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Zum ersten Mal liegt mit der Biographie August Wilhelm Schlegels (1767-1845) eine umfassende Würdigung dieser herausragenden Persönlichkeit der deutschen und europäischen Romantik vor. Roger Paulin, ein renommierter Kenner dieser Epoche, zeichnet versiert und kurzweilig die Lebensgeschichte dieses vielseitig interessierten und talentierten 'Kosmopoliten der Kunst und Poesie' nach: Schlegel war Poet, Übersetzer zahlreicher Sprachen, Literaturkritiker und Wissenschaftler und wirkte vielfach als Initiator neuer Strömungen und Denkrichtungen. Gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich, mit dem er die…mehr

Produktbeschreibung
Zum ersten Mal liegt mit der Biographie August Wilhelm Schlegels (1767-1845) eine umfassende Würdigung dieser herausragenden Persönlichkeit der deutschen und europäischen Romantik vor. Roger Paulin, ein renommierter Kenner dieser Epoche, zeichnet versiert und kurzweilig die Lebensgeschichte dieses vielseitig interessierten und talentierten 'Kosmopoliten der Kunst und Poesie' nach: Schlegel war Poet, Übersetzer zahlreicher Sprachen, Literaturkritiker und Wissenschaftler und wirkte vielfach als Initiator neuer Strömungen und Denkrichtungen. Gemeinsam mit seinem Bruder Friedrich, mit dem er die avantgardistische Zeitschrift Athenaeum herausgab, gilt er als Initiator der literarischen Romantik. Besonders bekannt wurde er durch die Übersetzung von Shakespeares Werken: Zum ersten Mal wurde Shakespeare durch ihn und seine Frau Caroline in Versform in eine fremde Sprache übertragen. Paulin eröffnet mit seiner fulminanten Biographie faszinierende Einsichten in das Leben und Werk eines Universalgenies und sein namhaftes Milieu und zeichnet zugleich das Panorama einer Epoche.
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Autorenporträt
Roger Paulin war bis zu seiner Emeritierung 2005 Professor für Germanistik an der Universität Cambridge. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu Goethe, der Romantik und zur Shakespeare-Rezeption. 2002 erhielt er den Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.01.2018

Was für ein Mensch verbirgt sich da im Kollektiv?
Heine sollte nicht das letzte Wort haben: Roger Paulins Biographie des Romantikers August Wilhelm Schlegel

"Er riß die Lorbeerkränze von den alten Perücken und erregte bei dieser Gelegenheit viel Puderstaub. Sein Ruhm ist eine natürliche Tochter des Skandals." Was Heinrich Heine im zweiten Buch der Romantischen Schule (1835) über seinen akademischen Lehrer August Wilhelm Schlegel verlauten lässt, ist abgründig. Der Ruhm als natürliche Tochter des Skandals - das nimmt dem Gerühmten die intellektuelle Substanz, und genau darin liegt auch Heines Absicht. Das älteste der Geschwister Schlegel, bei dem er 1819 an der Bonner Universität Vorlesungen über Literatur hörte, erschien ihm als ein Mann, der immer mehr Schein als Sein war. Sein Hauptverdienst sei die "Beförderung der Eleganz" gewesen; ansonsten, so kann man Heines Charakterisierung zusammenfassen, habe man es hier mit einem sekundären Wesen zu tun. Fraglos: ein sehr gescheiter Mensch, polyglott, ein hervorragender Übersetzer mit beeindruckenden Kenntnissen auf dem Feld der antiken Literatur und nicht zuletzt der Indologie. Nirgends aber sei Schlegel, entgegen seinem Selbstverständnis, der Erste gewesen. Immer sei er nur mit der Mode gegangen, habe deswegen nie echtes Expertentum oder gar "den Boden einer Philosophie" erworben. Alles, was er könne, verdanke er anderen, insbesondere seinem jüngeren Bruder Friedrich, von dessen Ideen und deren Ausarbeitung er maßgeblich zehre.

Heines verheerendes Urteil, das der Unterstellung der geistigen auch noch das umlaufende Gerücht der sexuellen Impotenz beimengt, hat das Bild von August Wilhelm Schlegel über lange Zeit mitbestimmt. Unter den Romantikern blieb er der Farb-, unter den Gelehrten der Folgenlose. Man musste schon Literaturhistoriker sein, wenn man Schlegels Leistungen zu Gesicht bekommen wollte, und so war es denn auch bis heute in erster Linie der Fachwissenschaft überlassen, Korrekturen an Heines Karikatur vorzunehmen. Neben der verdienstvollen, an der Universität Tübingen beheimateten Edition seiner Vorlesungen haben in jüngerer Zeit auch verstärkt Symposien zu Einzelaspekten seines Werks stattgefunden - zu seiner Briefpoetik, seinen Konzeptionen des kulturellen Transfers und der philologischen Aufgabe für das Projekt einer europäischen Literatur. Zudem widmete sich eine Ausstellung im Frankfurter Hochstift Schlegel aus Anlass von dessen 250. Geburtstag (F.A.Z. vom 2. September 2017).

Vervollständigt werden diese Bemühungen um Schlegels Rehabilitation durch Roger Paulins englisch verfasste, breit angelegte Biographie Schlegels, die nun auch auf Deutsch vorliegt. Der in Cambridge lehrende Paulin, ein ausgewiesener Kenner der deutschen Romantik und bewährt im Genre der Autorenbiographie (etwa zu Ludwig Tieck und Theodor Storm), begreift sein Buch als einen Akt der Entstigmatisierung Schlegels. "Heine darf nicht das letzte Wort haben", heißt es dort explizit: kein leichtes Unterfangen.

Paulin stellt Spott und Gerücht seinerseits Sachlichkeit und Opulenz in der Darstellung entgegen. Ausführlich würdigt er nicht nur den Bildungsweg des 1767 in Hannover geborenen Schlegel, dessen schwierige Beziehung zu Gottfried August Bürger (aus der Heine dann später einen Vatermord konstruieren sollte), seine Begeisterung für Shakespeare und die Gründung des Athenaeums in Jena. Immer wieder verwandelt sich diese Lebensgeschichte auch in eine spannend zu lesende Gelehrtengeschichte, die Schlegels Gedankengängen bis in ihre Ursprünge folgt. Bei näherer Betrachtung wird gerade über diese nüchterne, oft abseits stehende Figur die Geschichte der deutschen Romantik noch einmal neu lesbar. Nicht über den Bruch mit den Weimarern, den sein Bruder Friedrich 1796 über einen direkten Angriff auf die "Horen" forcierte; nicht über die Arbeit an einer Poetisierung der Fichteschen Identitätsphilosophie, die Schlegel im Unterschied zu seinem Jenaer Umfeld nie aufgenommen hat; und auch nicht über den Weg in einen kulturell hypostasierten Katholizismus, den er - anders als sein Bruder oder als Adam Müller - nicht bis an sein Ende gegangen ist.

Das neue, aufs Ganze gehende Denken der Romantik zeigt sich in Schlegels Gestalt vielmehr in der tätigen Verstrickung: Vor den Kulissen der Napoleonischen Kriege bleibt er stets derjenige, der aktiv zwischen den europäischen Sprachen, Literaturen und Künsten vermittelt. Sein auf das Vergangene gerichteter Blick, der ihn bis zur "Ursprache" des Sanskrits führt, lässt Schlegel keinesfalls aus der Zeit fallen, sondern treibt ihn vielmehr in einen gelebten Universalismus, der englische, französische, spanische und deutsche Dichtung nicht nur mit der Antike, sondern auch miteinander ins Gespräch bringt - darin steht er Heine eigentlich viel näher, als dieser selbst zu erkennen vermochte.

Zweifellos ist Schlegels Leben vor allem auch eine Geschichte der Frauen, genauer: von Frauen, denen er sich verspricht, ohne recht zu wissen, warum. Dieser eigentümliche Pfad beginnt bei der Göttinger Professorentochter Caroline Böhmer, die ihren Verehrer Schlegel 1796 in zweiter Ehe zum Mann nahm, schon bald aber ein - von Schlegel geduldetes - Verhältnis zu Schelling einging und diesen nach der Scheidung 1803 auch heiratete. Er führt über Germaine de Staël-Holstein und Tiecks Schwester Sophie bis hin zum verhängnisvollen Eheexperiment mit Sophie Wahl, das den einundfünfzigjährigen Bonner Professor jenen Skandal beschert, der ihn nachhaltig beschädigen sollte.

Paulin widmet der "Schlegelschen Sau-Geschichte" (wie sie Sulpiz Boisserée nannte) zu Recht nicht mehr als sechs Seiten. Sein Interesse gilt ganz der symbiotischen Beziehung Schlegels zur Madame de Staël, die ihn 1804 als Hauslehrer ihrer Kinder ins waadtländische Coppet holt, der er aber von Anfang an vor allem als intellektueller Austauschpartner dient. Das, was Schlegel an Spott wie an Ruhm geerntet hat, ist aufs engste mit dem Wirken der Intimfeindin Napoleons verknüpft. Schlegel vermittelt ihr sein Wissen über die zeitgenössische deutsche Literatur und unterstützt sie bei der Abfassung ihres Hauptwerks "De l'Allemagne". Umgekehrt verhilft de Staël ihm durch ihre zahlreichen Kontakte zu öffentlicher Präsenz und Vorlesungsgelegenheiten - eine Abhängigkeit, die nicht unbemerkt bleibt und ihm seinerzeit auch den Beinamen "le professeur Staël" eingetragen hat.

Die dreizehn Jahre, die Schlegel im Tross de Staëls verbracht hat und die ihn in der gemeinsamen Flucht vor Napoleon nicht nur durch halb Europa, sondern im Dienst Jean Baptiste Bernadottes dann auch an Schaltstellen europäischer Machtpolitik geführt haben, gehören zum Faszinierendsten, was die Gelehrtenbiographien des frühen 19. Jahrhunderts hergeben. Paulin hat sie in aller Ausführlichkeit und mit Akribie aufgearbeitet, sie bilden das Herz seiner Darstellung. Gerade die enge Verzahnung von kulturhistorischem Raisonnement und weltpolitischem Bekenntnis einerseits, von privaten Sehnsüchten und sozialem Comment andererseits verwandelt diese Episode aus Schlegels Leben in einen schillernden Zeitroman, den kennen sollte, wer die geistigen Konfusionen zwischen Französischer Revolution und Wiener Kongress verstehen möchte.

Es bleibt eine Episode. Schlegels Abschied von de Staël, sein Eintritt in eine solide preußische Beamtenkarriere folgt in ihrer Logik und Dynamik der Narkotisierung der europäischen Politik ab 1815. Nicht zuletzt ebendiese Analogie ist es auch, die ihn in Heines Augen zum Vorzeigeexponat des romantischen Bündnisses mit der politischen Reaktion werden ließ, ungeachtet der zahlreichen Brüche und Widersprüchlichkeiten, die Schlegels Vita durchziehen.

Diese in extenso sichtbar gemacht zu haben ist das Verdienst von Paulins Buch. Es zeugt von ungeheurem Fleiß, einer stupenden Belesenheit und zuvorderst von einer tiefen Empathie für seinen Gegenstand. Letztere ist nicht ganz ohne Gefahr, denn an die Stelle der narrativen Zuspitzung und Verdichtung tritt bei Paulin - darin ist er dann selbst auch ganz Gelehrter - konsequent das Streben nach Vollständigkeit und Differenzierung. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden. Im Fall von August Wilhelm Schlegel führt diese Tendenz jedoch auch dazu, dass der Protagonist immer wieder hinter seinen zahlreichen Kontexten verschwinden muss. Gespiegelt wird auf der kompositorischen Ebene somit die tatsächliche Verhaftung dieses Lebens in den Kollektiven, seine Wandlungen im Schatten der großen Geschichten. Wo sich aber eine Biographie allmählich aus den sie umschließenden Parallelerzählungen herausbildet, da ist dies nicht immer eingängig zu lesen, zumal Paulins Text in der deutschen Übersetzung stellenweise dann doch gelitten hat.

Indessen gibt es wohl keinen anderen Weg, um sich August Wilhelm Schlegel adäquat zu nähern. Denn wie man es auch wendet, er bleibt ein Geschöpf der Romantik: ein Fragmentwesen, aus dem heraus erst das Gemälde einer ganzen Epoche fassbar wird. Denjenigen, der sich solchen Gestalten schreibend nähert, zwingen sie zum Ausufern. Demjenigen, der nach "letzten Worten" sucht, entziehen sie sich.

PHILIPP THEISOHN

Roger Paulin: "August Wilhelm Schlegel". Biographie.

Aus dem Englischen von Philipp Multhaupt. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2017. 370 S., geb., 49,90 [Euro].

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