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Was muss geschehen, damit ein Mann vom Freigeist zum dogmatischen Stalinisten wird?
Alfred Kurella, »Berufsrevolutionär« und DDR-Kulturfunktionär, hat in den 1930er Jahren in Moskau einen ungewöhnlichen Roman verfasst - »Die Gronauer Akten«. Im Subtext enthüllt Kurella sein eigenes Werden und Streben, offenbart seine stalinistisch orientierte Gesinnung und übt auf ganz eigenwillige Weise bolschewistische Selbstkritik. Diese fabelhaften Bekenntnisse erweisen sich als eine gegen jeden Selbstzweifel imprägnierte Rechtfertigung und als ideologische Basis für seinen späteren Lebensweg.
Martin
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Produktbeschreibung
Was muss geschehen, damit ein Mann vom Freigeist zum dogmatischen Stalinisten wird?

Alfred Kurella, »Berufsrevolutionär« und DDR-Kulturfunktionär, hat in den 1930er Jahren in Moskau einen ungewöhnlichen Roman verfasst - »Die Gronauer Akten«. Im Subtext enthüllt Kurella sein eigenes Werden und Streben, offenbart seine stalinistisch orientierte Gesinnung und übt auf ganz eigenwillige Weise bolschewistische Selbstkritik. Diese fabelhaften Bekenntnisse erweisen sich als eine gegen jeden Selbstzweifel imprägnierte Rechtfertigung und als ideologische Basis für seinen späteren Lebensweg.

Martin Schaad dekodiert diesen Roman des Genossen Alfred Kurella und vermittelt spannende Einblicke und neue Erkenntnisse zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte anhand eines signifikanten Einzelschicksals.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Martin Schaad ist stellvertretender Direktor des Einstein Forums in Potsdam.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Wie der Historiker Martin Schaad in seinem Buch Alfred Kurellas Roman "Die Gronauer Akten" an die Lebenslinien des Autors und sozialistischen Funktionärs anlegt, findet Jens Bisky aufschlussreich. Wie jemand Stalinist wird, meint Bisky, zeigt der Roman, zeigt Schaad in seiner biografischen Spurensuche. Schaads Recherchen in Kurellas Nachlass und Kaderakten und die Rekonstruktion der Funktionärswerdung findet Bisky behutsam und präzise und für den Leser dramaturgisch raffiniert gemacht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 23.07.2014

Erkämpfte Abhängigkeit
Martin Schaad zeigt am Beispiel Alfred Kurellas, wie man Stalinist wird
„Die Gronauer Akten“ heißt ein Roman, der so gut und so schlecht ist wie Dutzende andere auch. Er schildere, fasst ein DDR-Schriftstellerlexikon zusammen, „die merkwürdige Aufklärung eines Mordes an einem SA-Mann, bei der die innere Brüchigkeit eines bestimmten intellektuellen Nazityps sichtbar wird“.
  Der Roman, 1954 im Aufbau-Verlag erschienen, hat in der Literaturgeschichte der DDR keine große Rolle gespielt, sein Verfasser aber eine üble. Alfred Kurella war seit seiner Rückkehr aus der Sowjetunion einer der besonders dogmatischen Kämpfer gegen Dekadenz und ästhetische Moderne, für „sozialistischen Realismus“. Er attackierte Expressionisten, den jungen Heiner Müller, alle Versuche einer Neubewertung Franz Kafkas, und er häufte Ämter, wurde der erste Direktor des Leipziger Literaturinstituts, Sekretär der Kulturkommission beim Politbüro der SED, Vizepräsident der Ost-Berliner Akademie der Künste. Keine Spitzenämter, aber einflussreiche Posten, auf denen er konsequent sein Kunstverständnis, die Kulturpolitik der Partei exekutierte.
  Kurellas Lebenslauf beginnt exemplarisch für den begabten Sohn einer gutbürgerlichen Familie. Er ist begeisterter Wandervogel und Stefan-George-Leser, wird einer der führenden Aktivisten der Jugendbewegung, meldet sich bei Kriegsausbruch freiwillig, ab 1916 ist er kriegsuntauglich. Kurella schließt sich den Revolutionären an, gründet die Freie Sozialistische Jugend in München und tritt 1919 in die KPD ein.
  Auf einer ersten Reise nach Sowjetrussland trifft er Lenin und übernimmt in der Folge Aufgaben für die Kommunistische Jugend-Internationale und die Komintern. 1934/35 ist Kurella persönlicher Sekretär Georgi Dimitrows, bevor er eine „strenge Rüge“ wegen „parteischädlicher Zusammenkünfte“ erhält. Nun, während der Säuberungen, steht er im Abseits, der Kontakt mit ihm kann für jeden gefährlich werden, denn die Logik des NKWD kennt keine Unschuld. Sein Bruder Heinrich, der in der Presseabteilung der Komintern arbeitete, wird 1937 erschossen. Grund: „Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation“.
  „Wie wird man eigentlich Stalinist?“, lautet die nahe liegende, aber selten überzeugend beantwortete Frage. Der Historiker Martin Schaad geht ihr in einer „biografischen Spurensuche“ nach und rekonstruiert die Verfertigung eines Funktionärs, indem er diesen beim Wort nimmt. Die Partei hatte Kurella beauftragt, seine Autobiografie zu verfassen, doch kam der Vielschreiber über eine Materialsammlung nicht hinaus. Nach Recherchen im Kurella-Nachlass und in den Archiven der Deutschen Jugendbewegung, nach dem Studium von Kurellas Kaderakte, gelingt es Schaad, den Roman „Die Gronauer Akten“ als autobiografisches Dokument zu verstehen. Dabei verfährt er so behutsam wie genau und lässt den Leser dramaturgisch geschickt an seiner Spurensuche teilnehmen. Tausende Bücher zur Geschichte und Vorgeschichte der DDR gibt es, dieses zeichnet sich durch Neugier aus.
  Alfred Kurellas Roman „Die Gronauer Akten“ spielt in einem fiktiven niedersächsischen Dorf im Jahr 1936. Ein SA-Mann ist erschlagen worden, drei Landarbeiter wurden verhaftet. Das Reichsinnenministerium schickt den Kriminalbeamten Günther Geismar als Sonderermittler in die Provinz. Der Dorfpfarrer leiht Geismar das Protokoll eines Hexenprozesses aus dem Jahr 1641: Eine Hirtenfrau gestand unter der Folter. Geismar bezieht ein Zimmer im Gutshaus der Familie von Hadeln. Mithilfe der SS unterdrückt Hans von Hadeln die Wut und aufkeimende Proteste der ausgebeuteten Landarbeiter. Den jungen Edgar von Hadeln erzieht der scharfsinnige, gebildete Hauslehrer Walter Berger.
  Der Sonderermittler Geismar selbst ist ein überzeugter Nationalsozialist, doch gerät sein Weltbild ins Wanken: Bauern und Landarbeiter sind mürrisch und unzufrieden, die Familie von Hadeln behandelt ihn von oben herab, SA und SS rivalisieren. Keine Gemeinschaft, nirgends, kein neuer Geist. Das Protokoll des Hexenprozesses mit den Folterszenen, Kriegserinnerungen und Bemerkungen des intelligenten Hauslehrers verunsichert ihn.
  Der Hauptverdächtige entpuppt sich – wie auch der Hauslehrer – als Kommunist, ist aber unschuldig. Der Gutsherr selbst hat den SA-Mann erschlagen, um sich ungestört an dessen Verlobte heranmachen zu können. Walter Berger flieht, Günther Geismar entschwindet. Ein Nachtrag teilt mit, dass der Ermittler seinen inneren Konflikt bestialisch gelöst hat: Er ist ein KZ-Kommandant geworden, ein Sadist.
  Kurella schrieb diesen Roman Mitte der Dreißigerjahre in Moskau. Am 28. November 1934 hatte er nach den Feierlichkeiten zum 15. Jubiläum der Kommunistischen Jugendinternationale einen Abend mit Bekannten verbracht, darunter der Serbe Voja Vujovic, der einst Trotzki unterstützt hatte, und Lazar Schatzkin, der gemeinsam mit anderen gegen die Zwangskollektivierung und die forcierte Industrialisierung protestiert hatte. Beide wurden Anfang 1935 verhaftet, die Teilnehmer des abendlichen Treffens vernommen, Kurella als letzter. Er weigerte sich, seine „Fehler“ einzugestehen, offenkundig in dem Vertrauen, dass sein Chef Georgi Dimitrow bald an der Spitze der Komintern stehen würde. Aber das schützte ihn nicht, in einer Parteisitzung warf man ihm vor, ein „Doppelzüngler“ zu sein. Das konnte ein Todesurteil begründen.
  Versuche, sich zu rehabilitieren, schlugen fehl. Viel aber spricht für die Vermutung, dass Kurella seinen Roman als Botschaft an Dimitrow verfasste. Er erfüllte nicht nur die Anforderungen an einen realistischen, antifaschistischen Roman, er illustrierte nicht nur Thesen Dimitrows über den deutschen Faschismus, er imitierte auch eines der Lieblingsbücher Dimitrows (und Lenins): Nikolai Tschernyschweskis Roman „Was tun?“ (1863). Und er nutzte den Roman zur Selbstdarstellung, wobei er sich sowohl in der Figur des Walter Berger porträtierte als auch einige seiner Vorlieben, etwa für Stefan George, Irrtümer, Jugendsünden dem Sonderermittler Geismar zuschrieb. „Die Gronauer Akten“ wurden ihm so, wie Schaad an vielen Details zeigt, „gleichermaßen Selbstkritik wie Selbstbehauptung“.
  Dimitrow hat den Roman nie gelesen, in der Zeit der Säuberungen war an eine Veröffentlichung nicht zu denken. Dafür zeigt der Roman, mit den Augen Schaads gelesen, wie man Stalinist wird: „durch einen vom Terror erzwungenen Akt der Selbsterziehung“. Die Parteilinie triumphiert über eigene Erfahrungen und Urteilskraft. Er sei, schrieb Kurella 1935, stolz, sich die Abhängigkeit von der Gewalt des Bolschewismus erkämpft zu haben. Lässt ein solcher Kampf mehr vom Ich als eine funktionierende Hülle bestehen?
JENS BISKY
Kurellas „Die Gronauer Akten“
hat in der DDR keine große Rolle
gespielt, anders als sein Autor
Alfred Kurella (1895-1975) war Schriftsteller, Übersetzer und ein DDR-Kulturfunktionär, der besonders dogmatisch Dekadenz und ästhetische Moderne bekämpfte.
Foto: picture alliance / zb
    
    
    
Martin Schaad: Die fabelhaften Bekenntnisse des Genossen Alfred Kurella. Eine biografische Spurensuche. Hamburger Edition, Hamburg 2014. 182 Seiten, 22 Euro, E-Book 17,99 Euro.
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