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luisa_loves_literature
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NRW

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Insgesamt 124 Bewertungen
Bewertung vom 05.05.2021
Jodl, Angelika

Laudatio auf eine kaukasische Kuh


sehr gut

Auf geht es nach Georgien mit Olga Evgenidou und ihrer lauten, verrückten, traditionellen Familie. Ihr immer auf den Fersen der arg verliebte Jack, obwohl doch Olgas Herz eigentlich für den fast schon aristokratisch wirkenden Felix van Saan schlagen soll.

Dieser Roman ist ein launiges, unterhaltsames, fröhliches und manchmal auch romantisches Buch in bester ZDF-Herzkino-Manier. Wer auf der Suche nach einem luftig-leichten Vergnügen mit ein paar ernsteren Tönen – gerade auch in Bezug auf die Identitätsproblematik – ist, liegt hier goldrichtig.

Ich persönlich habe sehr viel Freude an den, zugegebenermaßen oftmals auch sehr stereotypen und überzeichneten Figuren gehabt, aber man kommt mit Olgas Familie auf dem Trip in die georgische Heimat vor lauter Gastfreundschaft, Schnaps und Wein picheln aus dem Spaß gar nicht mehr heraus. Georgien wird in diesem Roman ein liebevolles und augenzwinkerndes Denkmal gesetzt, das teilweise so fantastisch wirkt, dass man es gar nicht glauben mag – aber ich kenne mich weder mit dem traditionellen Frauenraub noch mit den sonstigen patriarchalischen Strukturen dort aus – deshalb muss ich mich mit einem Urteil bezüglich der Authentizität der Darstellung des Landes zurückhalten.

Fest steht auf jeden Fall, dass die Figur der Olga in ihrer Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen und zwei Männern überzeugend geraten ist – Deutsch sein und aus Deutschland kommen sind nur zwei der Identitätskonzepte, die im Rahmen dieses Romans locker ausgelotet werden. Der Roman ist und bleibt eine vorwiegend kulturelle Komödie, die sicherlich einige Klischees bedient, dies aber mit sprachlichem Gefühl, romantischen Verwicklungen und viel Situationskomik wieder wettmacht. Leider zieht sich der Roman zum Ende hin in die Länge und gerät zu wenig innovativ, da hätte es der Freite nicht geschadet, wenn sie sich etwas von vorhersehbaren Mustern gelöst hätte, und auch die Szene mit der titelgebenden Kuh hätte es für mich in dieser Ausführlichkeit nicht gebraucht...insgesamt aber ein humoriges Lesevergnügen.

Bewertung vom 03.05.2021
Baldelli, Simona

Die Rebellion der Alfonsina Strada


sehr gut

Weder die Autorin Simona Baldelli noch Alfonsina Strada sagten mir vor der Lektüre des Romans etwas – eins ist nun aber klar: beide Frauen werde ich so schnell nicht vergessen, denn der Roman hat mir ausgesprochen gut gefallen. Ich habe ein Faible für Romane, die auf wahren Begebenheiten und realen Personen basieren, bin aber stets sehr kritisch, weil die Einbindung von historischen Figuren manchmal auch ziemlich schiefgehen und dann sehr gewollt und künstlich wirken kann. Wenn, wie hier, die Persönlichkeit eher unbekannt ist, empfinde ich Romanbiographien als sehr begeisternd, vor allem auch weil man viel Neues lernen kann.

Die Figurenzeichnung ist sehr lebendig und mitreißend. Alfonsina wird detailliert ausgeleuchtet und steht klar im Mittelpunkt ihrer Geschichte. Dieser Fokus geht leider etwas zu Lasten der Nebenfiguren, hier hätte ich mir zeitweise doch etwas mehr Tiefe und Erzählzeit gewünscht. Beispielhaft ist für mich die Episode, in der Alfonsina einen längeren Zeitraum intensiv mit ihrer Mutter verbringt. Diese Passage ist für den Roman sehr bereichernd und schenkt der menschlichen Seite Alfonsinas Feinheiten, die aus dem Sportlerinnenleben so nicht ersichtlich sind. Speziell in Bezug auf die Ehemänner greift der Roman in der Figurenzeichnung viel zu kurz. Während der erste Mann zumindest noch zu Beginn seine kindlich-infantile Unterstützerrolle spielen darf, wird der zweite fast völlig ausgespart. Selbst wenn dies eine bewusste erzählerisch Entscheidung war, damit Alfonsina nicht das Rampenlicht teilen muss, hat mir dies nicht behagt. Man sollte auch für einen feministischen Blick nicht alle Männer komplett wegschreiben. Schwierig ist für mich auch die esoterische Zusatzkomponente, die Baldelli einbaut. Alfonsina erscheinen in Krisensituationen immer tote Seelen, die sie motivieren, anklagen etc. Etwas dosierter und ohne die prominente Beteiligung der russischen Zarenfamilie hätte ich gut damit leben können, so war es mir einfach zu viel.

Der Romanaufbau ist insgesamt sehr gelungen und sorgt für viel Abwechslung, allerdings sind die Zeitebenen und -sprünge manchmal etwas verwirrend. So spielt der Roman zu einem Großteil in den 1920ern; es gibt aber auch Passagen, die mit 1959 überschrieben sind, und kursiv gedruckte Kapitel, die im Jahr 2017 angesiedelt sind. Da aber die 1959er-Episoden ebenfalls immer in die 20er-40er zurückspringen und dies nicht unbedingt chronologisch an die vorangegangen, historischen Kapitel anschließend, gerät man als Leser schon mal aus dem Takt.

Erzählerisch ist der Roman unglaublich mitreißend, inspirierend und faszinierend. Obwohl ich selbst nicht sonderlich am Radsport interessiert bin, haben mich die Beschreibungen der Radrennen, vor allem des Giro d’Italia begeistert (hier hätte ich eine Karte im Anhang ganz schön gefunden). Die Autorin schafft es, die Facetten und die Landschaften eines solchen Rennens vor dem inneren Auge erstehen zu lassen.

Trotz der genannten Kritikpunkte bin ich wirklich sehr glücklich und zufrieden mit dem Roman, der mich auf vielen Ebenen sehr begeistert hat und noch immer beschäftigt. Dieser Roman ist für alle eine Leseempfehlung, die starke Frauenfiguren, biographisch inspirierte Texte und die 1920er Jahre mögen. Wie in Maria Peters „Die Dirigentin“ wird hier einer unbekannteren Frau ein Denkmal gesetzt, dass auf die durchaus schmerzhaften Einzelschicksale von Frauen verweist, die in ihrer Gesamtheit aber die Frauenbewegung ein Stück weit vorangebracht haben.

Bewertung vom 24.04.2021
Imboden, Blanca

Drei Frauen im Schnee


weniger gut

Drei Frauen im Schnee ist für mich eine ganz nette, anspruchslose Geschichte, die einigermaßen unterhält, aber nicht vom Hocker haut, und deren Reiz wohl zu einem Großteil darin besteht, dass sie eine Weihnachts-Silvester-Story ist. Die Protagonistin ist eine Frau Anfang 40, die sich im Spannungsfeld von untreuem Ehemann, geltungssüchtiger Schwiegermutter, pubertären Zwillingstöchtern und freigeistiger Schwester wiederfindet und so schließlich die Flucht ergreift. In den Bergen der Schweiz findet sie Freundschaften und das Glück kehrt zu ihr zurück.

Der Roman plätschert durchaus gefällig dahin, mehr aber auch leider nicht. Die überaus konventionelle Story, die ab der Hälfte auch noch unglaublich vorhersehbar wird, wird in flüssigem, aber unspannendem Stil erzählt. Weder inhaltlich noch sprachlich kommt es hier zu Überraschungsmomenten und leider ist es für mich daher nicht vielmehr als eine gutgemeinte Lektüre für den Nachmittag zwischen Bügelbrett und Waschmaschine. Keine der Figuren ist überaus reizvoll und die angestrebte Situationskomik und Familienkomödie ist einfach zu bieder, um zu überzeugen. Dazu wird jede Problematik im Zuckerguss erstickt, der Hallodri ist vom ersten Satz an als solcher zu erkennen, und das Happy End ist selbst für eine Weihnachtsgeschichte zu wohlmeinend. Dennoch wäre das Buch sicherlich die perfekte Grundlage für einen Weihnachtsfilm, den man aber leider doch schnell wieder vergessen würde. Mein Fazit: ganz nett, muss man aber nicht wirklich lesen.

Bewertung vom 24.04.2021
Dalton, Trent

Der Junge, der das Universum verschlang


weniger gut

An diesen Roman hatte ich unglaublich hohe Erwartungen: nicht nur das farbenprächtige Cover erschien mir verheißungsvoll, sondern auch der mysteriöse Titel und vor allem die Tatsache, dass es sich um eine Coming-of-Age-Geschichte – mein bevorzugtes Genre – handelte, erschienen mir äußerst verheißungsvoll.

Leider konnte der Text selbst diese Hoffnungen nicht erfüllen. Der Junge, der das Universum verschlang ist lediglich deshalb reizvoll, weil der Autor darin wohl eigene Jugenderfahrungen verarbeitet – ansonsten ist der Roman mindestens 50% zu lang und vor allem viel zu langatmig erzählt und geschrieben. Alles, was hier auf über 500 Seiten erzählt wird, hätte man knapper und kondensierter erzählen können. Dies hätte dem Roman sicherlich gutgetan. Über weite Strecken habe ich mich trotz des kriminellen Drogenmilieus, der eingestreuten, teils überzogenen Brutalität und der Ekelmomente gelangweilt und mich immer wieder gefragt, welche Relevanz diese oder jene Information für den Plot haben soll. Dazu kommen etliche nicht gelöste Fragestellungen und dann, wenn endlich einmal Erklärungen für den seltsamen Bruder Gus oder ein ominöses, rotes Telefon geliefert werden könnten, schreckt der Roman davor zurück, sich selbst seine surreale und schräge Atmosphäre zu nehmen. Am Ende wird noch ein unnötig in die Länge gezogener Thrillerversuch hinzugefügt, der aber auch seine Wirkung verfehlt, weil man ab dem Zeitpunkt eigentlich schon hofft, dass das Ende nun naht bzw. das Ende im Grunde schon längst stattgefunden hatte.

Keine der Figuren hat mich berühren können, selbst die Hauptfigur Eli wirkte recht leblos. Slim Halliday als Mentorfigur bringt ihm so einiges über die Zeit und Gefängnisausbrüche bei, auch ohne die immer wiederkehrenden Bezüge wird dies deutlich. Als Slim schließlich verschwindet, hat man trotz Elis kurzer Trauerbekundung nicht den Eindruck, dass ihm die prägende Figur nun wirklich fehlen würde.
Insgesamt bleibt bei mir der Eindruck, dass hier sehr viel auf einmal gewollt, aber nicht konsequent überlegt wurde, was genau das sein sollte. So wirkt die Geschichte unnötig überfrachtet und fantastisch und man fragt sich am Ende, warum das alles erzählt werden musste.

Bewertung vom 29.03.2021
Dobos, Gustav

Die gestresste Seele


sehr gut

Die gestresste Seele sensibilisiert leicht verständlich dafür, wie eng Körper und Psyche miteinander verzahnt sind. Dies geschieht, wann immer möglich und soweit verfügbar, mit einem Hinweis auf belegbare Daten, allerdings wird auch oftmals angemerkt, dass dieser Zusammenhang in vielen Bereichen nur vermutet wird. Wissenschaftliche Fakten, komplexere Sachverhalte und medizinisches Basiswissen wird nachvollziehbar aufbereitet und die Darstellung der Erkenntnisse immer auch durch konkrete, illustrierende Fallbeispiele ergänzt. Negativ fallen lediglich die häufigen Wiederholungen von bereits genannten Fakten und Themenbereichen auf, die man als aufmerksamer Leser bereits abgespeichert hatte.
Der abschließende 8-Wochen-Plan, der die Ausführungen zur gestressten Seele abrundet, ist ein sehr motivierender und anregender Bonus, allerdings greifen gerade die Ausführungen zur Ernährung hier etwas kurz. Darüber hinaus würde ich den Plan eher als Anreiz sehen; im Alltag auf sich gestellt solch einen ambitionierten Plan umzusetzen, der so viele Bereiche betrifft, ist ohne Begleitung schon eine ziemliche Herausforderung, sodass ich die Praxisnähe hier etwas skeptisch sehe.
Insgesamt aber ein Buch, das einen sehr wach und aufmerksam dem eigenen Wohlbefinden und den regelmäßigen körperlichen Unpässlichkeiten gegenüber zurücklässt.

Bewertung vom 26.03.2021
Kührt, Christiane

Die Schule der magischen Tiere - Das Kochbuch


sehr gut

Eine so erfolgreiche und gelungene Reihe wie Die Schule der magischen Tiere verlangt geradezu nach Zusatzmaterial - und was könnte da besser geeignet sein als ein Kochbuch, in dem die magischen Tiere ihre Lieblingsrezepte vorstellen und Kindern gut verständliche und einfache Anleitungen zum Kochen bieten?

Das Buch ist sehr schön gestaltet. Nicht nur die zahlreichen Illustrationen aus der Welt der magischen Tiere fügen sich perfekt in die vielen Rezepte ein, auch die Fotos von den Gerichten sind optisch sehr schön und appetitanregend und verführen dazu, auch Mahlzeiten auszuprobieren, die Zutaten beinhalten, die normalerweise oftmals verschmäht werden. Wenn selbst das Foto noch nicht genügend Überzeugungsarbeit leisten konnte, dann schafft es meist der mittels Sprechblase eingefügte Kommentar von einer Figur aus der Welt der magischen Tiere. Diese Einbindung der Romanreihe in das Kochbuch macht sehr viel Spaß und ist ausgezeichnet gelungen. So erhält man selbst beim Kochen noch viel zusätzliche Hintergrundinformationen.

Die Rezepte sind alle sehr kindgerecht und recht simpel, allerdings fehlt mir doch einige Male der Überraschungseffekt, denn es sind viele "Standard"- Gerichte, die zwar den Kindergeschmack genau treffen, denen aber meist der Hauch von Twist fehlt, um ein wenig besonders zu sein. Auch hätte ich mir noch ein bisschen mehr Fokus auf "gesunde Ernährung" gewünscht.

Insgesamt aber ein zu empfehlendes Kinderkochbuch, das im Bereich der Länderküche sehr überzeugt.

Bewertung vom 22.03.2021
Sautner, Thomas

Die Erfindung der Welt


gut

Ich bin einfach überwältigt, allerdings meine ich das – genau so wenig wie Thomas Sautner die allermeisten Aussagen in seinem Roman – nicht im augenscheinlichen Sinne. Stattdessen lässt mich der Roman mit einem Gefühl von „das war alles viel zu viel, aber eigentlich doch irgendwie gar nichts“ zurück. So ist der Auftakt des Romans nahezu genial und einfach überragend. Die Schriftstellerin Aliza Berg erhält einen ominösen Brief mit der Bitte, einen Roman über das Leben zu schreiben. Alizas Auseinandersetzung mit dem Schreiben, ihre Art nach literaturwissenschaftlicher Manier jedem Wort und jedem Satzzeichen der Aufforderung einen tieferen Sinn abzutrotzen, ist meisterhaft und wahnsinnig unterhaltend. Ebenso grandios werden ihre Ankunft in Litstein, dem Ort in dessen Nähe der Auftragsroman angesiedelt sein soll, sowie ihre ersten Begegnungen mit den eigenwilligen und interessanten Figuren dieser Gemeinde geschildert. Wäre es so weitergegangen, hätte ich diesen Roman für immer bei mir getragen.

Stattdessen schwingt sich der Roman jedoch hinauf in die weiten Sphären des Universums, in existenzielle Problemstellungen und verliert sich in das Leben, den Sinn des Lebens, des Liebens und das Dasein hinterfragenden Episoden und Anekdoten. Er wird bevölkert von Figuren, die da oder doch nicht anwesend sind, und zerrinnt in metaphysisch anmutenden Betrachtungen. Die Handlung bleibt dabei naturgemäß nahezu auf der Strecke, während die Figurenentwicklung auf dem Altar des Universums geopfert wird. Ab einem gewissen Punkt verschwimmen die Grenzen zwischen Realität und Imagination, nichts ist mehr so greifbar und bodenständig wie die entschlossen klackernden Absätze von Alizas Schuhen auf dem Trottoir noch zu Beginn (S. 31). Dies ist allerdings gar nicht schlimm, denn ich unterstelle, dass der Roman den Leser verwirren, infrage stellen und zum tieferen Nachdenken anregen möchte, und dies gelingt ihm auf ganzer Linie. Da der Text darüber hinaus sprachlich ein Genuss ist, ist die Lektüre reizvoll und auch die Haptik des Buches mit sinnvoll auf den Inhalt bezogenem Titelfoto, ungewöhnlichem Format und rosa Lesebändchen macht viel Freude.

Dennoch: der Gesamteindruck, der mich am Ende des Romans begleitet ist, dass der Autor sich mit seiner Parabel der Unmöglichkeit die Gesamtheit des Lebens zwischen zwei Buchdeckel zu bannen, ebenso scheitert, wie Aliza selbst – der Kniff, der aus dem Roman wieder ein kleines Kunstwerk macht, ist jedoch gerade diese Erkenntnis: Sautner hat versucht, einen Roman über die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens zu schreiben und tappt dabei in die Falle, die er seiner Romanfigur stellt – aber vielleicht ist genau das so gewollt.

Bewertung vom 19.03.2021
Suchanek, Andreas

Das Abenteuer beginnt / Flüsterwald Bd.1


ausgezeichnet

Im Flüsterwald ist so einiges los – das stellt auch der 12-jährige Lukas fest, nachdem er mitten in der Nacht einem ungebetenen Besucher gefolgt ist und sich zwischen Elfen, Bolden, Menoks, Warks und anderen fantastischen Geschöpfen wiederfindet.

Flüsterwald ist ein Abenteuerroman, wie man ihn sich für Kinder wünscht. Er vereint alle Zutaten, die das Werk zu einem Erfolg und ausgesprochenen Lesespaß für Eltern und Kinder macht. Die sehr spannende Geschichte, die mit der perfekten Dosierung von Grusel aufwartet, also nicht zu harmlos ist, sondern schon über ein gutes Maß an Gefahr und Schauermomenten verfügt, wird so anschaulich und lebendig erzählt, dass man sie glatt in einem Rutsch durchlesen könnte. Bevölkert wird der Flüsterwald von liebevoll-verschrobenen Figuren, die sehr authentisch und vor allem auch lustig sind, und darüber hinaus mit feiner Beobachtungsgabe charakterisiert werden. Lukas Familie ist herrlich lebensecht und besonders die Mutter verfügt über einen hohen Wiedererkennungswert. Im Reich der Fabelwesen ist der Menok Rani sicherlich das absolute Highlight, da er mit seinen Eigenarten einfach ein Garant für viele Lacher ist. Hinzu kommt, dass der Autor ein hervorragendes Gespür für Situationskomik hat und so einige Slapstick-Passagen gekonnt einzubauen versteht, die bei Kindern wie Erwachsenen einfach gut ankommen.
Neben dem überbordenen Ideenreichtum, dem absolut glaubhaft transportierten Coolness-Faktor, den der Text in der Figur von Lukas besitzt, und dem einfach gelungenen Sprachstil, überzeugt der Roman auch mit seinem sehr dezent verpackten didaktischen Ansinnen, und verdeutlicht, wie wichtig Freundschaft und Zusammenhalt und wie wertvoll Bücher sind.

Ein wunderbarer und sehr vielversprechender erster Band!

Bewertung vom 22.02.2021
Schröder, Alena

Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid


ausgezeichnet

Ganz ehrlich: Was für ein Buch! Was für ein Roman! Was für eine Geschichte! Ein echter Glücksgriff – ich fühle mich, als hätte ich in kürzester Zeit eine beste Freundin gefunden. Ich habe jede Seite genossen: glänzende, interessante Unterhaltung mit einiger Tiefe und Interpretationspotential, eine eher seltene Kombi. Vom ersten Satz an taucht man in Hannahs Welt ein, in ihr besonderes Verhältnis zu ihrer sehr speziellen, etwas verschrobenen, eigenwilligen, aber unheimlich wachen Großmutter Evelyn, in ihre obsessive Liebe zu ihrem Professor, in ihre Selbstzweifel und Verlorenheit, die sich auf der Suche nach einem verschollenen Erbe nach und nach verflüchtigen.

Der Roman ist unglaublich fließend, gut und mit leichter Hand geschrieben. Es braucht immer nur ein, zwei Sätze und man ist wieder mittendrin in der Geschichte angekommen, die mit ihren unterschiedlichen Zeitebenen ein ziemliches „page turner“-Potenzial aufweist. Darüber hinaus ist der Text hervorragend und überzeugend kontextualisiert, bindet die verschiedenen Schauplätze und Zeiten sprachlich sehr gut in die Handlung ein und bietet geschickt eingewobene wichtige politische Einblicke, ohne die Story zu überfrachten. Besonders eindrücklich ist die Darstellung der immer furchtbarer, auswegloser und enger werdenden Welt der Goldmanns und der jüdischen Bevölkerung. Die Unmittelbarkeit, die Angst und vor allem auch der Drang, nicht glauben zu können oder zu wollen, was passiert, werden fühlbar transportiert.

Die Jagd nach der Vergangenheit, nach Erinnerungen und den Kunstwerken bieten einiges an Spannung, aber die besondere Stärke des Romans liegt unzweifelhaft in seiner nuancierten, umfassenden und fast schon als wertfrei und neutral zu bezeichnenden Figurenkonzeption. Die feine und durchdringende Beobachtungsgabe des Romans ist begeisternd - die Uniwelt, das Platzhirschgehabe, die Professorenallüren, die Aussichtslosigkeit und Frustration: das alles ist auf den Punkt beschrieben, ohne bitter oder zu übertrieben zu sein, und daher unglaublich gut. Darüber hinaus wird sich wunderbar bis in die Nebenfiguren eingefühlt. Die Autorin nimmt sie so, wie sie sind, und hält sich von zu offensichtlicher Sympathielenkung fern. Auf diese Weise gelingen ihr pointierte und nachvollziehbare, vor allem aber auch unterhaltende und sinnvolle, Charakterisierungen, die ihre Romanwelt bereichern und für ein hohes Maß an Authentizität sorgen. Dies schafft sie durch den konsequenten Wechsel zwischen Fremdperspektive und Innensicht und so liebt man als Leser Figuren wie den übermotivierten Jörg Sudmann, dessen Steckenpferd das Dritte Reich ist, oder die regimetreue Trude zwar nicht, aber man versteht, warum sie so sind, wie sie sind. Ein weiterer großer Pluspunkt im Rahmen der Figurenkonzeption ist der Verzicht auf gegenseitige, selbstbemitleidende Schuldzuweisungen unter den die Handlung tragenden Frauenfiguren. Das gerade so in Mode gekommene Thema der Verantwortlichkeit der Mutter am eigenen misslungenen Leben wird hier erfrischender Weise ausgespart, die Figuren sind bei aller Befasstheit mit ihren problematischen Themen sich ihrer eigenen Zuständigkeit deutlich bewusst.

Dabei will der Roman glücklicherweise nicht zu viel und vor allem nicht alle Stränge und Fäden am Ende lösen. Manche Wege sind eben – wie im echten Leben – auch Sackgassen und einige Themen muss man auch nicht zu einem Schluss bringen. Und wenn man dann für einen Roman wie diesen noch solch einen Schluss im Abendlicht hinbekommt, dann ist die Lesewelt doch einfach schön. Diesen Roman muss man lesen und genießen. Für mich hat er das Zeug zu einem meiner Lieblingsbücher.

Bewertung vom 12.02.2021
Helfer, Monika

Vati


sehr gut

Vati – wer ist das eigentlich? In ihrem neuen Buch macht sich Monika Helfer auf die Suche nach dem Wesen des Mannes, der ihr Vater war, und entdeckt dabei auch zahlreiche Erinnerungen an sich selbst.

Der Roman ist eine sehr intensive und berührende Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit und Vergangenheit, mit schmerzlichen Begebenheiten, Episoden liebevoller Zugeneigtheit und Phasen der Vernachlässigung, die es gibt, weil Erwachsene und Väter eben auch nur Menschen sind. So begibt sich die Autorin mittels Erinnerungsfragmenten, mal chronologisch, mal in eingeschobenen Exkursen, auf die Reise in ihre sehr jungen Jahre, zu Beginn gar in die Zeit bevor sie geboren wurde. Stets ist sie dem Mensch Vati auf der Spur, aber so ganz gelingt die Annäherung und Auseinandersetzung mit ihm nicht. Dies soll sie auch gar nicht, im Gegenteil, denn Vati (und vielleicht alle Eltern) bleiben durch ihre Rolle im Leben immer auch leicht unnahbar, vage und verschwommen – so wie das sehr passende Cover des Buchs. Ganz folgerichtig setzt sich Monika Helfer vielleicht auch deshalb mit dem Umstand auseinander, dass man als Kind gar nicht unbedingt alles über seine Eltern wissen oder diese verstehen möchte.

Der Roman hat – wie bereits angedeutet – keinen durchweg klaren, linearen Handlungsverlauf, sondern reiht prägende Erlebnisse aneinander, sodass zumindest auch in einem Teil des Buchs Vati völlig aus dem Fokus und der Erzählung verschwindet. Trotz dieser gewissen Handlungsarmut ist das Buch eine faszinierende und gelungene Lektüre, da Monika Helfer einen sehr eigenen, besonderen Schreibstil pflegt, der den Leser oft ins Herz trifft.
Aus einer Reflexion über alltägliche Geschehnisse wird kann so sprachlich ein Ereignis werden. Auch gelingt es der Autorin immer wieder, sich detailliert und authentisch in das erlebende Ich einzufühlen. Sollte ich den Roman ausschließlich an seinem letzten Satz messen, dann würde er ohne Zweifel ganz weit vorn unter meinen unvergesslichen Büchern rangieren. Ganz ehrlich: so schreibt man letzte Sätze – denn nur selten habe ich an dieser Stelle etwas Passenderes gelesen. (Bitte jetzt auf keinen Fall den Satz ohne Kontext lesen!)

Für mich ein gelungenes, nachdenkliches Lesevergnügen. Anspruchsvoll, ehrlich, wertig.