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Mit diesem Buch hat Gabriele Riedle nichts Geringeres gewagt als eine faustische Inspektion der globalisierten Körper, Seelen und Geister an der Schwelle zum 21.
Jahrhundert - eine Suchbewegung, die das Treibgut der Gedanken und Gefühle, Ideologeme und Phantasmagorien einer ganzen Generation aufwühlt.
Eine Art Mephisto-Figur schickt die Erzählerin zu ihren Freunden in ein norddeutsches Waldidyll. Die abgelegene Lichtung wird jedoch von Gespenstern heimgesucht: von Mördern und verlorenen Göttern, Georgiern und Rumänen, Terroristen und toten Vätern, aber auch von höchst lebendigen
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Produktbeschreibung
Mit diesem Buch hat Gabriele Riedle nichts Geringeres gewagt als eine faustische Inspektion der globalisierten Körper, Seelen und Geister an der Schwelle zum 21.

Jahrhundert - eine Suchbewegung, die das Treibgut der Gedanken und Gefühle, Ideologeme und Phantasmagorien einer ganzen Generation aufwühlt.

Eine Art Mephisto-Figur schickt die Erzählerin zu ihren Freunden in ein norddeutsches Waldidyll. Die abgelegene Lichtung wird jedoch von Gespenstern heimgesucht: von Mördern und verlorenen Göttern, Georgiern und Rumänen, Terroristen und toten Vätern, aber auch von höchst lebendigen Gestalten aus dem Trinkerterritorium jenseits der Elbe. Deshalb flüchtet diese kleine Gruppe von Versprengten ans Ende der Welt, auf die Galapagos-Inseln, dorthin, wo Darwin dem Geheimnis der Evolution auf die Spur gekommen ist. Aber dem Scheitern entgeht sie nicht; denn auch dieses Paradies ist längst zur Hölle geworden.

Riedles Prosa ist mit allen Wassern der Reflexion gewaschen und voller übermütiger Kapriolen, aber ihr Tempo ist furios und ihre Ambition vermessen. Wo gibt es noch Ruhe, wo Rausch, Grenzüberschreitung, Selbstbefreiung, Entfesselung - und Demut? Wo endet die Reise? "Wenn ich gewußt hätte", sagt die Autorin, "daß ich bei den ganz großen Fragen landen würde, hätte ich dieses Buch erst gar nicht angefangen". Es gehört Verwegenheit dazu, eine Geschichte zu erfinden, die so entschieden mit aller Beschaulichkeit bricht. Wer sich ihrem Sog überläßt, wird sie nicht aus der Hand legen, auch wenn es spät geworden ist.
Autorenporträt
Gabriele Riedle ist 1958 in Stuttgart geboren und lebt in Berlin. Sie veröffentlichte vielfach ausgezeichnete Reportagen von allen Kontinenten, vor allem aus Krisen- und Konfliktgebieten zwischen Afghanistan und Libyen, Darfur und Tschetschenien.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2005

Es geht eine Träne auf Reisen
Frau Faust stellt Gretchenfragen: Gabriele Riedles neuer Roman

Drei Frauen und ein Mann auf einer Lichtung im deutschen Hinterwald: das kann eigentlich nicht gutgehen. Männer bringen immer Unruhe in ein Dreimädelhaus, und dann ist Freddy, der Biologe, auch noch ein Ökostalinist, der, ähnlich wie der greise Faust, seinen Traum von Arkadien und nachhaltiger Forstökologie am liebsten mit Bagger und Kettensäge verwirklicht. Auch das Frauentrio ist sich trotz feministischer Sozialisation und schwesterlicher Solidarität nicht grün. Hilde, die Wiedergeburt von Hildegard von Bingen als Ethnologin, gießt als "holde Heilige" Klosterfrau Melissengeist über die WG aus. Carola, vormals Prostituierte und jetzt redselige Psychoanalytikerin, spielt sich als Mutter aller Waldschwestern auf.

Die Dritte im Bunde der Lichtungsgenossinnen nennt sich mal "Queen of Irony", mal Wölfle, meist aber "Gabriele Riedle" und ist eine faustisch rasende Reporterin, die sich desillusioniert zu Gretchens Demut bekehrt hat. Ihr ganzes Leben lang hat sie mit heißem Bemühn und "präventiver Wehmut" die Welt auf der Suche nach dem erfüllten Augenblick durchstreift und im alltäglichen "Niemandsland zwischen Verbraucherzentrale und Großer Oper" das Andere gesucht. Sie war in Patagonien, Sibirien und Timbuktu, im Kongo und auch im "Trinkerterritorium", ohne sich je für Menschen oder Natur zu interessieren. Sie stellte sich im Petersdom die Gretchenfrage, beichtete die Sünden der Väter und Töchter, beschwor RAF-Gespenster, Vampire und georgische Zwerge, und fand doch weder Erlösung noch Liebe. So verstieß sie gegen alle "nur denkbaren Gesetze von Biologismus über Moralismus bis Katastrophismus inklusive des guten Geschmacks" und war doch immer nur "müde Beobachterin", mit ihrem Idol Adamo zu reden: eine Träne auf Reisen.

Jetzt hat sie ihren Job in der Kulturstiftung einer internationalen Großbank aufgegeben, um die zusammengeraubte Beutekunst und das ideologische Treibgut des 20. Jahrhunderts zu inventarisieren: Götzenbilder, die "Seegurke als Metapher", Schwarzwälder Schinken, Bill Gates und Einstein, Psychoanalyse, Feminismus, Multikulturalismus, inklusive poststrukturalistischer Dekonstruktion. Der "harte faschistische Schwanz" erschien Frau Faust stets als des Teufels, aber der Geist, der das Böse will und das Gute schafft, hält sie auf Trab. Der Mephisto ihres Bildungsromans heißt Herr Er und ist alles mögliche: Gott und Beelzebub, Papst und Vater, Viktor Jerofejew (mit dem Riedle einst die Welt bereist und "Fluß" geschrieben hat) oder das ewig Männliche schlechthin. Herr Er kommt aus Transsylvanien und trägt Cordhosen wie Günter Grass; er ist Nobelpreisträger für Literatur und syphilitischer "Hilfs-Nietzsche", Verführer und Verräter. Demütig unterwarf sich die Erzählerin den Launen, Schlägen und intellektuellen Phantasmagorien ihres Dämons. Aber Herr Er hat sie verlassen und kommt nicht wieder.

Auf den Galápagos-Inseln, wo das Quartett just zur Jahrtausendwende darwinistische Feldstudien treiben und die Evolution vom Neandertaler zum Globaltrottel evaluieren will, kommt es dann noch zu so etwas wie einem Eklat. Das Paradies erweist sich als Hölle, die Waldgemeinschaft als Wolfsrudel: Frau Riedle, befreit von "selbstauferlegter Urbanitätspflicht" und Ironiezwang, erkennt, daß Liebe und Sarkasmus, Faust und Gretchen nicht zusammenpassen. Frauensolidarität, Männerwahn und Kulturstiftung können ihr gestohlen bleiben. Erwacht aus Größenwahn, Verzweiflung und Duldungsstarre, küßt sie Freddy in einem brennenden Dornbusch und kehrt ernüchtert heim in ihre Stuttgarter Zweizimmerwohnung: Alle Utopien sind abgeräumt, alle Pläne gescheitert. "Ich habe mich herumgetrieben seit vielen Jahren, ohne Ziel, ohne Maß, ohne Grund. Ich habe irgend etwas erforschen, drängende Rätsel lösen wollen, nur welche, habe ich unterwegs schnell vergessen." Und so verkriecht sie sich im Kinderzimmer auf heimischen Boden: Einmal Schwäbin, immer "Provinzschlampe".

"Versuch über das wüste Leben" macht seinem Titel alle Ehre. Riedle, rühmt der Klappentext, habe "nichts Geringeres gewagt als eine faustische Inspektion der globalisierten Körper, Seelen und Geister an der Schwelle zum 21. Jahrhundert". So kann man es sehen. Aber für einen Essay ist das Buch zu vage, für einen Roman zu verworren, für eine autobiographische Konfession zu kokett und für eine "Faust"-Travestie zu schwerfällig. "Meine Glut, mein Taumel, mein Rausch": ständig ekstatisch delirierend, gehetzt von allen Dämonen des 20. Jahrhunderts, irrt Riedle durch Raum und Zeit einer "durcheinanderglobalisierten" Welt. Sie will mit der Sprach-Machete Schneisen und Lichtungen in den Urwald schlagen; aber sie verheddert sich schon im Unterholz ihrer hölzernen Schachtelsätze und postfeministischen Kalauer. Die Walpurgisnacht war nur karnevalistischer Mummenschanz; was bleibt, ist Katzenjammer. "All diese folgenlosen Verführungen, diese verfehlten Versuchungen, diese beiläufigen Brutalitäten, diese ansatzweisen Ausschweifungen, diese Vorbereitungen für Orgien, die dann doch nie stattfanden, wüstes Leben in vertretbaren Maßen."

Gabriele Riedle beweist mit ihrem Roman Mut, jedenfalls zur Selbstentblößung, und wenn sie am Ende um Mitleid bettelt - "Seht vielleicht einmal nach eurer armen, alten, einsamen Riedle mit den Nudeln im Damenbart in ihrem Schlafzimmer in der prickelnden Metropole" - , hätte man lieber sie gerettet als gerichtet. Aber ihr Versuch, das wilde und gefährliche Leben wenn nicht in der Welt, so doch in einer verwüsteten Seele zu finden, konnte subjektiv wie objektiv nur scheitern. Daß das Unzulängliche nicht Ereignis geworden ist, weiß sie selber: "Wenn ich gewußt hätte, daß ich bei den ganz großen Fragen landen würde, hätte ich dieses Buch erst gar nicht angefangen".

MARTIN HALTER

Gabriele Riedle: "Versuch über das wüste Leben". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2004. 300 S., geb., 28,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Hübsch amüsiert hat sich die Rezensentin Barbara Kerneck bei der Lektüre von Gabriele Riedles Geschichte um ihr fiktives alter ego, das bezeichnenderweise den Nachnamen seiner Schöpferin trägt. Weltgewandt sei Riedle und darüberhinaus auf "faustischer Suche" nach dem, "was die Welt im Innersten zusammenhält". Als Riedle und der von ihr wahnhaft verehrte "Herr Er" sich verfehlen, so die Rezensentin, ziehe sie sich in ein idyllisch gelegenes Blockhaus zurück, das von ihren zwei mütterlichen Freundinnen, der "Ärztin ohne Grenzen" und der Psychotherapeutin und Exhure, bewohnt werde. Deren sehr alternativ gefärbtes "Geplänkel" um "Abwasch und Weltsicht", das leichtherzig "Einteilung der Menschen in korrekte und unkorrekte" vornimmt, besteche durch seinen Witz und so manche skurrile Formulierung, "die Riedle so leicht niemand nachmacht". Gerade diesem Witz hätte die Autorin auch den Vorzug vor der hochfahrenden, immer wieder durch Goethe-Zitate beschworenen Faustschen Perspektive geben sollen, meint die Rezensentin. Denn Riedles "vergnüglich verschnörkelten Einfallsreichtum" könne getrost "etwas mehr aggressiven Elan" verkraften. So hätte dieser "von der ersten bis zur letzten Seite einzige, melodische innere Monolog" an Stimmigkeit gewonnen.

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