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Miranda July ist eine der aufregendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Ihre Kinofilme, Kunstaktionen und ihre Bücher werden weltweit gefeiert und sehnsüchtig erwartet. Ihr neuer Roman »Auf allen vieren« beweist erneut, dass diese Autorin ihresgleichen sucht.
Eine mittelmäßig bekannte Künstlerin schenkt sich selbst zum 45. Geburtstag einen Trip von der Westküste der USA nach New York. Sie möchte sich selbst etwas beweisen und plant die Tour alleine mit dem Auto, raus aus der Komfortzone. Nach zwei Wochen muss sie wieder zurück sein, bei Mann und Kind, aber vor allem, weil die größte lebende…mehr

Produktbeschreibung
Miranda July ist eine der aufregendsten Künstlerinnen unserer Zeit. Ihre Kinofilme, Kunstaktionen und ihre Bücher werden weltweit gefeiert und sehnsüchtig erwartet. Ihr neuer Roman »Auf allen vieren« beweist erneut, dass diese Autorin ihresgleichen sucht.

Eine mittelmäßig bekannte Künstlerin schenkt sich selbst zum 45. Geburtstag einen Trip von der Westküste der USA nach New York. Sie möchte sich selbst etwas beweisen und plant die Tour alleine mit dem Auto, raus aus der Komfortzone. Nach zwei Wochen muss sie wieder zurück sein, bei Mann und Kind, aber vor allem, weil die größte lebende Popsängerin sie treffen möchte, um über ein gemeinsames Projekt zu sprechen. Doch weit soll sie nicht kommen. Wenige Kilometer von ihrem Vorstadthaus entfernt, verliebt sie sich vermeintlich in den Mann, der ihre Autoscheibe an der Tankstelle saubermacht, Davey. Sie mietet sich in einem billigen Motel ein, lässt ihr Zimmer von Daveys Frau völlig neu einrichten und imaginiert sich in ein anderes Leben hinein.

Ein großer Roman über Weiblichkeit abseits der Norm und Lust außerhalb von Konventionen.
Autorenporträt
Miranda July, 1974 in Barre (Vermont) geboren, ist Filmemacherin, Künstlerin und Schriftstellerin. Ihre Arbeiten wurden schon im Museum of Modern Art und auf der Biennale in Venedig gezeigt. Bei den Spielfilmen 'Ich und du und alle, die wir kennen' (2005) und 'The Future' (2011) schrieb sie das Drehbuch, führte Regie und spielte die Hauptrolle. 'Zehn Wahrheiten', ihr Debüt als Autorin, wurde mit dem Frank O'Connor-Preis ausgezeichnet, dem höchstdotierten Kurzgeschichtenpreis der Welt. Sie entwickelte die Messaging-App 'Somebody', die Nachrichten nicht elektronisch übermittelt, sondern Personen in der Nähe sucht, um diese persönlich zu überbringen. Miranda July lebt in Los Angeles.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension

Rezensentin Miriam Zeh liest sich gebannt durch Miranda Julys neues Buch, in dem die Künstlerin und Schriftstellerin ein weiteres Mal einen Blick auf die Welt festhält, der zwar ausnehmend skurril ist, in dem sich die Rezensentin freilich dennoch oftmals wiedererkennt. Im Zentrum steht diesmal eine 45-jährige Künstlerin, die sich während eines Roadtrips wochenlang in einem Motel einmietet und einem jüngeren Mann verfällt. Begehren und Sexualität stehen im Zentrum des Buches, legt Zeh dar, die noch nie etwas derart Verspieltes, Aufregendes über das Thema Menopause gelesen hat. Ein außergewöhnliches Buch, lobt sie, das Autofiktion auf provokante Art mit einer Analyse der Gesellschaft verbinde.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2024

Drei, zwei, eins, los!

Ein queerer Porno sexueller Selbstbestimmung vor kalifornisch coolen Kulissen: "Auf allen vieren" von Miranda July

Von Tobias Rüther

Verlage verschicken von ihren neuen Büchern, bevor die im Handel erscheinen, Vorabexemplare. Zum Glück geht es auch digital, das spart Papier und macht die Lektüre leichter, weil man mit einer entsprechenden App Passagen anstreichen, Notizen machen, Sätze markieren kann, um sich diese Mitschriften dann anschließend per Mail zu schicken. Die E-Mail mit der Mitschrift zu "Auf allen vieren", so heißt der neue Roman der amerikanischen Künstlerin, Regisseurin und Autorin Miranda July, blieb aber dreimal hintereinander im Spamfilter hängen. Weil die angestrichenen Passagen aus dem Buch offenbar zu explizit waren, Passagen wie:

"Jetzt gab er Sexgeräusche von sich, stöhnte und keuchte wie ein alberner Teenager. Das war so blöd, so albern, dass ich mich regelrecht schämte, so als würden sämtliche Menschen in meinem Leben gerade zusehen und können es kaum glauben, dass ich Zeit mit diesem Menschen verbrachte." Oder: "Wenn er nicht bei mir war, genoss ich mein wunderschönes Zimmer, schlief lange aus, salbte mich, hatte Orgasmen, hörte Musik und aß nur, worauf ich Lust hatte: Hot Dogs, Pudding, Orangeneis am Stiel und Dinge mit Erdnussbutter darauf." Und: "Ich schuldete ihm inzwischen mehrere Wochen Sex."

Das sind aber nicht mal die explizitesten Passagen in diesem Roman, der von einer Frau handelt, die nach ihrem eigenen Format im 21. Jahrhundert permanenter Selbstbefragung und Selbstverbesserung sucht - und der wie alle künstlerischen Arbeiten Miranda Julys auch das Dokument einer Suche nach dem eigenen Format ist. Seitenweise folgen Sexszenen auf Träume von Sexszenen, auf intime Schilderungen von Mutter-und-Kind-Momenten, von Mann-Frau-Momenten, auf blitzartige Gegenwartsanalysen der Pop- und Konsumkultur von heute: Fitnessstudios, Stars, vegane Cafés. Auto-Verleihstationen, Kalifornien. "Auf allen vieren" verlangt vierhundert Seiten lang Geistesgegenwart - und Geduld. Und Vertrauen in die Autorin, dass sie am Ende alles, was sie für ihre Geschichte aufgesammelt und in Zusammenhang gebracht hat, abrundet. Dass man sich permanent sehr gut unterhalten fühlt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass viel von dieser guten Unterhaltung auch Unterhaltung sein könnte.

Die intuitive, pointierte und emphatische Gegenwartsdurchdringung der Miranda July ist nicht so einfach auf einen Begriff zu bringen. July scheint selbst immer wieder mit großem Erstaunen auf ihre eigenen Sehnsüchte, Fetische, Begierden zu schauen, aber es ist dieses kindlich-warme Erstaunen über die eigene Seele, das es anderseits leicht macht, ihr in diese ihre Welt zu folgen. Es gibt ein Internet-Meme von einem Handtuchhalter, der mit seinen beiden aufgerichteten Haken aussieht wie ein Handtuchhalter - oder wie eine kampflustige Krake, die ihre Tentakelfäuste hebt. Kommt auf die Augen an. Miranda July würde immer die Krake sehen.

Weswegen es der Künstlerin vielleicht sogar gefiele, dass Zitate aus ihrem neuen Roman im Spamfilter gelandet sind, als sei er - ein queerer Porno? Davon erzählt er jedenfalls. Eine kalifornische Künstlerin, Anfang, Mitte vierzig, verheiratet, ein Kind, berühmt geworden mit einem spektakulären Werk, dessen Wesen nicht genauer definiert wird, dessen Erfolg aber auch schon etwas zurückliegt, hat einen Termin in New York. Sie entschließt sich dazu, mit dem Auto von einer Küste an die andere zu fahren. Zwei Wochen Zeit nimmt sie sich dafür. Aber sie kommt kaum eine halbe Stunde weit, bis nach Monrovia, da lernt sie an einer Tankstelle einen jüngeren Mann kennen, der ihre Windschutzscheibe putzt.

Also fährt sie nicht weiter. Nimmt ein Zimmer in einem Motel, dem "Excelsior", das mit einer doppelten Verneinung für sich wirbt: "No no vacancies". Warum sollte sie also nicht nicht weiterfahren? Oder, anders gefragt: "Wer weiß schon wirklich, warum jemand irgendetwas tut? Wer hat die Sterne erschaffen? Warum gibt es Leben auf der Erde?"

Bis Mitte Oktober zeigt die Osservatorio Fondazione Prada in Mailand noch eine große Ausstellung, "Miranda July: New Society", die ähnlichen Fragen nachgeht. Sie schöpft aus dem Archiv der Künstlerin, zeigt Videos, Kostüme, Installationen. Die "neue Gesellschaft" im Titel besteht erst einmal aus einer Person, Miranda July, und diese Person macht vor, wie wir die Möglichkeiten des Menschseins erweitern können, körperlich, intellektuell, immer spielerisch. Der neue Roman ist der jüngste in einer langen Reihe von Publikationen, auf Deutsch erschienen sind ihre Texte erstmals 2008, das war der Erzählungsband "Zehn Wahrheiten".

Miranda July ist im Februar fünfzig Jahre alt geworden, sie ist mit dem Filmemacher Mike Mills verheiratet, ihr gemeinsames Kind heißt Hopper, beiden dankt sie im Nachwort ihres neuen Romans - der also von einer Künstlerin in den Wechseljahren handelt, weswegen July, wie sie ebenso im Nachwort schildert, mit anderen Frauen über deren Erfahrungen gesprochen hat. Der Text, der dabei herausgekommen ist, erzählt aber noch so viel anderes mehr, dass man ihn auf die sehr allgemeine Formel bringen könnte, er handele von Veränderungen: künstlerischen, familiären, sozialen, sexuellen, intellektuellen, innenarchitektonischen.

Die Künstlerin auf ihrem abgebremsten Roadtrip bekommt das Zimmer 321 im Motel. Drei, zwei, eins - wie der Countdown für einen Start in ein anderes Leben. Oder in eine dumme Geschichte. Der psychologische Effekt dieses Herunterzählens, des "Ich zähle bis drei", die Kraft des magischen Denkens, das am Ende des Zählens auch ganz bestimmt was passiert - typisch für die Künstlerin Miranda July. Bis zu diesem Augenblick könnte, was da in ihrem Roman passiert, allerdings auch der Plot einer Geschichte von Colleen Hoover oder Nora Roberts sein: Leicht verlorene Frau auf der Suche nach mehr trifft den Typen dafür und bucht sich in einem Motel ein, bis was passiert oder nicht.

Aber dann passiert stattdessen so etwas sonderbar und wunderbar Unerwartetes, wie es vielleicht nur der Wahrnehmungsapparat einer Miranda July hervorbringen kann (oder der von Clemens J. Setz, verwandte Seele): Die Künstlerin engagiert eine Innenarchitektin, damit sie das Zimmer 321 umgestaltet. Für 20.000 Dollar. Den Leuten vom Motel kommt das offenbar normal vor, jedenfalls verhindern sie das Redesign nicht - vielleicht auch im Kalkül, dass ein Zimmer, von einer Prominenten umgestaltet, gut zu vermarkten sein könnte. Also wird aus dem Roman ein paar Seiten lang so etwas wie eine neue Folge der Makeover-Realityshow "Queer Eye". Nur dass hier kein heruntergerocktes Haus aufmöbliert und eine verlorene Seele mit dem richtigen Haarschnitt gerettet wird. Vielmehr beginnt jetzt eine Geschichte, in deren Verlauf sich die Verhältnisse um die Künstlerin herum langsam auflösen, um dann neu kombiniert zu werden.

Und so sehr die Künstlerin auch versucht, das selbst zu tun, die Dinge und sich selbst in den Griff zu kriegen, so sehr spürt sie, dass ihre eigene Einbildungskraft an die Grenzen des freien Willens der Menschen um sie herum stößt. Ihr Mann Harris ist ein Mensch mit eigenem Willen. Sam, das gemeinsame, nonbinäre Kind, durchgehend mit den geschlechtsneutralen Pronomen im Text beschrieben, ist ein Mensch mit eigenem Willen. Und auch Davey, der Mann von der Tankstelle in Monrovia, ist ein Mensch mit eigenem Willen und eine große Erkenntnis für die Künstlerin, in welch verheerendem Ausmaß sie ihn unterschätzt hat. Auch Davey hat seine ganz eigenen Handtuchhalterkraken.

Man könnte dieses Zimmer 321 von Monrovia für eine Metapher auf den Menschen, seine kurze Existenz und Sinnstiftungssuche in der endlosen Sinnlosigkeit des Universums halten. Das wäre vielleicht etwas kitschig - vielleicht steckt diese Idee trotzdem in Miranda Julys Geschichte. Eine existenzielle Geschichte. So wie "Auf allen vieren" auch ein Selbsthilfebuch für Frauen in den Wechseljahren ist und ein queerer Porno sexueller Selbstbestimmung vor kalifornisch coolen Kulissen.

"Ich bin eine Frau", sagt die Künstlerin früh im Roman, "die in jungen Jahren auf mehreren Gebieten erfolgreich war und sehr beständig weitergearbeitet hat, die ihre zentralen Themen stets in einem ekstatischen, losgelösten Dämmerzustand umkreist, in einer Art dissoziativer Fugue, getragen von dem Wissen, dass es keinen anderen Weg gibt und ihr ganzes Leben in diesem einen Gespräch mit Gott besteht. Vielleicht ist Gott aber auch das falsche Wort. Mit dem Universum. Dem Netz unter allem. Ich arbeite in unserer umgebauten Garage. Ein Bein meines Schreibtischs ist kürzer als die anderen, und ich nehme mir seit fünfzehn Jahren praktisch täglich vor, irgendetwas darunterzuklemmen, aber meine Arbeit lässt es an keinem Tag zu, so dringlich ist sie - ich bin permanent an einem entscheidenden Wendepunkt; alles steht ständig kurz vor der Offenbarung. Um fünf Uhr nachmittags muss ich mich ganz bewusst runterholen, bevor ich wieder ins Haus gehe, als müsste sich Buzz Aldrin darauf einstellen, direkt nach seiner Rückkehr vom Mond den Geschirrspüler auszuräumen. Sprich nicht über den Mond, sage ich mir. Frag die anderen, wie ihr Tag war."

Der Humanismus der Miranda July liegt in der Erkenntnis, dass wir nicht die Künstlerin oder der Künstler sind, sondern der Schreibtisch. Und dass es okay ist, wenn was wackelt. Es macht uns zu Menschen.

Miranda July: "Auf allen vieren". Aus dem Englischen übersetzt von Stefanie Jacobs. Kiepenheuer & Witsch, 416 Seiten, 25 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.05.2024

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Alle reden gerade über die
Wechseljahre. Miranda July macht in ihrem
Roman „Auf allen vieren“ daraus
einfach große Kunst. Ein Anruf bei der
Autorin in Los Angeles.
VON MARIE SCHMIDT
Das Motiv des tiefen Falls war vor der Geschichte da, sagt Miranda July. Denn dieser Teil ihres neuen Romans ist wahr, womöglich nicht ganz so, aber so ähnlich in ihrer Familie passiert: Eine Tante hat sich umgebracht, in der Mitte des Lebens, wie schon deren Mutter, „mit fünfundfünfzig aus dem Fenster ihrer Wohnung in New York City gesprungen“, heißt es im Buch.
Was in ihren Vorfahrinnen vorgegangen sei, könne sie nicht wissen, überlegt Miranda July. Über unsere grisselige Videoverbindung und neun Stunden Zeitunterschied zwischen München und Los Angeles hinweg kann man ihre Stimme rauer, tiefer, unsicher werden hören. Aber wie man ihr als Mädchen diese Geschichte immer wieder erzählt habe, das sei ihr Erbteil. Im Roman erklärt der Vater der Erzählerin die Verzweiflung der weiblichen Verwandten in dieser nur auf Englisch möglichen Schlichtheit: „She couldn’t bear to see her looks go.“ Konnte nicht aushalten, dass es mit ihrem Aussehen vorbei war.
Weiblichkeit vergeht mit dem Jungsein, der Reproduktionsfähigkeit, das ist die Drohung, das Gesetz der Väter, die patriarchale Gewissheit, die Miranda July auf dem Umschlag ihres Romans hat illustrieren lassen: mit einem schroff abfallenden Felsen im Abendlicht, englische Landschaftsmalerei. Im Inneren des Buches das passende Diagramm über die „Sexualhormone im Verlauf des Lebens“, auf dem das Testosteronlevel der Männer sanft sinkt, während der Östrogenspiegel der Frauen ab Mitte vierzig steil abfällt: „Wir stürzen jeden Moment von einer Klippe. In ein paar Jahren sind wir völlig andere Menschen“, sagt die Erzählerin zu ihrer Freundin.
Dieses brutale Szenario der Lebensmitte zu überschreiben, eine echtere, plastische und dabei supersinnliche Geschichte davon zu erzählen, ist das Ziel des Wechseljahre-Romans „Auf allen vieren“. Und es leuchtet vollkommen ein, dass gerade das amerikanische Multitalent Miranda July diese Aufgabe übernimmt. Schon immer hat sie aus den Eingeweiden, den Psychen der melancholischen Individualisten unserer Zeit noch das flaueste Gefühl, die letzte Peinlichkeit herausgeholt und liebevoll aufs Podest ihrer Kunst gestellt. In Filmen wie „Ich und du und alle, die wir kennen“ von 2005 und „Kajillionaire“ von 2020, in Short Storys und dem Roman „Der erste fiese Typ“ von 2015, in Performances und Konzeptkunstwerken.
In ihrer traumwandlerischen Art ging sie eine Weile als das Manic Pixie Dream Girl des internationalen Kunstbetriebs durch. Aber ihre Arbeiten lehren einen auch, die eigene Urteilsfähigkeit nicht zu überschätzen. Freimütig, zart, naiv spielt sich Miranda July ins Bewusstsein ihres Publikums und verdrahtet da die Gefühle, die Lust neu. Und was die Wechseljahre betrifft, gibt es dafür einen dringenden Bedarf. „Man hat mir immer wieder erzählt, dass die Suizide meiner Tante und Großmutter mit dem Altern zu tun hatten“, sagt July, Jahrgang 1974: „Jetzt werde ich selber älter und hatte auch das Bedürfnis, ein Risiko einzugehen. Aber ich werde nicht dabei sterben, das ist im Jahr 2024 anders. Ich breche mit familiären Mustern.“
Die Erzählerin ihres Romans „Auf allen vieren“, 45, „eine Frau, die in jungen Jahren auf mehreren Gebieten erfolgreich war und sehr beständig weitergearbeitet hat, die ihre zentralen Themen stets in einem ekstatischen, losgelösten Dämmerzustand umkreist“ – die Ähnlichkeit mit der Autorin ist unverkennbar –, geht auf einen Roadtrip von L. A. nach New York.
Schon nach einer halben Stunde kommt sie vom Weg ab. In Monrovia wird sie von einer spontanen Fixierung auf einen jungen Mann aufgehalten, der zwischen den Hertz-Autovermietungsfilialen der Vororte Wagen transferiert. Seine Frau ist Innenausstatterin, und die Erzählerin lässt sich von ihr ein billiges Motelzimmer neu einrichten, für die ganzen 20 000 Dollar, die ihr für die Reise zur Verfügung standen.
Als sie nach der Affäre zu Mann und Kind zurückkehrt, findet sie kaum mehr in den Familienalltag. Was sie dann eigentlich nur als Ausrede formuliert, wird in der Mitte des Romans sein Thema: „Ich senkte den Kopf, zog die Knie ans Kinn und überlegte verzweifelt, welches Ereignis oder welche Verfassung ich vorschützen könnte; irgendwas Respekteinflößendes, aber nicht zu Krasses, das einen Schlussstrich unter dieses Gespräch ziehen würde. ‚Ich … ich komm in die Wechseljahre.‘“ Und der Ehemann, weil das Patriarchat sich nun mal so weit entwickelt hat, antwortet darauf: „Die Wechseljahre. Da muss ich mich wohl mal einlesen.“
Seine Chancen stehen gut, denn das Thema wird gerade unter dem englischen Begriff „Perimenopause“ in der Ratgeberliteratur, auf Self-help-Instagram, in den Gesprächen aufmerksamer Zeitgenossen jeden Geschlechts eifrig verhandelt. Miranda July vermutet, dieser Trend habe damit zu tun, dass Großbritannien Hormonersatztherapien für Frauen in den Wechseljahren in die öffentliche Gesundheitsvorsorge aufgenommen hat und staatlich bewirbt. Bücher wie Heather Corinnas „What fresh hell is this?“, das sie selbst in den Danksagungen erwähnt, und die deutsche Entsprechung „Woman on fire“ der Frauenärztin Sheila de Liz tragen dazu bei, dass nicht mehr nur das Ausbleiben der Menstruation, sondern die hormonellen Veränderungen davor und danach mit all ihren Symptomen zum Gegenstand einer aktiven Lebensgestaltung werden.
So viel diese neue Unverklemmtheit verspricht, sie hat erfahrungsgemäß ihre Kosten. Schon jetzt kann man beobachten, wie auch diese Lebensphase zum Feld männlich unterrichteter Besserwisserei und teurer Konsumangebote wird. „Nicht darüber zu reden ist aber keine Alternative“, sagt Miranda July, „wenn Frauen mittleren Alters nicht als Markt wahrgenommen würden, bedeutete das im Kapitalismus ihre endgültige Unsichtbarkeit. Als wollte man uns noch nicht einmal etwas verkaufen, obwohl wir Geld haben. Besser also, man lässt die Entwicklung alle Stadien dieser Kultur durchlaufen.“
Für die Erzählerin ihres Romans folgt auf den Schock des Anblicks der weiblichen Östrogenkurve, auf den drohenden Totalverlust der Libido, eine chaotische Entwicklung ganz neuer Begierden. Von einer Frau, die ihre Bilder im Kopf zeitlebens in ausgiebige Masturbation umgesetzt hat, wird sie zur real Liebenden, die ihren Körper dabei beobachtet, wie er Formen von Sex will, die sie abzulehnen geglaubt hatte. Von der angespannten Hüterin ihrer Kleinfamilie wird sie zum queeren Libertin. Ohne viel dramaturgisches Kalkül lässt Miranda July erzählerisch eine Wendung aus der anderen folgen, bisweilen schleppend, manchmal verblüffend, mitreißend, wie das Leben selbst.
Ihre Heldin lässt sich von ihren körperlichen Veränderungen die Richtung zu einer viel existenzielleren Verwandlung weisen. Es ist eine Grundfrage der Kunst von Miranda July, ob und wie es möglich ist, jemand ganz anderes zu werden – ohne die Menschen aufzugeben, die man liebt, ohne selbst verlassen zu werden.
„Den meisten von uns fallen Veränderungen schwer“, sagt sie, „wir mögen geklärte Zustände, auf die soll man stolz sein. Übergangszustände sind schambesetzt. Ich denke aber darüber nach, ob die Kraft nicht gerade in den Übergängen liegt. Wenn wir anerkennen würden, dass wir uns ständig ändern, würden sich viele Ängste auflösen. Die entstehen oft beim Versuch, sich fest an Strukturen etwa der Ehe oder der Arbeitswelt zu binden. Wir müssen ja auch stabil bleiben, Geld verdienen. Aber es geht, wie in meinem Buch, oft nur um kleine Veränderungen, die man in sich selbst vollzieht. Sie wahrzunehmen ist schon ein radikaler Schritt.“
Ihre Erzählerin allerdings geht keine kleinen Schritte, sie gibt sich vollständig hin. Wochen, Monate verbringt sie im Rausch der Selbstwahrnehmung, mit der Beobachtung ihres Begehrens, ihrer Angst und Trauer, mit Training und der Formung ihres Körpers, nie sieht man sie arbeiten. Bis man versteht: Das ist die Arbeit, die Selbstsorge wird zum Kunstwerk. Selbstverständlich, sagt Miranda July, können die meisten Frauen diese Zeit nicht aufbringen. Ihr Buch, sie selbst, Miranda July, ihre Privilegien könnten aber womöglich auch anderen nützen, um dem Werden einer Frau in der Lebensmitte einmal so konzentriert nachgehen zu können. Stellvertretend und vielleicht eher im Detail als zur Gänze zur Nachahmung empfohlen.
Auch Männer dürfen sich darin wiedererkennen. July sieht ihre Frau in den Wechseljahren als Archetypus, der ein menschliches Prinzip repräsentiert. Auch Frauen haben sich doch immer schon mit männlichen Figuren identifiziert. Ihre Erzählerin ist der Typus eines Menschen, der den Schwung einer körperlichen Notwendigkeit nutzt, um sich daraus selbstwirksam neu zu erschaffen.
Das Medium, in dem sich dieser Schwung materialisiert, ist der Tanz, Ausdruckstanz, Breakdance, Handyvideos von intimen Bewegungen in aufregendem Licht, die in Miranda Julys Roman eine wichtige Rolle spielen und in ihrer jüngsten künstlerischen Arbeit. „F.A.M.I.L.Y – Falling Apart Meanwhile I Love You“ heißt ihr einziger Originalbeitrag für eine Ausstellung ihrer bisherigen Werke, die gerade im Mailänder Osservatorio von der Fondazione Prada gezeigt wird.
Der Titel klingt wie die Kürzestzusammenfassung ihres Buches. Die Kunstwerke seien aus derselben Zeit, sagt July: „Ich bin ja auch nur eine Person.“ Sie hat für ihre Videoinstallation Fremde auf Instagram um Filme davon gebeten, wie sie in einem leeren, neutralen Raum tanzen. In diese Bilder montiert Miranda July sich selbst tanzend hinein. Intimste Berührungen entstehen so zwischen Menschen, die nie physische Nähe geteilt haben.
Die Schau in Mailand ist ihre weltweit erste Einzelausstellung, die Kuratorin Mia Locks hat dafür das persönliche Archiv durchkämmt, in dem Miranda July die Relikte früherer Performances, Filmdrehs, literarischer Arbeiten aufbewahrt. So erfährt July selbst jetzt den Wandel von der Aktionskünstlerin zur Inhaberin eines Werkes. „Bisher habe ich immer in der Hektik des Augenblicks gelebt und es wird wohl weiter so sein“, sagt sie. „Aber es ist eine interessante neue Beschaffenheit des Lebens, dass offenbar aus all den momenthaften Anstrengungen etwas entsteht, das Gewicht und Autorität hat.“ Vielleicht ist das nicht die geringste Erfahrung der mittleren Jahre: dass schon eine Reihe innerer Verwandlungen, ein ganzes Stück Leben zusammengekommen sind.
Miranda July: New Society. Osservatorio Fondazione Prada, Mailand, bis 14. Oktober 2024.
Weiblichkeit, das ist die
Drohung, vergeht mit der
Reproduktionsfähigkeit
Die Wechseljahre?
Dazu muss der Ehemann
sich erst mal einlesen
„Den meisten von
uns fallen Veränderungen
schwer“, sagt July
In Film, Schreiben und Performancekunst eine der weltbewegendsten Künstlerinnen der Gegenwart: Miranda July. Sie lebt in Los Angeles.
Foto: Ilya S. Savenok
Miranda July:
Auf allen vieren.
Roman. Aus dem
Englischen von
Stefanie Jacobs.
Kiepenheuer &
Witsch, Köln 2024.
416 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Frauen können Ratgeber über die Wechseljahre lesen - oder diesen Roman. Vermutlich lernen sie bei der Lektüre von 'Auf allen vieren' mehr. Und haben auch noch Spaß dabei.« Anne Burgmer Kölner Stadtanzeiger 20240525