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Hennie
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Chemnitz

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Insgesamt 274 Bewertungen
Bewertung vom 01.10.2021
Bott, Ingo

Gegen alle Regeln / Strafverteidiger Pirlo Bd.1


sehr gut

Ohne Regeln! Alles erlaubt?
Den ersten Band der neuen Anwaltsreihe "Pirlo: Gegen alle Regeln“ las ich in einer Leserunde.
Vom ersten Leseabschnitt war ich von den Protagonisten Anton Pirlo und Sophie Mahler angetan. Der Zwiespalt, in dem sich Pirlo mit seinen kriminellen Brüdern befindet, kommt recht gut zur Geltung. Sophie erscheint mir als recht unkompliziert, fast pragmatisch. Mit der Wohnzimmerkanzlei Pirlos findet sie sich schnell ab und mit seiner leicht überheblichen Art und Weise sowie seiner unkonventionellen Arbeitsweise kommt sie klar.

S. 115 „Der Typ ist eine Herausforderung. Aber sie arbeitet gern mit ihm zusammen.“

Die Zeitsprünge stören mich entgegen anderer LeserInnen nicht. Durch die Überschriften erfolgte vom Autor eine klare Definierung und Abgrenzung. Dadurch wußte ich immer, in welchem Monat ich mich gerade befand.
Was mich allerdings nervte, waren die Brüder Pirlos. Sie werden ihn ganz sicher noch in der Zukunft in große Schwierigkeiten bringen. Durch Rückblicke in die Vergangenheit erhält man sowohl zu Pirlos als auch zu Sophies Familienverhältnissen einiges an Informationen. Pirlo ist Libanese, heißt eigentlich Ramzes Khatib. Wie es zur Namensänderung kam und auch andere Umstände erfährt man zunächst noch nicht. Sie werden im nächsten Band ganz bestimmt aufgeklärt werden. Hier wurde das erst einmal so festgemacht. Wie konnte Pirlo die juristische Laufbahn einschlagen, Strafverteidiger werden mit einem kriminellen Familienclan-Hintergrund? Das ist sehr ungewöhnlich und bedarf Antworten.
Gemeinsam mit Sophie gelingt es Pirlo nach vielen Unanehmlichkeiten die extrem unsympathische Angeklagte Marlene von Späth frei zu bekommen.

Zum Cover:
Es paßt zum Inhalt - Ein adretter Mann im Anzug mit wahrscheinlich Prozeßakten in der rechten Hand hinter mehrfach gesprungener Glasscheibe.

Fazit:
Ein Krimi, der mich trotz vieler Klischees gut unterhalten hat. Unglaubliche Handlungen, vollzogen durch den Hauptdarsteller Pirlo, machen den Roman spannend. Am Ende des Buches bleiben für mich vorerst viele Fragen offen. Bis zu Band 2 im August 2022 vergeht noch viel Zeit. Hoffentlich werde ich mich dann noch erinnern!?

Ich vergebe vier von fünf Sternen und die Kauf- bzw. Leseempfehlung für alle Freunde von Anwaltkrimis!

Bewertung vom 27.09.2021
Jonuleit, Anja

Das letzte Bild


ausgezeichnet

Das Mädchen, das verlorenging
„Das letzte Bild" ist ein Roman, der wie ein Krimi daherkommt. Anhand eines realen, aber ungeklärten Falles entwickelte Anja Jonuleit die fiktive Geschichte der Margarete Gruber. Am 29. November 1970 wird in Norwegen im Isdal (deutsch: Eistal) eine halbverbrannte Frauenleiche gefunden. Bis heute sind die Identität und die Todesumstände der Isdal-Frau ungeklärt.

Mit großem Rechercheaufwand, der am Ende des Buches eindrucksvoll verzeichnet wird, hat die Autorin ihre nachvollziehbare Version der Geschichte der unbekannten Toten hier erzählt. Ich finde, dass sie das ganz toll gemacht hat.

In kürzester Zeit fühlte ich mich tief in den Roman hineingezogen. Durch die unterschiedlichen Schriftarten waren die beiden hauptsächlichen Zeitebenen für mich deutlich abgegrenzt. In einer dritten Handlung wird noch kurz in die Kriegsjahre geblendet und die Umstände aufgezeigt, wie das kleine Mädchen „verlorengeht".
Die Sichtweisen wechseln sich ständig ab. Einmal berichtet Margarete aus der Vergangenheit, aus der Zeit um 1970 und zum anderen begleiten wir Eva in der Gegenwart auf der Suche nach der Wahrheit. Wie kam ihre Tante ums Leben? Wer hat ihren Tod gewollt? Und warum? Mit Evas Reaktion, nachdem sie in der Zeitung das Foto sieht, dass soviel Ähnlichkeit mit ihrer Mutter Ingrid und auch mit ihr hat, konnte ich mich voll identifizieren. Ich hätte auch sofort und auf der Stelle wissen wollen, was es damit auf sich hat.
Manchmal fühlte ich mich so, als wäre ich mit Eva auf Recherche. Dabei konnte ich ihre gelegentliche Ungeduld, ihr Unverständnis gegenüber Zeitzeugen und deren Nachkommen voll verstehen.
Die „Lebensborn"- Thematik hatte ich bisher nur am Rande mitbekommen und habe mich nun damit beschäftigt. Es geht u. a. um die Verschleppung von Kindern aus dem Ausland und ihre zwangsweise Eindeutschung.
Die Bemerkungen (datiert 2018) vor einigen Kapiteln, die sich auf den realen Fall beziehen, fand ich informativ. Vielleicht kommen doch noch die wahren Umstände ans Licht?

Fazit:
Die mysteriöse Geschichte wird sehr realistisch und spannend erzählt. Es könnte der Isdal-Frau so ergangen sein! Mancher Krimi ist nicht so fesselnd!

Für mich ein Roman, der die Höchstbewertung verdient. Ich vergebe gern meine Lese- und Kaufempfehlung!

Bewertung vom 20.09.2021
vor Schulte, Stefanie

Junge mit schwarzem Hahn


ausgezeichnet

Martins Bestimmung
Martin, der 11jährige Junge, erlitt in seiner frühen Kindheit ein furchtbares Schicksal. Nur er blieb von der Familie übrig, nach dem der Vater sie alle umbrachte. Obwohl allein, meiden ihn die Dorfbewohner. Sie halten seinen treuen Gefährten, den schwarzen Hahn, für den Teufel. Das hält sie jedoch nicht davon ab, sein reines Herz und seinen wachen Verstand für ihre Zwecke auszunutzen. Schließlich verläßt Martin mit dem Maler den Ort, um seiner Bestimmung zu folgen.Er will einem immer wiederkehrenden, schrecklichen Geschehen ein Ende setzen. Er zieht aus, um gegen Unrecht und Bosheit zu kämpfen!

Wie durch ein Wunder bewahrte der Junge sein sonniges Gemüt. Er ist eine wahre Lichtgestalt in all dem Dreck, Gestank, in dem allgegenwärtigen Aberglauben vor Dämonen und Geistern, in der Unwissenheit bis zu der unvorstellbaren Dummheit. Auf seinem Weg lernt er die Folgen des Krieges, das Verderben, die Verrohung, die abgrundtiefe Gemeinheit der Menschen kennen. Sein verläßlichster Vertrauter, seine Zuflucht, sein ein und alles auf all seinen Wegen ist für ihn der schwarze Hahn, der auch sprechen kann. Durch seine natürliche Intelligenz und Gewitztheit kämpft sich das Kind durch all das Elend. Er beobachtet, analysiert und ordnet ein! Martin ist genial.

Der Debütroman von Stefanie vor Schulte begeistert mich. Die Erzählweise gefällt mir. Sie kommt daher wie im Stil der alten Märchen. Die Geschichte hat etwas Besonderes, verbindet das Alte mit dem Neuem, irgendwie zeitlos, obwohl scheinbar im Mittelalter verortet, anwendbar auch im Hier und Heute. Sie ist sehr metaphorisch, sinnbildlich.
Die Gegensätze zwischen gut und böse, schön und häßlich u.s.w. sind hier sehr deutlich herausgearbeitet.
Die Autorin erzählt Martins Geschichte ausdrucksstark in kurzen, prägnanten Sätzen. Die Charaktere sind zum großen Teil skurril (besonders die Fürstin, der Thomanns). Der Roman hat nicht viele Seiten, aber wurde sehr kreativ geschrieben und läßt vielfältige Interpretationen zu. Immer wieder sind mir Bezüge u. a. zu bekannten Märchen aufgefallen.

Fazit:
Das ist eine Erzählung, die ich in erster Linie als Märchen verstanden habe, mit Elementen aus Fabel, Legende, Parabel und in enger Symbiose mit diesen.
„Junge mit schwarzem Hahn“ beinhaltet eine Menge an Symbolik und Metaphern, dass es sich meiner Meinung nach lohnt, das Büchlein immer mal wieder zu lesen. Ich habe die Geschichte zwar aufmerksam verfolgt, aber ich bin mir sicher, dass ich nicht alles an Feinheiten erfaßt habe.

Für mich ist dieses Debüt bemerkenswert und verdient die hochgradigste Beachtung mit voller Sternenanzahl. Von mir gibt es die unbedingte Lese- und Kaufempfehlung!

Bewertung vom 11.09.2021
Merchant, Judith

SCHWEIG!


sehr gut

Die Haßliebe zweier Schwestern
Das weiße Cover, sparsam illustriert mit Vögeln in der Luft und Bäumen, die aus den Buchstaben des Titels wachsen, paßt in seiner Schlichtheit sehr gut zur Geschichte. Es ist ein Hingucker und fällt in den Buchhandlungen sofort ins Auge!

Die Geschichte beginnt damit, dass Esther einen Tag vor Heiligabend zu ihrer jüngeren Schwester fährt, um ihr ein Geschenk und eine Flasche Wein zu bringen. Obwohl Esther im vorweihnachtlichen Stress steckt, noch tausend Dinge zu tun sind, macht sie sich auf. Sue ist frisch geschieden, wohnt mutterseelenallein in einem riesigen Haus mitten im Wald. Kaum angekommen, merkt Esther, dass sie nicht willkommen ist. Die kleine Schwester, um die sie sich seit der Kindheit kümmert, will sie ganz schnell wieder loswerden. Doch sie bleibt, es kommt zur Aussprache und es endet in einem Fiasko...

Judith Merchant entwirft die Psychografien zweier Schwestern, die ihre traumatischen Kindheitserlebnisse nie verarbeitet haben. Die Analyse durch die Autorin erfolgt sehr geschickt, in dem sie die Geschehnisse aus verschiedenen Aspekten des Erlebten ableitet.
Aus der Sicht dreier Personen entwickelt sich schnell eine beklemmende Dynamik. Da sind zum einem vornehmlich die Perspektiven von Sue und Esther, aber auch Martin, der Ehemann Esthers kommt zu Wort. Aus dem jeweiligen Blickwinkel liest man deren Wahrheit. Eine unheimliche Stimmung wird dadurch erzeugt, die durch die äußeren Umstände noch verstärkt werden - die Winterlandschaft, der Schneesturm, das einsame Haus im Wald...
In kurzen Kapiteln werden Gedanken, Beweggründe aufgeworfen, Begebenheiten aus der Vergangenheit erzählt. Und dann ist es doch anders als vermutet.
Mit klarem Schreibstil führt die Autorin den Leser zielgerichtet auf das überraschende Ende hin, das sehr abrupt kommt. Mir ist das nicht ganz einleuchtend bei dem emotional schwierigen Verhältnis der beiden Schwestern.

Fazit:
Mit wenigen Personen wird ein Psychothriller geformt, der durch zwischenmenschliche Beziehungen der besonderen Art zur Katastrophe führt.

Bewertung vom 10.09.2021
Krien, Daniela

Der Brand


ausgezeichnet

Auszeit für drei Wochen
Der Brand eines Ferienhauses ist der titelgebende Auslöser für die Auseinandersetzung eines Ehepaares mit dem Zustand ihrer fast 30jährigen Ehe. Rahel und Peter wollten wegen Corona im Inland bleiben, mieteten eine Hütte in den Ammergauer Alpen. Das Domizil brennt ab. Ein weiterer trauriger Zufall bietet ihnen die Möglichkeit sich in Dorotheenfelde in der Uckermark, um Haus und Hof des befreundeten älteren Paares Ruth und Victor zu kümmern. Ruth begleitet ihren Mann nach einem Schlaganfall in die Reha an die Ostsee. Arbeitsteilig versorgen Peter und Rahel die Tiere, das Haus und den Garten. Die drei Wochen nutzen sie, um sich über ihre Beziehung Klarheit zu verschaffen...

Daniela Krien spricht hier, um Fontane zu zitieren "ein weites Feld" an. Neben der Partnerschafts- und Elternproblematik als Hauptthematik, die allein schon schwierige, komplexe, umfassende Themen sind, wird aktuelles Zeitgeschehen eingebaut in die Handlung u. a. Corona, Gendern. Die zeitliche Einordnung des Romans erfolgt durch diese Geschehnisse.

Der Schreibstil von Daniela Krien gefällt mir gut. Sie konzentriert sich auf das Wesentliche und läßt vieles zwischen den Zeilen "durchblitzen“. Nichts ist trivial! Es wird in den wenigen Seiten eine Menge zur Sprache gebracht. Der gefühlte Inhalt des Buches kam mir sehr viel mehr vor. Meine Gedanken gingen auch des Öfteren spazieren. Für mich hatte der ganze Roman etwas Selbsterklärendes. Allerdings blicke ich aus langjähriger Ehe- und Lebenserfahrung auf das Gelesene, bin ebenfalls im Osten Deutschlands sozialisiert. In ruhiger, unaufgeregter Erzählweise erfolgt die idyllische Beschreibung der Umgebung, Peters Umgang mit den Tieren, die Darstellung der Gegebenheiten in Haus und Garten. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden realistisch in beeindruckender Weise dargestellt. Mit guter Beobachtungsgabe verfolgt die Autorin drei Wochen lang das Leben von Rahel (49 Jahre alt, Psychologin) und Peter (55 Jahre alt, Literaturprofessor) in der wunderbaren, sommerlich leichten Atmosphäre der uckermärkischen Landschaft. Es ist eine subjektive Geschichte, da sie aus der Sicht Rahels definiert wird. Über die Art und Weise der Bewältigung der Auszeit des Ehepaars erfährt der/die Lesende in der Hauptsache von ihr. Peter erscheint in ihrer Beschreibung und in den Dialogen. Er ist sehr ruhig, feinsinnig und in sich gekehrt, während sie recht pragmatisch daherkommt, oft für ihn mit Entscheidungen trifft. Es gibt zu viele Missverständnisse, viel Schweigen, nur kurze Gespräche und damit Unausgesprochenes, was dringend einer Erklärung bedarf. Erst als auch die gemeinsame Tochter Selma mit ihren Kindern auf dem Hof eintrifft, beginnen sie sich aktiv mit deren und bald darauf auch mit ihren eigenen Problemen auseinanderzusetzen.

Es „brennt" an allen Ecken und Enden...

Einige Sätze, die ich gut fand:
S. 105 Peter: „...Gefühle verändern sich. Unsere Gefühle haben sich auch verändert.“
S. 174 „Manchmal ist das wohl nicht zu verhindern, dass zwei Menschen nicht mehr im Gleichschritt gehen.“
S. 229 Peter zu Rahel: „Du paßt ins Leben, ... Du bist mit einer solchen Selbstverständlichkeit in der Welt, ...“

Das Ende des Buches stimmt mich optimistisch, dass Rahel und Peter ihren Weg weiter gemeinsam gehen und auch noch die goldene Hochzeit miteinander erleben.


Fazit:
„Der Brand“ ist eine detail- und facettenreiche, dichte Erzählung, die mich zum Nachdenken anregte und für mich ein Lesehighlight 2021 darstellt.

Eine anspruchsvolle Geschichte, die mich gut unterhalten hat! Ich vergebe gern meine Lese- und Kaufempfehlung und fünf von fünf Sternen!

Bewertung vom 15.08.2021
Harlander, Wolf

Systemfehler


sehr gut

Das Internet, die Achillesferse der modernen Gesellschaft
„Systemfehler" habe ich als Hörbuch erleben dürfen. Gleich zu Beginn nahmen mich im Prolog die Worte gefangen, machten mir die Bedrohung durch das Internet mehr als deutlich. So ähnlich heißt es:
Für das Ende der Zivilisation braucht es keine Bomben. Am Anfang vom Ende steht eine Computertastatur. Mit einem Tastenklick wird der Virus auf die Reise geschickt und bringt Chaos, Tod und Zerstörung...

Wolf Harlander versteht es eindrucksvoll in seinem Werk „Systemfehler“ den immensen Einfluß des Internets auf unser Leben zu beschreiben. Mit dem Ausfall der digitalen Netzwerke ist von einem Moment zum anderen nichts mehr wie vorher. Die Lebensadern wie Verkehr, Wasser- Energieversorgung, Gesundheits- und Finanzwesen, Kommunikation – kurz die gesamte Infrastruktur, werden abrupt abgeschnitten. Es beginnt mit Stromausfall im Klinikum Hamburg Eppendorf, wenig später schalten sich alle Geräte auf der Intensivstation ab. Viele Patienten sterben.
Das gesamte Land versinkt im Chaos. Es weitet sich aus auf andere europäische Länder, vor allem Frankreich, Österreich, Italien. Anhand der Personen zeigt der Autor auf, wie die Misere im Laufe der kurzen Zeit bewältigt wird...

Ich habe „Systemfehler“ in der Hörbuchversion erlebt durch einen ausgezeichneten Sprecher. Uve Teschner gelang es hervorragend, den unterschiedlichsten Menschen (männlich, weiblich, Kind) seine Stimme zu leihen und ausdrucksstark durch das Geschehen zu führen. Er machte für mich das Hörbuch durch seine Charakterisierung der handelnden Personen zu einem Erlebnis.
Zu meinen Kritikpunkten – manches erscheint mir unlogisch, zu arglos (Claudia steigt bei Stromausfall in den Aufzug, für die Uniklinik gibt es für die Intensivstation und andere Bereiche keine Notstromaggregate?), zu schnell abgehandelt, klischeehaft, zu viele Nebenschauplätze.

Trotz allem wurde ich gut unterhalten und ich hoffe, dass das Geschehen dystopisch bleibt.

Ich bewerte mit vier von fünf Sternen und gebe meine Empfehlung.

Bewertung vom 15.08.2021
Höflich, Sarah

Heimatsterben


ausgezeichnet

Wir sind Heimat!
Der Roman beginnt mit Tilde Ahrens. Sie ist mit ihren 97 Jahren die Älteste des Familienclans, der mit seinen Nachkommen den Mittelpunkt der Geschichte bildet. Ihr schweres Schicksal, der weitere Verlauf ihres Lebens/Sterbens/Tod und ihr unmittelbare Einfluß auf die sie umgebenden Menschen werden immer wieder thematisiert und bilden das Gerüst für das aktuelle Geschehen. Die Entwicklung eines neuen Deutschlands wird hauptsächlich erzählt anhand der Familienmitglieder Ahrens und von Altdorff.

Ich bekam mit der Geschichte beunruhigende Ausblicke in die nahe Zukunft, in das Jahr 2023. Die Pandemie ist gerade vorbei. Aus der Türkei droht die nächste große Flüchtlingswelle – Hauptziel Deutschland.
Die Situationen und Handlungsabläufe werden anhand der verschiedenen Charaktere, zu denen es durchaus ähnliche Pendants zur heutigen politischen Szene gibt, sehr authentisch dargestellt.
Mit dem Slogan „Wir sind Heimat“ erhob sich eine neue Partei, die BürgerUnion, nachdem die AfD implodiert war. Felix von Altdorff ist der Spitzenkandidat der Partei. Seine Ehefrau Trixie ist die Schwester von Hanna Ahrens, der ältesten Enkelin von Tilde.

Schließlich erstarkten die nationalistischen, heimatbewussten Kräfte so sehr, dass die Machtverhältnisse zu ihren Gunsten entschieden wurden. Die rechte Partei BürgerUnion siegt mit überwiegender Mehrheit. Felix von Altdorff, „die neue deutsche Hoffnung“, wird der neue Bundeskanzler mit großer Strahlkraft. Er ist der Typ Saubermann, der die Massen schon mit seiner Erscheinung beeindrucken kann. Erst recht mit seinem Hintergrund des uralten Adels, seiner aparten Frau und den properen Kindern. Durch seine charismatische Art versteht er es auch Hanna auf seine Seite zu ziehen, obwohl sie eine andere Einstellung hat. Sie wird ihm zunächst eine große Stütze in der politischen Arbeit sein.

Sehr beeindruckend, wie Sarah Höflich es verstanden hat, in ihrem Debütroman so packende Szenen mit ungeheuerlicher Sogwirkung zu entwickeln. Die Ereignisse überstürzen sich. Die dramatische Entwicklung für die gesamte Gesellschaft wird überdeutlich. Extrem rechtsradikale Kräfte agieren mit roher Gewalt, ohne Rücksichten und ohne Verstand.

Das schlichte Cover mit dem verfaulenden Apfel kommt für mich symbolträchtig daher. Sehr stimmig zur Geschichte! Hilfreich beim Lesen und Verstehen der Zusammenhänge ist der Stammbaum der Familie im vorderen Innenteil des Buches.

Die politischen Geschehnisse sind fiktiv. NOCH! Ich verstehe das Buch als Warnung. Vieles kommt schon sehr realistisch und aktuell daher. Deshalb wehret den Anfängen. Wir müssen aufpassen.

Ich empfehle den Debütroman mit der Höchstbewertung!

Bewertung vom 14.08.2021
Gardner, Sally

Unsichtbar im hellen Licht


gut

Rinnstein der Zeit
„Eins ist sicher, ..., wenn du das Spiel beendet hast, wird sich alles verändert haben." (S. 11)

Celeste, 12 Jahre alt, spielt mit einem Mann im smaragdgrünen Anzug. Bei diesem Spiel geht es um nichts geringeres als um das Leben ihrer Familie, um Vater, Mutter und Zwillingsschwester Maria. Die Beweggründe des Mannes für das seltsame Verhalten erschlossen sich mir nicht.
Zu Beginn befindet sich der Leser in der Königlichen Oper in K. Wobei ich vermute, dass K. mit Kopenhagen identisch ist. In dem sehr mysteriösen Geschehen hatte ich es nicht leicht, mich zurechtzufinden. Die zwar wenigen Schauplätze wechseln oft und es war manchmal schwer zu unterscheiden, was ist real und was verschwimmt im „Rinnstein der Zeit". Mir war die phantasiereiche Geschichte zum größten Teil etwas zu wirr erzählt. Erst am Ende wird alles schlüssig und nachvollziehbar aufgelöst. Ob bis dahin allerdings die Zielgruppe der 12 bis 17jährigen durchhält?

Zunächst erscheint mir der Jugendroman wie ein Märchen. Begründen möchte ich das zum einen mit der gewählten Zeit, in der die Geschichte spielt. Es gibt Dienstmädchen, Zofen, Lakaien, einen König und als Jahreszahl wird 1870 genannt. Einige der Charaktere sind überzeichnet, so z. B. die berühmte Sängerin Madame Sabina Petrova. Mir fiel dazu noch die starke Unterscheidung zwischen gut und böse auf. Die Petrova ist ein richtig fieser Charakter und Quigley, der Clown besitzt ein ausgesprochen gutes Herz.

Erst gegen Ende des Geschehens glaubte ich zu wissen, was ich da gelesen habe. War es ein originell erzählter Traum, der sich nahe an der Realität bewegte? Ich bin mir da allerdings nicht sicher. Es war mir vieles zu diffus. Daher meine Einschätzung, dass das Buch nicht den Geschmack der Zielgruppe trifft. Auf das Urteil meiner 16jährigen Enkelin bin ich sehr gespannt.

Positiv in meine Bewertung fließt die schöne Cover- und Innengestaltung des Buches ein. Die Tatsache, dass die Autorin Sally Gardner eine schwere Legasthenie (Schreib- Leseschwäche) in der Schule hatte, erstaunte mich. Davon ist nichts mehr zu bemerken. Am Schreibstil gibt es nichts zu bemängeln.

Ich bewerte mit 3 von 5 Sternen.

Bewertung vom 12.08.2021
Faber, Henri

Ausweglos


ausgezeichnet

Der inkaorangene BMW
Das Thriller-Debüt von Henri Faber war für mich von Beginn an eine angenehme Überraschung. Der Thriller liest sich äußerst spannend. Die kurzen Kapitel taten ihr Übriges. Wie in Trance musste ich Seite um Seite lesen. Hier eine dringende Warnung an diejenigen, die eigentlich keine Zeit haben. Nur mit „Ausweglos“ beginnen, wenn nichts Dringendes ansteht!

Wir erleben die Handlung aus der Ich-Perspektive von vier Protagonisten – Elias Blom, der Ermittler, das Ehepaar Noah und Linda Klingberg sowie der noch unbekannte Stalker bzw. Mörder wechseln sich ab. Interessante Konstellationen werden nach und nach preisgegeben. Dabei bleibt der Fall undurchsichtig.
Das Geschehen lt. Klappentext scheint klar und logisch zu sein, aber stimmt das so? Es beschleichen mich nach und nach Zweifel. Was weiß Noah? Welche Rolle spielt Linda? Wer sagt die Wahrheit? Wer lügt? Nach jedem Kapitel tun sich neue Fragen auf. Je mehr ich von den einzelnen Personen erfuhr, umso undurchsichtiger wurde es wiederum. Und was ist mit dem Täter, dem Ringfinger-Mörder? Der verhält sich merkwürdig. Warum fährt er so ein auffälliges Auto, diesen inkaorangefarbenen BMW?
Es geschehen Dinge, welche die Situationen in neuem Licht erscheinen lassen. Plötzlich und überraschend wendet sich wieder und wieder das Blatt. Nichts ist, wie es scheint. Verwirrung total!
Henri Faber läßt seine Charaktere so agieren, dass ich ein ums andere Mal dachte, ist hier eigentlich überhaupt jemand normal. Ganz üble Leute arbeiten bei der Mordkommission. Deren Umgangsformen sind grenzwertig. Da hatte Kommissar Blom noch zusätzliche Hürden zu überwinden.

Die unterschiedlichen Perspektiven sind intelligent verwoben, schafften für mich jedoch keinen Durchblick. Den Titel finde ich gut gewählt und das Cover wurde hervorragend gestaltet - optisch und haptisch.

„Ausweglos“ ist ein Thriller, der mich seit langem richtig neugierig auf die Auflösung machte. Meine Erwartungen waren groß und erfüllten sich in hohem Maße. Mit dem Ausgang der verrückten Geschichte war ich zufrieden.

Ich fand den Thriller herausragend – erst recht für ein Debüt. Den Autor Henri Faber werde ich mir merken. So müssen für mich Thriller „gestrickt“ sein. Ich werde nach neuer Lektüre von ihm Ausschau halten.

Ich empfehle „Ausweglos“ mit der Höchstbewertung!

Bewertung vom 01.08.2021
Kunrath, Barbara

Wir für uns


sehr gut

Wie das Leben so spielt...
Mit diesem Buch schenkt uns Barbara Kunrath eine Geschichte, die das Leben schreibt.

Im fiktiven, kleinen Ort Solbach in Hessen, in der Nähe des Westerwaldes und der Großstadt Frankfurt am Main finden zwei Frauen durch einen wunderbaren Zufall zueinander. Sie sind verschiedener Generationen zugehörig. Josie wird mit 41 Jahren plötzlich und ungewollt schwanger von ihrem jahrelangen Geliebten, der aber mit ihr kein Kind möchte. Seit neun Jahren unterhalten sie eine Dienstagsbeziehung. Kathi ist 70 Jahre alt und verlor plötzlich kurz vor der Goldenen Hochzeit ihren Mann. Es sind die tiefen, schmerzhaften Einschnitte ins Leben, die die Autorin recht anschaulich zu beschreiben versteht.

In fünf Teilen erfuhr ich in abwechselnden Kapiteln von Josie und Kathie, wie sie den Neubeginn nach den einschneidenden Veränderungen bewältigen. Immer wieder gibt es Rückblicke in die Vergangenheit. Unverarbeitete Konflikte in der Großeltern- und Elterngeneration der Protagonistinnen kommen zur Sprache, die sich nachhaltig auf ihr Leben auswirkten. Dazu erfolgen bei Kathi die Rückblicke auf eine lange Ehe und ihre Rolle als Mutter und die Berufstätigkeit im Dorfladen, bei Josie ist es hauptsächlich ihre lang andauernde Beziehung zum verheirateten Bengt, die sich vorwiegend im Bett abspielte.

„Wir für uns“ ist problembehaftet. Es kommen viele Themen zur Sprache, vielleicht etwas zu viele für nur einen Roman. Zumal diese dann zum Ende recht schnell gelöst und abgehandelt scheinen.
Angenehm fiel mir auf, dass keine moralische Wertung erfolgte. Das kann jeder mit seiner eigenen Lebenserfahrung abgleichen.
Den Sprachstil fand ich bereits wie bei „Töchter wie wir“, feinfühlig, ansprechend, nachvollziehbar und lebensecht.

Fazit:
Ich empfand den Roman als sympathisch geschriebene Geschichte über den Neubeginn des Lebens zweier Frauen unterschiedlicher Generationszugehörigkeit.

Meine Empfehlung mit vier von fünf Sternen!