Benutzer
Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 872 Bewertungen
Bewertung vom 27.05.2010
Kirino, Natsuo

Die Umarmung des Todes


ausgezeichnet

Was war das jetzt?
Mehr als 600 Seiten japanischer Thriller - aber irgendwie auch nicht.
Ein dickes Buch über vier Frauenschicksale die sich alle ein besseres Leben wünschen - doch das wäre zu wenig.
Eine unglaublich gelungene Mischung aus beidem, die einen zudem in die tiefsten Abgründe der menschlichen Seele blicken lässt - ja, das trifft es wohl besser.
Im Affekt bringt Yayoi ihren Mann um nachdem er ihr gestanden hat, dass er ihre gesamten Ersparnisse verspielte. Ihre drei Kolleginnen aus der Lunchpaket-Fabrik helfen ihr aus Mitgefühl, Solidarität, Geldgier (?) das Verbrechen zu vertuschen womit das Verhängnis seinen Lauf nimmt. Immer tiefer verstricken sie sich in Lügen und Täuschungen.
Dieses Buch ist stellenweise unerhört brutal, es stockt einem der Atem - jedoch nicht weil hier mit Lust entsetzliche, blutrünstige Dinge beschrieben werden. Es ist vielmehr die Nüchternheit mit der dies geschieht, die einen (mich) so fassungslos macht. Scheinbar völlig normale Frauen, die nur der Wunsch nach einem etwas besseren Leben verbindet, lassen alle Normen und Regeln hinter sich um so ihrem Traum etwas näher zu kommen. Doch ihre Schicksale sind so gut beschrieben, dass man diese Frauen zu verstehen und mit ihnen zu fühlen beginnt, sowohl im Guten wie im Schlechten.
Leicht zu lesen, aber nicht ganz so zu verdauen :-)

Bewertung vom 13.05.2010
Maar, Paul

Kartoffelkäferzeiten


ausgezeichnet

Februar 1948: Die knapp 13jährige Johanna lebt in einem kleinen mainfränkischen Dorf zusammen mit ihrer Mutter, Tante und ihren Großmüttern. Das Leben ist geprägt von Mangel und Einschränkung, Essen und Kohlen sind knapp, man kommt gerade so über die Runden. Doch trotz allem ist Johanna glücklich: Sie fühlt sich geborgen in der Sicherheit ihrer Familie und wenn dann ihr Vater noch aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehren würde... Aber Johanna wird älter und selbständiger. Die wohlmeinende Fürsorge insbesondere einer Großmutter erscheinen ihr immer mehr wie ein Käfig: Vorschriften, deren Sinn sich ihr nicht erschließen. Weshalb soll sie nicht mehr mit dem Nachbarsjungen unterwegs sein dürfen? Wieso sind Menschen schlecht nur weil sie anders sind? Als endlich der Vater zurückkehrt und Johanna die Schule beendet, scheint alles möglich zu sein. Doch der Käfig wird noch kleiner als zuvor...
Paul Maar gelingt es überzeugend aus Sicht des Mädchens Johanna ein Bild der Nachkriegszeit zu vermitteln. Trotz aller Knappheit arrangiert man sich, die Menschen halten zusammen und haben gelernt sich an dem Wenigen zu freuen das man hat. Doch der Autor schildert auch die Schattenseiten des damaligen Lebens: die Ablehnung alles Fremden und Unbekannten, die Weigerung der jüngsten Vergangenheit ins Gesicht zu sehen, das Beharren auf überkommenen Traditionen und Gewohnheiten. Johanna lehnt sich Stück für Stück dagegen auf mit Hilfe ihrer Tante und des 'Roten Barons', einem Aussenseiter im Dorf. Und erkennt, dass sie eine Entscheidung treffen muss.
Ein durchweg empfehlenswertes Buch ab ca. 10 bis 11 Jahre.

4 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.05.2010
Laurie, Hugh

Bockmist


sehr gut

Thomas Lang, selbständiger Sicherheitsberater, Bodyguard - was auch immer - wird über mehrere Ecken in ein Drogen-, später dann Waffengeschäft verwickelt und findet sich plötzlich als Terrorist wieder. Grund hierfür ist sein gutes Herz und (natürlich) die Liebe zu einer Frau. Wie er sich aus dieser und vielen anderen gefährlichen Situationen wieder herauswindet, schildert Laurie durchaus witzig und originell. Seine Wortspielereien und Spitzfindigkeiten in Bezug auf Sprache sind überaus unterhaltend (z. B. wieso der Tag an- und die Nacht einbricht und nicht andersherum, oder '...ließ die Sonne zwischen den Krähenfüßen hereinkrabbeln' oder 'Das letzte Mal haben wir uns zu beiden Seiten eines Revolvers getroffen.'), wobei man immer wieder auch den Tonfall des späteren Dr. House entdeckt.
Die Geschichte selbst ist zeitweise überspitzt (wie es sich für eine Parodie gehört) aber auch recht wirr. Scheinbar belanglose Personen tauchen kurz auf um eine ganze Menge an Seiten später plötzlich wieder eine bedeutsamere Rolle zu spielen. Hier scheint die Fabulierlust des Autors etwas überhand genommen zu haben.
Sieht man von diesen kleinen Schwächen ab, hat man mit diesem Buch eine vergnügliche Unterhaltung mit viel Sprachwitz und etwas Dr. House-Flair :-)

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.05.2010
Torres Blandina, Alberto

Salvador und der Club der unerhörten Wünsche


ausgezeichnet

Salvador, ein freundlicher und überaus sympathischer älterer Mann, nutzt seine Arbeit als Putzmann am Flughafen, um Passagieren und anderen Mitarbeitern seine Geschichten zu erzählen. Es ist Unglaubliches was er zu berichten hat, doch nicht unglaublich genug als dass es auch wahr sein könnte.
'Der Club der unerhörten Wünsche' beispielsweise, in dem fast jeder Mitglied zu sein scheint. Und plötzlich scheinen sich so viele Dinge zu erklären, über die man noch vor kurzem immer wieder gerätselt hat...
Oder die Geschichte mit der Gefälligkeitenbörse. Wieso sollte die nicht möglich sein: Man erledigt für jemanden einen Gefallen und bekommt dafür einen erfüllt, egal wie abstrus er auch sein mag.
Japan ist nur eine Marketingerfindung? Wer weiss... Ein Land mit einem Nationalsport, in 'dem sich zwei Fettwänste im Tanga gegenseitig herumschubsen', einem Nationalessen aus rohem Fisch, der mit Stäbchen zu essen ist und einer Sprache mit drei Alphabeten. Sowas kann doch nur eine Erfindung sein.
19 Geschichten. teilweise aus mehreren Teilen bestehend, erzählt Salvador, immer an der Grenze zwischen Realität und Phantasie balancierend. Immer wieder ertappte ich mich bei der Überlegung: Vielleicht stimmt es ja doch??? Sooo unwahrscheinlich ist nun doch nicht...
Auch der Schluss der Erzählungen lässt genug Raum für eigene Gedankenbilder. Entweder fehlt er ganz oder es endet mit Vermutungen.
Ein schönes, einfallsreiches aber auch phantasieanregendes Buch!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.05.2010
Drvenkar, Zoran

Paula und die Leichtigkeit des Seins


sehr gut

Paula ist unglücklich. Sie ist ziemlich dick, selbst im Wasser geht sie sofort unter. Dabei möchte sie genau wie ihre Geschwister und Freundinnen und Freunde umherspringen und vom Vater und Onkeln in die Luft geworfen werden. Doch eines Tages geschieht ein Wunder: Onkel Hiram wirft sie hoch (endlich!) - und Paula bleibt oben. Sie fliegt und schwebt in der Luft wie ein Vogel und fühlt sich so leicht wie eine Feder. Wie bzw. ob sie wieder herunterkommt? Selber hören oder lesen :-)
Eine bezaubernde und poetische Geschichte, die von Hannah Herzsprung mit einer gut dazu passenden Jungmädchenstimme vorgetragen wird. Da die 96 Seiten des Buches auch eine Menge wunderschöner Zeichnungen von Peter Schössow enthalten, die leider, leider nicht in die Hörbuchfassung übertragen werden können :-), gibt es auf der CD eine zweite Geschichte um so zumindest 45 min Vorlesezeit zu erhalten.
Diese handelt von Lenni, Paulas dünnem Bruder, der seine Schwester sehr vermisst. Um zu ihr zu kommen, versucht er sogar dick zu werden. Eine schöne Ergänzung, wenn auch diese Erzählung nicht ganz an die Qualität der ersten herankommt. Was aber nicht damit zusammenhängt, dass der Autor sie selbst vorliest.
Alles in allem zwei herrliche Geschichten für Kinder ab ca. sechs Jahren, doch ich persönlich würde das Buch der CD vorziehen. Denn die Zeichnungen von Peter Schössow ergänzen das Erzählte auf perfekte Art und Weise, so dass es für die CD 'nur' vier Sterne gibt.

Bewertung vom 09.04.2010
Hegemann, Helene

Axolotl Roadkill


sehr gut

Jau, das war wahrlich keine leichte Kost und schon gar nicht in irgendeiner Form zur Erbauung oder guten Unterhaltung im Sinne von sich erfreuen geeignet. Trotzdem - dieses Buch hängt nach.
Wer die Jugend als ausschließlich schöne Zeit in Erinnerung hat, ist beneidenswert, aber natürlich sei es ihr/ihm gegönnt. Doch wie oft war dieser Abschnitt geprägt von Frust und Wut. Auf diese Erwachsenenwelt, diese scheinheilige, heuchlerische, die einem aber vorschreiben wollte wie man zu sein und zu leben hatte. Und die Schule, wo das Beste daran war dass man seine Kumpels traf, aber ansonsten nur Scheiß lernte. Der eigene Körper der machte was er wollte: der Busen zu groß zu klein, zuviel zuwenig Bartstoppeln, zu kurze zu lange Beine, der Schwanz zu dünn zu winzig usw. Man hatte das ganze Leben noch vor sich - ja aber was für eines? In dieser scheiß verlogenen Gesellschaft... Eigene Wünsche oder Träume wurden ins Lächerliche gezogen (werd' du erst mal erwachsen..), Drogen aller Art wurden ausprobiert um dem standzuhalten.
Genau so und noch extremer klingt es durch alle Seiten dieses Buches hindurch, durch alle Zeilen. Mifti, die Hauptfigur ist zudem nicht nur ein 'normaler' Teenager mit oben genannten Problemen, nein, sie schleppt auch noch eine grauenvolle Vergangenheit mit sich rum, die es ihr verwehrt, den häufig einzigen richtigen Rückhalt zu finden, den junge Menschen in dieser Zeit haben: eine gleichaltrige Clique. Sie ist eine Einzelgängerin, da sie die durch ihre gräßlichen Erfahrungen entstandenen Empfindungen und Gedanken ihren Altersgenossinnen nicht deutlich machen kann. Verstanden fühlt sie sich lediglich von Menschen, die ähnlich existentielle Erlebnisse hinter sich haben und diese mit Hilfe von Drogen versuchen zu überwinden, zu vergessen, zu verdrängen - was auch immer. Und Mifti schließt sich an. All dies schildert sie mit einer solchen Sprachgewalt, Obszönität, Brutalität und Grausamkeit, dass ich immer wieder geneigt war das Buch wegzulegen. Doch zugleich war ich voller Mitgefühl für diese unsagbar einsame unglückliche junge Frau und las weiter in der Hoffnung, dass noch jemand kommt, der ihr die Kraft gibt die sie braucht um all das zu überstehen.
Helene Hegemann schildert ein Lebensgefühl in Extremform, das sich aber grundsätzlich seit Jahrzehnten nicht verändert hat. Sie gibt ihm jedoch die Stimme der heutigen Zeit, so unschön sie auch klingen mag. Eigentliche Zielgruppe für dieses Buch sollten junge Erwachsene sein und zwar genau die, die sich allem und jedem verweigern. Doch ob ausgerechnet jene sich eine Lektüre zu Gemüte führen, die vom Establishment hoch gelobt wurde, ist fraglich.
Was den Plagiatsvorwurf angeht: Wer Augen hat zu sehen, der lese :-) Auf Seite 15 erklärt Edmond, der Bruder von Mifti, dass seine Werke zusammengeklaut sind. Und zwar: 'Von so 'nem Blogger.'
Und wieso Axolotl? Weil er das freundlichste Lächeln hat, das Mifti je gesehen hat.

6 von 9 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.04.2010
Ford, Richard

Eifersüchtig


sehr gut

Bemerkenswert unspektakulär wirkt die 96seitige Novelle, die durch die Verwendung von Blocksatz und etwas kleinerer Schriftgröße gut auf 50 bis 60 Seiten hätte erscheinen können.
1975: Lawrence, 17 Jahre, lebt bei seinem Vater in Dutton, einem verlassenen Nest in Montana. Zu Thanksgiving soll er seine Mutter in Seattle besuchen, wohin ihn seine Tante Doris begleiten soll. Mit ihr bricht er nach Shelby auf, der nächstgelegenen Stadt mit Bahnhof, um dort in einen Zug zu steigen. Vor der Abfahrt kehren beide noch in einer Kneipe ein, in der Doris die Bekanntschaft eines Indianers macht. Kurze Zeit später wird dieser in der Toilette von der Polizei erschossen.
Ruhig und besonnen schildert Lawrence (Larry) das Leben mit seinem Vater ebenso wie die Unklarheiten und Unsicherheiten, die die unterschiedlichen Geschehnisse in ihm hevorrufen. Auch der Vater scheint seinen Frieden gefunden zu haben obwohl es scheint, dass es ihm noch zu schaffen macht dass seine Frau ihn verließ. Doris stellt den Kontrapunkt zu den beiden Männern dar: Zwar vermittelt sie anfänglich den Eindruck eines lebhaften und glücklichen Menschen, doch zunehmend entsteht ein Bild einer rastlosen und unausgeglichenen Frau. Man spürt vermehrt, wie sie Larry um sein Leben beneidet, was sie gegen Ende auch direkt äußert: ‚O je. Du hast alles. Ja, so ist es, du hast einfach alles.’ (und damit dem Buch wohl auch seinen Titel verleiht).
Kein aufsehenerregendes Thema, selbst der erschossene Indianer erscheint eher als Randfigur in dieser Novelle. Ford gelingt es jedoch auf diesen wenigen Seiten trotz des ruhigen und verhaltenen Tons eine Spannung der ganz eigenen Art aufzubauen, eine Beziehung zwischen den Lesenden und Larry. Und man beginnt zu verstehen, um was Doris Larry beneidet: Die Liebe zu seinem Vater, die Liebe des Vaters zu ihm, die ihm die Ruhe und die Zuversicht gibt, dieses Leben zu bewältigen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.