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Insgesamt 623 Bewertungen
Bewertung vom 23.10.2018
Die Dame in Gold / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.7
Trierweiler, Valérie

Die Dame in Gold / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.7


sehr gut

Adele Blochs Welt bricht zusammen, als sie nach einer Totgeburt auch noch ihr zweites Kind nach nur einer glücklichen Nacht verliert. Sie vergäbt sich und auch ihr liebender Mann Ferdinand kann sie nicht mehr erreichen. Um sie aus ihrer Lethargie herauszureißen, gibt er Portrait von ihr bei Wiens aktuell berühmtesten Maler in Auftrag: Gustav Klimt soll sie künstlerisch verewigen. Zwischen den beiden entsteht eine von Leidenschaft und Begeisterung geprägte Beziehung, die keine Zukunft hat und aus dem Auftrag entsteht eines von Klimts berühmtesten Gemälden, „Frau in Gold“.
Valérie Trierweiler beschreibt die Liebesgeschichte zwischen Adele und Gustav Klimt ausschließlich aus Adeles Perspektive und nur so lässt es sich rechtfertigen, es als Liebesgeschichte zu bezeichnen. Denn Klimt hatte zahlreiche Mätressen in der Wiener Oberschichte, hinterließ möglicherweise einige uneheliche Kinder und hatte dennoch immer eine Lebensgefährtin, Emilie Flöge, die ihm stets zur Seite stand, ihn trieben Neugier und Leidenschaft an, ob es Liebe war, bezweifle ich. Doch für Adele symbolisierte Klimt eben die Leidenschaft, die ihr in ihrer dennoch von Liebe und Zuneigung geprägten Ehe fehlte. Er schaffte Ablenkung und Abenteuer von ihrer verzweifelten Kinderlosigkeit. Diese Geschichte beschreibt die Autorin so sachlich wie auch eindringlich, vom Stil her fast sachbuchartig nimmt sie die Leserinnen und Leser mit auf eine spannende und aufregende Reise in die Wiener Oberschicht nach der Jahrhundertwende. In Wien treffen Armut und Reichtum aufeinander, Juden aus Osteuropa leben ärmlich am Stadtrand, während Adele in Wohlstand schwelgt. Ihr ist dieser Unterschied bewusst und sie hadert Zeit ihres Lebens damit, nicht mehr dagegen tun zu können. Ihr Traum, als Frau einmal in Österreich wählen zu dürfen, wird ihr nach dem Ersten Weltkrieg fast erfüllt- und doch wieder nicht, denn kurz vorher hat sie auf Drängen ihres Mannes die Tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen. Adele steht uneingeschränkt im Mittelpunkt dieser Geschichte und man kommt ihr bei der Lektüre sehr nahe, was den Reiz dieses Buches eindeutig ausmacht. Diese starke und spannende Frau, geschaffen nach ihrem historischen Vorbild und dennoch Fiktion, fasziniert einfach.
„Die Dame in Gold“ ist kein simpler romantischer Liebesroman, als der er in Frauenzeitschriften oft angepriesen wurde, es ist die Geschichte einer starken Frau in einer Zeit voller Umbrüche, die auf der Suche nach sich selbst ein leidenschaftliches Abenteuer findet, das ihr jedoch nicht alles geben, was sie zum Glück zu brauchen scheint.

Wer sich für das Thema interessiert, dem sei auch der Film „Die Frau in Gold“ ans Herz gelegt, der die Geschichte um das Bild weiterspinnt und davon erzählt, wie Adeles geliebte Nichte Maria sich das Bild Jahrzehnte nach der Enteignung durch die Nazis von den Österreichischen Behörden zurück erstreitet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.10.2018
Macbeth
Nesbø, Jo

Macbeth


ausgezeichnet

Macbeth ist stolzer Chef der SWAT – Einheit und nach einer schweren Vergangenheit glücklich mit Lady, der Besitzerin eines Casinos in einer heruntergekommenen Industriestadt. Mit dem neuen Polizeichef Duncan soll der Korruptions- und Drogensumpf der Stadt endlich ausgehoben werden und Macbeth soll unter ihm arbeiten. Doch Lady hat andere Pläne, sie stiftet Macbeth an, Duncan zu ermorden, um die Macht an sich zu reißen. Doch der Mord zieht immer weitere Gewalt nach sich und Macbeth scheint die Kontrolle zu verlieren, die Stadt versinkt wieder in Blut und Korruption.
Jo Nesbø hat mit „Macbeth“ einen wahnsinnig spannenden Thriller geschrieben, in dem die menschlichen Abgründe eine Hauptrolle bekommen haben. Macbeth beginnt noch mit den besten Absichten, stürzt dann jedoch völlig ab in einen Macht- und Gewaltrausch, der nicht mehr zu bändigen ist. Nur wenige stellen sich gegen ihn und die wenigsten davon haben überhaupt eine Überlebenschance. Der Autor hat Shakespeares Stoff nah am Original umgesetzt, durch das neue Setting mit Macbeth als Polizisten aber gleichzeitig einen modernen Roman geschaffen. Die Motive und Abgründen ähneln denen bei Shakespeare sehr, ebenso wie das Personal, doch durch die Verlegung der Handlung wird man als Leser erst richtig mitgenommen. Die Story ist sehr spannend und dabei auch großartig geschrieben, die Figuren werden durch zahlreiche Details nahbar und so bekommt die Handlung immer mehr Schwung, bis alles in die unweigerliche Katastrophe zu steuern scheint.
Mir hat Jo Nesbøs Roman Thriller „Macbeth“ sehr gut gefallen. Von allen Romanen aus dem Hogarth Shakespeare Projekt war das meiner Meinung nach bisher mit Abstand der beste, die Modernisierung ist perfekt gelungen, ohne die Grundstruktur von Shakespeares Idee zu sehr auseinander zu nehmen. Ein großartiger Thriller, der einen von der ersten Seite an fesselt und mitreißt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.10.2018
Furcht: Trump im Weißen Haus
Woodward, Bob

Furcht: Trump im Weißen Haus


ausgezeichnet

Donald Trumps Wahlkampf und seine Präsidentschaft sind seit über zwei Jahren ein in den Medien präsentes Thema. Nicht nur in den USA, auch in Deutschland schaffen seine Tweets und zweifelhaften Aussagen es ebenso auf die Titelseite wie Spekulationen über das Verhältnis zu seiner Ehefrau Melania. Auch zahlreiche Bücher sind bereits erschienen, beispielsweise von Ex-FBI Direktor Comey oder das in den Medien viel beachtete Buch „Fire and Fury“ von Michael Wolff. Jetzt hat mit Bob Woodward einer der bekanntesten amerikanischen Journalisten ein Buch über Trump vorgelegt, wie er es bereits über viele amerikanische Präsidenten geschrieben hat. Vor Jahrzehnte Jahren deckte er gemeinsam mit seinem Kollegen Bernstein den Watergate-Skandal auf, in seinem Buch „Furcht. Trump im Weißen Haus“ beschäftigt er sich mit Trumps Wahlkampf und den ersten eineinhalb Jahren seiner Präsidentschaft, belegt durch viele Gespräche „unter zwei“ und „unter drei“, die er geführt hat.
Bob Woodward kann mit seinem Buch über Trump wirklich überzeugen. Nach zahlreichen reißerischen Veröffentlichungen in Zeitungen und in Buchform von zahlreichen Verfassern gelingt es ihm, einen durchweg sachlichen und dokumentierenden Ton beizubehalten. Äußerst seriös kann er aufschlüsseln, was hinter den Kulissen im Weißen Haus stattfindet und sich dabei auf viele Quellen berufen, auch wenn diese oft ungenannt bleiben. Hierfür wird er teilweise kritisiert, aber wie sollte er sonst über aktuelle Sachverhalte verlässlich berichten, denn Betroffene werden sich nur äußern, wenn ihre Anonymität garantiert wird. Gerade ein unkalkulierbarer Charakter wie Donald Trump wäre wohl nicht mit einem verständnisvollen Umgang zu rechnen, wenn Gespräche mit Journalisten bekannt würden. Zu Trumps Verteidigung muss gesagt werden, dass wohl kein Präsident gerne Mitarbeiter beschäftigt, die über interne Abläufe Informationen an Journalisten wie Bob Woodward weitergeben. Durch die Verwendung dieser ungenannten Quellen ist es Woodward jedoch gelungen, einen großartigen, wenn auch beängstigenden Einblick in den Arbeitsalltag im Weißen Haus zu liefern. Er beschreibt das Chaos, die Unberechenbarkeit des Präsidenten, seine Ignoranz und Unwissenheit in vielen Fachgebieten auf so nüchterne Art und Weise, dass einem nur das kalte Grausen den Rücken hinunterlaufen kann. Sein Anwalt Dowd zieht am Ende die Schlussfolgerung, dass Trump hauptsächlich ein berufsmäßiger Lügner sei. Ich würde nach der Lektüre noch die Schlussfolgerung ziehen, dass bisher einfach Glück und Zufall dazu geführt haben, dass Donald Trump die Weltordnung noch nicht in den Abgrund und den endgültigen Zerfall gelenkt hat.
Meiner Meinung nach ist es Bob Woodward großartig gelungen, sich von der Hysterie um die Präsidentschaft Trumps nicht beeinflussen zu lassen, er hat ein sachliches und hochinformatives Buch geschrieben, das dringend nötig war. Auch er beschreibt katastrophale Zustände im Weißen Haus rund um Präsident Trump, jedoch auf eine glaubwürdige und gründliche Art und Weise, die gerade dieses Buch lesenswert macht.

6 von 7 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.10.2018
Tanztee / Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen Bd.2 (8 Audio-CDs)
Groen, Hendrik

Tanztee / Das geheime Tagebuch des Hendrik Groen Bd.2 (8 Audio-CDs)


ausgezeichnet

Hendrik Groen und sein „Alt-aber-nicht-tot“-Club (kurz Alanito) sind zurück. Auch in diesem Band geht es wieder um die Höhen und Tiefen ihres Lebens im Altenheim, den Kampf gegen eine Heimleitung, die Entscheidungen fern ab von der Lebensrealität der Bewohner trifft und die kleinen Freuden im Leben. Doch auch schwere Verluste sind zu beklagen, die gerade Hendrik schwer treffen und sein Leben entscheidend verändern. Doch trotz dieser traurigen Momente überwiegt der Lebenswille in allen Geschichten und Erlebnissen der Rentner-Bande aus den Niederlanden.
Das Hörbuch wird gelesen von Felix von Manteuffel, der Hendrik seine wunderbar raue Stimme gibt, um die Tagebuchberichte vorzulesen. Die Stimme ist für mich jetzt schon untrennbar mit Hendrik und seinem lustigen Alanito-Club verbunden, der das Heim immer wieder aufmischt. Auch die Bewohner, die sich eher gegen den Alanito-Club verschließen und wütend und bärbeißig durch den Alltag motzen sind wieder wunderbar beschrieben und machen das Buch ebenso unterhaltsam, wie die Club-Ausflüge und Alltagsgeschehnisse, gemeinsame Weihnachtsfeste und Geburtstagsfeiern. Alles ist äußerst kurzweilig beschrieben und man kommt immer gut in das Hörbuch wieder hinein, auch wenn man einmal eine längere Pause einlegen musste.
Mich hat das Hörbuch zu „Tanztee. Das neue geheime Tagebuch des Hendrik Groen, 85 Jahre“ wieder großartig unterhalten, es ist toll gelesen und vereint lustige und nachdenkliche Geschichten des liebenswerten Heimbewohnern Hendrik. Von mir gibt es eine absolute Hörempfehlung und es bleibt die Hoffnung, dass Hendrik vielleicht auch noch aus seinem 86. Lebensjahr berichten wird.

Bewertung vom 12.10.2018
Sechs Koffer
Biller, Maxim

Sechs Koffer


gut

Maxim Billers autobiographisch geprägter Roman „Sechs Koffer“ beschreibt die versuchte Auflösung eines großen Familiengeheimnisses. Die Ermordung des „Taten“ (das jiddische Wort für Vater) durch die Sowjets und die Frage, wer ihn und seine Schwarzmarktgeschäfte verraten hat, sind das Herzstück des Romans um das die Geschichten der vier Söhne und ihren Familien kreisen. Aus sechs Perspektiven erzählt Biller die Familiengeschichte, den Weg von Prag nach Westdeutschland, die Suche nach dem Vertrauten, wo alles so fremd ist und eben auch die Suche des Erzählers nach der Auflösung der großen Frage, wer den Verrat begangen hat.
„Sechs Koffer“ hat es bis auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft und alles, was ich zuvor über den Roman gehört und gelesen hatte, hatte große Erwartungen geweckt. Diese wurde jedoch für mich leider nicht ganz erfüllt. Zwar ist die Geschichte durchaus interessant und die Perspektivwechsel sind spannend, der Erzähler bleibt als zentrale Figur bei allen Geschichten dabei und sortiert quasi für den Leser die Erinnerungen. Doch die Figuren selbst sind für mich einfach zu platt und klischeehaft geblieben, sie kamen mir vor wie Hüllen, denen nicht genug Inhalt gegeben wurde um die Geschichte voranzutreiben. Alles bleibt etwas schemenartig, ohne die nötige Tiefe zu entwickeln, die es meiner Meinung nach gebraucht hätte, um daraus ein Buch zu machen, dass mich begeistern kann. Auch sprachlich konnte mich der Roman nicht richtig überzeugen, es war mir alles etwas zu hölzern, um auszugleichen, was mir beim Personal fehlte.
Maxim Billers Roman „Sechs Koffer“ behandelt eine an sich spannende Geschichte, die durch Perspektivwechsel unterhaltsam und interessant bleibt. Mich konnte die Umsetzung aber nicht richtig überzeugen, da die Figuren mich als Leser einfach nicht erreicht haben und mir auch die Sprache zu steif hölzern war.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.10.2018
Klugscheißer Royale / Lehrer Seidel-Romane Bd.1
Steffens, Thorsten

Klugscheißer Royale / Lehrer Seidel-Romane Bd.1


sehr gut

Wenn Timo Seidel, 28 Jahre alt, etwas kann, dann ist es klugscheißen. Ständig weiß er alles besser und treibt nicht nur seine Freundin Cleo damit in den Wahnsinn, sondern auch die Kunden an der Hotline des Call Centers, in dem er arbeitet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sein Arbeitgeber ihn eines Tages vor die Tür setzt und seine Freundin ihn verlässt. Sein abgebrochenes Studium ist Timo auch keine Hilfe, wie ihm bei der Arbeitsagentur mitgeteilt wird. Eine Freundin hat schließlich Erbarmen und vermittelt ihm eigentlich den perfekten Job: Aushilfslehrer an einer Abendschule, Klugscheißen für Geld sozusagen. Doch ob Timo sich damit bei seinen Schülern wirklich Freunde machen kann?
„Klugscheißer Royale“ kommt erst einmal sehr bunt und oberflächlich daher mit einem Cover, das an einen Comic erinnert und einem etwas flapsigen Klappentext. Das Buch ist dann auch sehr unterhaltsam und lustig geschrieben, doch nagt an Timo auch öfter mal ein wenig Selbstzweifel und er muss sein Leben neu sortieren, was er nur schwer akzeptieren kann. Unter der oberflächlichen Schale steckt also auch in diesem Buch ein etwas ernsterer Kern, der der Story die nötige Grundlage gibt, um nicht langweilig und platt zu werden. Timo ist sicher ein streitbarer Charakter und nicht uneingeschränkt sympathisch, aber das ist seine Rolle und die füllt er auch gut aus. Sein Einstieg in den Lehrerberuf ist ihm dann meiner Meinung nach vielleicht etwas zu leicht gefallen, da hätte - auch jenseits des Lehrerzimmers – die ein oder andere Hürde ihm noch gut getan, um seine Veränderung glaubwürdig werden zu lassen. Doch auch so ist das Buch in sich sehr schlüssig geschrieben und macht Freude bei der Lektüre.
Mit hat „Klugscheißer Royale“ gut gefallen, auch wenn mich das Cover schon ein wenig abgeschreckt hat. Doch so oberflächlich wie das Buch auf den ersten Blick wirkt, ist es längst nicht, es ist ein äußerst unterhaltsamer und lustiger Roman, der sich flüssig wegschmökern lässt und von einer etwas streitbaren Hauptfigur getragen wird. Wer auf der Suche nach leichter aber nicht gleich platter Unterhaltungsliteratur ist, ist bei diesem Roman auf jeden Fall richtig.

Bewertung vom 09.10.2018
Hier ist noch alles möglich
Molinari, Gianna

Hier ist noch alles möglich


sehr gut

Die Protagonistin des Romans arbeitet als Nachwächterin in einer Fabrik, die kurz vor der Schließung steht. Ein Wolf wurde vom Koch gesichtet, sie und ihr Kollege Clemens heben eine Grube aus um ihn zu fangen und bewachen nachts das Fabrikgelände, auf dem die Erzählerin auch lebt. Sie schließt eine leichte Freundschaft zu Clemens und dem Mitarbeiter Lose, der aber die Fabrik verlässt um am Flughafen zu arbeiten, schließlich geht es mit der Fabrik offensichtlich zu Ende. Doch auch der Wolf scheint sich nicht mehr blicken zu lassen und so warten sie weiter.
Es ist schwer, die Handlung des Romans „Hier ist noch alles möglich“ zusammenzufassen, denn es passiert wirklich nicht viel. Dennoch schafft es die Autorin Gianna Molinari durch ihre nüchterne und klare Sprache, einen mit dieser Geschichte zu faszinieren. Die Protagonistin bleibt seltsam farblos, obwohl wir die ganze Geschichte aus ihrer Perspektive wahrnehmen, erfahren wir wenig über ihre Intention und Gefühle. Auch über ihre Vergangenheit und Pläne wissen wir nichts, die Geschichte findet völlig im Moment statt. Dass man als Leser so wenig über sie erfährt, führt auch zu Zweifeln an der Wahrheit der wenigen Dinge, die wir über sie erfahren. Als ein Phantombild von einem Bankraub auftaucht, das ihr ähnlich sieht, ist es nicht nur ihr Kollege Clemens, der skeptisch wird. Auch mir als Leserin ging es so. Könnte sie es denn nicht gewesen sein? Was weiß ich schon über sie, ihren Charakter, ihre Absichten? Aus dieser Spannung speist sich der gesamte Roman, der einen in eine seltsame Zwischenwelt entführt, nichts scheint wirklich real, aber auch nicht phantastisch. Es bleibt wenig, woran man sich als Leserin oder Leser festhalten kann, kaum Handlung, ein unklarer Charakter, ein düsterer Ort. Dennoch beschreibt Mollinari alles so fesselnd und sprachlich virtuos, das man kaum aufhören kann zu lesen und sich gerne in ihre seltsames Szenario begibt.
Mir hat „Hier ist noch alles möglich“ trotz des etwas gewöhnungsbedürftigen Plots und des fast fadenscheinigen Personals sehr gut gefallen, alle ist wohl durchdacht und gut zusammengefügt, um einen als Leser faszinieren zu können. Es sehr gelungener Roman, der seinen Lesern durchaus etwas abverlangt, was ich sehr gut finde.

Bewertung vom 08.10.2018
Unter Verdacht / Die Schwestern von Mitford Manor Bd.1
Fellowes, Jessica

Unter Verdacht / Die Schwestern von Mitford Manor Bd.1


ausgezeichnet

Als die Krankenschwester Florence Nightingale Shore im Zug ermordet wird, sorgt das für Aufregung im Hause Mitford, denn die Tote ist eine gute Freundin der Zwillingsschwester von Nanny Blore und hat zudem während des ersten Weltkriegs die Mitfords darüber auf dem Laufenden gehalten, wie es dem Hausherren im Krieg ergeht, da sie beide in Ypern stationiert waren. Dadurch fühlt sich die Familie der Toten eng verbunden. Louisa, die gerade erst als Kindermädchen angefangen hat, lässt sich von Nancy, der Ältesten der Mitford-Schwestern, schnell mitreißen, ein wenig eigene Nachforschungen anzustellen. Dabei kommt ihr die Bekanntschaft zu einem der ermittelnden Polizisten natürlich sehr zu Gute. Und ehe sie sich versehen, sind die jungen Damen Mitten in einen Kriminalfall hereingeraten, der ihre Möglichkeiten weit übersteigt.
„Die Schwestern von Mitford Manor. Unter Verdacht“ soll der erste Band einer ganzen Reihe um diesen turbulenten Haushalt sein und wenn es weitergeht wie bisher, kann man nur hoffen, dass noch viele Romane folgen. Nicht umsonst erinnert das ganze Setting etwas an Downton Abbey, wurde der Roman doch von Jessica Fellowes, der Nichte von Downton Abbey Erfinder Julian Fellowes, geschrieben. Doch dieser Roman steht ganz eigenständig da und ist gleichzeitig wahres Popcorn-Kino in Buchform. Zwar ist es kein unglaublich spannender Krimi, wie man vielleicht vermuten würde, sondern stellt mehr die gesellschaftlichen Unterschiede und Probleme in den Mittelpunkt, doch darunter leidet das Buch keineswegs. Die Figuren sind großartig beschrieben und können mit ihrer Komplexität die Geschichte problemlos am Laufen halten. Besonders Louisa, die im Mittelpunkt des Ganzen steht und hofft, sich mit dieser Stelle endlicher aus ihrer ärmlichen Herkunft herausarbeiten zu können, ist sehr sympathisch und spricht einen als Leser sofort an.
Alles in allem ist „Die Schwestern von Mitford Manor. Unter Verdacht“ eine sehr runde Sache, ein toll recherchierter historischer Roman mit spannenden Figuren, den man gar nicht mehr aus Hand legen kann, wenn es einen erst einmal nach Mitford Manor verschlagen hat. Großartige Unterhaltung, die hoffentlich noch über viele Bände weitergeht.

Bewertung vom 08.10.2018
Das Glück der kleinen Augenblicke
Montasser, Thomas

Das Glück der kleinen Augenblicke


ausgezeichnet

Als die Lektorin Marietta Piccini vor einer Bibliothek in London ein herrenloses Manuskript findet, ist sie sofort fasziniert. Und als sie zu lesen beginnt, wird sie regelrecht begeistert, so gut gefällt ihr, was sie da in den Händen hält. Gemeinsam mit ihrem Verleger beschließt sie, das Buch zu verlegen, doch zunächst muss der Autor gefunden werden, denn auf dem Manuskript lassen sich keine Hinweise finden. Sie beginnt also ihre Suche nach dem großen Unbekannten, während sie immer wieder in dem Manuskript schmökert und sich vorstellt, wie „ihr“ Autor wohl sein könnte.
Ich war schon von Thomas Montassers kleinen Band „Der Sommer der Pinguine“ unglaublich begeistert und habe mich darauf gefreut, einen Roman von ihm zu lesen. „Das Glück der kleinen Augenblicke“ hat mich dann auch wirklich nicht enttäuscht, der Autor hat einen wunderbaren Blick für Figuren und kleine Momente und Emotionen, die die Geschichte tragen und liebenswert machen. In diesem Fall kommt noch hinzu, dass er eigentlich einen Roman im Roman schreibt, denn die Leserinnen und Leser dürfen gemeinsam mit der Lektorin immer wieder in Manuskript schmökern und verlieben sich so gemeinsam mit ihr in den Text. Die Hauptfigur ist eine sehr zurückhaltende und korrekte Person und der Fund bringt ihr sonst so geregeltes Leben gewaltig durcheinander. Ihre Verunsicherung wandelt sich aber langsam zu Stärke und Durchsetzungskraft, sie lässt ihr Ziel nie aus den Augen, obwohl sie immer eine liebenswerte Träumerin bleibt. Sprachlich verzaubert Montasser mit einer fließenden poetischen Sprache, die einem direkt ins Herz geht und einen mitnimmt in diese Geschichte über Phantasie, die Liebe zur Literatur und einer grenzenlosen Hoffnung auf das Gute in der Welt.
„Das Glück der kleinen Augenblicke“ ist genau das, was der Titel schon sagt, ein glücklicher Augenblick, in dem man sich mit dem Buch zurücklehnt und sich einfach mitnehmen lässt in die Welt der zauberhaften Marietta Piccini mit ihrer unerschöpflichen Liebe zur Büchern und ihrem festen Glauben, dass sie den Autor finden wird, um das wunderbare Manuskript zu veröffentlichen. Eine traumhafte Reise, die so beim Lesen unglaublich viel Freude bereitet.

Bewertung vom 05.10.2018
Ein Winter in Paris
Blondel, Jean-Philippe

Ein Winter in Paris


ausgezeichnet

Victor verlässt seinen kleinen Heimatort in den 80er Jahren um nach Paris zu gehen und sich dort auf die Prüfungen für den Staatsdienst vorzubereiten. Als erster in seiner Familie bricht er aus dem provinziellen Leben aus. Seine Familie versteht nicht, was er in Paris macht und in Paris findet er keinen Kontakt zu seinen Mitschülern, die für ihn alle aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Lediglich mit Matthieu redet er gelegentlich bei einer Zigarette in der Pause, auch er kommt vom Land und findet schwer Kontakt. Doch Mattieu nimmt sich plötzlich in der Schule das Leben, Victor bleibt zurück. Und als einziger „Freund“ des Opfers wird er plötzlich interessant, findet Kontakte und baut auch ein enges Verhältnis zu Matthieus verzweifeltem Vater auf. Dieser Winter in Paris soll Victors Leben für lange Zeit prägen.
Jean-Philippe Blondels Romane zeichnen sich aus durch einen feinen Blick auf die Menschen, ihre Probleme und Verhaltensweisen. So auch in diesem Roman, in dem der Autor Victor in den Mittelpunkt stellt und alle Figuren und Geschehnisse wie ein Karussell um ihn herumdrapiert, dass sich um ihn dreht und schwindelig werden lässt. Fast scheint es, als wäre Victor glücklicher gewesen, bevor er all die Menschen traf, die Zeit mit ihm verbringen wollten, er ist verstört und verwirrt von dem Vorteil, der ihm durch Matthieus Tod entstanden ist, kann aber auch nicht loslassen und in seine Einsamkeit zurückkehren. Blondel beschreibt dies in einer fließenden und poetischen Sprache, die einen mitnimmt auf die Reise von Victor und von der wir Leser im Rückblick erfahren. Die Figur des Victor ist sehr bewegend beschrieben und seine Unsicherheit und jugendliche Verwirrung lassen einen nicht unberührt zurück.
„Ein Winter in Paris“ von Jean-Philippe Blondel ist ein wunderbarer Roman, der sehr sensibel und feinsinnig von Victors Gedanken und Gefühlen berichtet und so beim Lesen einen Sog entwickelt, der einen gefangen nimmt und auch mit der letzten Seite nicht loslässt. Es ist ein Buch das nachdenklich macht und nachwirkt, weil es einen wirklich berührt hat.