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yellowdog

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Insgesamt 2106 Bewertungen
Bewertung vom 23.09.2021
Lenz, Siegfried

Florian, der Karpfen


sehr gut

Einen bisher noch unveröffentlichten Text von Siegfried Lenz zu veröffentlichen ist löblich, aber man musste noch ein paar andere Texte und ein Vorwort sowie ein Nachwort dazunehmen, um gerade so ein Buch daraus zu machen.
Der Haupttext ist Florian, der Karpfen. Ein Märchen! Ich halte es für Kinder von heute für ungeeignet. Als Erwachsener Leser hatte ich auch nicht so richtig Zugang, obwohl einige Figuren doch putzig sind. Zum Beispiel der Krebs Hans von Zwickau oder das Brassenmädchen Rosa.
Schließlich gab das wirklich gut gemachte Nachwort einige Erläuterungen,, die auf interessante Themen hinweisen.

Mit Die Fische gibt es dann sogar ein Gedicht, Außerdem eine Festrede

Es dürfte ein Buch für echte Lenz-Fans und für am Maritimen und Tauchen Interessierte sein, aber vielleicht gibt es ja noch mal eine Veröffentlichung von noch unveröffentlichten Lenz-Erzählungen mit mehr Substanz.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2021
Bjerg, Bov

Deadline


sehr gut

Der Debütroman

Der Roman erschien 2008 erstmals. Es geht um Paula, Übersetzerin, übergewichtig, Ende 30, lebt in ihrer Wahlheimat, den USA.
Sie kehrt kurzzeitig aufgrund dem Grab ihres Vaters und der Krankheit ihrer Mutter nach Deutschland zurück und nimmt ein anderes Lebensgefühl wahr, das zeigt sich durch ein anderes Tempo, denn in den USA muss immer alles schnell gehen.
Immer wieder werden Merkmale der Zeit (im Jahr 2005) genannt. Auch das prägt das Buch.

Wahrnehmung steht im Vordergrund und Bov Bjerg findet die Sprache dafür, dem Ausdruck zu geben. Damit verbunden ist leicht kühle und etwas schwermütige Stimmung.

Bemerkenswert auch das Nachwort von Kanon-Verlag-GründerGunnar Cynybulk, das er aktuell für diese neue Buchausgabe geschrieben hat.

Vergleicht man Deadline mit Bov Bjergs letzten Roman Serpentinen, sieht man, dass er sich weiterentwickelt hat. Aber sein einmaliger Stil ist auch schon in Deadline in ausgeprägter Form vorhanden.

Bewertung vom 21.09.2021
Sanyal, Mithu

Identitti


sehr gut

Zuerst wollte ich den Roman nicht lesen, weil ich befürchtete, dass er sich zu plakativ an die Themen des MeToo und Persons of Color hängt.
Doch als der Roman immer mehr Aufmerksamkeit und positive Stimmen bekam und sogar für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde, habe ich doch zum Buch gegriffen.
Und tatsächlich ist der Roman gut geschrieben, empathisch in der Figurendarstellung und oft auch witzig.
Die Vorfälle um den Skandal um eine Professorin Saraswati und ihrer kulturellen Aneignung werden von der Studentin Nivedita beobachtet. Als Leser ist man dicht an ihr dran. Sie hat einen deutschen Vater und eine indische Mutter.
Die Sozialen Medien und was sie in Bewegung setzen können, werden in diesem Buch ziemlich genau dargestellt.
Ein rasantes Buch!

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.09.2021
Reyer, Sophie

1431


sehr gut

Sophie Reyer nutzt die Geschichte von Johanna, der Jungfrau von Orleans, um tief in eine Zeit abzutauchen und sich in einen sprachlichen Rausch zu begeben.
1431 ist das Jahr, in dem Jeanne d‘Arc verbrannt wurde.

Der Roman hat einige Rückblenden. So wird beispielsweise Johanna auch als aufgewecktes Kind mit ersten Visionen gezeigt und wie sie später als junge Frau in den Krieg zieht. Sophie Reyer zeigt Johanna wie sie brennt und wütet.
Der Hauptstrang zeigt sie aber in Gefangenschaft, beobachtet von Nicolas Loyseleur, ihren angeblichen Beichtvater Seine Gedanke über Johanna nehmen auch viel Raum ein..

Schon oft wurde der Stoff verarbeitet, Sophie Reyer fügt ihm keine neuen Akzente zu. Aber sie nutzt ihn, um ein Sprachfest zu feiern.

Bewertung vom 19.09.2021
Lingyuan, Luo

Sehnsucht nach Shanghai


ausgezeichnet

Die Abenteurerin

Von Luo Lingyuan sind schon mehrere Bücher erschienen. Ich habe sie erst jetzt entdeckt und es genossen, ihren Roman Sehnsucht nach Shanghai zu lesen. Das Buch ist eine Romanbiografie und hat Atmosphäre.

1935 ist Shanghai für die Amerikaner und andere Ausländer durchaus ein reizvoller Ort, an dem die höhergestellte reiche Gesellschaft es sich gut gehen lässt. Auch die Amerikanische Journalistin Emily Hahn fügt sich da zusammen mit ihrer Schwester schnell ein. Sie verliebt sich in den Chinesen Shao Sinmay, der Verleger ist.

Interessant an dem Buch ist, dass es Emily Hahn wirklich gab. Sie lebte von 1905 bis1997, schrieb für das Magazin The New Yorker und war wirklich von 1935 bis 1943 in Shanghai. Mit ihren Biografien und Reportagen über China wurde sie berühmt. Sie war auch z.B. mit Vicky Baum bekannt.
Auch andere Figuren wie Shao Sinmay und den Millionär Sir Victor Saasson gab es wirklich.

Ich glaube, dass Luo Lingyuan dem Leben in dieser Zeit wirklichkeitsnah folgte und damit ein Porträt von einem Teil von Shanghai dieser Zeit schuf.
Shanghai war damals eine Weltstadt, die auch viele jüdische Flüchtlinge aufnahm.
Aber die Lage in China brodelte und 1937 griff die Japanische Armee Shanghai an.

Luo Lingyuan schreibt detailliert und mitreißend über die Ereignisse.

Bewertung vom 18.09.2021
Lind, Jessica

Mama


ausgezeichnet

Die Lichtung im Wald

Der Wald als Schauplatz der Handlung ist entscheidend für die bedrohliche Atmosphäre, die sich im Jessica Linds Roman Mama immer mehr und mehr entwickelt.

Das Paar Amira und Josef fahren in die Waldhütte, die zu Josefs Kindheit gehörte. Sein Vater ist im Wald ums Leben gekommen, dennoch hängt Josef an dieser Gegend.
Die Erzählperspektive wird aber von Amira bestimmt.
Sie und Josef haben einen Kinderwunsch und bekommen auch ein Baby, Louisa. Und als sie ca. 3 Jahre später zurück in die Hütte kommen, spürt Amira immer mehr eine Bedrohung. Durch einen mysteriösen fremden Wanderer, durch eine wilde Hündin, die im Wald herumstreift und in der Angst um ihr Kind. Als Leser hat man aber auch Angst, dass Amira selbst, von ihren irrationalen Gefühlen bestimmt, sich zu einer Tat hinreißen lässt. Doch der Verlauf der Handlung lässt viel Interpretationsspielraum und mehrere Erklärungsansätze, ohne das alles aufgeklärt wird.

Wie die Autorin die Romanhandlung mit sparsamen Mitteln immer mehr verdichtet und durch psychologische Momente beklemmende Stimmungen entstehen lässt, ist geschickt und wirkungsvoll gemacht. Ein großartiges Debüt.

Bewertung vom 18.09.2021
Slupetzky, Stefan

Nichts als Gutes


sehr gut

Lauter Reden

Zuerst war ich ja skeptisch. Wie können Grabreden Literatur sein?
Aber schon mit der ersten Geschichte konnte der österreichische Schriftsteller Stefan Slupetzky mich überzeugen. Er macht natürlich Geschichten aus den Grabreden. Was da alles erzählt wird.
In der ersten Rede ist ausgerechnet ein Grabredner gestorben. Sein Kollege und Freund hält dann die Rede und es nimmt eine unerwartete Wende.

Wesentlich distanzierter zum Verstorbenen ist die zweite Rede, Mustermann.
Eher verehrend ist die Rede für einen Kommerzialrat.
Genial die Rede auf den ehemaligen Fußballer, der dann als Samenspender zum Schützenkönig wurde.
Zu meinen Lieblingsreden gehören die auf einen Schriftsteller und die von einem Autisten auf seine Tante, bei der er lebte.

Man merkt, die Geschichten sind doch unterschiedlicher als unerwartet, trotz gleichen Sujet. Aber fast immer ist eine nur manchmal verstecktem spöttische Ironie des Autors zu spüren. Zudem gibt er jeder Rede eine Einleitung. Das vereint die Geschichten dann wieder und macht sie zu einem Ganzen.

Bewertung vom 18.09.2021
Crane, Stephen

Die tristen Tage von Coney Island


sehr gut

Der 1900 mit nur 28 Jahren verstorbene amerikanische Sxhriftsteller Stephen Crane verfügte über viel Ausdruck. Das beweist er in den Kurzgeschichten, die hier versammelt sind, z.B. schon bei der Titelgeschichte, die den Anfang macht oder bei Das Feuer. Da wird der Ausbruch eines Brandes beschrieben, überwiegend aus Sicht von Schaulustigen. Überhaupt haben mehrere Geschichten einen Reportagecharakter. Nicht selten ist etwas theatralisches an den Geschichten.Übertreibungen waren für Stephen Crane ein Mittel seiner Ironie.

Sehr gelungen ist auch das Nachwort von Wolfgang Hochbruck, der auch eine der Stories übersetzte.

Bewertung vom 17.09.2021
Klüssendorf, Angelika

Vierunddreißigster September (eBook, ePUB)


gut

Ein Dorf im Osten

Der Roman Vierunddreißigster September ist relativ kurz, aber Angelika Klüssendorf Schaft es in Kürze eine dichte Atmosphäre aufzubauen, die ein Dorf im Osten nach der Wende zeigt, damit auch einen gewissen Stillstand.
Im Mittelpunkt steht zunächst ein älteres Paar, Walter und Hilde, die schon lange verheiratet sind.
Wie der Klappentext schon andeutet, wird der schwerkranke Walter von seiner Frau getötet. Das ist aber mehr nur ein Aufhänger durch einen rasch wechselnden Blick auf die Dorfbewohner deren Eigenheiten und Beziehungen zueinander zu erzählen. Dabei ist Walter sogar als Toter noch dabei.
Obwohl Angelika Klüssendorf in ihren frühen Romane Das Mädchen und April den Leser näher an die Hauptfigur kommen lässt, überzeugt Vierunddreißigster September stilistisch und wirkt kompakter als z.B. Juli Zehs Unterleuten.