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TochterAlice
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Köln

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Insgesamt 1464 Bewertungen
Bewertung vom 10.06.2019
Balson, Ronald H.

Hannah und ihre Brüder


sehr gut

Weit über ein halbes Menschenleben, nämlich fast 60 Jahre - sind vergangen, seitdem Ben das Grauen von Auschwitz hinter sich ließ und fast genauso lange lebt er inzwischen in Chicago.Nun ist er über 80 und beschuldigt einen der bekanntesten Männer der Stadt, nämlich den reichen Wohltäter Elliot Rosenzweig, ein übler Naziverbrecher zu sein und seine Familie aufs Grausamste hintergangen und ausgeliefert zu haben. Davor waren sie fast Brüder und zwar in Ostpolen, dem Land ihrer Herkunft. Elliot Rosenzweig hieß damals nämlich - so Ben - Otto Piontek, kam aus zerrütteten Familienverhältnissen und wuchs im Haushalt von Bens Eltern, die ihn wie ihre eigenen Kinder behandelten, auf. Bens Anwältin Catherine Lockhart und Liam Taggert, ein erfolgreicher Detektiv, l, haben so ihre Zweifel, aber Ben lässt nicht locker, obwohl sich viele Leute von Rang und Namen gegen ihn und die Ermittler stellen.

Diese Geschichte ging mir durch bis ins Mark und hat mich an für mich maßgebliche, die Augen öffnende und damit bahnbrechende mediale Konfrontationen mit der Verfolgung der Juden wie den Vierteiler "Holocaust", der Ende der 1970er Jahre im deutschen Fernsehen lief oder Spielbergs großartigen Film "Schindlers Liste" aus den 1990ern erinnert, auch wenn die Handlung doch manchmal zu dramatisch wurde und sogar die ein oder andere Räuberpistole enthielt, bspw. begaben sich mehrmals Juden in Naziunform mitten in heftigste Szenarien, was ein wenig rambomäßig rüberkam.

Dennoch: Gerne würde ich diesen Roman jungen Leuten (das sind für mich alle unter 40) zeigen, sie mit der Nase drauf stoßen und sagen: "lest"! Und dann überlegt Euch, ob Ihr zusehen wollt, wie in Europa friedlichen, hilfesuchenden Menschen die Tür vor der Nase zugeknallt wird. So wie in Ostpolen der 1930er und 40er Jahre ist es noch nicht, aber es bewegt sich in die Richtung und das gilt es zu vermeiden. Dieses Buch vermittelt so viel mehr als historische Wahrheiten, es zeigt Menschlichkeit, Mitgefühl, aber auch Mut und Stärke, die aus der Verzweiflung geboren wurde.

Ein Buch über die Kraft der vermeintlich Schwachen - eines, das ich sowohl schockierend als auch ermutigend fand. Geschockt haben mich - obwohl mir als Historikerin hinlänglich bekannt - die individuellen Erlebnisse, die Dramen, die sich unter dem nationalsozialistischen Regime, aber auch in dessen Nachfolge ereigneten. Mut machten mir die Menschen, die trotz Schwäche und Verzweiflung nie aufgaben, auch wenn die Lage noch so hoffnungslos schien.

Ein Buch, das sich schnell wegliest, das man aber dennoch nicht vergisst. Trotz der teilweise zu verwegenen Handlung werde ich diese Geschichte für immer in meiner Erinnerung und in meinem Herzen behalten!

Bewertung vom 10.06.2019
Mullet, Melinda

Whisky für den Mörder / Abigail Logan ermittelt Bd.2


gut

Nachdem Fotojournalistin Abigail Logan die Erbschaftsangelegenheiten um die ihr hinterlassene Whisky-Brennerei zur - wie sie meint - allgemeinen Zufriedenheit geklärt hat, findet sich schon wieder eine Leiche in der unmittelbaren Umgebung der Destillerie.

Und es gibt jemand anderen, der befürchtet, bald eine zu werden - eine Leiche also. Das ist ausgerechnet Rory, Aushängeschild der Band "Rebels" und Abigails Schwarm aus Teenagerzeit.

Es geistert aber noch eine Reihe anderer Männer um sie herum - neben der ganzen dramatischen Ereignisse gerät also auch Abigails Herz in Wallung.

Mir war das Ganze des Guten zu viel, statt Spannung verströmte der Krimi aus meiner Sicht Langatmigkeit und viele der zugegebenermaßen guten, ja ausgezeichneten Ideen werden sozusagen im Keim erstickt! Schade drum, denn sowohl das Setting als auch die Handlungansätze sind vielversprechend, aber eben leider nicht mehr!

Bewertung vom 09.06.2019
Herrmann, Elisabeth

Schatten der Toten / Judith Kepler Bd.3


gut

Ich bin wirklich ein Riesenfan der vom Leben so gebeutelten Tatortreinigerin Judith Kepler: mit ihrer Historie als Tochter eines Ostspions und ihrer Kindheit in einem kargen, lieblosen DDR-Heim wird die jüngste Vergangenheit Gesamtdeutschlands sowohl eindringlich als auch spannend aufgearbeitet.

So habe ich die beiden Vorgängerbände, die sich mit dem vorliegenden Fall als Trilogie abschließen, mit Begeisterung gelesen. Hier wurde es mir schnell ein wenig zu viel, denn es geht nicht nur um Judith, bzw. nicht nur um ihre Belange und ihr Bedürfnis, den Vater Richard Lindner, der mittlerweile unter dem Namen Bastide Larcan sein Unwesen treibt, aufzuspüren, sondern es treten weitere Biographien wie die der ehemaligen Stasi-Spionin Eva Kellermann in den Vordergrund. Sie verstirbt und hat ihrerseits mit Lindner noch eine Rechnung offen, die sie ihrer Tochter "vererbt".

Dann gibt es noch das Mädchen Tabea, eine Halbwaise, für die sich Judith verantwortlich fühlt, und deren Vater Frederik, für den sie Gefühle entwickelt hat - insgesamt alles ein bisschen zuviel des Guten. Diese verschiedenen Erzählstränge sorgen aus meiner Sicht für Längen.

Dennoch bringt Elisabeth Hermann die Geschichte der Tatortreinigerin zu einem absolut runden Schluss, der die Lektüre für mich lohnenswert machte. Wenn man die ersten beiden Bände bereits kennt, sollte man diesen also auf jeden Fall ebenfalls lesen, aber vielleicht nicht zu viele Erwartungen hegen.

Bewertung vom 08.06.2019
Genovesi, Fabio

Wo man im Meer nicht mehr stehen kann


sehr gut

Bei Fabio Mancini läuft es ganz anders als bei den anderen Kindern: er lebt mit seiner Familie im Dorf Mancini, in dem es viele Häuser gibt: in einem lebt seine Familie, in einem die Oma und in den anderen die Opas - zehn an der Zahl. Es sind nicht seine richtigen Opas, sondern dessen Brüder - sie haben dieses Amt von ihrem früh verstorbenen Bruder sozusagen übernommen und fühlen sich verantwortlich.

Es gibt kaum Geld, aber man hat einander. Was für Fabio manchmal schwierig ist, denn in der Schule gilt er nicht gerade als cool. Er leidet schon darunter, dass er - und einige andere, mit denen er fest zusammenhält - nicht zu den Geburtstagen eingeladen werden, aber dennoch ist ihm seine eigene Welt wichtiger.

Die besteht alsbald zu einem großen Teil aus Büchern - jede Woche kann er sich auf dem Markt für 100 Lire eines dazu kaufen und lernt so Dinge, die ihm in der Schule nicht mitgegeben werden. Bald liest Fabio die Bücher nicht nur selbst, sondern er nimmt sie mit ins Krankenhaus, um sie seinem Vater vorzulesen, der nach einem Unfall im Koma liegt. Ohne große Chancen darauf, jemals wieder ein normales Leben zu führen - daraus machen die Ärzte keinen Hehl.

Doch Fabio bekommt nicht zuletzt durch seine Mutter eine eigene Wahrnehmung der Dinge vermittelt und gibt die Hoffnung nicht auf. Zur Belohnung gibt es nicht nur einen Marienkäfer, der im wahren Leben Martina heißt!

Eine Hymne auf den Individualismus und auf die Hoffnung! Auf den Zusammenhalt und auf die Verschrobenheit. Eine Hymne - so scheint es stellenweise - die der Autor Fabio Genovesi auf sich und die Seinigen singt. Damit sind in diesem Falle die gemeint, die den Mut haben, anders zu sein, unangepasst. Ein Roman, der sich unbedingt lohnt, auch wenn ich ihn mir zunächst erobern musste, mich hineinfinden, an die besondere Sprache, ja, und auch an einige Längen gewöhnen musste. Doch dann hatte Fabio mich als treue Gefährtin an seiner Seite!

Bewertung vom 07.06.2019
Dries, Maria

Der Kommissar und die Toten von der Loire / Philippe Lagarde ermittelt Bd.10


sehr gut

Kommissar Lagarde auf Abwegen: Zumindest in geographischer Hinsicht: Er wird nämlich ins Loiretal beordert, wo es einen geheimnisvollen Mord mit Pfeil und Bogen gab und soll die dortige Kommissarin Yvonne Martel unterstützen, die dies als Untergrabung ihrer Kompetenz sieht und alles andere als begeistert ist!

Doch Lagarde wäre nicht Lagarde, würde er sich nicht auch mit den schwierigsten Typen zusammenraufen und so entsteht allmählich ein ganz gut funktionierendes Gespann. Zudem ist Lagardes Lebensgefährtin Odette mit dabei, die ihm durch ihre Anwesenheit und ihre kulinarischen Fähigkeiten den Aufenthalt versüßt.

Auch diesen Krimi aus der Lagarde-Reihe würde ich als typisches Serienwerk bezeichnen und das meine ich keinesfalls abfällig! Denn hier kommen die großen Zusammenhänge, die Rahmengeschichte vor der Spannung. Wobei allerdings diesmal die Lösung des Falles, der zu einem Serienmord ausartet, allerdings im Gegensatz zu einigen der vorherigen Fälle alles andere als absehbar ist.

Dafür hat Lagarde seinen großen Auftritt - wie es bereits in den vorherigen Bänden der Fall war. Wenn auch diesmal nicht in der Normandie, sondern als Gastspiel im landschaftlich nicht minder beeindruckenden Loiretal. Wie immer bei den Lagarde-Fällen spielt die Landschaft eine zentrale Rolle; sie ist nämlich ein ebenso wichtiger Akteur wie die Figuren. Diesmal wird durch die Schlösser am Flussufer ein ganz besonderer Akzent gesetzt.

Wieder einmal hat der Lagarde-Krimi mich gepackt und so gefesselt, dass ich mich bereits auf den Folgeband freue und große Lust auf einen Urlaub, diesmal nicht in der Normandie, sondern im Loiretal habe. Aber bitte ohne Mord!

Bewertung vom 07.06.2019
Cleeton, Chanel

Nächstes Jahr in Havanna / Kuba Saga Bd.1


ausgezeichnet

Großmutter und Enkelin auf Kuba: Nicht gleichzeitig, wohlgemerkt, denn diese Geschichte spielt auf zwei Ebenen, nämlich ab 1958 mit Elisa und dann wieder 2017 mit Marisol im Mittelpunkt.

Dazwischen liegen mehrere Generationen und dramatische historische Entwicklungen: Denn Elisa musste mit ihrer Familie aus Kuba fliehen, anlässlich des dortigen Umsturzes und sie hat ihre Heimat nie mehr wiedergesehen. Nun soll ihre Enkelin Marisol sie zurückbringen auf die Insel, der ihr Herz zeitlebens gehörte - vielmehr die Urne mit ihrer Asche, denn Elisa ist vor kurzem verstorben und hat dies als letzten Wunsch testamentarisch verfügt.

Es ist Marisols erster Besuch auf Kuba, doch kommt sie nicht als Fremde - zeitlebens war Kuba ein Teil von ihr, hat sie und ihre Familie begleitet. Auch wenn sie in Miami lebten, waren sie doch Kubaner - alles dort ist Marisol vertraut, als sie den Boden der Heimat ihrer Ahnen betritt. Ihre Wurzeln sind hier, das spürt sie auf Schritt und Tritt, zumal sie direkt neben dem ehemaligen Familienbesitz unterkommt, bei der Familie von Ana, der besten Freundin ihrer Großmutter. Diese ist im Gegensatz zu ihren eigenen Verwandten in Kuba geblieben. Marisol erhofft sich von ihnen mehr Informationen über ihre Großmutter - diese war bis zu ihrem Tode recht verschwiegen, was ihre Jugend in Kuba anging.

Noch weiß sie nicht, welche Geheimnisse es zu lüften und was es für sie alles zu entdecken gibt! Und sie erlebt nicht nur eine vollkommen unerwartet Begegnung. Nein, für Marisol ändern diese paar Tage in der Heimat ihrer Ahnen so einiges in ihrem Leben - und zwar nachhaltig!

Eine Ode auf Kuba ist dieses Buch, warmherzig und atmosphärisch verfasst. Wer dort einen Urlaub plant, sollte dieses Buch unbedingt als Lektüre mit nehmen - am besten schon auf den Flug ins Handgepäck. Ich jedenfalls habe während und nach dieser emotionalen Lektüre unbändige Lust bekommen, diese Insel zu besuchen, am liebsten sofort. Und wie reich beschenkt muss man sich fühlen, wenn man bereits im Flieger dorthin sitzt!

Ein wirklich eindringliches Werk - ich habe jede Seite genossen. Neben der aufwühlenden Familiengeschichte enthält der Roman zahlreiche gut recherchierte Fakten, die den Leser auf Schritt und Tritt bereichern. Ein wahres Lesevergnügen!

Bewertung vom 06.06.2019
Visser, Judith

Mein Leben als Sonntagskind


ausgezeichnet

Jasmijn ist schon von Kind an klar, dass sie anders ist als die anderen - sie liebt es nicht laut, kommt nicht gut zurecht, wenn viele Leute zusammen sind ... und ist von klein an gewöhnt daran, dass die Menschen ihr mit Verwunderung, ja Befremdung begegnen. Außer ihren Eltern und ihrem Bruder - die stehen hinter, wenn es sein muss, auch vor ihr und machen ihr das Leben erträglich. Zumindest meistens

Wobei Jasmijn eigentlich nur mit einem Wesen zusammen normal sein kann - und das ist ihre Hündin Senta. Sonst zieht sie sich sehr in sich zurück, isst sogar meist allein auf ihrem Zimmer - und zwar ständig. Denn, obwohl spindeldürr, hat sie ständig Hunger.

Es ist ein Leben, in dem sie sich selbst ständig im Weg steht, da sie genau weiß, wie sie eigentlich sein will. Aber das klappt nur in ihren Gedanken und manchmal in ihrem Tagebuch. Umso überraschter ist sie, als sie im Laufe ihres Lebens den ein oder anderen Menschen trifft, der sie verstehen, ja, sogar lieben kann.

Und trotz diverser Unwegsamkeit so langsam lernt, sich inmitten anderer zu respektieren und wertzuschätzen.

Die Autorin Judith Visser hat selbst erst als Erwachsene erfahren, dass sie das Asperger Syndrom hat und führt uns in diesem Roman einfühlsam und warmherzig in die Welt ihres Alter Ego ein. Ein wundervoller Roman, der Brücken baut, zum Lachen und zum Weinen mit Jasmijn, aber auch mit den Menschen um sie herum einlädt!

Bewertung vom 02.06.2019
Ivey, Eowyn

Das Leuchten am Rand der Welt


ausgezeichnet

Eine ganz besondere historische Abenteuerreise hat uns Eowyn Ivey mit diesem Buch geschenkt - nämlich die des Lieutenants Allen Forrester zur Erforschung des Wolverine Rivers - bisher fest in Händen der indigenen Bevölkerung - nach Alaska.

Er ist frisch verheiratet und seine junge Frau Sophie besteht darauf, ihn zu begleiten - bis sich herausstellt, dass sie schwanger ist und in einer Militärbasis in Portland, Oregon zurückbleiben muss. Und wird auch die Geschichte Sophies, einer sehr eigenständigen Frau mit einem tiefen Interesse an Ornithologie und zunehmend auch an der Fotografie geschenkt.

Es ist ein ganz besonderer historischer Roman, den die Autorin Eowyn Ivey hier geschaffen hat - der Leser erhält Informationen aus Briefen und Tagebüchern Sophies und den Reisenotizen und Briefen von Allen.

Zudem gibt es eine Rahmenhandlung der aktuellen Zeit, in der ein Nachkomme Allens dessen Hinterlassenschaften einem Museum in Alaska hinterlassen möchte und eine Korrespondenz mit dem dortigen Angestellten Josh beginnt, die zunehmend informativer und auch privater, vor allem jedoch herzlicher wird.

Ein ganz besonderer, intensiver Roman ist dies und er ist ganz anders als "Das Schneemädchen". Beides sind Ausnahmewerke, ich kann gar nicht sagen, welches Buch mir besser gefällt, doch sie unterscheiden sich voneinander so sehr wie Sonne und Mond. Ich liebe beide und hoffe, dass die Autorin uns noch mit dem einen oder anderen Roman überraschen und mich ebenso mitten ins Herz treffen wird wie mit den beiden bisherigen!

Bewertung vom 02.06.2019
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


ausgezeichnet

Wieder einmal ist es richtig starker Tobak, den Colson Whitehead hier seinen Lesern vorsetzt und wieder einmal sind es wahre Ereignisse, die die Grundlage der Handlung bilden. Im Gegensatz zum preisgekrönten Vorgängerroman des Autors, "Underground Railroad" spielt dieser in der jüngeren Vergangenheit - in einer, die die älteren Leser schon bewusst miterlebt haben dürften, nämlich in den frühen 1960er Jahren.

Der Protagonist Elwood wächst bei seiner Großmutter in Florida in einfachen Verhältnissen auf und ihm ist schon klar, dass er nicht gerade die rosigsten Zukunftsaussichten hat. Dafür hat er die falsche Hautfarbe. Aber er kennt und verehrt Martin Luther King und dessen Aussagen geben ihm Hoffnung. Diese vermag er, ein Musterschüler und auch sonst ein Mensch mit Visionen, so sehr mit Taten und Erfolgen zu füllen, dass sein Collegebesuch trotz magerer Finanzen unmittelbar bevorsteht. Denn so ein besonderer junger Mensch hat Unterstützer und Befürworter.

Doch gleich am ersten Tag passiert etwas auf dem Weg ins College, das Elwood sämtliche erfreuliche Zukunftsaussichten begraben lässt: er gilt nun als kriminell und kommt in eine Besserungsanstalt und wird zu einem der Nickel Boys - so werden die Insassen dieser Einrichtung genannt. Und lernt, dass seine bisherigen Werte hier nichts gelten.

Ein Roman, dessen Handlung voller Ungerechtigkeit, Hass, Mißachtung und Niedertracht ist, voll von Ereignissen, die man während der Lektüre gar nicht glauben will, selbst wenn man bereits so einiges über die Rassentrennung weiß. Hier hat man den Leidensweg der afroamerikanischen Bevölkerung der vereinigten Staaten bildlich vor Augen, selbst wenn dies nur ein kleiner Ausschnitt davon ist.

Schmerzhaft ist diese Lektüre und mich hat sie auch wütend gemacht. Ganz schön sauer war ich darauf, was gewisse Menschen in der Vergangenheit nur wegen ihrer Hautfarbe erleiden mussten.

Colson Whitehead kleidet seine Botschaften in genau die richtigen Worte, er dramatisiert nicht. Und das ist auch nicht notwendig, denn die Ereignisse sind auch so extrem genug. Ich hatte die ganze Zeit das Bedürfnis, in das Buch hineinspringen und die armen Jungs dort rausholen zu wollen - natürlich nicht, ohne ihren Peinigern einen ordentlichen Denkzettel zu verpassen!

Das ist der Verdienst des Autors, der die Begebenheiten so eindringlich, anschaulich und bewegend, wie nur irgend möglich schildert! Und ausgesprochen rund, auch wenn ich gut und gerne noch weitergelesen hätte, um die besondere Atmosphäre, die der Autor geschaffen hat, vollends auszukosten.

Eines wird deutlich: Es gibt immer Neid und Missgunst. Ganz egal, wo man ist und auch dann, wenn man selbst überhaupt nicht drauf kommen würde. Und es gibt auch überall und zu jeder Zeit sadistische Menschen, die ihre Triebe ausleben, wann und wo sie können. Und das, ohne jemals ein schlechtes Gewissen zu haben: sie haben nämlich überhaupt keins.

Dieses Buch und seine traurige, realistische Geschichte, die trotz allem nicht ganz ohne Hoffnung ist, lehrt seine Leser, die Achtsamkeit gegenüber allen Mitmenschen, egal welcher Herkunft und Hautfarbe, wiederzufinden und in Ehren zu halten, ihrer gerade auch in der heutigen Zeit gewahr zu sein.

Nein, dies ist definitiv keine Unterhaltungslektüre, sondern ein überaus lohnender, wenn auch schmerzvoller zeitgeschichtlicher Roman, aber einer, den man gestärkt aus der Hand legt. Ein ganz besonderes Buch, das ich jedem empfehle, der stets bereit ist, zu erfahren, wie die Welt zu dem wurde, was sie ist.

Bewertung vom 01.06.2019
Attah, Ayesha Harruna

Die Frauen von Salaga


sehr gut

Das heutige Ghana steht im Mittelpunkt des Romans der Autorin Ayesha Harruna Attah; damit setzt sie dem Land ihrer Vorfahren sozusagen ein Denkmal.

Und zwar mit einer bunten Geschichte aus den 1890er Jahren, in denen vor allem die dortigen Frauen im Vordergrund stehen. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass ihr Los - egal in welche der sozialen Schichten sie hineingeboren wurden - kein einfaches war und am Los von Aminah und Wurche bestätigt sich dies. Aminah, ein junges Mädchen, lebt mit ihrer Familie ein eher bescheidenes, jedoch erfülltes Leben und steht gerade vor der Entscheidung, eine ungewollte Ehe zum Wohle ihrer Familie einzugehen, als ihr Dorf niedergebrannt und sie und ihre Geschwister als Sklaven verschleppt und verkauft werden. Auf einem langen und steinigen Weg landet sie schließlich im Haushalt von Wurche, einer Königstochter, die bereits eine Ehe zum Wohle ihrer Familie abgeschlossen hat, in der sie alles andere als glücklich ist. Wurche erkennt in Aminah eine feinfühlige junge Frau und macht sie zur Amme ihres Sohnes. Aminahs Leben ändert sich das erste Mal seit der Verschleppung zum Guten, auhc wenn sie weiterhin auf eine Rückkehr zu ihrer Familie hofft. Auch werden die Frauen bald zu Konkurrentinnen.

Ein Roman, dessen Lektüre nicht allzu anspruchsvoll, dafür aber unterhaltsam ist. Zudem erhält man einen Einblick in das Leben im kolonialen Ghana und damit Anstöße, sich darüber weiter zu informieren. Literarisch ist das Werk nicht allzu ambitioniert, jedoch vermittelt es auf leichte, unanstrengende Art Eindrücke vom Leben der Frauen im Ghana vergangener Zeiten. Auch wenn der Stil eher luftig-leicht ist - die Inhalte sind es nicht. Sie künden vielmehr von einem schweren Los der Frauen, wobei es auch Männer nicht gerade leicht hatten. Doch die Frauen waren ihnen in vielerlei Hinsicht ausgeliefert, wobei es in einigen Bereichen durchaus auch Parallelen zu der Behandlung der Frauen in Europa und anderen damals als fortschrittlich angesehenen Ländern gab. Doch war die gesamte Situation Westafrikas damals durch die Kolonialisierung eine gänzlich andere und ungleich schwerere für die indigene Bevölkerung. Diese bildet hier lediglich den Rahmen für einen süffigen Roman im Stil von Barbara Wood. Die Handlung wird mir sicher nicht allzulange im Gedächtnis bleiben, doch hat dieser Roman mein Interesse an der Geschichte Westafrikas und auch der dortigen Literatur definitiv gesteigert!