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Asli Erdogans wichtigster Roman endlich auf Deutsch»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Asli Erdogan folgt mit ihrer po...
Asli Erdogans wichtigster Roman endlich auf Deutsch
»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Asli Erdogan folgt mit ihrer poetischen dunklen Sprache den tiefen Narben, die eine Begegnung mit dem »Haus aus Stein« hinterlässt. Ihren in der Türkei bereits 2009 erschienenen Roman ergänzt sie durch einen eigens für diese Ausgabe verfassten Essay über die Monate, die sie 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch willkürlich im Frauengefängnis Bakirköy-Istanbul inhaftiert war.
»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Asli Erdogan. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Asli Erdogan folgt mit ihrer poetischen dunklen Sprache den tiefen Narben, die eine Begegnung mit dem »Haus aus Stein« hinterlässt. Ihren in der Türkei bereits 2009 erschienenen Roman ergänzt sie durch einen eigens für diese Ausgabe verfassten Essay über die Monate, die sie 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch willkürlich im Frauengefängnis Bakirköy-Istanbul inhaftiert war.
Asl¿ Erdöan, geboren 1967 in Istanbul, ist eine der bekanntesten Schriftstellerinnen und Kolumnistinnen der Türkei und weltweit Symbolfigur für den Widerstand gegen die Willkürherrschaft in ihrer Heimat. Ihre literarischen Werke (u.a. 'Die Stadt mit der roten Pelerine' und 'Das Haus aus Stein') sind in über 20 Sprachen übersetzt, Erdöans Arbeit wurde mit einer Vielzahl von Preisen geehrt: 2010 erhielt sie den Sait-Faik-Preis, den bedeutendsten Literaturpreis der Türkei, 2017 den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis und 2018 den Prix Simone de Beauvoir. Im August 2016 wurde Asl¿ Erdöan nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei zusammen mit 22 anderen Journalisten verhaftet und monatelang im Gefängnis festgehalten. Erdöan lebt im Exil in Deutschland.
Produktdetails
- Verlag: Penguin Verlag München
- Originaltitel: Tas Bina
- Seitenzahl: 128
- Erscheinungstermin: 18. März 2019
- Deutsch
- Abmessung: 209mm x 135mm x 18mm
- Gewicht: 247g
- ISBN-13: 9783328600763
- ISBN-10: 3328600760
- Artikelnr.: 54466069
Herstellerkennzeichnung
Penguin Verlag
Neumarkter Straße 28
81673 München
produktsicherheit@penguinrandomhouse.de
Beschwörung der Schreckensexistenz
Vom Gefängnisleben in der Türkei: "Das Haus aus Stein", der beklemmendste und beste Roman von Asli Erdogan, ist nun auf Deutsch erschienen.
Von Karen Krüger
Im Istanbuler Stadtteil Sirkeci steht ein Gebäude, das in vielfacher Hinsicht ein Symbol für staatliches Unrecht ist und bei dessen Anblick viele Menschen erschaudern. Benannt nach seinem einstigen armenischen Besitzer, trägt es den Namen "Sansaryan Han". Sansaryan schenkte es 1881 dem armenischen Patriarchat. Nach dem Genozid an den Armeniern wurde das "Sansaryan Han" vom türkischen Staat konfisziert und 1944 zum Sitz der Istanbuler Polizeidirektion gemacht. Sie blieb dort bis in die neunziger Jahre und verwandelte
Vom Gefängnisleben in der Türkei: "Das Haus aus Stein", der beklemmendste und beste Roman von Asli Erdogan, ist nun auf Deutsch erschienen.
Von Karen Krüger
Im Istanbuler Stadtteil Sirkeci steht ein Gebäude, das in vielfacher Hinsicht ein Symbol für staatliches Unrecht ist und bei dessen Anblick viele Menschen erschaudern. Benannt nach seinem einstigen armenischen Besitzer, trägt es den Namen "Sansaryan Han". Sansaryan schenkte es 1881 dem armenischen Patriarchat. Nach dem Genozid an den Armeniern wurde das "Sansaryan Han" vom türkischen Staat konfisziert und 1944 zum Sitz der Istanbuler Polizeidirektion gemacht. Sie blieb dort bis in die neunziger Jahre und verwandelte
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das Haus, das einmal eine Schule für armenische Kinder werden sollte, in das berüchtigtste Folterzentrum der Stadt. Politische Gefangene wurden dort gequält, später auch minderjährige Kleinkriminelle. In den Zellen konnte man nur stehen, zum Hinlegen waren sie zu schmal. Sie erinnerten an aufrecht stehende Särge. "Sarg-Haus" wurde das "Sansaryan Han" deshalb von vielen genannt. Der Dichter Nazim Hikmet wurde dort gefoltert, auch der Schriftsteller Aziz Nesin. Heute verrät keine Gedenktafel, wem das Haus einmal gehörte, unter welchen Umständen es konfisziert wurde oder was später darin geschah. In der Türkei wird gern so getan, als hätte es staatliches Unrecht niemals gegeben.
Die Schrifstellerin Asli Erdogan hat sich schon immer gegen diese Politik der Leugnung aufgelehnt. Sie schrieb über die Verhältnisse in türkischen Gefängnissen, über die Kurdenfrage, Gewalt gegen Frauen und den Genozid an den Armeniern. Wegen ihres Engagements für eine kurdische Zeitung wurde sie im August 2016 verhaftet und saß 132 Tage im Istanbuler Frauengefängnis von Bakirköy. Ihr Prozess dauert an, ihr droht lebenslange Haft. Im September 2017 reiste sie über Paris nach Osnabrück, um den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis entgegenzunehmen. Sie kehrte nicht in die Türkei zurück. Mittlerweile lebt sie im Exil in Frankfurt.
Nun erscheint das bisher wichtigste Werk der Zweinundfünfzigjährigen auf Deutsch. Der Wunsch, Menschen eine Stimme zu geben, die staatliches Unrecht erlitten haben, prägt Asli Erdogans gesamtes Schaffen. Doch in keinem anderen Text gelingt ihr das so eindringlich wie in ihrem Roman "Das Haus aus Stein". In der Türkei, wo das Buch 2009 erschien, wurde es zum Bestseller. Sicherlich auch wegen der unverkennbaren Parallelen, die es zwischen dem "Haus aus Stein" und dem "Sansaryan Han" gibt.
Das Haus aus Stein ist ein Ort in einer namenlosen Stadt, an dem die Polizei Intellektuelle und Straßenkinder foltert. Der Leser folgt der Erzählerin, die sich, schwankend zwischen Traum und Wirklichkeit, an ihren Aufenthalt dort erinnert: an die Zellen, die Gänge, an den Schmerz, die Isolation, Demütigungen und Einsamkeit. Wie in Trance beschwört sie wieder und wieder die Existenz des Schreckens herauf. Sie hat diese Welt des Terrors überlebt, aber einen Mann dort verloren, den sie liebte und der ihr "seine Augen geschenkt hat". Mal scheint es, als sei er eins mit A., den die Folter im Haus aus Stein in den Wahnsinn getrieben hat und der nun auf der Straße lebt: vernarbt, verwahrlost, seiner Identität beraubt. Niemand will hören, was er zu sagen hätte. Also redet er mit den Vögeln, den Toten, dem Wind. Manchmal hält er das nicht mehr aus, tritt in der Einkaufsstraße eine Schaufensterscheibe ein, klettert in den Laden, nimmt einer Schaufensterpuppe die Kleider ab, einem für die Beschneidungsfeier als Sultan verkleideten Jungen beispielsweise, und staffiert sich damit aus. Dann nimmt er in dem verwüsteten Schaufenster Platz wie ein Geschichtenerzähler. Geschmückt mit Umhängen und Preisschildern, spricht er zu den Passanten, bis die Polizei ihn wegschleppt und abermals ins Haus aus Stein bringt.
Es ist ein meisterhafter Text, ein Gedicht über staatliche Gewalt, eine poetische Wehklage für die Toten und ein unvollendeter Abschiedsbrief. Der Roman zählt nur 110 Seiten, länger hätte er auch nicht werden dürfen. Nicht für den Leser, aber auch nicht für die Autorin. Er liest sich, als hätte Asli Erdogan ihn mit ihrer Haut, ihrem Blut geschrieben. Sie selbst hat mehrfach Polizeigewalt erfahren und leidet bis heute unter den Folgen.
"Die Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Nur das Haus aus Stein ist echt. Nur die Hölle ist echt", schreibt Asli Erdogan in dem Vorwort, dass sie für die deutsche Ausgabe verfasst hat. Gleichzeitig offenbart sie, dass sie Anfang der achtziger Jahre selbst im "Sansaryan Han" war. "Schwer, noch einmal davon zu reden. Nach all den Zellen, den vielen Schlägen, den Verlusten des Lebens. Aus der bitteren, harten, qualvollen Erfahrung heraus zu sprechen, dass man zum Schweigen gebracht wurde." Nichts habe sie später mit solchem Entsetzen erfüllt wie das, was sie dort erlebte und sah.
Asli Erdogan und die namenlose Erzählerin sind nicht voneinander zu trennen. Sie ist auch A., den das Haus aus Stein für immer umschließt. Es ist auch eine Metapher für Traumata.
Eine Weile sah es so aus, als gehörten Orte wie das Haus aus Stein der türkischen Vergangenheit an. Nach dem versuchten Militärputsch von 2016 soll die Zeit der Folterknechte abermals angebrochen sein. Wer verstehen möchte, was das bedeutet, muss diesen Roman lesen.
Asli Erdogan: "Das Haus aus Stein". Roman.
Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Penguin Verlag, München 2019. 128 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Schrifstellerin Asli Erdogan hat sich schon immer gegen diese Politik der Leugnung aufgelehnt. Sie schrieb über die Verhältnisse in türkischen Gefängnissen, über die Kurdenfrage, Gewalt gegen Frauen und den Genozid an den Armeniern. Wegen ihres Engagements für eine kurdische Zeitung wurde sie im August 2016 verhaftet und saß 132 Tage im Istanbuler Frauengefängnis von Bakirköy. Ihr Prozess dauert an, ihr droht lebenslange Haft. Im September 2017 reiste sie über Paris nach Osnabrück, um den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis entgegenzunehmen. Sie kehrte nicht in die Türkei zurück. Mittlerweile lebt sie im Exil in Frankfurt.
Nun erscheint das bisher wichtigste Werk der Zweinundfünfzigjährigen auf Deutsch. Der Wunsch, Menschen eine Stimme zu geben, die staatliches Unrecht erlitten haben, prägt Asli Erdogans gesamtes Schaffen. Doch in keinem anderen Text gelingt ihr das so eindringlich wie in ihrem Roman "Das Haus aus Stein". In der Türkei, wo das Buch 2009 erschien, wurde es zum Bestseller. Sicherlich auch wegen der unverkennbaren Parallelen, die es zwischen dem "Haus aus Stein" und dem "Sansaryan Han" gibt.
Das Haus aus Stein ist ein Ort in einer namenlosen Stadt, an dem die Polizei Intellektuelle und Straßenkinder foltert. Der Leser folgt der Erzählerin, die sich, schwankend zwischen Traum und Wirklichkeit, an ihren Aufenthalt dort erinnert: an die Zellen, die Gänge, an den Schmerz, die Isolation, Demütigungen und Einsamkeit. Wie in Trance beschwört sie wieder und wieder die Existenz des Schreckens herauf. Sie hat diese Welt des Terrors überlebt, aber einen Mann dort verloren, den sie liebte und der ihr "seine Augen geschenkt hat". Mal scheint es, als sei er eins mit A., den die Folter im Haus aus Stein in den Wahnsinn getrieben hat und der nun auf der Straße lebt: vernarbt, verwahrlost, seiner Identität beraubt. Niemand will hören, was er zu sagen hätte. Also redet er mit den Vögeln, den Toten, dem Wind. Manchmal hält er das nicht mehr aus, tritt in der Einkaufsstraße eine Schaufensterscheibe ein, klettert in den Laden, nimmt einer Schaufensterpuppe die Kleider ab, einem für die Beschneidungsfeier als Sultan verkleideten Jungen beispielsweise, und staffiert sich damit aus. Dann nimmt er in dem verwüsteten Schaufenster Platz wie ein Geschichtenerzähler. Geschmückt mit Umhängen und Preisschildern, spricht er zu den Passanten, bis die Polizei ihn wegschleppt und abermals ins Haus aus Stein bringt.
Es ist ein meisterhafter Text, ein Gedicht über staatliche Gewalt, eine poetische Wehklage für die Toten und ein unvollendeter Abschiedsbrief. Der Roman zählt nur 110 Seiten, länger hätte er auch nicht werden dürfen. Nicht für den Leser, aber auch nicht für die Autorin. Er liest sich, als hätte Asli Erdogan ihn mit ihrer Haut, ihrem Blut geschrieben. Sie selbst hat mehrfach Polizeigewalt erfahren und leidet bis heute unter den Folgen.
"Die Personen in diesem Buch sind frei erfunden. Nur das Haus aus Stein ist echt. Nur die Hölle ist echt", schreibt Asli Erdogan in dem Vorwort, dass sie für die deutsche Ausgabe verfasst hat. Gleichzeitig offenbart sie, dass sie Anfang der achtziger Jahre selbst im "Sansaryan Han" war. "Schwer, noch einmal davon zu reden. Nach all den Zellen, den vielen Schlägen, den Verlusten des Lebens. Aus der bitteren, harten, qualvollen Erfahrung heraus zu sprechen, dass man zum Schweigen gebracht wurde." Nichts habe sie später mit solchem Entsetzen erfüllt wie das, was sie dort erlebte und sah.
Asli Erdogan und die namenlose Erzählerin sind nicht voneinander zu trennen. Sie ist auch A., den das Haus aus Stein für immer umschließt. Es ist auch eine Metapher für Traumata.
Eine Weile sah es so aus, als gehörten Orte wie das Haus aus Stein der türkischen Vergangenheit an. Nach dem versuchten Militärputsch von 2016 soll die Zeit der Folterknechte abermals angebrochen sein. Wer verstehen möchte, was das bedeutet, muss diesen Roman lesen.
Asli Erdogan: "Das Haus aus Stein". Roman.
Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Penguin Verlag, München 2019. 128 S., geb., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
In Istanbul steht das "Sansaryan Han", ein einst von einem reichen Armenier gebautes Haus, das als Schule dienen sollte und nach dem Genozid an den Armeniern von der Polizei requiriert und zu einem Folterzentrum umfunktioniert wurde, erzählt Rezensentin Karen Krüger, die Türkei-Korrespondentin der FAZ in ihrer Rezension. Dies Haus ist das Vorbild für Alsi Erdogans "Haus aus Stein", in dem es um die Geschichte der hier Gefolterten geht. Ein Roman, der nicht nur kurz ist, sondern kein bisschen länger sein dürfte, meint Krüger, so verdichtet, poetisch und schmerzhaft stimme Erdogan das Klagelied für die hier Gefolterten an. Das Haus selbst wird zum Sinnbild für die Traumata, die die Opfer wie ein Haus aus Stein umschließen, so Krüger. Erdogan lasse ihre eigenen Gefängniserfahrungen einfließen, ihre Prosa und die der Erzählerin seien so kaum mehr zu unterscheiden. Für Karen Krüger ist das "Haus aus Stein" das bisher wichtigste Werk der Autorin und ein Meisterwerk.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Ein meisterhafter Text, ein Gedicht über staatliche Gewalt... Er liest sich, als hätte Erdogan ihn mit ihrer Haut, ihrem Blut geschrieben.« FAZ, Karen Krüger
Zum Inhalt:
Aslı Erdoğan erzählt eine Geschichte über das menschliche Dasein in einem Gefängnis und die Zeit danach im vergeblichen Kampf um Normalität. Die namenlosen Figuren zeigen mit ungebrochener Vehemenz die Verzweiflung und die pure Hoffnungslosigkeit in all ihren …
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Zum Inhalt:
Aslı Erdoğan erzählt eine Geschichte über das menschliche Dasein in einem Gefängnis und die Zeit danach im vergeblichen Kampf um Normalität. Die namenlosen Figuren zeigen mit ungebrochener Vehemenz die Verzweiflung und die pure Hoffnungslosigkeit in all ihren Facetten und lassen autobiographische Einblicke vermuten, wobei die Autorin tatsächlich jedoch erst Jahre später nach Erscheinen dieses Romans selbst Erfahrungen in monatelanger Haft machen musste. Für diese deutsche Erstausgabe hat die Autorin zusätzlich ein Vorwort verfasst, das bereits den düsteren Klang der nachfolgenden Geschichten erahnen lässt.
Meine Leseerfahrung:
Ich habe mich bei diesem Buch ausnahmsweise mal nicht auf die Originalsprache gestürzt, bevor ich die deutsche Ausgabe in Händen hielt. Und ich kann nur sagen, wenn diese Geschichte auf Deutsch schon so auf poetischer Ebene beeindruckt - wenn da auch an einigen Stellen auf Grund vereinzelter Ungereimtheiten womöglich die Übersetzung nicht wirklich gelungen sein mag -, dann muss die türkische Version Einen auf Grund der bildhaften Sprache völlig umhauen. Daher werde ich dieses Buch auch unbedingt in der Originalfassung lesen.
So viel Leid, Qualen und Hoffnunglosigkeit kann man als Leser wirklich nur bei völliger eigener seelischer Gesundheit ertragen. Die Sprache ist zwar nicht immer flüssig oder einwandfrei verständlich, aber ich habe einige schöne Stellen aus diesem Buch mitgenommen, die mir vor Augen führen, wie wundervoll man mit Worten zaubern kann. Sätze wie "Die Finger des wandernden Mondscheins fahren mir fiebrig über die Lippen." oder "...der Knochen hält das aus, dieser bleiche Mitwisser der Zeit."
Trotz der schönen Sprache ist die geschaffene Atmosphäre durchgehend beklemmend und lässt den Leser tief betrübt zurück mit dem Gedanken, wie grausam und unbarmherzig doch das Leben für manch Anderen sein kann.
Fazit:
Ein beeindruckendes poetisches Werk von Aslı Erdoğan, das einen durchweg verstörenden Einblick in den menschlichen Geist gewährt, was man nur mit gesundem Verstand zu ertragen und begreifen im Stande ist.
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In Istanbul steht das „Sansaryan Han“, ein Haus aus Stein, das das Vorbild für Aslı Erdoğans Roman bildet. In jenes Haus wurden die politischen Häftlinge, die Schwerkriminellen, die Staatsgegner gebracht und gefoltert. Hiervon schreibt die Autorin, die nach dem …
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In Istanbul steht das „Sansaryan Han“, ein Haus aus Stein, das das Vorbild für Aslı Erdoğans Roman bildet. In jenes Haus wurden die politischen Häftlinge, die Schwerkriminellen, die Staatsgegner gebracht und gefoltert. Hiervon schreibt die Autorin, die nach dem Militärputsch 2016 selbst zum Opfer des türkischen Staates wurde und 132 Tage im Gefängnis verbringen musste. Was sie 2009 literarisch verarbeitete, musste sie selbst am eigenen Leib nur wenige Jahre später erfahren.
Der Roman, der mit dem bedeutendsten türkischen Literaturpreis ausgezeichnet wurde, hat keine Handlung im klassischen Sinn. So wie sich die Persönlichkeit in der Gefangenschaft zunehmend auflöst, ist auch der Text schwer greifbar, er kreist spiralförmig auf ein Ziel hin, von dem man nicht weiß, was es sein wird: Tod oder Leben, Erlösung oder Verdammnis. Einer, der einstmals offenbar hinter den Mauern lebte, lebt nun außen, in den Schatten der Gemäuer, aus denen die unzähligen Stimmen dröhnen. Aber für ihn ist es gleich, auf welcher Seite der Mauer er steht, er trägt die Erfahrungen tief in sich und kann sie wie böse Dämonen nicht mehr los werden.
Man kann den Roman nur als kafkaesk im klassischen Sinn bezeichnen. Es gibt kein Verbrechen, keine Anklage und kein Urteil für eine Tat. Es herrschen eine diffuse Angst und Verunsicherung und die Verzweiflung wird zunehmend stärker. Das Individuum kann die Lage nicht überschauen, schon gar nicht kontrollieren, sondern ist ausgeliefert. So fühlt es sich an im Gefängnis, wo Willkür herrscht, vor der nur der Tod schützt.
So schwer der Text auf der Handlungsebene zugänglich ist, so sehr strahlt er doch sprachlich. Aslı Erdoğan spricht in Metaphern, verbildlicht so das Innen- und Außenleben ihrer Figuren und lässt zugleich Deutungsspielraum. Sie erspart dem Leser so auch deutliche Beschreibungen der Folter und Qualen, deren Folgen jedoch auch so spürbar werden. Die Realität der politischen Lage hat hier die Literatur eingeholt und einmal mehr bewiesen, dass der Mensch zu mehr fähig ist, als man sich in den schlimmsten Alpträumen ausmalen mag.
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