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Der Volksaufstand vom Juni 1953 löste in der Staatssicherheit eine intensive Stimmungs- und Lageberichterstattung aus, die innerhalb von wenigen Wochen in ein geregeltes Informationswesen mit festen Strukturen und einem vorgegebenen Berichtskanon mündete. Die Berichte dieses Jahres spiegeln die prekäre Situation nach dem Aufstand sowie die damit verbundenen Ängste und Feindbilder der Machthaber wider. Sie konzentrieren sich auf die Stimmung in den Industriebetrieben. Eine erhebliche Rolle spielt neben der schwierigen Versorgungssituation auch die instabile Lage der Landwirtschaft und bei den…mehr

Produktbeschreibung
Der Volksaufstand vom Juni 1953 löste in der Staatssicherheit eine intensive Stimmungs- und Lageberichterstattung aus, die innerhalb von wenigen Wochen in ein geregeltes Informationswesen mit festen Strukturen und einem vorgegebenen Berichtskanon mündete. Die Berichte dieses Jahres spiegeln die prekäre Situation nach dem Aufstand sowie die damit verbundenen Ängste und Feindbilder der Machthaber wider. Sie konzentrieren sich auf die Stimmung in den Industriebetrieben. Eine erhebliche Rolle spielt neben der schwierigen Versorgungssituation auch die instabile Lage der Landwirtschaft und bei den Blockparteien. Der Band bietet eine Auswahl der Berichte, die beiliegende CD-ROM enthält die Gesamt-Edition des Jahrgangs in einer recherchierbaren Datenbank.Der Bearbeiter:Dr. Roger Engelmann ist Forschungsprojektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung des BStU in Berlin.
Autorenporträt
Dr. Roger Engelmann ist Forschungsprojektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung des BStU.

Engelmann, RogerDr. Roger Engelmann ist Forschungsprojektleiter in der Abteilung Bildung und Forschung des BStU.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2013

Ein Kind des 17. Juni
Berichte an SED-Führung

Die regelmäßige Berichterstattung der Staatssicherheit an die SED-Führung war eine Folge des Aufstandes in der DDR im Jahr 1953. Der erste Bericht wurde am 17. Juni verfasst, an jenem Tag, als viele Arbeiter und Bauern ihre Partei-Oberen enttäuschten und gegen sie rebellierten. In 701 Orten gab es Streiks und Demonstrationen. Damals durchlief die DDR eine Mehrfachkrise, die sich auf die Wirtschaft, die Versorgungslage, die Staatspartei und "im Hintergrund" auch auf die sowjetische Besatzungsmacht bezog. Mit der Niederschlagung des Volksaufstandes allein war es nicht getan. "Die zweite Hälfte des Jahres war vom verzweifelten Bemühen der Machthaber geprägt, das Krisengeschehen zu beenden oder zumindest zu mildern. Das bedeutete zuallererst, exponierte SED-Gegner auszuschalten, unzureichend ,standhafte' Funktionäre auszusondern und SED-feindliche Äußerungen wieder aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Es bedeutete auch, die Bevölkerung durch Disziplinierungsmaßnahmen und Zugeständnisse ruhigzustellen", schreibt Editor Roger Engelmann über die sorgfältig kommentierten Dokumente aus dem Jahr 1953, die im Buchformat einen Umfang von 1600 Seiten ergeben hätten und auf einer CD-ROM zugänglich sind. Eine Auswahl (230 Seiten) liegt gedruckt vor, mit einer vorzüglichen Einleitung und Einordnung sowie einigen Faksimiles.

Diese Lage- und Stimmungsberichte zeichnen ein vielschichtiges Bild der DDR während und nach dem Juni-Aufstand, der nur durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes und das Eingreifen der sowjetischen Truppen unter Kontrolle gebracht werden konnte. Mit Massenverhaftungen und standrechtlichen Erschießungen sollte dann die Bevölkerung unmittelbar eingeschüchtert werden. Doch der SED-Apparat brauchte Wochen und Monate, bis er seine "Durchgriffsmöglichkeiten restauriert hatte". Über weite Strecken sei "relativ wirklichkeitsnah" berichtet worden; noch trauten sich Stasi-Mitarbeiter, Beschimpfungen auf die SED-Spitze breit und wörtlich zu zitieren und die Forderungen nach "freien Wahlen und Freiheit" herauszustellen. Am 25. Juli hieß es, die "Intelligenz" in den Leuna-Werken vertrete den Standpunkt, dass eine Rede Walter Ulbrichts "nicht das Niveau eines Ministerpräsidenten" habe.

Seit Mitte 1952 hatte Ulbricht auf Stalins Wunsch hin die Sowjetisierung der DDR-Gesellschaft forciert. Kleinste Bagatelldelikte, die oft aus den Versorgungsproblemen resultierten, wurden mit Zuchthausstrafen geahndet, so dass die Zahl der Gefangenen von Mitte 1952 bis Mitte 1953 auf mehr als das Doppelte anwuchs. Außerdem verließen immer mehr Menschen die DDR - im ersten Halbjahr 1953 fast 200 000. Der abrupte Kurswechsel in Moskau nach Stalins Tod im März 1953 führte dazu, dass die Nachfolger im Kreml von den einbestellten SED-Oberen politische Korrekturen erzwangen, um den "ernsten Unzufriedenheiten" in der ostdeutschen Bevölkerung zu begegnen. Die SED-Machthaber reagierten mit dem "Neuen Kurs", also mit weitreichenden Konzessionen samt "Wiedereinführung der ermäßigten Arbeiterfahrkarten und der Preisreduktion bei Süßigkeiten". Zu einem von der Arbeiterschaft erwarteten Rückzug bei der Normenerhöhung kam es jedoch nicht, sondern vielmehr zu einem Beschluss zur Erhöhung, was zu Arbeitersniederlegungen und Unruhen führte. Solches war dem Ministerium für Staatssicherheit entgangen - und dafür wurde es nach dem 17. Juni "formal zu einem Staatssekretariat im Ministerium des Innern zurückgestuft". Durch das neu geschaffene Berichtswesen (das bis Ende 1989 bestand) sollten die Ulbrichts und Honeckers fortan über ein "Frühwarnsystem" für eine künftige, die Herrschaft ihrer Partei gefährdende Situation verfügen können.

Im zweiten Halbjahr 1953 wurde unter anderem informiert über Austritte aus der SED, über Reaktionen auf die amerikanische Lebensmittelhilfe für die DDR durch Pakete, die im westlichen Teil Berlins abgeholt werden konnten, über die "Großzügigkeit" der Sowjetunion, verurteilte deutsche Kriegsgefangene von September an in die DDR zu entlassen, sowie über die Aktion "Feuerwerk" Ende Oktober, also die Verhaftung von über 100 Personen, die meist V-Leute der in der Bundesrepublik noch unter amerikanischer Obhut agierenden Organisation Gehlen waren. Engelmann betont, dass die "im Vergleich zu später nur rudimentäre ideologische Überformung" der frühen Texte ein großer Vorzug sei. Die Berichte selbst bezeichnet er als "ein Kind des 17. Juni, und dieser Ursprung prägte sie noch lange, in einigen wesentlichen Aspekten bis zu ihrem Ende". Mit der Zeit schrieben Mielkes Mannen aber wohl auch immer öfter und lieber das, was die Parteispitze lesen wollte. Es menschelt eben überall, sogar unter Unterdrückern im Zeichen des Dauer-Antifaschismus - was im Nachhinein auch etwas beruhigt.

RAINER BLASIUS

Die DDR im Blick der Stasi 1953. Die geheimen Berichte an die SED-Führung. Bearbeitet von Roger Engelmann. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 320 S. (mit CD-ROM), 29,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rainer Blasius belässt es in seiner Besprechung dieses Bandes bei der Nacherzählung. Der Herausgeber Roger Engelmann versammelt in seiner Auswahl einige Berichte, die die Stasi nach dem Aufstand vom 17. Juni regelmäßig an die SED abliefern musste. Wie der Rezensent dem Band entnimmt, fielen diese Berichte anfangs noch recht wahrheitsgetreu aus und vermittelten die in der Bevölkerung herrschende Unzufriedenheit, mussten sie später den Empfindlichkeiten der Parteiführung angeglichen und geschönt werden. "Es menschelt eben überall", fällt Blasius dazu ein.

© Perlentaucher Medien GmbH