Humorvolle Tierportraits
Dieses Buch, seit 1926 nie wieder erschienen und jetzt um Nachträge des Autors erweitert, zählt zu den schönsten Bücher Theodor Lessings. Die darin versammelten meisterhaften literarischen Miniaturen sind geistreiche, seelen- aber auch humorvolle Tierportraits, die Lessing als Ausgangspunkt zu überraschenden Reflektionen über den Menschen und die Welt dienen. Der Leser wird nach der Lektüre dieser Portraits viele Tiere - und viele Menschen - mit neuen Augen sehen: Kaninchen, Katzen, Spatzen, Schwalben, weiße Mäuse, Stare, Truthähne, Hunde und Wölfe, Ameisen, Hyänen, Frösche, Flöhe, Pferde, Tauben, Wespen und Bienen.
Dieses Buch, seit 1926 nie wieder erschienen und jetzt um Nachträge des Autors erweitert, zählt zu den schönsten Bücher Theodor Lessings. Die darin versammelten meisterhaften literarischen Miniaturen sind geistreiche, seelen- aber auch humorvolle Tierportraits, die Lessing als Ausgangspunkt zu überraschenden Reflektionen über den Menschen und die Welt dienen. Der Leser wird nach der Lektüre dieser Portraits viele Tiere - und viele Menschen - mit neuen Augen sehen: Kaninchen, Katzen, Spatzen, Schwalben, weiße Mäuse, Stare, Truthähne, Hunde und Wölfe, Ameisen, Hyänen, Frösche, Flöhe, Pferde, Tauben, Wespen und Bienen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.01.2005Tiere ziehen nach Berlin
Cord Riechelmanns wunderbarer Zuwanderungsbericht
Der Fuchs, der durch den Garten im Berliner Westend spürt, ganz unbekümmert, als sei um ihn nur dichter Wald und keine Menschenseele weit und breit, die Wildbache, die ihre zehn Frischlinge ostentativ besorgt am helllichten Tag die Marienburger Allee im Eichkamp queren lässt, der misstrauische, aristokratische Wespenbussard im Nussbaum, der das Gezeter der alteingesessenen Gartenbesetzer - der Elstern, Eichelhäher, Krähen - wie ungehört an sich abperlen lässt, der riesige, stumme Steinkauz im Fenstersturz einer Wohnung in der Charlottenburger Bleibtreustraße eines Morgens in einem heute entrückten August, das düstere Geschwader der schwarzbefrackten Kormorane am Spreeufer längs der innerstädtischen Kolonie „Zum Erlengrund”, die aus allen Büschen zwischen Kleinmachnow und Wittenau begehrlich schlagenden und klagenden Nachtigallen - wo kommen sie her, wer oder was hat sie gerufen?
War es die Amsel, die vor hundert Jahren noch als scheuer Waldvogel galt, ehe sie ziemlich rabiat heimisch wurde? War sie die Vorbotin und der Herold dieser in den letzten Jahrzehnten einsickernden, herbeiflatternden Horden und Scharen? Denn es sind ja keine Einzelgänger und verlorenen Strolche und Bettler, die sich in den Stadtraum verirrt hätten. Es sind reguläre Zuwanderer, die - ganz nebenbei - eine auf das Solitüdentum und die reine Natur pochende Literatur Lügen strafen. Sie wollen nicht erspäht und entdeckt , im Stillen belauscht und beseufzt werden - sie sind da. Sie sind mitten unter uns, in der Stadt und haben sich auf fabelhafte Weise zurechtgefunden und eingerichtet und ausgebreitet.
Schauspiel der großen Stadt
Berlin ist bekanntlich eine große Zuwandererstadt. Der animale Stadtwanderer, der sorgfältige Beobachter der lebendigen Fauna, der leidenschaftliche Biologe Cord Riechelmann hat die Invasion der bunten Armeen und die Scharmützel zwischen älteren Einheimischen und Neusiedlern in einer schönen, großen Momentaufnahme festgehalten. Sein Buch „Wilde Tiere in der Großstadt” ist mehr als nur das Protokoll der gegenwärtigen Synanthropien, also der neuen, irgendwie einvernehmlich organisierten Lebensgemeinschaften der Tiere - und natürlich auch der Pflanzen - mit unseresgleichen. Seine kundigen Spaziergänge münden, je länger man in ihnen liest und den städtisch grundierten Stimmen und Geräuschen auf der beigelegten CD lauscht, in das Brevier eines Flaneurs neuer Ordnung. Das Schauspiel der großen Stadt entfaltet sich in einem Bereich, der - um im Theaterbild zu bleiben - traditionell den Sofitten und dem Schnürboden vorbehalten war. Das weithin versteckte städtische Leben der Tiere hat in dem Maße, wie die natürlichen Feinde rarer werden, die Tarnung verlassen.
Augenfällig schildert Riechelmann die Flugspiele der Stare - im Angesicht eines Feindes: „Zwischen Ende Juni und Oktober erwartet manchmal schon mittags ein Falke auf dem Turm der Marienkirche die ,anschwimmende Wolkenwelle. Die Stare können faszinierend schnell und effektiv auf eine solche Bedrohung antworten. Fliegt der Falke mit schneller werdenden Flügelschlägen auf den Schwarm zu, bildet dieser zugleich einen ausweichenden Halbmond um den Angreifer. Mit einer unfassbar schnellen und gleichsam flüssigen Bewegung wird der Falke vom Schwarm in einer schwarzen Kugelformation umschlossen, bis er unten oder an der Seite aus dem biegsamen Schwarmkörper wieder hinausfällt beziehungsweise -fliegt. Dass es dabei zu Kollisionen kommen kann, bezeugen die vielen kleinen schwarzen Federn, die immer noch durch die Luft wehen, wenn der Falke schon am Turm des Roten Rathauses gelandet ist, und die Stare in immer enger werdendem Strom auf den Bäumen rund um den Dom eingetroffen sind.”
Der besondere Reiz dieser Wanderungen und Spaziergänge liegt in einer Art Vexiertechnik der Beobachtung. Was wir aufgrund einer gewissen Objekt- oder Kulissenfixierung in der Stadt nur am Rande wahrnehmen, die Fauna, weil wir es der außerstädtischen Landschaft, den Randzonen - vulgo: der Natur - vorbehalten wähnen, rückt und schiebt und schreibt Riechelmann in unser Blickfeld. Er macht uns hellhörig nicht nur für die Stare - dämlich-smarte „Künstler” haben diese schillernden, kommunikationssüchtigen Freunde mittlerweile für eigene, groteske Experimente gepachtet -, er lenkt unsere Aufmerksamkeit mit ähnlicher Begeisterung auf die Kröten am Chamissoplatz; wir tauchen hinab in die „unsterbliche” Welt der Ameisenkolonien und bekommen, nach den saisonal wiederkehrenden Hetzberichten in den Revolverblättern, eine aufrichtige Apologie der städtischen Wespenvölker, vornehmlich der Sächsischen Wespen geliefert: „Diese sind, obgleich sie auch mit einem Stachel bewehrt sind, nie aggressiv. Selbst in der Nähe ihres Nestes kann man sie stundenlang ohne die geringste Gefahr beobachten.” Geduld und rasche Auffassung für das bewegliche, das wimmelnde und sich zerstreuende, auffahrende Leben der Tiere sind die unabdingbaren Voraussetzungen für den aufmerksamen Spaziergänger. Riechelmanns Buch ist ein wunderbarer Leitfaden durch das neue Zusammenleben - und durch das neue Berlin.
In einem gewissermaßen antiquarischen Verhältnis zu dem gelehrten Flaneur bewegt sich die Wiederauflage von Theodor Lessings Betrachtungen „Meine Tiere” aus den zwanziger Jahren. Es sind leidenschaftliche Porträts von Tieren, deren Gestalt und Physiognomik uns mehr über uns selbst als die geschilderte Fauna verrät. Ein beredter, lesenswerter Abgesang, eine Verwerfung der wissenschaftlichen (positivistischen) Beobachtung. Sinnbild einer nach Lessing unverrückbaren Verirrung, einer Abdrift, ist der Häher, von dem es heißt: „Und so besteht das merkwürdige Paradox, dass im Walde weniger gesungen und immer mehr über Gesang geredet wird, und dass, je weniger in der Natur noch los ist, doch um so mehr dieses wenige zur Quelle wird für die Kritik, die Karikatur, die Nachahmung und den sozialen Klatsch. Ich habe es ja immer gesagt: Die Kultur und die allgemeine Bildung werden wachsen im selben Maße, als die Helden aussterben und die Dichter eingehen.” Mittlerweile ist, wie wir bei Cord Riechelmann erfahren und selbst sehen können, der Häher in der Stadt heimisch geworden und tratscht vor unseren Ohren und Augen - zu unserem Entzücken.
HANNS ZISCHLER
CORD RIECHELMANN: Wilde Tiere in der Großstadt. Nicolai Verlag, Berlin 2004. 176 Seiten, mit CD, 16,90 Euro.
THEODOR LESSING: Meine Tiere. Mit einem Nachwort von Ulrich Holbein. Matthes & Seitz, Berlin 2004. 219 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Cord Riechelmanns wunderbarer Zuwanderungsbericht
Der Fuchs, der durch den Garten im Berliner Westend spürt, ganz unbekümmert, als sei um ihn nur dichter Wald und keine Menschenseele weit und breit, die Wildbache, die ihre zehn Frischlinge ostentativ besorgt am helllichten Tag die Marienburger Allee im Eichkamp queren lässt, der misstrauische, aristokratische Wespenbussard im Nussbaum, der das Gezeter der alteingesessenen Gartenbesetzer - der Elstern, Eichelhäher, Krähen - wie ungehört an sich abperlen lässt, der riesige, stumme Steinkauz im Fenstersturz einer Wohnung in der Charlottenburger Bleibtreustraße eines Morgens in einem heute entrückten August, das düstere Geschwader der schwarzbefrackten Kormorane am Spreeufer längs der innerstädtischen Kolonie „Zum Erlengrund”, die aus allen Büschen zwischen Kleinmachnow und Wittenau begehrlich schlagenden und klagenden Nachtigallen - wo kommen sie her, wer oder was hat sie gerufen?
War es die Amsel, die vor hundert Jahren noch als scheuer Waldvogel galt, ehe sie ziemlich rabiat heimisch wurde? War sie die Vorbotin und der Herold dieser in den letzten Jahrzehnten einsickernden, herbeiflatternden Horden und Scharen? Denn es sind ja keine Einzelgänger und verlorenen Strolche und Bettler, die sich in den Stadtraum verirrt hätten. Es sind reguläre Zuwanderer, die - ganz nebenbei - eine auf das Solitüdentum und die reine Natur pochende Literatur Lügen strafen. Sie wollen nicht erspäht und entdeckt , im Stillen belauscht und beseufzt werden - sie sind da. Sie sind mitten unter uns, in der Stadt und haben sich auf fabelhafte Weise zurechtgefunden und eingerichtet und ausgebreitet.
Schauspiel der großen Stadt
Berlin ist bekanntlich eine große Zuwandererstadt. Der animale Stadtwanderer, der sorgfältige Beobachter der lebendigen Fauna, der leidenschaftliche Biologe Cord Riechelmann hat die Invasion der bunten Armeen und die Scharmützel zwischen älteren Einheimischen und Neusiedlern in einer schönen, großen Momentaufnahme festgehalten. Sein Buch „Wilde Tiere in der Großstadt” ist mehr als nur das Protokoll der gegenwärtigen Synanthropien, also der neuen, irgendwie einvernehmlich organisierten Lebensgemeinschaften der Tiere - und natürlich auch der Pflanzen - mit unseresgleichen. Seine kundigen Spaziergänge münden, je länger man in ihnen liest und den städtisch grundierten Stimmen und Geräuschen auf der beigelegten CD lauscht, in das Brevier eines Flaneurs neuer Ordnung. Das Schauspiel der großen Stadt entfaltet sich in einem Bereich, der - um im Theaterbild zu bleiben - traditionell den Sofitten und dem Schnürboden vorbehalten war. Das weithin versteckte städtische Leben der Tiere hat in dem Maße, wie die natürlichen Feinde rarer werden, die Tarnung verlassen.
Augenfällig schildert Riechelmann die Flugspiele der Stare - im Angesicht eines Feindes: „Zwischen Ende Juni und Oktober erwartet manchmal schon mittags ein Falke auf dem Turm der Marienkirche die ,anschwimmende Wolkenwelle. Die Stare können faszinierend schnell und effektiv auf eine solche Bedrohung antworten. Fliegt der Falke mit schneller werdenden Flügelschlägen auf den Schwarm zu, bildet dieser zugleich einen ausweichenden Halbmond um den Angreifer. Mit einer unfassbar schnellen und gleichsam flüssigen Bewegung wird der Falke vom Schwarm in einer schwarzen Kugelformation umschlossen, bis er unten oder an der Seite aus dem biegsamen Schwarmkörper wieder hinausfällt beziehungsweise -fliegt. Dass es dabei zu Kollisionen kommen kann, bezeugen die vielen kleinen schwarzen Federn, die immer noch durch die Luft wehen, wenn der Falke schon am Turm des Roten Rathauses gelandet ist, und die Stare in immer enger werdendem Strom auf den Bäumen rund um den Dom eingetroffen sind.”
Der besondere Reiz dieser Wanderungen und Spaziergänge liegt in einer Art Vexiertechnik der Beobachtung. Was wir aufgrund einer gewissen Objekt- oder Kulissenfixierung in der Stadt nur am Rande wahrnehmen, die Fauna, weil wir es der außerstädtischen Landschaft, den Randzonen - vulgo: der Natur - vorbehalten wähnen, rückt und schiebt und schreibt Riechelmann in unser Blickfeld. Er macht uns hellhörig nicht nur für die Stare - dämlich-smarte „Künstler” haben diese schillernden, kommunikationssüchtigen Freunde mittlerweile für eigene, groteske Experimente gepachtet -, er lenkt unsere Aufmerksamkeit mit ähnlicher Begeisterung auf die Kröten am Chamissoplatz; wir tauchen hinab in die „unsterbliche” Welt der Ameisenkolonien und bekommen, nach den saisonal wiederkehrenden Hetzberichten in den Revolverblättern, eine aufrichtige Apologie der städtischen Wespenvölker, vornehmlich der Sächsischen Wespen geliefert: „Diese sind, obgleich sie auch mit einem Stachel bewehrt sind, nie aggressiv. Selbst in der Nähe ihres Nestes kann man sie stundenlang ohne die geringste Gefahr beobachten.” Geduld und rasche Auffassung für das bewegliche, das wimmelnde und sich zerstreuende, auffahrende Leben der Tiere sind die unabdingbaren Voraussetzungen für den aufmerksamen Spaziergänger. Riechelmanns Buch ist ein wunderbarer Leitfaden durch das neue Zusammenleben - und durch das neue Berlin.
In einem gewissermaßen antiquarischen Verhältnis zu dem gelehrten Flaneur bewegt sich die Wiederauflage von Theodor Lessings Betrachtungen „Meine Tiere” aus den zwanziger Jahren. Es sind leidenschaftliche Porträts von Tieren, deren Gestalt und Physiognomik uns mehr über uns selbst als die geschilderte Fauna verrät. Ein beredter, lesenswerter Abgesang, eine Verwerfung der wissenschaftlichen (positivistischen) Beobachtung. Sinnbild einer nach Lessing unverrückbaren Verirrung, einer Abdrift, ist der Häher, von dem es heißt: „Und so besteht das merkwürdige Paradox, dass im Walde weniger gesungen und immer mehr über Gesang geredet wird, und dass, je weniger in der Natur noch los ist, doch um so mehr dieses wenige zur Quelle wird für die Kritik, die Karikatur, die Nachahmung und den sozialen Klatsch. Ich habe es ja immer gesagt: Die Kultur und die allgemeine Bildung werden wachsen im selben Maße, als die Helden aussterben und die Dichter eingehen.” Mittlerweile ist, wie wir bei Cord Riechelmann erfahren und selbst sehen können, der Häher in der Stadt heimisch geworden und tratscht vor unseren Ohren und Augen - zu unserem Entzücken.
HANNS ZISCHLER
CORD RIECHELMANN: Wilde Tiere in der Großstadt. Nicolai Verlag, Berlin 2004. 176 Seiten, mit CD, 16,90 Euro.
THEODOR LESSING: Meine Tiere. Mit einem Nachwort von Ulrich Holbein. Matthes & Seitz, Berlin 2004. 219 Seiten, 17,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Auf ein sehr ungewöhnliches Leseerlebnis lässt Helmut Höges Schilderung der Begegnung mit diesem Buch des 1933 von den Nazis ermordeten Philosophen schließen. Theodor Lessing entwickelt darin Höges Eindruck zufolge die antidarwinistische Theorie, nicht natürliche Selektion sondern Domestizierung und menschliche Manipulation habe entscheidend bei der Veränderung und Denaturierung von Tier- und Pflanzenwelt gewirkt. Dabei sind Lessings Beobachtungen und Folgerungen, wie man Höges Lessing-Zitaten und Gedanken-Rekonstruktionen entnehmen kann, sehr subtil und hintergründig und nicht wirklich daran interessiert, Darwin zu widersprechen, sondern den utopischen Begriff eines Lebens zu entwickeln, wie es sein könnte, wenn die Zivilisation nicht restlos davon Besitz ergriffen hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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