In seinem Dialog mit Habermas setzt Ratzinger an der Wurzel des Problems an: Kein Weltfrieden ohne Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Vernunft und Glauben. Angesichts aktueller Bedrohungen sind Religion und Rationalität in ihrer Beziehung neu zu bestimmen. Eine eminent politische Wortmeldung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2005Mutterrecht
Wer glaubt, es ginge im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch, wie im katastrophischen zwanzigsten, um nie zuvor erlebte Ereignisse und kühne ideologische Synthesen, hat nichts von der täglich aufdringlicher werdenden Rückkehr des Bewährten, mit Geschichte Gepanzerten mitbekommen - Religionskrieger zerstören Hochhäuser, Ethikkommissionen entwerfen Regelwerke in der Ausführlichkeit mosaischer Speisevorschriften, bergpredigthaft simple Vorstellungen von Gerechtigkeit inspirieren eine Linkspartei, und ein Buch namens "Werte in Zeiten des Umbruchs", verfaßt vom Oberhaupt des Katholizismus, verkauft sich in Deutschland so gut, daß schwerlich nur Katholiken den Leserstamm bilden können. Tatsächlich verraten Zeugnisse von Abnehmern des Trostbreviers im Netz, daß auch Menschen, die gern "hinterfragen", was sie lesen, also Lehrer- und Nörglerfiguren aus dem kritischen Milieu, dringend wissen wollen, was Benedikt XVI. denkt. Das Alte kehrt wieder; sogar das Archaische: Wer, wie die Catholica, durchs uneingeschränkte Bekenntnis zur weiblichen Fruchtbarkeit, die Verehrung der Maria und das Bild von der "Mutter Kirche" dem Matriarchat so nahesteht wie seit zehntausend Jahren kein anderer Kult, schafft ein Klima, von dem hierzulande derzeit niemand sonst profitieren kann als Angela Merkel.
dda
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer glaubt, es ginge im einundzwanzigsten Jahrhundert immer noch, wie im katastrophischen zwanzigsten, um nie zuvor erlebte Ereignisse und kühne ideologische Synthesen, hat nichts von der täglich aufdringlicher werdenden Rückkehr des Bewährten, mit Geschichte Gepanzerten mitbekommen - Religionskrieger zerstören Hochhäuser, Ethikkommissionen entwerfen Regelwerke in der Ausführlichkeit mosaischer Speisevorschriften, bergpredigthaft simple Vorstellungen von Gerechtigkeit inspirieren eine Linkspartei, und ein Buch namens "Werte in Zeiten des Umbruchs", verfaßt vom Oberhaupt des Katholizismus, verkauft sich in Deutschland so gut, daß schwerlich nur Katholiken den Leserstamm bilden können. Tatsächlich verraten Zeugnisse von Abnehmern des Trostbreviers im Netz, daß auch Menschen, die gern "hinterfragen", was sie lesen, also Lehrer- und Nörglerfiguren aus dem kritischen Milieu, dringend wissen wollen, was Benedikt XVI. denkt. Das Alte kehrt wieder; sogar das Archaische: Wer, wie die Catholica, durchs uneingeschränkte Bekenntnis zur weiblichen Fruchtbarkeit, die Verehrung der Maria und das Bild von der "Mutter Kirche" dem Matriarchat so nahesteht wie seit zehntausend Jahren kein anderer Kult, schafft ein Klima, von dem hierzulande derzeit niemand sonst profitieren kann als Angela Merkel.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Kurz vor der Papstwerdung von Joseph Ratzinger ist dieses wichtige Thesen des damaligen Hüters der Glaubenskongregation zusammenfassende Buch erschienen. Was ist daraus über die theologische Haltung Benedikts XVI. zu erfahren? In erster Linie, so Rezensent Uwe Justus Wenzel, erweist sich Ratzinger als ein Mann der Mitte - und zwar der Mitte zwischen "Vernunft" und "Glauben". Fundamentalismen von beiden Seiten gelte es mit Augenmaß zu vermeiden. Ratzinger kritisiere vor allem Positionen des "Relativismus", die den Bezug auf absolute Wahrheit, und damit auch absolute Werte gekappt haben. Der Rezensent diskutiert die Nähe und Ferne dieser Positionen zu denen des neuerdings eher religionsfreundlichen Jürgen Habermas, der an eine andere als die diskursiv hergestellte Wahrheit freilich nicht glaubt. Was Ratzinger über Derrida schreibt, zeugt für Wenzel im wesentlichen von "Unkenntnis" - und auch sonst ist der skeptische Unterton des Rezensenten kaum zu überlesen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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