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Benutzername: 
skiaddict7
Wohnort: 
Zürich

Bewertungen

Insgesamt 105 Bewertungen
Bewertung vom 13.05.2018
Der Zopf
Colombani, Laëtitia

Der Zopf


gut

Idee mit Potential, Umsetzung leider mangelhaft

Drei Frauen, drei unterschiedliche Kontinente, Leben die unterschiedlicher nicht sein könnten:
Giulia ist 19, lebt in Palermo und arbeitet in der Perückenfabrik der Familie, die letzte ihrer Art in Sizilien. Doch nachdem ihr Vater nach einem Unfall im Koma lebt, entdeckt sie ein dunkles Geheimnis… Währenddessen lebt Sarah als erfolgreiche Anwältin in Montreal. Trotz der Frauenfeindlichkeit des Berufes ist es ihr immer gelungen, ihre drei Kinder und den Beruf unter einen Hut zu bringen. Sie ist schließlich hart im nehmen und bereit, für ihren Traumberuf so viel zu Arbeiten wie physisch nur irgendwie möglich. Nur zwei Scheidungen hat sie aufgrund des Berufs hinnehmen müssen. Doch unerwartet steht sie vor der Diagnose Krebs und muss herausfinden, was ihr im Leben wirklich wichtig ist. Die dritte und stärkste der Protagonistinnen ist Smita, eine junge Inderin. Sie ist eine Dalit, eine „Unberührbare“, die keiner Kaste angehört. Sie muss täglich die Latrinen reinigen, mit bloßen Händen muss sie die Exkremente ihrer Nachbarn beseitigen. Ihr Mann ist Rattenfänger auf den Feldern. Die Ratten die er fängt, darf er behalten; diese brät Smita zum Abendbrot. Doch Smita beschließt, dass sie sich mit diesem Leben nicht abfinden will. Sie will nicht wie ihr Ehemann auf die Wiedergeburt warten. Ihre Tochter soll zur Schule gehen. Und so verlässt sie das Dorf und den Ehemann, um ein neues Leben zu beginnen…

Vorab: die Idee hinter den Geschichten ist wirklich schön. Leider lässt die Umsetzung zu wünschen übrig. In einem eher distanzierten Ton wird jeweils kapitelweise jede der drei Protagonistinnen vorgestellt. Giulias Geschichte ist recht oberflächlich gehalten. Die neunzehnjährige arbeitet in der Firma des Vaters, ist sehr behütet aufgewachsen und musste bisher noch nie auf eigenen Beinen stehen, obwohl sie volljährig ist. Dies ändert sich mit einem Schlag, als der Vater einen Unfall hat. Weiterhin scheint sie jedoch nicht zu lernen, wie man auf eigenen Beinen steht, dafür findet sie einen Mann, der ihr hilft. Das Ende ist sehr kitschig gehalten.

Sarah ist um die vierzig, lebt in Kanada und scheint bis jetzt keine Probleme gehabt zu haben, als alleinerziehende Mutter ihre Kinder und ihre gut laufende Karriere unter einen Hut zu bringen, was per se schon sehr unrealistisch ist. Plötzlich sieht sie sich mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert und wird in der Folge in der Kanzlei gemobbt und langsam hinausgeekelt. Für Kranke ist kein Platz in einer vielbeschäftigen und ach so wichtigen Anwaltskanzlei. Das entspricht sicher der Wahrheit, was ich jedoch traurig finde ist, dass Sarah bis zum Schluss nicht begreift, dass Karriere nicht alles ist. Wir sehen sie fortan kämpfen, um ihren Job wiederzuerhalten, wieder ernst genommen zu werden. Anstatt dass sie ganz besonders bei der Konfrontation mit dem möglichen Tod erkennt, dass ihre Familie wichtig ist und auch ein Ursprung von Glück sein kann. Auch diese Geschichte ist sehr oberflächlich gehalten.

Smitas Geschichte ist die einzige, die wirklich tiefgründig war. Man lernt sehr viel über das Kastensystem Indiens, dass viele Inder weiterhin systematisch diskriminiert werden und in bitterster Armut am Rande der Gesellschaft leben. Smita schafft es, sich zu wehren und „darf“ schlussendlich Vishnu ihre Haare opfern, die dann in Sizilien verarbeitet werden und schließlich im Westen teuer verkauft werden. Ja, hier kommen die Geschichten zusammen, aber was will uns Colombani damit sagen? Dass Smita weiterhin ausgebeutet wird, ihre Haare geopfert hat und sogar noch für die Rasur bezahlt hat, jetzt die Haare aber teuer weiterverkauft werden? Das Buch bzw. die einzelnen Geschichten hatten sehr viel Potential, welches aus meiner Sicht leider nicht ausgeschöpft wurde.

Bewertung vom 29.04.2018
Alles was glänzt
Gamillscheg, Marie

Alles was glänzt


gut

Vieles bleibt offen

„Es ist gut, dass es solche Menschen wie Patz gibt, die nie über den Ort hinausdenken. Nur deshalb können so Menschen wie sie weggehen. Schließlich muss das immer im Gleichgewicht sein. Die, die weggehen, und die, die bleiben.“

Dieses Buch ist schwer zu beschreiben. Ein unspezifizierter kleiner Ort in den Bergen in einem nicht genannten Land zu einer nicht genannten Zeit. Hier spielt Gamillschegs Debüt. Der Ort hat früher vom Bergbau gelebt. Dann, als der Berg zu ausgehöhlt war, vom Tourismus. Seit der Journalist im Dorf war und geschrieben hat, der Berg werde bald in sich zusammenstürzen, kommen nun auch keine Touristen mehr. So bleibt der Ort wie früher, jedoch ziehen immer mehr (junge) Menschen in die Stadt. Martin setzt sich eines Tages in sein Auto und kommt auf dem Berg ums Leben. Oder, wie ein Bewohner es ausdrückt, „Die einen ziehen in die Stadt, die anderen setzen sich ins Auto und fahren sich tot“. Nur wenige Menschen bleiben. Merih, der Regionalmanager, kommt ins Dorf um die Leute zum hierbleiben zu bewegen.

Im Buch gibt es verschiedene Protagonisten, deren Alter bis zum Schluss unklar ist. Stets gibt es einen kleinen Auszug aus dem Alltag der Bewohner, der oft mehr Fragen hervorruft als er erklärt. Viele Zusammenhänge werden erst am Schluss des Buches klar, auch die seltsamen Kapitelüberschriften werden kurz vor Schluss zumindest teilweise erklärt. Dennoch bleiben viele Fragen offen und viele Dinge unausgesprochen. Insbesondere am Anfang war das Buch für mich sehr schwer zu lesen, weil alles zusammenhangslos war. Der Schreibstil hat mir eigentlich sehr gut gefallen, er mutet sehr „literarisch“ an. Dennoch habe ich vieles im Buch nicht verstanden. Ob das an mir liegt weiß ich nicht. So fällt es mir sehr schwer, ein Urteil zu fällen. Die Autorin hat meiner Meinung nach sehr viel Potential, jedoch habe die Nachricht, die sie uns mit diesem Roman vermitteln will, nicht ganz verstanden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.04.2018
Die letzte Reise der Meerjungfrau
Gowar, Imogen Hermes

Die letzte Reise der Meerjungfrau


gut

Unterhaltsamer Roman, teils etwas langatmig

Jonah Hancock ist ein mäßig erfolgreicher Kaufmann im 18. Jahrhundert. Er ist Witwer, die Frau und das einzige Kind bei dessen Geburt verstorben. So lebt er vor sich hin, als eines Tages der Kapitän einer seiner Schiffe zurückkehrt. Im Gepäck hat er eine wahrhaftige, echte Meerjungfrau, wie die Welt sie noch nie gesehen hat! Und so schafft es Jonah, durch Ausstellung und Verkauf der Meerjungfrau zu etwas Geld zu gelangen und sich schließlich in der Welt hinaufzuarbeiten. In der Stadt lebt Angelika, Edelkurtisane und anspruchsvolle Dame. Jonah findet Interesse an ihr. Sie verspricht ihm eines: bring mir eine Meerjungfrau und ich bin dein. Jonah arbeitet von nun an nur noch auf dieses eine Ziel zu, ohne zu beachten, welche Folgen dies mit sich bringt. Dann gibt es da noch Mrs. Chappell, die ein Freudenhaus betreibt, und ihre Mädchen. Die Geschichte nimmt seinen Lauf…

Der Schreibstil war insbesondere anfangs etwas langatmig, so dass ich mich zwingen musste weiter zu lesen. Die historischen Informationen sind gut in die Geschichte eingearbeitet und machen das Ganze etwas interessanter. Gegen Mitte nimmt das Buch Fahrt auf. Der Schreibstil ist insgesamt eher ruhig gehalten, teils sehr poetisch. Die Umsetzung der „Meerjungfrau“ fand ich sehr kreativ und definitiv anders als erwartet, jedoch im positiven Sinne. Insgesamt ein ruhiges Buch mit interessanten historischen Passagen, es fehlt jedoch etwas an Aufregung.

Bewertung vom 08.04.2018
Bis zum Himmel und zurück
Junk, Catharina

Bis zum Himmel und zurück


sehr gut

Berührende Mischung aus Trauer, Verlust und Humor

„Meine Eltern waren in der Trauer abgetaucht, nicht zusammen sondern jeder für sich. (…) Der Schmerz hatte sie überrollt, und jetzt waren sie zerbrochen.“ S.130

Katja ist Drehbuchautorin. Katja musste einiges durchmachen und geht das Leben nun entsprechend reserviert an. Sie lebt so vor sich hin, ohne sich groß etwas zu wagen, für mutige Aktionen hat sie schließlich ihre Drehbücher. Und es gibt da Ratko, einen Mann in ihrem Leben, den sie jedoch nicht ihren Freund nennt, der ihre Gutmütigkeit ausnützt. Nun soll Katja ausgerechnet ein Drehbuch zu einer Familienserie schreiben, obwohl sie doch zu ihrer eigenen Familie seit Jahren keinen Kontakt hatte. Doch plötzlich tauch Jella auf, eine Halbschwester, von der sie nie wusste. Und Jellas Halbbruder Joost, mit dem Katja nicht verwandt ist, der doch so schöne grüne Augen hat… Und Katja beginnt, ihren bisherigen reservierten Lebensstil zu überdenken.

Junks Schreibstil gefällt mir sehr gut. Der Roman wird aus Katjas Sicht erzählt, die auch über sich selbst lachen kann und eine ziemlich sarkastische Art hat. Immer wieder gibt es Rückblicke in Katjas Kindheit, die teils sehr emotional sind. Es wird sehr gut beschrieben, wie ein Tod eine Familie komplett auseinanderreißen kann. Alle Beteiligten bleiben für sich allein und müssen einen Weg finden, damit umzugehen. Junk beschreibt sehr gut, wie man sich nach dem Verlust eines Nahestehenden fühlt. Jedoch kamen mir manchmal all die Schicksalsschläge etwas überspitzt vor. Die Geschichte wird sehr gefühlvoll und mit einem guten Mix an Gefühlen und Humor erzählt. Alles in allem eine berührende Geschichte.

Bewertung vom 31.03.2018
Für immer ist die längste Zeit
Fabiaschi, Abby

Für immer ist die längste Zeit


ausgezeichnet

Tiefgründiger Roman zum Umgang mit Suizid

„Leben heißt nicht, dass du darüber hinweg bist oder egoistisch oder kalt; es heißt nur, dass du noch da bist und sie nicht.“

Maddy ist tot. Vom Dach der Bibliothek gestürzt. Sie hinterlässt ihre sechzehnjährige Tochter Eve und ihren Ehemann Brady. Maddy ist jedoch nicht im Himmel (oder der Hölle) gelandet, sondern ist nach wie vor auf der Erde und muss mit ansehen, wie schwer ihr Verlust für Eve und Brady ist. Die beiden kommen mit Maddys Suizid nicht zurecht und zerbrechen schier daran. So fasst Maddy den Beschluss, dass sie eine neue Frau für Brady und Eve suchen muss, die den beiden hilft, alles wieder ins rechte Licht zu rücken.

Ich muss zugeben, dass ich das Buchcover ganz und gar unpassend finde. Bunte Blumen und Schmetterlinge passen für mich nicht zum Tod. Dennoch wollte ich das Buch wegen der Beschreibung unbedingt lesen. Der Start ist ein wenig langatmig, doch die Erzählung wird mit zunehmender Seitenzahl tiefgründiger, sodass man bis zu den letzten Seiten sehr viel an Trauerarbeit und Umgang mit Suizid behandelt hat. Es wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt (Maddy, Eve und Brady). Fabiaschi gelingt es außerordentlich gut, die Gedanken um den Tod und die Trauer eines nahen Angehörigen, insbesondere durch Suizid, zu beschreiben und in einen Roman zu verpacken. Auch die Frage nach dem Warum ist Kern des Buches und man erkennt, wie zentral diese Frage für Hinterbliebene werden kann. Auch die Schuldfrage ist zentral. Dies ist kein klassisches Buch über den Umgang mit Suizid, da es die ganzen Botschaften bzw. Weisheiten in einen Roman verpackt. Die Umsetzung finde ich jedoch außerordentlich gut. Ich empfehle dieses Buch Suizid Hinterbliebenen, sowie auch Menschen, die einen nahen Angehörigen auf andere Weise unerwartet verloren haben. Ein wunderbares Buch!

Bewertung vom 24.03.2018
halb zehn - das Frühstückskochbuch
Prus, Agnes

halb zehn - das Frühstückskochbuch


sehr gut

Der Frühstücksklassiker
Das Buch überzeugt mit seiner tollen Aufmachung: Hard Cover, in einem rosa-lila Farbton gehalten, mit goldener Aufschrift. Die Qualität des Drucks und der Seiten ist sehr gut. Zu jedem Rezept gibt es ein Bild, das jeweils wirklich gelungen ist. Das Buch beginnt mit ein paar allgemeinen Worten zum Frühstück und genießen und leitet dann über in die verschiedenen Kapitel. Hier finden sich Brot bzw. Gebäck, Hefegebäck und süßes Gebäck, Sandwiches etc., Rezepte mit Eiern, Pancakes, Waffeln, Müsli und Porridge, sowie diverse Aufstriche und Marmeladen und zu guter Letzt Getränke. Mein Lieblingsteil und der von dem ich schon am meisten Rezepte ausprobiert habe ist ganz klar der Müsli bzw. Porridge Teil. Der klassische Hafer Porridge und auch der Amarant-Quinoa Porridge sind einfach und überzeugen. Der Kokosmilchreis mit Mango erinnert mich an das Dessert im Asia Restaurant (positiv gemeint), schmeckt selbst gemacht aber noch besser. Die Backrezepte habe ich bisher noch nicht probiert (aktuell habe ich nicht so oft Zeit für ein ausgiebiges Frühstück), das kommt aber im nächsten Urlaub dran. Einige Rezepte im Buch enthalten Fleisch oder Fisch, dies kann man jedoch meistens gut abwandeln (für Vegetarier). Dieses Buch bleibt sicher ein Klassiker in unserer Küche und ich kann es ganz klar empfehlen.

Bewertung vom 11.03.2018
Nackt über Berlin
Ranisch, Axel

Nackt über Berlin


sehr gut

Ein musikalisches Romandebüt

Jannik ist sechzehn, ein großer Liebhaber klassischer Musik, und er ist schwul, was bisher keiner weiß. Wie die meisten sechzehnjährigen zofft er sich regelmäßig mit seinen Eltern, die ihm Vorschriften machen. Außerdem ist er verliebt in seinen guten Freund Tai, einen Vietnamesen den man nur mit einer Kamera in der Hand kennt. Tai filmt alles und jeden, der ihm über den Weg läuft. Scheinbar zufällig entdecken die beiden den Schuldirektor Lamprecht eines Tages sturzbetrunken und beschließen kurzerhand, ihn in seiner eigenen Wohnung gefangen zu halten. Und so nimmt die Geschichte seinen Lauf. Eigentlich wollten sie Lamprecht nur zwei Tage gefangen halten, aber es kommt anders… Und nach und nach zweifelt Jannik, ob es wirklich Zufall war, dass sie den Schuldirektor einfach so „gefunden“ haben. Nebenbei kommt er Tai näher. Und so entfaltet sich eine Geschichte, zahlreiche Zusammenhänge werden klar, es kommt zu einer Beichte des Schuldirektors…

Zwei Handlungsstränge erzählen einmal aus der Sicht von Jannik und einmal aus der Sicht des Schuldirektors. Die Sprache ist teils ordinär, sarkastisch gehalten, der Schreibstil flüssig. Das Besondere an diesem Buch war für mich vor allem die klassische Musik: Ranisch schafft es, die Musik in seinem Buch lebendig werden zu lassen. Er hat eine Gabe, die Musikstücke so wunderbar zu beschreiben, dass man, wenn man diese kennt, sie beim Lesen automatisch hört. Mozarts Requiem spielt eine Hauptrolle, aber auch Tchaikovsky (wie Jannik von Tai auch liebevoll genannt wird) kommt regelmäßig vor. Ich kann mir jedoch nur schwer vorstellen wie das Buch auf Menschen wirkt, die mit klassischer Musik nichts anfangen können.

Axel Ranisch hat ein Buch über das Erwachsen werden, Beziehungen, „coming out“ und über die Musik geschaffen. Fazit: ein brillanter Debütroman der Lust auf mehr macht.

Bewertung vom 10.03.2018
Wenn Martha tanzt
Saller, Tom

Wenn Martha tanzt


ausgezeichnet

Ein gelungener Debütroman

Martha Wetzlaff wird 1900 in einem Dorf in Pommern im „großen Haus“ geboren. Hundert Jahre später findet ihr Urenkel Thomas ein Notizbuch – Marthas Aufzeichnungen. Und nicht nur das. Zahlreiche, nie vorher gesehene Zeichnungen diverser bekannter Künstler die am Bauhaus in Weimar unterrichtet haben – darunter Paul Klee und Wassily Kandinski. Ihr Urenkel beginnt, sich mit Marthas Geschichte zu beschäftigen: wer war sie und wie kam sie in den Besitz dieses Notizbuches?

Marthas Geschichte ist zweifellos eine aufregende. Als Tochter eines Musikdirektors wächst sie mit der Musik auf. Immer an ihrer Seite sind ihr verstorbener Bruder „Heinzchen“ und Wolfgang, ein Freund der Familie und ebenfalls Musiker. Doch Martha scheint das Talent für Musik nicht geerbt zu haben. Wenn sie Geige spielt, klingt es nicht wie bei anderen. Doch sie sieht die Musik vor sich. Und so beschließt sie schließlich, nach Weimar ans „Bauhaus“ zu gehen, um dort zu studieren und ihr Talent zu entdecken. Dort landet sie bei Walter Gropius, der damalige Leiter. Zahlreiche weitere Künstler kommen ans Bauhaus um dort zu unterrichten. Über viele Umwege entdeckt sie schlussendlich den Tanz für sich.

Die Geschehnisse in Weimar und auch danach, sowie der zweite Erzählstrang in der „Gegenwart“ (2001) in New York sind sehr packend und auch schlüssig. Saller schafft es, Geschichte, Politik, Kunst und Musik zu einer Geschichte zu verschmelzen. Der Schreibstil ist sehr speziell mit vielen kurzen und klaren Sätzen. Mir hat er sehr gefallen. Besonders schön fand ich, wie plötzlich klar wird, dass Martha die Tänzerin in vielen bekannten Kunstwerken ist (zB Paul Klees „Tänzerin“). Sallers Debütroman ist zweifelsohne ein Meisterwerk, und ich hoffe dass noch viele weitere Romane folgen.

Bewertung vom 24.02.2018
Der Reisende
Boschwitz, Ulrich Alexander

Der Reisende


ausgezeichnet

Beeindruckender Roman von einem Zeitzeugen der Reichskristallnacht

„Aber wenn man geköpft werden soll und weiß nicht warum, dann verliert man wohl die Ruhe und die Nüchternheit der Betrachtung.“ (S.140)

Wir schreiben November 1938, die Zeit der Novemberpogrome. Der wohlhabende jüdische Kaufmann Otto Silbermann wird in seiner Wohnung überfallen. Mit viel Glück schafft er es, zu entkommen. Er hat jedoch keine Informationen über den Verbleib seiner Ehefrau oder seiner Bekannten. Fortan ist er auf der Flucht, mit lediglich einem Koffer voller Geld. Doch er hat kein Ziel, er kann nirgends hin. Er versucht, nach Belgien zu fliehen, wird aber an der Grenze aufgegriffen und zurück nach Deutschland gebracht. An einem Ort zu bleiben scheint ihm zu gefährlich. Und so fährt er mit dem Zug von einer deutschen Stadt in die nächste. „Ich bin jetzt Reisender, ein immer weiter Reisender. Ich bin überhaupt schon ausgewandert. Ich bin in die Deutsche Reichsbahn emigriert.“, so Silbermann.

Ulrich Alexander Boschwitz hat diesen Roman bereits 1938 verfasst. Er wurde 1939 in England und 1940 in den USA publiziert, jedoch sollte es noch bis 2018 dauern, bis das Buch auf Deutsch verlegt wird. Das Buch ist sehr philosophisch. Der Schreibstil ist sehr interessant und sicher der damaligen Zeit entsprechend. Die Sprache ist sehr ausdrucksvoll. Der Roman umspannt eine Zeit von nur wenigen Tagen und die meisten Szenen handeln von Silbermann allein, was etwas ungewohnt ist. Boschwitz lässt den Intellektuellen Silbermann auf seiner Reise über seine Situation philosophieren, wobei diesem immer mehr klar wird, wie aussichtslos seine Situation ist. Er ist gefangen in Deutschland, und bis auf einen Koffer mit Geld hat er sein gesamtes Hab und Gut verloren. Es ist zu gefährlich, sich anderen Menschen anzuvertrauen. Dennoch lernt er auf seiner Reise eine Reihe verschiedener Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten kennen, mit denen er sich austauscht. Dieses Buch ist wohl das früheste literarische Dokument über die Zeit zwischen dem 7. und 13. November 1938. Fazit: Ein wirklich interessanter und sehr spannender Roman, der von einem Zeitzeugen verfasst wurde.