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Mehr als zehn Jahre lang erreichte die russische Ausgabe der Sesamstraße Millionen von Familien. Die Vision der Sendung: eine neue Realität für die Kinder und Enkelkinder des Landes zu entwerfen - zunächst auf dem Fernsehbildschirm und dann im wirklichen Leben. Natasha Lance Rogoff, die amerikanische Produzentin der Sendung, gibt einen Einblick hinter die Kulissen und erzählt eine turbulente Geschichte von Bombenanschlägen, dem Clash der Kulturen und der zarten Hoffnung, dass es so etwas wie Annäherung zwischen zwei Welten geben kann.
Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erwartet
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Produktbeschreibung
Mehr als zehn Jahre lang erreichte die russische Ausgabe der Sesamstraße Millionen von Familien. Die Vision der Sendung: eine neue Realität für die Kinder und Enkelkinder des Landes zu entwerfen - zunächst auf dem Fernsehbildschirm und dann im wirklichen Leben. Natasha Lance Rogoff, die amerikanische Produzentin der Sendung, gibt einen Einblick hinter die Kulissen und erzählt eine turbulente Geschichte von Bombenanschlägen, dem Clash der Kulturen und der zarten Hoffnung, dass es so etwas wie Annäherung zwischen zwei Welten geben kann.

Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erwartet Natasha Lance Rogoff die Aufgabe ihres Lebens: Sie soll die ur-amerikanische Sesamstraße für das russische Fernsehen adaptieren. Dass es keine Produktion wie jede andere werden wird, zeigt sich bereits im Vorfeld: Der erste Investor entgeht nur knapp einem Bombenattentat, drei Fernsehmanager werden ermordet, und als endlich ein Produktionsbüro bezogen werden kann, wird es kurz darauf vom Militär besetzt. Schließlich sind da noch die Differenzen im russisch-amerikanischen Team: Filme, in denen Männer den Abwasch machen und Patchwork-Familien fröhliche Buchstabenlieder singen, kommen bei den russischen Kreativen nicht gut an - Schwermut und klassische Musik sollen zum Einsatz kommen. Es wird beherzt gestritten, und nur langsam nähern sich beide Seiten an. Am Ende entstehen aber Kulissen und Handpuppen, Filme und Musik, die amerikanische Vorgaben und russische Tradition verbinden. Die Sendung wird ein Riesenerfolg - bis sie von Putin-treuen Fernsehmanagern abgesetzt wird.
Autorenporträt
Natasha Lance Rogoff war zwischen 1993 und 1997 ausführende Produzentin von Ulitsa Sezam, der russischen Adaption der Sesamstraße. Neben ihrer Fernseharbeit hat Lance Rogoff als Dokumentarfilmerin und Journalistin für große internationale Medien über die sowjetische Untergrundkultur berichtet. Sie lebt in Cambridge, Massachusetts und New York City. Frank Sievers, Jahrgang 1974, lebt als Übersetzer und Autor in Berlin. Regelmäßige Arbeit für die Reihe Naturkunden bei Matthes & Seitz sowie Übersetzungen von Romanen und Sachbüchern über Fußball, Gastrophysik oder Kunst. Zuletzt erschienen: der Roman Detransition, Baby von Torrey Peters (mit Nicole Seifert). 2017 erhielt er mit Andreas Jandl den Christoph-Martin-Wieland-Übersetzerpreis für Der Wanderfalke von J.A. Baker.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Ulrich Schmid ist sehr angetan von Natasha Lance Rogoffs Buch über die Schaffung der russischen Version der Sesamstraße, an der Rogoff maßgeblich beteiligt war. Das Buch biete dabei tiefe Einblicke in die russische Gesellschaft und die damalige Zeit: Muppets durften nicht "schwarz" sein und auf gar keinen Fall homosexuell wirken, weil man glaubte, dadurch würde das Publikum abgeschreckt werden, so Schmid. Rogoff erzählt außerdem, dass ihre Produzenten ermordet wurden, weil sie in den Jelzin-Jahren für eine Regulierung des russischen Werbemarktes einstanden, erfahren wir. Dazu kam die damalige Wirtschaftskrise und ein Produktionsteam, dass aus der freudvollen amerikanischen Show eine wehmütige russische Kindersendung machen wollte, schreibt Schmid. Rogoff, so der Kritiker, offenbare in dem Buch auch, dass sie den russischen Kinder mit der Sesamstraße "kommunistische Verhaltensmuster" abtrainieren wollte. Ein spannendes, ab und zu höchstens "etwas geschwätziges" Buch, findet Schmid abschließend.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.02.2024

Von Puppen lernen

Oskar aus der Mülltonne hatte keine Chance: Natasha Lance Rogoff erzählt, wie die "Sesamstraße" den Weg nach Russland fand.

Nach der Lektüre von "Muppets in Moskau" bleibt eine Frage offen: Warum durfte Bibo in der russischen Version der "Sesamstraße" nicht auftreten? Die amerikanische Fernsehproduzentin Natasha Lance Rogoff hat ein anregendes, bisweilen etwas geschwätziges Buch über die Einführung der "Sesamstraße" im Russland der Neunzigerjahre geschrieben. Sie selbst war eine der Hauptfiguren dieser "völlig verrückten Geschichte", wie der Untertitel zu Recht verspricht. Nachdem sie in New York einen Dokumentarfilm über Russland präsentiert hatte, wurde sie von den Machern der "Sesamstraße" gefragt, ob sie sich vorstellen könne, die Kindersendung für Russland zu adaptieren und dort auf den Fernsehmarkt zu bringen. Lance Rogoff wusste, dass dieser Auftrag eine "Mission Impossible" war - und sagte zu.

Alles war offen: Es gab keine russischen Muppets, es gab keine Lieder, es gab keinen Fernsehsender, und das Ganze musste auch noch mit einem Millionenbetrag von russischer Seite finanziert werden. Lance Rogoff stürzte sich in den Walpurgistanz der Jelzinjahre. Die Menschen in Moskau lebten in denkbar unterschiedlichen Lebensumständen. Sowjetnostalgie und Innovationsbegeisterung bildeten ein explosives soziales Gemisch. Dazu kamen finanzielle Interessenkonflikte. Lance Rogoff berichtet, wie ihre Gesprächspartner, die Produzenten Wlad Listjew und Oleg Slabinko, kurz nacheinander ermordet wurden, weil sie den ebenso undurchsichtigen wie lukrativen Werbemarkt im russischen Fernsehen regulieren wollten.

Vor allem ist Lance Rogoffs Bericht aber ein Lehrstück in interkultureller Kommunikation. Auf der Suche nach russischen Drehbuchautoren hörte sie als erste Reaktion: "Russland hat eine lange, reiche und ehrwürdige Puppentradition, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Wir brauchen Ihre amerikanischen Püppchen in unseren Kindersendungen nicht." Schließlich gelang es Lance Rogoff jedoch, die russischen Mitarbeiter von der Ausdruckskraft des Originals zu überzeugen.

Keine Gnade vor dem russischen Team fand jedoch Oskar aus der Mülltonne. Was in amerikanischen Augen lustig erschien, war aus russischer Sicht abstoßend. Umgekehrt wurde eine Szene aus dem russischen Drehbuch gekippt, in der ein trauriger Muppet den Küchenboden wischt. Auf dem Bildschirm erscheint der Buchstabe D wie Depression. Die Moskauer Autoren hatten sich vor Lachen geschüttelt, die Amerikaner schüttelten den Kopf.

Ähnliche Missverständnisse ergaben sich im Musikbereich. Die russischen Komponisten schlugen wehmütige, langsame Melodien vor, die nicht in das Konzept der amerikanischen Kindersendung passten. Nicht konsensfähig waren auch amerikanische Vorstellungen über die Diversität der spielenden Kinder in der "Sesamstraße". Zwar stieß die Weiterbildung einer amerikanischen Sozialpsychologin auf theoretisches Verständnis beim russischen Team, es gab aber praktischen Widerspruch: Russische Eltern würden nicht damit einverstanden sein, dass schwarze Kinder in der "Sesamstraße" auftreten.

Schließlich kam es in grundsätzlichen Fragen zu Auseinandersetzungen. In der Originalversion ging man davon aus, dass die Kinder sich mit den großäugigen Muppets identifizieren und selbst etwas lernen, wenn die Puppen sich in die pädagogisch konstruierte Welt der "Sesamstraße" vortasten. Die Reaktion einer russischen Autorin lautete: "Lernen ist kein Entdeckungsprozess. Lernen heißt, Informationen zu hören und aufzunehmen."

Aus Lance Rogoffs Erzählung wird allerdings deutlich, dass auch sie selbst ihr amerikanisches Sendungsbewusstsein nie ablegte. So pries sie ihrem Team die "Sesamstraße" als Wunderrezept für die unternehmerische Erziehung russischer Kinder an, die noch mit rückständigen kommunistischen Verhaltensmustern konfrontiert seien.

Die Zusammenarbeit der amerikanischen Mutterfirma mit dem russischen Team funktionierte nur, weil sich beide Seiten flexibel zeigten. Die Amerikaner waren enttäuscht, weil die Russen keinen Produktionsplan mit Budgets und Deadlines entwarfen. Die Russen arbeiteten ohne klare Arbeitsverträge und ohne gesicherte Bezahlung. Natasha Lance Rogoff akzeptierte die Erklärung eines ihrer Regisseure, dass ein Produktionsplan in Russland komplett sinnlos sei, weil immer irgendetwas dazwischenkomme: ein Eigentümerwechsel der Fernsehkette, eine Wirtschaftskrise, ein Staatsstreich, der Bankrott einer Produktionsfirma, das Fehlen von Ausrüstung oder Personal.

Die "total verrückte Geschichte" kam schließlich zu einem Happy End. Die beiden größten Fernsehsender kauften die russische "Sesamstraße", die ein durchschlagender Erfolg wurde. Ernie und Bert wurden zu Enik und Wlas, dazu kamen zwei kleine Muppets, Kubik und Businka, sowie die Ganzkörperpuppe Seliboba - eine amerikanisierte Version eines Hausgeistes, der aus der slawischen Folklore bekannt ist. Seliboba durfte am Ende sogar die hellblaue Farbe seines Pelzes behalten, die von den amerikanischen Designern vorgeschlagen wurde. In Russland war das ein Problem, weil ein "Hellblauer" auf Russisch einen Homosexuellen bezeichnet. Ein Regisseur fürchtete, die Zuschauer könnten denken, Seliboba sei schwul.

Dass Bibo nicht auftreten durfte, war das Einzige, was den Financier Boris Beresowski am Projekt der russischen "Sesamstraße" störte. Beresowski hatte in der Frühphase des Projekts seine finanzielle Unterstützung zugesagt, fiel dann aber aus, weil er mit einem seiner zahlreichen Gerichtsfälle zu kämpfen hatte. Natasha Lance Rogoff ließ Beresowski 1993 bei ihrer Sponsoringanfrage über die wichtigste Frage im Dunkeln, und auch die Leser ihres Buchs werden es nie erfahren: Wo ist Bibo? ULRICH SCHMID

Natasha Lance Rogoff: "Muppets in Moskau". Die völlig verrückte Geschichte, wie die

Sesamstraße nach Russland kam.

Aus dem Englischen von Frank Sievers. Suhrkamp Verlag, Berlin 2023. 413 S., Abb., br., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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»... ein Lehrstück in interkultureller Kommunikation.« Ulrich Schmid Frankfurter Allgemeine Zeitung 20240207