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Das Machtdreieck von Gesellschaft, Parteien und Staat wird so durch das neue Machtdreieck Spitzenakteure - Medien - populistische Strategien ersetzt. Meyer geht in dem Buch daher der Frage nach, ob die Mediendemokratie auf lange Sicht zur Herrschaft der Oberflächenlogik von Ereignismanagement und Darstellungseffekten führt oder doch ein anspruchsvolleres Verständnis von politischer Kommunikation entwickelt.

Produktbeschreibung
Das Machtdreieck von Gesellschaft, Parteien und Staat wird so durch das neue Machtdreieck Spitzenakteure - Medien - populistische Strategien ersetzt. Meyer geht in dem Buch daher der Frage nach, ob die Mediendemokratie auf lange Sicht zur Herrschaft der Oberflächenlogik von Ereignismanagement und Darstellungseffekten führt oder doch ein anspruchsvolleres Verständnis von politischer Kommunikation entwickelt.
Autorenporträt
Meyer, ThomasThomas Meyer, geboren 1943, ist Prof. em. für Politikwissenschaft an der TU Dortmund. In der edition suhrkamp erschien 2001 sein vieldiskutiertes Buch Mediokratie. Die Kolonisierung der Politik durch die Medien (es 2204).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2001

Die Kunst, auf den Knopf zu drücken
Eine Demokratie, die sich zur Selbstdarstellung der Medien bedient, wird durch die Macht schlechter Fernsehprogramme noch lange nicht zur Farce
THOMAS MEYER: Mediokratie – Die Kolonisierung der Politik durch die Medien, Edition Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. 232 Seiten, 19,90 Mark.
Der Autor teilt das Schicksal vieler großer Geister, die hilflos mit ansehen mussten, wie ihre Erkenntnisse durch Ereignisse widerlegt wurden, die aus heiterem Himmel kamen. In seinem Fall stellen die Terroranschläge vom 11. September manche These infrage. Alles, was er an den Medien vermisste, war plötzlich im Übermaß vorhanden: detaillierte Informationen, schier unbegrenzte Sendezeiten, tief schürfende Hintergrundberichte, seriöse wissenschaftliche Aufklärung und am laufenden Band Interviews, Diskurse, Gespräche.
Thomas Meyers Buch, das kaum ein gutes Haar an Deutschlands Medien lässt, ist deshalb nicht entwertet; Ausnahmesituationen haben auch mal ihr Ende. Seine Studie muss allerdings in neuem Licht betrachtet werden – oder aber nach ganz alten Kriterien. Nicht erst seit dem Philosophen Karl Popper gilt: Wer versucht, Praxis (in diesem Fall die journalistische) zu systematisieren, muss wissen, dass bereits ein Gegenbeispiel genügt, um jede Regel zu falsifizieren.
Der ständige Rollenwechsel (vom Chronisten zum Kommentator) ist für Meyers Vorhaben wenig hilfreich. Schon die Wortschöpfung „Mediokratie” klingt abschätzig. Wer daran noch zweifelt, wird spätestens durch den Hinweis auf „die Kolonisierung der Politik durch die Medien” eines Besseren belehrt. Tatsächlich ist an der Botschaft, die Meyer verbreiten will, auch kaum zu deuteln. Der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Dortmund macht aus seinem Missfallen keinen Hehl: „Auf der Ebene der Medien wird die Darstellung der Politik immer entschiedener entdifferenziert, trivialisiert, personalisiert und den Regeln der Unterhaltungsinszenierung unterworfen.”
Was die privaten Fernsehsender anbelangt, die den Autor verständlicherweise besonders ärgern, dürfte das Urteil sogar zutreffen. Doch unter dieser verengten Sicht leidet seine Diagnose, weil sie die Medienvielfalt vernachlässigt. Meyers Schlussfolgerung, dass die Oberflächlichkeit der Medien den Niedergang von Demokratie, Transparenz und offener Gesellschaft bedeutet, erscheint daher zumindest sehr kühn.
Gleichwohl stellt die kenntnisreiche und instruktive Untersuchung Zusammenhänge her, die den Blick für das Wechselspiel von Politik und Medien schärfen; sie dokumentiert und analysiert einen Zustand, der dem Normalverbraucher kaum noch auffällt, weil er sich an die Manipulation längst gewöhnt hat. Der Autor beschreibt die Inszenierung von Politik durch die Medien – und, als Antwort darauf, die Rückeroberung der Medien durch Selbstinszenierungen der Politik. Was der Konsument zu sehen bekommt, sind tatsächlich nur Blitzlichtaufnahmen. Oft kann er kaum erkennen, ob sie die Wirklichkeit spiegeln oder ob sie in Szene gesetzt wurden.
Meyers Verdienst: Er zeigt auf, dass dem Bürger (und Wähler) angesichts der vielen Vexierbilder leicht die Urteilsfähigkeit abhanden kommen kann. Im schlimmsten Fall verlernt er es, Sein und Schein voneinander zu unterscheiden.
„Die Kolonisierung des politischen Systems durch das Mediensystem” führt den Zuschauer, so argwöhnt der Professor, immer wieder in die Irre: durch Präsentation „symbolischer Scheinpolitik und theatralischer Politikinszenierung”. Als Beispiel nennt er den Fall „eines mit großem medialen Aufwand inszenierten Einweihungsrituals für eine Fabrik” – und dies „in einer Region, in der die Arbeitslosigkeit dennoch erheblich zunehmen wird”. Mit dem Hinweis, dass derlei Schaulaufen als „Chefsache” deklariert wird, beschwört der Autor Erinnerungen – etwa an die Propagandareisen von Helmut Kohl und Gerhard Schröder durch die neuen Länder. Für den Nachweis von Desinformation taugen gerade solche Beispiele freilich nicht– eher dafür, dass dem Professor die journalistischen Arbeitsmechanismen fremd sind. Reporter, die sich den Widerspruch zwischen Licht und Schatten entgehen ließen, würden schnell ihren Ruf und womöglich sogar ihren Arbeitsplatz riskieren.
„Symbolhafte Handlungen” gehören, wie Meyer anmerkt, zum Repertoire des Politikers, der seine Medienrolle beherrscht. Doch Gesten sind nicht nur geeignet, das Publikum zu täuschen – sie können auch leicht zum Bumerang werden, wie erst jüngst wieder Arafat erfahren musste.
Mit seiner demonstrativen Blutspende für die Opfer des Terroranschlages in den USA hat er die Zuschauer nur nochmals an die Zwiespältigkeit seiner Politik erinnert. Noch schlimmer erging es Rudolf Scharping, der sich „selbst inszenierte”, um seinen Ruf als steifer Langweiler los zu werden. Die Fotos des Ministers als schnäbelnder Schwan bewirkten das Gegenteil. Was haften blieb, war nicht die gefühlvolle, sondern die instinktlose Seite seines Ichs. Fazit: Der Medienkonsument ist nicht so dumm, wie manche Regisseure glauben.
Und auch Meyer ist nicht entgangen, dass die Medien immer wieder für Überraschungen gut sind. Der Professor, der Festlegungen möglichst vermeidet, kommt zu dem Schluss: Die „Logik des Politischen” werde zwar „durch neue, medien- und inszenierungsbezogene Faktoren ergänzt und relativiert, aber nicht annulliert”. Er gibt die Politik nicht ganz verloren. Auch im Zustand der Selbstinszenierung betreibe sie „weiterhin ihr genuines Geschäft”. Doch sie vollziehe es „unter dem Druck und nach den Regeln des Mediensystems, also als kolonisierte Provinz und nicht als souveräne Handlungsmacht”.
Mit seiner Kritik an den ökonomischen Prioritäten der Branche, zumal der privaten elektronischen, trifft er ins Schwarze. Keiner dürfte widersprechen, wenn er registriert, dass die Erzeugnisse des „Medienmarktes” zu „Waren” werden, „die in ausschlaggebender Weise nach den Kriterien der Gewinnmaximierung hergestellt und verbreitet werden”. Ob es der wissenschaftlichen Sorgfalt genügt, wenn er somit alle publizistischen Produkte in die Kritik einbezieht, mögen seine Kollegen beurteilen.
Auch mit einem anderen Postulat rennt der Professor offene Türen ein. „Ohne ein ausreichendes Maß an informativer und argumentativer Öffentlichkeit” könne es, so meint er, „keine Demokratie geben, die ihren Namen verdient”. Doch die Gretchenfrage, ob und wie sich diese heile Welt herstellen lässt, ist damit nicht beantwortet. Wer – wie Meyer – namentlich die „Infantilisierung” durch einige Sender aus der Perspektive eines idealtypischen Demokratiemodells betrachtet, kann nur zu einem vernichtenden Urteil kommen. Es lautet: „Parasi täre Publizität”, „Marginalisierung der politischen Parteien”, „Degradierung der repräsentativen Demokratie”.
Genau besehen, leidet die detailreiche und umfängliche Untersuchung darunter, dass sie den Teil, den sie beschreibt, für das Ganze ausgibt. Meyer tut so, als ob es nur RTL, Sat1 oder Pro Sieben gäbe. So entsteht, als vermeintliche Totalansicht, ein negatives Bild, das die negative Folgenabschätzung nur teilweise zu stützen vermag. Offen bleibt dabei, welche Rolle jene Medien spielen, die auf Manipulation verzichten. Der Bürger ist den magischen Kanälen nicht hilflos ausgeliefert. Er kann sich, wie bei Wahlen, frei entscheiden. Und auch am Kiosk darf er wählen – zwischen Blättern der Boulevardpresse und seriösen Tages- oder Wochenzeitungen. Wenn Meyers Diagnose stimmt, dann weil die Bürger das Falsche sehen, hören und lesen.
Der Autor räumt ein, dass „ein kundiger und hochmotivierter Rezipient” aus den vielen vorhandenen Quellen immer „einen relevanten und im Prinzip richtigen Informationsgewinn ziehen kann”. Doch dann stellt er diesem homo sapiens „die Mehrheit der Bürger” gegenüber, für die Fernsehen und Boulevardpresse „die einzige Gelegenheit zu politischen Informationen darstellen”.
Das Attribut „einzige” ist schlicht falsch. Und der warnende Hinweis, dass diese ominöse Mehrheit „bei Wahlen gegebenenfalls den Ausschlag gibt”, vergisst die Kunstfigur des „mündigen Bürgers”. Aus gutem Grund. Demokratie lebt von der Fiktion, dass alle gleich sind. Ob arm oder reich, dumm oder klug – jede Stimme hat dasselbe Gewicht. Wer den Menschen das Recht zubilligt, über Regierungen zu befinden, ihnen aber zugleich die Reife abspricht, zwischen Informationsangeboten zu wählen, kultiviert den Widerspruch und nimmt den Gleichheitssatz nicht ernst.
ROLF LAMPRECHT
Der Rezensent ist Politologe und arbeitet als Journalist in Karlsruhe.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als "kühn" bezeichnet Rezensent Rolf Lamprecht Thomas Meyers Aussage, "die Oberflächlichkeit der Medien (bedeute) den Niedergang von Demokratie, Transparenz und offener Gesellschaft". Der Dortmunder Professor für Politikwissenschaft lasse "kein gutes Haar an Deutschlands Medien", wobei sich seine Sicht aber auf die privaten Fernsehsender verengt habe. Seine "detailreiche und umfängliche" Medienkritik vernachlässige deshalb die bestehende Medienvielfalt. Der Bürger wähle seine Informationsquellen noch immer frei aus, daher könne von einer "Kolonisierung der Politik durch die Medien" keine Rede sein.

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