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Produktdetails
  • Verlag: Beck
  • Originaltitel: Krysoboj
  • Seitenzahl: 414
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 506g
  • ISBN-13: 9783406466076
  • ISBN-10: 3406466079
  • Artikelnr.: 24375810
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2000

Die Liebe des Kammerjägers zum Nagetier
Alexander Terechow auf Pirsch Von Kerstin Holm

Die Idee des Romans verbindet satirische Groteske mit schauriger Poesie: Eine elende russische Provinzstadt, ein Geschöpf der stalinistischen Industrialisierung der dreißiger Jahre, dichtet sich in der Hoffnung auf Touristendollars eine ehrwürdige Geschichte an und erwartet zu ihrer feierlichen Aufnahme in den "Goldenen Ring" historischer Reiseziele den Besuch des Präsidenten samt UN-Generalsekretär. Es bleibt nur ein Problem auszuräumen: Ratten, deren Ausbreitung gespenstische Ausmaße angenommen hat, fallen in dem für die Feierlichkeiten vorgesehenen Festsaal sogar von der Decke. Um die so verantwortungsvolle wie schwierige Aufgabe zu erledigen, sind aus Moskau namhafte Experten in der Nagerbekämpfung angereist, sogenannte "Deratiseure", aus deren Perspektive Alexander Terechow einen Thriller mit antiutopischem Flair entfaltet.

Die Arbeit der Rattenkrieger führt den Leser in die eigene Welt der Zivilisationsbegleiter ein. Man lernt die Klugheit bewundern, mit welcher erfahrene Ratten Fallen und Giften entgehen. Man studiert ihre Organisation, welche Ratten in Armeen verwandeln kann, die im Gegensatz zu den menschlichen unbesiegbar sind. Man schaudert ob der Gewaltexzesse des "Rattenkönigs", die eine gewaltige Rattenmigration in Gang setzen. Doch die Sicherheitskräfte, welche dem Staatsoberhaupt zuliebe den größten Teil der Bevölkerung brutal aus der Stadt entfernen, scheinen sich nicht besser zu verhalten. Feinfühlig identifiziert sich der Rattenjäger mit seinem Opfer; dessen Tod und den eigenen Sieg registriert er voll Mitgefühl - man spürt, daß hier eine zartere Erotik im Spiel ist als bei manchen Bettgeschichten des Helden. Nach der gefälschten Stadtgeschichte, ihrer gefälschten Einwohnerschaft sowie verwirrenden regionalen Machtwechseln findet auch der Präsidentenbesuch nicht statt und muß vom Rattenfänger gemimt werden.

Der Kammerjägerkrieg gegen Ratten, so suggeriert Terechows Buch, gleicht dem ewigen Kampf gegen das Tier im Menschen. Er ist nicht zu gewinnen und dennoch notwendig. Aber wer ihn führt, der muß an der Überlegenheit der eigenen Gattung über die andere verzweifeln. Der Blick hierfür ist in Rußland vielleicht besonders entwickelt. Willkürliche Gewalt, welche Menschen vertiert und Tiere menschlich erscheinen läßt, das Herausfallen aus jeder überprüfbaren Ordnung sind existentielle Erfahrungen des Durchschnittsmenschen. Terechow, der selbst aus einem Provinznest stammt und seine Erfahrungen mit der Zermürbungsmaschinerie der russischen Armee in einen ersten Bucherfolg umgesetzt hat, kann in besonderem Maße beanspruchen, für diesen Normalbürger zu sprechen. Zumal er sich als Journalist in einer für investigative Reportagen bekannten Zeitung verdingt und Wert darauf legt, eigentlich kein Literat zu sein.

Doch was seine Glaubwürdigkeit ausmacht, bestimmt auch die Schwächen des Buches. Terechow appelliert zugleich an den Krimikonsumenten und den Bergarbeiter der menschlichen Psyche und stellt keinen von beiden zufrieden. Die Gesamtstruktur ist dürftig zusammengezimmert. Die Spannung erzeugenden Rätsel fördern keine Geheimnisse zutage. Ungereimtheiten, etwa die plötzliche Gesundung des soeben noch halbtoten Helden, der nach drastisch geschilderten Fieberanfällen, Lungenentzündung und Magenkrämpfen bei seinem Ausbruch aus der Rattenstadt zu wahren Kraftakten fähig ist, sprechen der Alltagslogik hohn, welche Terechows Sozialsatire ansonsten peinlich beachtet. Die sich vorzugsweise im Spiegel von Dialogfetzen voller Argot entfaltende Handlung, die ornamental überladene Prosa verleihen dem Text vordergründige Aufgeregtheit. Doch die Schilderungen kreatürlicher Gräßlichkeiten im Kriegsgeschehen zwischen Ratten und Menschen, in welchen sich Abgründe der Seelenkunde auftun müßten, entbehren jeglicher ästhetischen Delikatesse. Die Übersetzung von Thomas Wiedling, die immer wieder russische Idiomatik beibehält, tut das Ihre, um die Entstehung einer sprachlichen Atmosphäre zu verhindern. Angesichts des Stoffes und Terechows Temperaments muß man bedauern, daß er kein Drehbuch geschrieben hat.

Alexander Terechow: "Rattenjagd". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Wiedling. C. H. Beck Verlag, München 2000. 416 S., geb., 44,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Den Roman des russischen Journalisten Alexander Terechow über das "potemkinsche Dorf" Swetlojar und das Problem seiner Stadtväter, kurz vor einem Besuch des russischen Präsidenten und des UNO-Generalsekretärs eine Rattenplage zu bewältigen, hält der Rezensent mit dem Kürzel "D. Tr" schon für eine recht vergnügliche Lektüre, der es auch nicht an satirischen Elementen mangelt. Doch kann der Rezensent, der in seiner kurzen Besprechung eigentlich nur den Inhalt des Romans ausführt, nicht verstehen, wie das Werk im Jahr 1995 auf die Auswahlliste des russischen Booker-Preises geraten ist. Warum ihm das schleierhaft ist, darüber erfährt der Leser dieser Kritik leider nichts.

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