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MaWiOr
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Insgesamt 3670 Bewertungen
Bewertung vom 27.03.2021
Hahn, Ulla

stille trommeln


ausgezeichnet

Ulla Hahn (Jahrgang 1946) zählt zu den wichtigsten Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen der deutschen Gegenwartsliteratur. Mit ihren ersten Gedichten Anfang der 1980er-Jahre erntete sie bereits Aufmerksamkeit und Anerkennung. Seitdem veröffentlicht Hahn Lyrik, Prosa, Artikel und Essays, dabei hat sie einmal selbst bekannt: „Mein Geliebter ist die Lyrik, verheiratet bin ich mit der Prosa.“

Zum 75. Geburtstag der Schriftstellerin liegt nun mit „stille trommeln“ ein Lyrikband vor, der eine Auswahl von neuen Gedichten aus den letzten zwanzig Jahren bringt. Das inhaltliche Spektrum der Gedichte ist breit gefächert. Die Themen reichen von Alltagsbeobachtungen bis zur Suche nach Glück und Liebe in einer von Vernunft und Technik beherrschten Welt. Dabei lässt sich Ulla Hahn nicht vom Zeitgeist leiten. Ulla Hahn genügen wenige Worte, um ihre Gedanken spürbar werden zu lassen. Oft hat man den Eindruck, als schreibe sie zu ihrer eigenen Erklärung, zur Selbsterforschung und Therapie – gewissermaßen Gedichte, in denen die Autorin mit drin ist. Aber diese Gedichte können dem Leser die Welt erklären, die Höhen und Tiefen verstehen und erträglicher machen. Lyrik als Lebenshilfe „Wenn ich vom Licht rede / verschweige ich dann den Schatten? / Wenn ich Fülle schreibe / leugne ich dann die Leere?“ Es sind keine lauten Gedichte („stille trommeln“), – eher der Stille und der Harmonie verdächtig – es sind feinfühlige Annäherungen an Etwas, das ihr und anderen Halt gibt.

Komplettiert wird der Gedichtband im Anhang durch eine Auflistung des umfangreichen Werkes von Ulla Hahn, das neben der Lyrik auch Prosa (Erzählungen und Romane) sowie Essayistisches umfasst. Auch ihre zahlreichen Auszeichnungen (Auswahl) werden aufgeführt.

Bewertung vom 27.03.2021
MacLane, Mary

Meine Freundin Annabel Lee


ausgezeichnet

Das Werk der kanadisch-amerikanischen Schriftstellerin Mary MacLane (1881-1929) geriet lange Zeit in Vergessenheit. Erst in den letzten Jahren wurde es wiederentdeckt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. So erschien im Vorjahr im Reclam Verlag mit „Ich erwarte die Ankunft des Teufels“ ein autobiografischer Text, der die damals erst 19-Jährige mit einem Schlag bekannt machte, und nun erstmals in deutscher Sprache vorlag.

Nun hat Reclam ihren Roman „Meine Freundin Annabel Lee“, der ein Jahr nach ihrem Debüterfolg erschien, folgen lassen. Der Roman ist ein Zwiegespräch zwischen der feministischen Autorin und ihrer fiktiven Freundin. Annabel Lee ist die einzige Person, die MacLane „am Reichtum ihres Herzens, am Reichtum ihrer Gedanken und an der freundschaftlichen Berührung ihrer holden Hand“ teilhaben lässt. Bis heute ist jedoch unklar, welche reale Person sich hinter Anabel Lee verbirgt. Die beiden jungen und schon recht emanzipierten Frauen tauschen ihre Wünsche, Erlebnisse, Erfahrungen und geheimsten Wünsche aus. So gewinnt der Leser einen Blick in den Kopf und das Herz einer jungen Frau von vor mehr als hundert Jahren. Zwischen beiden herrscht auch eine gewisse Zuneigung und einfühlsame Verbindung. Stets spricht die Autorin mit Bewunderung von ihrer Freundin Annabel Lee. Ein leichtfüßiger und beglückender Roman, in einer gelungenen und frischen Übersetzung von Mirko Bonné.

Bewertung vom 26.03.2021
Baudelaire, Charles

Die Blumen des Bösen


ausgezeichnet

Der Gedichtband „Die Blumen des Bösen“ machte 1857 Furore. Hundert Verse, mit denen der französische Lyriker Charles Baudelaire (1821-1867) für Aufsehen sorgte. Bei seinem Erscheinen in Frankreich ein riesiger Skandal, mehrfach verboten und verbrannt. Sechs Gedichte wurden in der Erstausgabe wegen Anstößigkeit gestrichen. Heute stehen die Texte, die mystisch und ein Ausflug ins Exotische waren, für den Grundstein der „modernen“, europäischen Lyrik. Hin- und hergerissen zwischen „Schrecken und Ekstase“ – beruhte die Wirkung seiner Gedichte auf dem Gegensatz zwischen verruchtem Inhalt und geheiligter Form. Seiner Lyrik entsprach auch das unstete und für damalige Verhältnisse skandalöse Leben des früh verstorbenen Genies.

Zum 200. Geburtstag des Dichters hat der Reclam Verlag den legendären Gedichtband herausgebracht – nach der zweiten Auflage von 1861, die gegenüber der Erstauflage (1857) von Baudelaire um 32 Gedichte vermehrt worden war. Außerdem die Gedichte, die in einer dritten, nochmals erweiterte Ausgabe erschienen. Der Übersetzerin Monika Fahrenbach-Wachendorff ist es gelungen, die Frische und Eindringlichkeit der Verse zu bewahren. Ergänzt wird der Reclam-Band durch ein Nachwort von Hartmut Köhler.

Bewertung vom 25.03.2021
Gravett, Emily

Viel zu viel Zeug!


ausgezeichnet

Die Elster-Eltern Tim und Tina erwarten Nachwuchs. Im Wald hoch in einem Baum bauen sie ihr Nest für die vier Eier. Doch Tim und Tina finden, dass es ihren Kleinen an nichts fehlen sollte. Und so schleppen sie alles herbei: zwei Kuckucksuhren, Babysocken, einen Teddybär und einen Kinderwagen. Obwohl das Nest in luftiger Höhe schon überquillt, muss es noch ein Fahrrad und schließlich ein Auto sein. Kein Wunder, dass es plötzlich „Krach“ macht und alles poltert auf den Waldboden.

Gottseidank sind die Eier heil geblieben. Nun helfen die Waldtiere, den ganzen Unfug wegzuräumen oder aus ihm etwas Brauchbares zu machen. So nutzen die Eichhörnchen den Kinderwagen als Seifenkiste oder aus den Kuckucksuhren werden Vogelhäuschen. Eine humorvolle Geschichte mit wunderbaren Farbillustrationen.

Bewertung vom 25.03.2021
Sterchi, Beat

Capricho


ausgezeichnet

Eigentlich wollte der Schweizer Autor Beat Sterchi die Geschichte seines Dorfes schreiben, doch irgendwie findet er den dringend gesuchten roten Faden nicht und so kümmert er sich um seinen „huerto“, seinen Gemüsegarten. Fortan bestimmen Apfelbäume, Rosenstöcke, Brombeergebüsch oder das Setzen von Kartoffeln seinen Alltag. Leider hat er davon wenig Ahnung und so wird das Ganze ein Abenteuer, bei dem es viel zu entdecken gibt. Doch Freunde und Nachbarn sind mit Rat und Tat zur Stelle.

Und da er natürlich Schriftsteller ist, hält er seine Beobachtungen und Erfahrungen in kurzen Texten fest. Da gilt es die Erde mit der Hacke zu lockern, die Gurken und Tomaten zu bewässern oder der nächtliche Marder entpuppt sich als Hühnerdieb. In seinem „huerto“ kommt Sterchi mit sich selbst und der Natur ins Gespräch. Zurück am Schreibtisch werden die Eindrücke festgehalten. Es sind Naturbeobachtungen vermischt mit Alltagserledigungen und philosophischen Gedanken. Eine interessante und auch lehrreiche Lektüre.

Bewertung vom 25.03.2021

Auszeit


ausgezeichnet

Einmal eine Auszeit vom Stress nehmen, Ruhe und Entspannung finden. Der Diogenes Verlag hat ein Auszeit-Buch mit 18 Geschichten vorgelegt, die den Alltagsstress etwas vergessen lassen. Es sind Geschichten von internationalen Autoren/-Innen – von T.C. Boyle über Juli Zeh und Anton Tschechow bis zu George Orwell.

Den Auftakt macht Martin Suter mit der Kurzgeschichte „Huber spannt aus“, in der sich eine Schweizer Führungskraft auf einer Strandliege entspannen will, deren Miete er noch nicht bezahlt hat. Friedrich Christian Delius erzählt in „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“ von einem DDR-Kellner, der nur einen Wunsch hat: nach Sizilien reisen. Doch der Weg nach Italien ist versperrt durch die „ärgerlichste Grenze der Welt“. Im Mittelpunkt der längsten Geschichte des Bandes, „Sonne“ von D.H. Lawrence, steht eine Ehefrau, die gemeinsam mit ihrer Familie an Bord eines Schiffes ist, obwohl sie sich verzweifelt gewünscht hatte, voneinander loszukommen. In der Schlussgeschichte „Die Uhr“ des französischen Schriftsteller Grégoire Hervier geht es um eine besondere Uhr, mit der man die Zeit zurückdrehen kann.

Fazit: Eine gelungene Auswahl an nachdenklichen und auch humorvollen Geschichten zur Entspannung.

Bewertung vom 25.03.2021

Neustart


ausgezeichnet

Ein Neuanfang ist eine Chance, der eine Veränderung in das gleichmäßige Leben bringen kann. Doch er erfordert Kraft und Willensstärke. Der Diogenes-Band bringt fünfzehn Geschichten von Protagonisten, die einen Neustart gewagt haben. Sie stammen von internationalen Autoren/-Innen wie Clemens Meyer, Sy Montgomery, Marlen Haushofer oder Susanna Tamaro,

In der Auftaktgeschichte „Glücksmomente“ erfährt der Autor Meir Shalev solche freudigen Momente in seinem Garten … und das ist für ihn weit mehr, als er in vielen anderen Momenten hat. Kurt Tucholsky berichtet von der Kunst, falsch bzw. richtig zu reisen. Für die Naturforscherin und Schriftstellerin Sy Montgomery beginnt ein Neuanfang mit „Einfach ein Mensch sein“. In der Schlussgeschichte „Fluss“ erzählt Elizabeth Strout von der jungen Olive, die am Fluss einen alten, hilflosen Mann findet. Die Begegnung wird ihr Leben verändern.

Fazit: Der Diogenes-Band bringt eine gelungene Auswahl an nachdenklichen und teilweise humorvollen Geschichten. Darunter eine exklusive Geschichte von Joachim B. Schmidt.

Bewertung vom 23.03.2021
Hunt, Peter

Die Erfindung von Alice im Wunderland


ausgezeichnet

Als die kleine Alice einem Kaninchen in seinen Bau folgt, taucht sie ein in eine wundersame Welt. Hier trifft sie auf Gestalten, die so fantastisch und bizarr sind wie einzigartig. Noch immer – 150 Jahre nach der Erstveröffentlichung – zählt Lewis Carrolls Klassiker „Alice im Wunderland“ zu den beliebtesten Werken der Weltliteratur.

Die wenigsten wissen allerdings nicht, dass Lewis Carroll nur ein Künstlername ist. Eigentlich hieß der Autor Charles Lutwidge Dodgson. Diese und noch weitere Informationen zu dem Klassiker „Alice im Wunderland“ vermittelt die Neuerschei-nung. Peter Hunt erzählt, wie alles begann mit den „Alice“-Büchern. Dabei ist die Sache nicht einfach, denn es gibt vier „Alice“-Bücher – von einer handschriftlichen Version bis zur letztlich publizierten Fassung.

Der Autor beleuchtet auch die literarischen Vorbilder des Werkes, er entschlüsselt dessen Motive und Anspielungen, denn in den „Alice“-Büchern steckt ein autobiografisches Sammelsurium. So erfährt man neben den Hintergründen zur Entstehungsgeschichte des Werkes auch viel Wissenswertes zur facettenreichen Biografie von Dodgson. Auch Details der Viktorianischen Kultur werden sichtbar. Besonders erwähnenswert ist die opulente Illustration mit historischen Fotos und Abbildungen, darunter die Zeichnungen des englischen Illustrators John Tenniel, der den Romanen ein Gesicht gab.

Bewertung vom 23.03.2021

Wonderlands


ausgezeichnet

Fantasy-Literatur ist nicht erst jetzt eine beliebte Lektüre. Sie gibt es schon seit Jahrhunderten. Viele von lesen diese Romane, um der Welt und dem Alltag zu entfliehen. Dabei befand sich die fantastische Literatur schon immer in einem vielschichtigen Dialog mit der realen Welt.

„Wonderlands“ ist ein fesselnder Führer durch die imaginären Reiche der Weltliteratur. Rund 100 Essays geben interessante Hintergrundinformationen zu den bekanntesten Fantasy-Werken. Alle hier beschriebenen Werke spielen in Ländern, die rein der Fantasy entspringen. All diesen Büchern liegen uralte Geschichten der Menschheit zugrunde: Mythen, Fabeln und Sagen, die erklären sollten, wie die Welt entstand und warum sie so ist, wie sie ist.

In fünf thematischen und chronologischen Kapiteln werden die Fantasy-Werke vorgestellt. Das Anfangskapitel „Alte Mythen & Legenden“ widmet sich z.B. dem Gilga-Epos, der Märchensammlung „Tausendundeine Nacht“ oder „König Arthur und die Ritter der Tafelrunde“. Auch Shakespeares Drama „Der Sturm“ findet hier Beachtung. Im Kapitel „Wissenschaft & Romantik“ findet man Informationen zu „Gullivers Reisen“, zur „Schatzinsel“ von R.L. Stevenson oder zu Jules Verne. Als „Das Goldene Zeitalter der Fantasy“ wird die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Hier entstanden Werke wie „Das Schloss“ (Kafka), „Schöne neue Welt“ (Huxley) oder „Der kleine Prinz“ (Saint-Exupéry). Die Fantasy-Werke der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden im Kapitel „Neue Weltordnung“ vorgestellt – u.a. „1984“ (Orwell), „Fahrenheit 451“ (Bradbury), „Der Planet der Affen“ (Boulle) oder „Per Anhalter durch die Galaxis“ (Adams).

Das Schlusskapitel „Das Computerzeitalter“ (Zeitspanne von 1982 bis 2015) ist sehr umfangreich. Unter den vorgestellten Fantasy-AutorInnen findet man z.B. Stephen King, J.K. Rowling, Cornelia Funke, David Mitchell oder Salman Rushdie. Die meisten Fantasy-Werke werden auf einer Doppelseite erläutert (andere ausführlicher). Neben den Hintergrundinformationen besticht die Neuerscheinung durch eine opulente Illustration und eine sehr schöne Aufmachung – selbst ein Fantasy-Werk. Sehr empfehlenswert – nicht nur für Fantasy-Fans, auch für Literaturbegeisterte. Auch als Nachschlagewerk geeignet.

Bewertung vom 22.03.2021
Wissler, Wolfgang

Kolumbus, der entsorgte Entdecker


sehr gut

Am 12. Oktober 1492 ging er in die Weltgeschichte ein: Christoph Kolumbus. Er hat die Bahamas und damit den amerikanischen Kontinent erreicht, glaubt aber das sagenhafte chinesische Reich entdeckt zu haben. Kolumbus war im Auftrag der spanischen Krone unterwegs. In den neu gewonnenen Gebieten ließ er sich zum Vizekönig ernennen. Da-nach unternahm er weitere Schiffsexpeditionen, insgesamt vier Reisen, auf denen er neun Schiffe verlor. Die versprochenen Goldschätze kann er der spanischen Krone nicht liefern. Weil seine Pläne zur Kolonisation scheiterten, wurde Kolumbus 1500 in Ketten nach Spanien zurückgebracht, wo er 1506 ruhmlos starb.

Wolfgang Wissler schildert in einer romanhaften Darstellung die desaströse vierte Expedition des Entdeckers. Seine Männer planen eine Meuterei und die Einheimischen lassen sich nicht mehr mit billigem Krimskrams abspeisen. Auch Konkurrenten und der spanische Gouverneur sehen darin eine Chance, den unbequemen Emporkömmling ins Abseits zu schieben. Die knapp 200 Seiten sind kein Heldenepos sondern das tragische Ende eines legendären Seefahrers, dessen Denkmäler heute beschmiert und gestürzt werden.