres Autors, der sich mit der Ablieferung des bloßen Textes nicht begnügte, sondern gleich die Buchgestalt imaginierte und mit ominösen Leerstellen für »Zuschrifft«, »Vorrede«, »Register der wichtigsten Sachen«, ja mit Vermerken des Zensors parodistische Gewichte in die Waagschale seiner »Kleinigkeiten« warf.»Neugierigen Lesern zum Anbiß...« (so legte der junge Lessing als Rezensent dem Publikum einen Happen vor):»Allen die mich tadelnd hassenDie mein Leben voller FreudeMich nicht, aus verstelltem Neide,Ungestört genießen laßen;Diesen Herren, diesen allenMag ich __ (Lessing) nicht gefallenMag ich sag ich nicht gefallen.«
Autorenporträt
Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) ist der bekannteste Dichter der Aufklärung in Deutschland. Mit seinen Dramen und theoretischen Schriften hat er nicht nur wesentlich zur Entwicklung des Theaters beigetragen, sondern auch die öffentliche Wirkung von Literatur nachhaltig beeinflusst.

Jochen Meyer, geb. 1941, leitete bis 2006 die Handschriftenabteilung im Deutschen Literaturarchiv, Marbach. Er veröffentlichte Literatur zu Döblin, Albert Dulk, Fontane, Ernst Hardt, Hans Henny Jahnn, Wilhelm Lehmann, Wilhelm Raabe, Tucholsky und verlagshistorischen ThemenVeröffentlichungen u. a.: »Dichterhandschriften« (1999), Lessings »Kleinigkeiten« (2000), Gottfried Benns späte Liebesbriefe an Ursula Ziebarth (»Hernach«, 2001), Emil Orliks »Kamelbriefe« an Oskar Loerke (2013) und Johannes Bobrowskis »Briefe« in 4 Bänden (2017).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2002

Schwermuthsvolle Gallenchristen
Keine Erlebnislyrik: Lessings "Kleinigkeiten" als Faksimile

In aller Freundschaft hält Jochen Meyer der hochentwickelten Lessing-Philologie vor, sie habe just durch editorische Prinzipientreue Lessings lyrisches Debüt, die "Kleinigkeiten" von 1751, um die ursprüngliche Gestalt gebracht und verstreut, indem sie die Texte entweder nach der "letzten Hand" oder nach dem jeweils "ersten Druck" wiedergab. Sie konnte nicht anders. Das Pfund, mit dem Meyer, Leiter der Handschriftenabteilung im Marbacher Literaturarchiv, jetzt wuchern kann, ist der Fund der vom jungen Dichter selbst gefertigten Reinschrift und Druckvorlage. Die privaten Besitzer hatten das Kleinod sorgsam gehütet; nur ein einziges Mal gestatteten sie den Philologen einen Blick in das Manuskript, und dies, 1885, auch nur für 24 Stunden. Seit 1928 ruhte es dann, korrekt katalogisiert, in Marbach. Die Neuentdeckung benötigte also keine langen Wege.

Meyer (und mit ihm der Wallstein Verlag) tut alles, um den auratischen Charme der Trouvaille zur Geltung zu bringen. Er bietet das Faksimile, eine Umschrift, die die Lücken der Handschrift durch die entsprechenden Druckfassungen füllt, einen detaillierten, dabei eleganten Apparat mit Varianten und Erläuterungen sowie einen gründlichen Nachwort-Essay.

Der kecke Leipziger Student streift die Herkunft aus dem Pastorenhaus und die Rolle des jungen Gelehrten ab und absolviert ein Training in moderner Lyrik. Daß die moderne Mode auf alte, ja antiquarische Vorbilder zurückgriff und nicht ohne altkluge gelehrte Kenntnis auskam, verfing wenig. Anakreon und anakreontisches Dichten hieß die Parole, der die junge Dichtung allenthalben mit merkwürdigem Eifer folgte. Die Anrufung des Anakreon eröffnet und beschließt deshalb auch Lessings "Kleinigkeiten". Selbst das bescheidene Titelwort hat er sich von Friedrich von Hagedorn, dem Initiator der Mode, vorgeben lassen: "Den itzt an Liedern reichen Zeiten / Empfehl ich diese Kleinigkeiten: / Sie wollen nicht unsterblich sein." Nur "Gram" vermindern und "Fröhlichkeit" vermehren wollte Hagedorns Kleinkunst, um sich behaglich in dieser Welt einzurichten.

Der anakreontische Pfarrerssohn Lessing weiß, wogegen seine Lockerungsübungen angehen. Die längste der "Kleinigkeiten" sagt das Register der Widersacher geradezu atemlos auf - "O der Athem will mir fehlen, / Alle Narren zu erzehlen". Doch wohl kein Wunder, daß dabei die "Schwermuthsvollen Gallenchristen" einen prominenten Platz einnehmen. Munter treten Jugend, Wein, Küsse und Phyllis gegen die alte schwarze Galle an.

In Bedrängnis gerät dabei womöglich die Tugend (auch die eigene). Zieht doch die Losung Wein und Liebe allerlei Anzügliches, Schlüpfriges und Deftiges nach sich, das schon der Familie des Dichters gar nicht behagte und noch empfindliche spätere Philologen bedenklich stimmte. Lessing selbst trieb die Sache auch noch auf die Spitze, indem er einen fingierten Leser ("Horribilifax II.") grobianisch gegen solche "Sauf- und Hurenlieder" wettern ließ. Ironisch vorbeugend zierte er sein Manuskript wiederholt mit dem Vermerk "Vidi Censor". An Rechtfertigungen ließ er es dann nicht fehlen. Sie liefen (so in einem Brief an den Vater) auf Martials "Vita verecunda est, Musa jocosa mihi", die säuberliche Trennung von Leben und Muse hinaus. Das poetische Training und seine schwadronierende Erotik schloß den Ernstfall nicht unbedingt ein. Erlebnislyrik steht noch nicht auf der literarischen Tagesordnung.

"Wir Brüder trinken, lieben, scherzen / Wir Brüder trinken, spielen, herzen, / Wir Brüder trinken, schlafen, träumen / Wozu sich Wein und Liebe reimen" - das anakreontische Repertoire ist denkbar schmal. Nicht verwunderlich, daß es einem gewitzten Kopf wie Abraham Gotthelf Kästner, dem Leipziger Lehrer Lessings, schließlich auf die Nerven ging: "Und lauter Wein und Mädchen / Und lauter Kuß und Trinken, / Und nichts als Wein und Mädchen / Und nichts als Kuß und Trinken, / Und immer so gekindert . . ." Dem spielerischen Getändel gibt Lessing allerdings ein durchaus realistisches Leipziger Ingredienz bei, eine kräftige Prise studentischer Kneipenseligkeit. Was aber vor allem den anakreontischen Singsang durchkreuzt, ist sein epigrammatischer Witz. Fast alle seine Miniaturen verdichten ihre Vorbilder, bevorzugen die Lakonie und steuern zielsicher ihre Pointe an. Mit leichter Hand werden auch aktuelle Motive, etwa aus der "physikalischen Wochenschrift" "Der Naturforscher" (wo eine Reihe der Gedichte zuerst erschien), eingeflochten und behende anakreontisiert. Zum Beispiel "Die drey Reiche der Natur": das erste - Menschen und Tiere - kann trinken und lieben, das zweite - die Pflanzen - kann immerhin noch trinken, das dritte - das Steinreich - vermag weder dies noch das. Konklusion: "Denn ohne Lieb und ohne Wein, / Sprich, Mensch, was bleibst du noch? ein Stein?"

HANS-JÜRGEN SCHINGS

Gotthold Ephraim Lessing: "Kleinigkeiten". Faksimile des Marbacher Manuskripts. Vorgestellt von Jochen Meyer. Wallstein Verlag, Göttingen 2000. 238 S., geb., 25,- .

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

So ganz mag Rezensent Hans-Jürgen Schings den Vorwurf von Jochen Meyer, Leiter der Handschriftenabteilung im Marbacher Literaturarchivs, an sämtliche Editoren der Schriften Gotthold Ephraim Lessings, sie hätten dessen lyrisches Debüt "Kleinigkeiten" aus dem Jahr 1751 um seine Originalität gebracht, nicht gelten lassen. Denn schließlich ruhte das Original wohlbehütet seit 1928 in Marbach und konnte zuvor nicht gründlich in Augenschein genommen werden, informiert der Rezensent. Umso erfreuter ist er aber, dass Meyer nun "Kleinigkeiten" in aller Würde "zur Geltung bringt". Und zwar als Faksimile, ergänzt mit einer Umschrift, die die Lücken in der Handschrift füllt sowie mit einem "eleganten Apparat mit Varianten und Erläuterungen" und einem "gründlichen" Essay als Nachwort, lobt Schings. Lessing selbst hatte mit diesem poetischen Erstling, hat der Rezensent erkannt, ein "Training in moderner Lyrik" absolviert und seine Schrift anakreontisch abgefasst. Und das bedeutet, klärt Schings auf, dass diese Schrift "allerlei Anzügliches, Schlüpfriges und Deftiges" enthält, was weder Lessings christlicher Familie noch manchem Philologen recht behagte.

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